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Centralblatt
für
allgemeine Gesundheitspflege.
*
Zeitschrift '* ■ • - *
des Niederrbeinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.
Herausgegeben
von
Dr. Lent, Dr. Stubben, Dr. Kruse,
Geb. Sanlttterat, Prof, in Oöln. Ober-und Geh. Banrat in Berlin. a. o. Prof, der Hygiene ln Bonn.
Siebenundzwanzigster Jahrgang.
Mit 2 Kurventafeln und 26 Abbildungen im Text,
Bonn,
Verlag von Martin Hager
1908.
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Inhalt.
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Original-Arbeiten. seit«
Über die Erfolge eines versuchsweise eingeführten orthopädisch-
gymnastischen Spielkursus für kranke und zurückgebliebene
Schulkinder jüngeren Alters. Von Dr. Herbst, Barmen. Mit
10 Abbildungen. 1
Wesen, Ursachen, Verbreitung und Bekämpfung des Alkoholgenusses
in den Volksschulen. Von Kurt W. F. Boas . 18
Zichorie. Von Dr. Heinrich Zöllner, Berlin-Wilmersdorf ... 32
Bericht über die M.-Gladbacher Wohlfahrtseinrichtungen zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose bis 1. April 1907. Von Dr. Schae-
fcr, Direktor der Heilstätte, und Dr Grau, 2. Arzt daselbst 41
Bericht über die 32. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege in Bremen vom 11. bis 14. September.
Von Dr. Pröbsting in Cöln. 45
Schule und ansteckende Krankheiten. Vortrag, gehalten in einer
Versammlung der Oölner Lehrerschaft vom Beigeordneten Dr.
Krautwig (Cöln). Mit 2 Kurventafeln. 99
XIV. Internationaler Kongress für Hygiene und Demographie in
Berlin vom 23. bis 29. September 1907. (Schluss.) Von Privat¬
dozent Dr. Selter-Bonn.127
Die Verteilung der Unglücksfälle der Arbeiter auf die Wochentage
und die Tagesstunden. Von H. Bi Ile-Top, Kopenhagen . . 197
Ergebnisse der Waldschule. Aus den Heilanstalten der Stadt M.-
Gladhach (Direktor Dr. Schäfer). Von Dr. H. Grau, früherem
II. Arzt.200
VI. Jahresbericht der Lungenheilstätte Holsterhausen bei Werden-
Ruhr für 1907. Von Chefarzt Dr. F. Köhler. (Mit 3 Abbildungen) 208
Fünfter Jahresbericht über die Tätigkeit der amtlichen Desinfek¬
torenschule an der Desinfektionsanstalt der Stadt Cöln in dem
Kalenderjahre 1907. Berichterstatter E. Czaplewski, Cöln 221
Bericht über die Ausbildung von Krankenschwestern und Kranken¬
pflegepersonal in der fortlaufenden Desinfektion an der amt¬
lichen Desinfektorenschule der Städtischen Desinfektionsanstalt
zu Cöln. Berichterstatter E. Czaplewski .225
Ärztlicher Jahresbericht über das „Barmer Säuglingsheim mit Krippe“
für die Zeit vom 1. Mai 1907 bis 31. März 1908. Von Dr. Th.
Hoffa, leitendem Arzt. (Mit 2 Abbildungen).229
Ohrunter8uehung bei Schulkindern. Von Dr. Hermann Preysing,
Prof. f. Ohrenheilkunde a. d. Akademie f. prakt. Med. zu Cöln 241
Bericht über die schulärztliche Tätigkeit an den Volksschulen der
Stadt Dortmund für das Schuljahr 1906/1907. Von Dr. med.
F. Steinhaus, Stadtschularzt. 283
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IV
Seite
Statistische Untersuchungen über die Morbilität verheirateter und
unverheirateter, wie auch nichtgelernter und gelernter männ¬
licher Arbeiter u. a. m. Von H. Bille-Top, Arzt in Kopen¬
hagen . 326
Zu welcher Jahreszeit sollen wir impfen? Von Dr. Walther Kaupe,
Kinderarzt in Bonn.343
Zichorie. Von Dr. H. Zellner-Wilmersdorf.345
Zweite Konferenz der Zentralstelle für Volkswohlfahrt (E. von
Mumm).346
Konferenz zur Fürsorge für die schulentlassene Jugend (Selter-
Bonn) .352
Wasserversorgung durch „natürliche Filtration* 4 . Von Prof. W.Praus-
nitz in Graz.377
Infektion und Desinfektion einer Zentralwasserversorgungsanlage.
Von Dr. M. K aiser, k. k. Seesanitätsarzt in Triest, früherem Assi¬
stenten am Institut. (Mit Abbildung).383
Gronauerwald in Bergisch-Gladbach ..397
Bericht über die Hauptversammlung des Niederrheinischen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege am 28. Mai 1908 zu Barmen
im Gesellschaftshause der Concordia.455
1. Geschäftsbericht.459
2. Erster Vortrag: Die Systemfrage bei der Heizung grösserer
Krankenhäuser und dergl. mit besonderer Berücksichtigung
der Fernwarmwasserheizung. Von Ingenieur Barth in
Barmen.463
3. Diskussion.478
4. Zweiter Vortrag: Über die Beschaffung von neuen, guten
und billigen Wohnungen. Von Dr. Wiedfeldt in Essen 481
5. Diskussion.491
Bericht über die 33. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege in Wiesbaden vom 16. bis 19. September
1908. Von Dr. Pröbsting in Cöln.494
Literaturbericht.
König, Fortschritte im Sanitätswesen der Marine (M üh lsch lege 1-
Stuttgart). 74
Steuber, Über die Verwendbarkeit europäischer Truppen in tro¬
pischen Kolonien vom gesundheitlichen Standpunkte (Mühl-
sch legel-Stuttgart) . 75
Beck, Touristik und Herz (Matthes-Cöln). 76
Bingel, Untersuchungen über den Einfluss des Biertrinkens und
Fechtens auf das Herz junger Leute (Matthes-Cöln) .... 76
Boas jr., Wie soll sich die Bekämpfung der Genussgifte in den
breitesten Volksschichten gestalten? (Autorreferat). 77
Groedel, Über den schädlichen Einfluss des Schnürens auf den
Magen (Boas jr.-Berlin). 78
Lengfellner, Worauf kommt es beim Schuhwerk (wissenschaftlich¬
orthopädisch gedacht) vor allem an? (Boas jr.-Berlin). ... 79
Feer, Der Einfluss der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die
Kinder (Boas jr.-Berlin). 79
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V
Seit«
Jessen, Die praktische Lösung der Frage der Schulzahnkliniken
(Boas jr.-Berlin). 79
Kühs, Einrichtung von Krematorien. Kritische Besprechung der
Leichenverbrennung mit Berücksichtigung der Gründe für und
wider dieselbe (Müh Ischl egel-Stuttgart). 80
Doebert, Sanitätspolizeiliche Gesichtspunkte für die Beseitigung
der Haus- und Küchenabfälle (des sog. Mülls) (MühIschlegel-
Stuttgart) . 81
Quinke, Über Deckenluft-Ventilation durchWind (Mühlschlegel-
Stuttgart) . 81
Finkler, Disposition und Virulenz. Eine klinisch-bafcteriologische
Studie (MühIschlegel-Stuttgart)). 82
Weichselbaum, Über die Infektionswege der menschlichen Tuber¬
kulose (Mühl sc hl eg el-Stuttgart). 88
Zieschä, Über die quantitativen Verhältnisse der Tröpfchenaus¬
streuung durch hustende Phthisiker (Weiseher-ßosbach/Sieg) 84
Pfeiffer und Friedberger, Vergleichende Untersuchungen über
die Bedeutung der Atmungsorgane und des Verdauuugstraktus
für die Tuberkuloseinfektion (nach Versuchen an Meer¬
schweinchen (Mühlschlegel-Stuttgart). 85
Findel, Vergleichende Untersuchungen über Inhalations- und
Fütterungstuberkulose (Weise her-Rosbach/Sieg) ...... 8(5
Fraenkel, Über die Wirkung der Tuberkelbazillen von der un¬
verletzten Haut aus (Müh Ischl ege 1-Stuttgart). 86
Käser, Alkohol und Tuberkulose (Boas jr.-Berlin). 87
Beschorner, Die Stellung der Fürsorgestellen für Lungenkranke
im Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) . 87
Martin, Ältere Anschauungen über den Gebrauch des Einzelkelches
beim Abendmahl (Boas jr.-Berlin). 88
Kaiser, Über die Desinfektion infektiöser Darmentleerungen (Mat-
thes-Cöin). 88
Kaiser, Über eine Trinkwasser-Typhusepidemie (Mühlschlegel-
Stuttgart) . 89
Kossel, Zur Verbreitung des Typhus durch Bazillenträger (Mühl¬
seh legel-Stuttgart) . 89
Dehler, Zur Behandlung der Typhusbazillenträger (Matthes-
Cöln). 90
Löffler, Zum Nachweise und zur Differentialdiagnose der Typhus¬
bazillen mittels der Malachitgrünnährböden (Mühlschlegel-
Stuttgart) . 91
Bacmeister, Bakteriologische Untersuchungen bei Cholelithiasis
(Mtihlschlegel-Stuttgart). 91
Westenhoeffer, Über die praktische Bedeutung der Rachen¬
erkrankung bei der Genickstarre (Mühlschlegel-Stuttgart) . 92
Voigt, Was ist als generalisierte Vakzine zu bezeichnen? (Mühl-
sc hl eg el-Stuttgart). 93
Jacobi, Das dänische Gesetz betreffend die Bekämpfung der Un¬
sittlichkeit und venerischen Ansteckung vom 80. März 1906
(Boas jr.-Berlin). 93
Yüdice, Statistische Erhebungen über die Häufigkeit des Trippers
beim Manne und seine Folgen für die Ehefrau und Kinderzahl
ißoas jr.-Berlin). 94
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VI
Seite
Sofer, Über das Wesen und die Bekämpfung des Gelbfiebers
(Boas jr -Berlin). 95
Bahsford, Mnrrav und Haaland, Ergebnisse der experimentellen
Krebsforschung (Müh Ischlegel-Stuttgart). 96
Weinberg, Kritische Bemerkungen zu der Breslauer Statistik des
Krebses beider Ehegatten und der Frage des Krebses der Ehe¬
gatten überhaupt (Boas jr-Berlin). 97
Römer, Über Krebsangst (Boas jr.-Berlin). 97
Räuber, Zusammenstellung der gesetzlichen Bestimmungen, Er¬
lasse und Verfügungen für das Medizinalwesen in Preussen
nebst Kreisarztgesetz und Dienstanweisung für die Kreis¬
ärzte (R ) . . .. 165
Neefe, Statistisches Jahrbuch deutscher Städte (Rosenberg-Kiel) 166
Rocsle, Die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Kolonien in
statistischer Betrachtung (Laspe v res-Bonn).168
Lion, Tropenhygienische Ratschläge (Berinb ach-CoIn) .... 169
Archiv für Volkswohlfahrt (Ber m bar h-Cöln).169
Berberich, Bau- und Wohnungshygiene (8 e hui tze-Bonn) . . . 170
Rubner, Der Verkehr und die Verkehrsschäden (Berm bach-Cöln) 170
Zur Frage der Beheizung von Strassen- und Kleinbahnwagen
(Her bs t-Cöin). 171
Stetefeld, Kühlung ganzer Eisenhahnzüge (Herbst-Cöln) . . . 171
Klinger, Kalender für Heizungs-, Lüftungs- und Badetechniker
(Herbst-Cöln). 172
Mehl, Die lokalen Luftbefeuchtungsapparate (Herbst-Cöln) . . . 172
Kabrhel, Studien über den Filtrationseffekt der Grundwässer
(RÄfcicka). 175
Peters. Die Wasserversorgungsfrage der Stadt Magdeburg (Mast¬
bau m-Cöln) . 175
Peters, Über Torfitpissoirs (Bermbach-Cöln).175
Merckel, Mitteilungen über neuere Aufgaben des Hamburgischen
Sielwesens (Steuernagel-Oöln). 176
Stier, Der Militärdienst der geistig Minderwertigen und die Hilfs¬
schulen (Graessner-Cöln).* . . . 177
Schmalfuss, Stellung und Aufgaben des Ammen-Untersuchungs-
arztes (Siegert-Cöln). 178
Heiin-Voegtlin, Die Pflege des Kindes im ersten Lebensjahr
(Siegert-Cöln). 179
Mare, Des Kindes Ernährung und Pflege von der Geburt bis zum
Schulbeginn (Siegert-Cöln). 180
Saltet und Falkenburg, Kindersterblichkeit, besonders in den
Niederlanden (Siegert-Cöln). 181
Esser, Die Ätiologie der Rachitis (Siegert-Cöln).181
Muskat, Die Verhütung des Plattfusses mit besonderer Berücksich¬
tigung der Wehrfähigkeit (Cramer-Cöln) ... ..... 181
Rieb old, Über die Wechselbeziehungen zwischen dem Ovulations¬
vorgang inkl. der Menstruation und inneren Krankheiten (Mühl¬
seh lege 1-Stuttgart) . 182
Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬
wesen über die Zulässigkeit eines Zusatzes von Formaldehyd
zur Handelsmilch (Mülilsch 1 ege 1-Stuttgart).183
Zentralstelle für Volkswohlfahrt und Deutscher Verein für ländliche
Wohlfahrts- und Heimatpflege (R.). 184
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VII
Seit«
Lehmann, Vorläufige Mitteilungen über Tabakstudien (Berm-
bach-Cöln).185
Schröder, Über chronische Alkoholpsychosen (Fuchs-Cöln). . . 186
Bieling, Der Alkohol und der Alkoholisums (Fuchs-Cöln) . . . 187
Berghaus, Über die Verbreitung von Infektionsstoffen (Lieber¬
meister) . 188
v. Esmarch, Verwendung aller Ätzkalkpräparate zu Desinfektions¬
zwecken (Bermbach-Coln).- . . . . 188
Doerr und Raubitschek, Über ein neues Desinfektionsverfahren
mit Forraalin auf kaltem \Vc”<* ii h 1 se )i 1 egei-Stiutgart) . . 188
Bartel und Spieler. Experinrnnmlmit» Tsuchungcn übernatürliche
Infektionsangelegenheit mit Tuberkulose (Mühlschlegel-Stutt¬
gart) . 189
Weigert, Über den Einfluss der Ernährung auf die Tuberkulose
(Mühlschlegel-Stuttgart) . ..190
Scherer, Die Gefährdung eines gesunden Ehegatten durch einen
Tuberkulösen (Mühlschlege1-Stiittgavtj.191
v. Schrötter, Über Anzeigepflicht bei der Tuberkulose (Mühl-
schlegel-Stuttgart).192
Bade, Über die Rolle des Typhus in der Ätiologie der Gallen¬
steine (Boas jr.-Beriin).193
Abe, Über den Nachweis von Tvphusbazillen an den Läusen
Typhuskranker (Mühlschlegel-Stuttgart).193
Chantemesse, L’Ophthalmo-diagnostic de la Fifcvre tvphoYde
(Mühlschlegel-Stuttgart).194
Brummund, Erfahrungen bei einer grösseren Typhusepidemie
(Mastbaum-Cöln).194
Erb, Antikritisches zu meiner Typhusstatistik (Zinsser) . . . . 194
Bornträger, Das öffentliche Gesundheitswesen in Lissabon. Ein
Reisebericht im Anschluss an den 15. internationalen medizini¬
schen Kongress 1906 (Mühlschlegel-Stuttgart).253
Vogel, Entwässerung und Reinigung der Gebäude mit Einschluss
der Spül-, Wasch- und Badeeinrichtungen, Aborte und Pissoire
(Schultze-Bonn).255
1. Metzger, Verwertung und Beseitigung des Klärschlammes aus
Reinigungsanlagen städtischer Abwässer. — 2. üaack, Das¬
selbe Thema (Lohmer-Cölu).255
Fischer, Rasche spontane Entbräunung und Enteisenung bei einem
Grundwasser (Bermbach-Cöln).257
Kisskalt, Beobachtungen an einer Wasserleitung (Bermbach-
Cöln) .257
Hygieos, Einige Vorschläge bezüglich der Einrichtung von Bade¬
anstalten (Lohmer-Cöln).258
Roth, Gewerbehygiene (Meder-Cöln).258
Clouston, Die Gesundheitspflege des Geistes (Pelman-Bonn) . . 258
v. Lindheim, Saluti juventutis (Siegert-Cöln).259
Boas jr., Entwurf eines Alkoholmerkblattes für die wandernde
Jugend (Autorreferat).263
Cohn, Jugendwanderungen (Boas jr.-Berlin).264
Pfeiffer, Untersuchungsergebnisse au Wettgehern und Wettrad¬
fahrern. — Albu, Untersuchuugsergebnisse an Wettgehern und
Wettradfahrern (Boas jr.-Berlin).264
du Bois-Reymond, Arzt und Sport (Boas jr.-Berlin).266
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VIII
Seite
Beck, Bemerkungen zum Aufsätze Prof. R. du Bois-Reymond:
„Arzt und Sport“ (Boas jr.-Berlin).266
Förster, Zur Frage des kleinsten Eiweissbedarfes (Mühlschlegel-
Stuttgart) .267
Peiper, Säuglingssterblichkeit und Militärtauglichkeit (Si e g er t-Cöln) 267
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Bayern (Mühlschlegel-
Stuttgart).268
Doerfler, Bericht über das erste Jahr der Tätigkeit der Säuglings¬
fürsorgestelle in Weissenburg i. B. (Mü h Is ch lege 1-StuttgarO 269
Groth, Amtsarzt und Säuglingssterblichkeit (Mühlschlegel-Stutt-
gart).270
Escherich, Zur Organisation der Säuglingsfürsorge mit spezieller
Berücksichtigung der Wiener Schutzstelle Müh 1 sc hi ege 1-
Stuttgart).271
Schuppius, Die Milchleukocvthenprobe nach Trommsdorf (Mast¬
bau m-Cöln) .272
Manaud, Recherches nouveiles sur les rapports de 1’alcoolisme et
de la tuberculose (Boas jr. Berlin).273
Croissant, Zur Frage der Dauererfolge der Lungenheilstätten
(Mühlöchlegel-Stuttgart). .... 274
v. Her ff, Der Begriff „Kindbettfieber“ und über die damit zu¬
sammenhängende Anzeigepflicht (MühIschlegel-Siuttgart) . 276
Sofer, Die Bekämpfung der Malaria in Österreich (Mühlschlegel-
Stuttgart) .277
Fermi und Repetto, Über die Filtrierbarkeit des Trachom-Erregers
und über den pathogenetischen Wert der kultivierbaren Flora
der trachomatösen Koujunktiva (Mühlschlegel-Stuttgart) . . 278
Konstannsow, Die epidemiologische Bedeutung der Quarantäne¬
stationen für die mohammedanischen Pilger (Boas jr.-Berlin) . 278
Fornet, Über die Bakterizidie der Galle (Matthes-Cöln) .... 279
Bachrach undStein, Über das Schicksal per clysma verabreichter
Bakterienaufschwemmungen (MüJilschlegel-Stuttgart) . . . 279
v. Klecki, Bericht über die im Institut angestellten experimentellen
Untersuchungen über den Durchtritt von Bakterien durch die
intakte Dannschleimhaut (Mühlschlege 1-Stuttgart).280
Babes und Vasiliu, Die Atoxylbehandlung bei Pellagra (Mühl-
schlege 1-Stuttgart) ..280
Kratter, Über Giftwanderung in Leichen und die Möglichkeit des
Giftnachweises bei später Enterdigung (Mühlschlegel-Stutt¬
gart) .281
Ascher, Die Luftuntersuchungen in Manchester (Bermbach-Cöln) 356
v. Esmarch, Die Tageshelligkeiten in Göttingen im Jahre 1906
(Mastbaum-Cöln).356
Rothermundt, Über das Verhalten der Bakterien an der Ober¬
fläche fliessender Gewässer (Bermbach-Cöln).357
Ammann, Erfahrungen über die moderne Strassenbehandlung
(Bermbach-Cöln) ..357
Rubner, Betrachtungen zur Krankenhaushygiene (Mühlschlegel
Stuttgart).357
Löhnis, Herstellung, Wert und Preis hygienisch einwandfreier
Milch (Mühl sc hl ege 1-Stuttgart).358
La quer, Über Auskunfts- und Fürsorgestellen für Alkoholkranke
(Boas jun.-Freiburg i. Br.). 359
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IX
Seite
Hoffa, Das Säuglingsheim zu Barmen (Autorreferat).860
Steinhaus, Die hygienische Bedeutung* des fünfstündigen Vor¬
mittagsunterrichts (Seite r-Bonn).363
Fürst, Ein Vorschlag zur Nutzbarmachung der Schulgesundheits¬
scheine (Selter-Bonn).364
Sanitätsbericht über die Kgl. Preussische Armee, die Kgl. Sächsi¬
schen und das Kgl. Württembergische Armeekorps 1904/05
(Müh Ischlegel-Stuttgart).364
Mühlschlegel, Die neue deutsche Kriegs-Sanitätsordnung (Selter-
Bonn) .366
Selig, Sport und Herz (Boas jun.-Berlin).367
Menzer, Das Erkältungsproblem (Mühlschlegel-Stuttgart) . . . 369
Laitinen, Über die Einwirkung der kleinsten Alkoholmengen auf
die Widerstandsfähigkeit des tierischen Organismus mit beson¬
derer Berücksichtigung der Nachkommenschaft (Mastbaum-
Cöln).369
Kaiser, Über die Desinfektion infektiöser Darmentleerungen (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) .370
Levy u. Krencker, Über die bakterizide Wirkung des Glyzerins
(Bermbach-Cöln).370
Mandelbaum, Zur Typhusfrage in München (Mühlschlegel-
Stuttgart) .370
Petersson, Werden Bücher, die von Lungentuberkulösen benutzt
werden, mit Tuberkelbazillen infiziert? (MühIschlegel-Stutt-
gart).371
Grimme, Über die Typhusbazilien träger in den Irrenanstalten
(Mühlschlegel-Stuttgart).372
Weichsel bäum, Über Schweissfriesel vom anatomischen, ätiologi¬
schen und epidemiologischen Standpunkte (Mühlschlegel-
Stuttgart) .373
Hovorka und Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin (R.) . . 421
Hillenberg, Mitwirkung der Hebammen bei der ländlichen Ge¬
sundheitspflege (Selter-Bonn).. 423
Rapmund, Der vorläufige Entwurf eines Gesetzes betreffend die
Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und
den Geheimmittelverkehr (SelterBonn).423
Altschul, Lehrbuch der Körper- und Gesundheitslehre für Mädchen¬
lyzeen und ähnliche Lehranstalten (Cramer-Cöln).424
Telke, Über die Organisation des Medizinalwesens und die wich¬
tigeren sanitären und medizinal-technischen Einrichtungen in
Österreich-Ungarn (Bermbach-Cöln).425
Samosch, Bedarf die Organisation des Gesundheitswesens in grossen
Städten eine Reform? (Boas-Berlin).425
Rapmund und Herrmann, Das öffentliche Gesundheitswesen in
Dänemark (Bermbach-Cöln) . . 425
Feilchenfeld, Vom Gesundbeten (Boas-Freiburg i. B.) . . . . 425
Lennartz und Ruppel, Der moderne Krankenhausbau vom hygie¬
nischen und wirtschaftlich-technischen Standpunkte (R.) . . . 426
Al brecht, Die Rowton Houses in London (Lohmer-Cöln) . . . 426
Thiesing, Neuere Erfahrungen auf dem Gebiete der Müllbeseiti¬
gung (Lohmer-Cöln).427
Recknagel, Über Staubgehältsuntersuchungen der Luft in gewerb¬
lichen Betrieben (Lohmer-Cöln).428
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X
Seite
Gerl ach, Die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken
(Bermbach-Cöln).429
Chlopin, Über Selbstmord und Selbstmordversuche unter den
Schülern der russischen mittleren Lehranstalten (Selter-Bonn) 430
Schlesinger, Schwachbegabte Schulkinder (Selter-Bonn) . . . 431
La quer, Die ärztliche und erziehliche Behandlung von Schwach¬
sinnigen (Debilen und Imbezillen) in Schulen und Anstalten und
ihre weitere Versorgung (Selter-Bonn).431
La quer, Die Bedeutung der Fürsorgeerziehung für die Behandlung
und Versorgung von Schwachsinnigen (Selter-Bonn) .... 432
Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung (Fuchs-Cöln) . . 432
Solge, Über die Auswahl der Kinder für die Ferienkolonien (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) .434
Pescatore, Pflege und Ernährung des Säuglings (Siegert-Cöln) 435
Hamburger, Über den Zusammenhang zwischen Konzeptionsziffer
und Kindersterblichkeit in (grossstädtischen) Arbeiterkreisen
(Siegert-Cöln). 435
Prinzing, Die Entwicklung der Kindersterblichkeit in Stadt und
Land (Siegert-Cöln).436
Lenk, Zur Frage der Stillfähigkeit (MühIschlegel-Stuttgart) . . 437
Nagel, Über Stillpraxis und ihren Einfluss auf die Entwicklung
des Kindes (Mühlschlegel-Stuttgart).438
Pfister, Die Trunksucht als Todesursache in Basel in den Jahren
1892—1906 (Boas-Freiburg i. B.).438
Kräpelin, Vocke und Lichtenberg, Der Alkoholismus in Mün¬
chen (Aschaffenburg-Cöln).439
Dosquet, Die Fabrikation von Fleischkonserven (Bermbach-Cöln) 440
Boruttau, Zur Frage der wirksamen Kaffeebestandteile (Boas-
Freiburg i. B.).442
Lehmann, Untersuchungen über das Tabakrauchen (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) .442
Franz, Erfahrungen über Skorbut während des südwest-afrikani¬
schen Krieges (Bermbach-Cöln).443
Dietlen und Moritz, Über das Verhalten des Herzens nach lang¬
dauerndem und anstrengendem Radfahren (Mühlschlegel-
Stuttgart) .443
Schmidt, Experimentelle Beiträge zur Frage der Entstehung des
Sonnenstichs (Bermbach-Cöln).444
Duncan, Über den Sonnenstich (Boas). 444
Kirchner, Über die neue Organisation der Seuchenfeststellung in
Preussen (MühIschl eg el-Stuttgart).445
Winter, Über die Meldepflicht der Hebammen bei Wochenbett¬
fieber (Selter-Bonn).445
Christian, Über die Leistungsfähigkeit einiger neuzeitlicher Des¬
infektionsarten (Boas-Freiburg i. B.).446
Stern, Zur Organisation der Lupusbekämpfung (Boas-Freiburg i. B.) 446
Heiberg, Über die Dauer der letalen Scharlachfieber fälle in der
dänischen Stadtbevölkerung, Kopenhagen ausgenommen, in
den Jahren 1885—1900 (Mastbaum-Cöln).446
Mairinger, Bericht über die Blatternepidemie in Wien im Jahre
1907 (Mühl sch leg el-Stuttgart).447
Scheller, Beiträge zur Typhusepidemie (Mühl sc hl eg el-Stuttgart) 447
Abe, Über die Ätiologie der Dysenterie (Bermbach-Cöln) . . . 448
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XI
Seite
Alschibaja, Die neueren Anschauungen über die Ätiologie der
Malaria (Boas-Freiburg i. B.).449
Koch, Schlussbericht über die Tätigkeit der Expedition zur Er¬
forschung der Schlafkrankheit in Deutsch - Ostafrika (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) . 449
Zur Verth, Unsere jetzigen Kenntnisse über die Übertragungs¬
art des Mittelmeerfiebers (Bermbach-Cöln).451
Ascher, Entwicklungstendenzen in der Hygiene Preussens (Mühl¬
schlegel-Stuttgart) .528
Pach, Die öffentliche Gesundheitspflege Ungarns (Mühlschlegel-
Stuttgart) .528
Weyl, Die Assanierung von Köbenhaven (Steuernagel-Cöln) . . 529
Nussbaum, Die Hygiene des Städtebaues (Steuernagel-Cöln) . 529
Nussbaum, Die Hygiene des Wohnungswesens (Steuernagel-Cöln) 530
'Ruzicka, Die relative Photometrie (Mastbanm-Cöln).530
Helbing, Die Durchführung des Emschergenossenschaftsgesetzes
(Petersen-Cöln).531
Razzeto, Über die hygienische Bedeutung von Protozoen im Wasser
und über das Verhalten von Filtern gegenüber Protozoen (Berm¬
bach-Cöln).531
Nocht, Die Aufgaben des Arztes im Seeverkehr (Bermbach-Cöln) 532
Ro hie der, Vorlesungen über Geschlechtstrieb und gesamtes Ge¬
schlechtsleben des Menschen (Fuchs-Cöln).533
Kleine Mitteilungen.
Ausstellung für Säuglings- und Kinderpflege zu Solingen vom 12.
bis 26. September 1908 . 252
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.354
Mitteilungen zur Statistik der Stadt Düsseldorf (Rosenberg-Kiel) 354
VIII. Verbandstag der rheinisch-westfälischen Samaritervereine (Frau
Maria Raspiller-Laigneaux-Cöln).417
Erhebungen des Zentral-Ausschusses zur Förderung der Volks- und
Jugendspiele in Deutschland. Von E. von Schenckendorff,
M. d. A.525
Bauhygienische Rundschau.
Von der Wohnungs-Statistik der Stadt Posen (J. St.).162
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen Bücher etc. 97.
195. 282. 375. 453. 534
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Über die Erfolge eines versuchsweise einge¬
führten orthopädisch-gymnastischen Spielkursus
für kranke und zurückgebliebene Schulkinder
jüngeren Alters.
Von
Dr. Herbst, Barmen.
Mit 10 Abbildungen.
In den letzten Jahren haben sich die Stimmen derer, die
eine erhöhte Berücksichtigung und eine Reform der Körpererziehung
unserer Jugend wünschen, ganz gewaltig gemehrt, und die Anhänger
dieser Bewegung haben eine so deutliche Sprache geredet, dass
das Interesse für die gute Sache in weiten Schichten der gebildeten
Bevölkerung wachgerufen ist. Vertreter der verschiedensten Berufs¬
arten, vornehmlich des Ärzte- und Lehrerstandes, haben eindring¬
lichst in Wort und Schrift auf die Gefahren hingewiesen, welche
aus der fortgesetzten Vernachlässigung der Körperpflege der Nation
erwachsen müssten, und Mittel zur Abhilfe angeraten. Ein erheb¬
licher Anteil an diesem erfreulichen Umschwung in den bisherigen
antiquierten Ansichten ist den fast allerorts jetzt stattfindenden
schulärztlichen Untersuchungen zuzuschreiben, welche die grossen,
in stetiger Zunahme begriffenen Schäden in der Körperentwickelung
unserer Schuljugend aufgedeckt haben; ein wesentliches Verdienst hat
sich ferner der Verein zur Förderung von Volks- und Jugendspielen
erworben, dessen tatkräftigem und zielbewusstem Vorgehen in
erster Linie die auf diesem Gebiete bisher errungenen Resultate zu
danken sind.
Auch in Barmen hat der Verein zur Förderung usw. eine
ausserordentlich vielseitige Tätigkeit entfaltet und trotz der Kürze
seines Bestehens am hiesigen Orte sehr erfreuliche Erfolge auf¬
zuweisen. Leider kommen diese einem grossen Teil unserer Schul¬
jugend nur wenig zugute, nämlich den Kranken uud Schwäch¬
lichen der unteren Jahrgänge, weil diese ihrer Jugend oder ihres
Ocntralblatt f. »11g. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 1
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Leidens wegen nicht in der Lage sind, an den fflr die Allgemein¬
heit berechneten Veranstaltungen teilzunebmen. Das einzige, was
fflr diese Kinder bisher geschehen konnte, bestand darin, dass man
sie in die Ferienkolonie zu schicken versuchte. Aber auch damit
hatte es seine Schwierigkeiten; denn einmal mag die Verwaltung
der Ferienkolonien die kleineren Schulkinder nicht gerne aufnebmen,
da sie einer grösseren Aufsicht und Wartung bedürfen als die
älteren, und zweitens kann bei dem Kinderreichtum Barmens nur
eine sehr beschränkte Anzahl dieser Wohlfahrtseinrichtung teilhaftig
Werden. Es wird durchschnittlich pro Jahr kaum 1 Kind aus jeder
Schulklasse ausgeschickt, während schon in den unteren Klassen
25—30 Prozent infolge ihrer krankhaften Körperbescbaffenheit einer
Fürsorge bedürftig sind.
Diesen Übelstand glaubte ich durch eine im folgenden zu
beschreibende Einrichtung einigermassen mildern zu können, näm¬
lich durch die Schaffung eines orthopädisch-gymnastischen Spiel¬
kursus für kranke und zurückgebliebene Schulkinder jüngeren Alters.
Nachdem ich mit Herrn Lehrer Edel hoff, einem um die Leibes¬
erziehung unserer Jugend verdienten Manne, der die technische
Leitung des Kursus übernehmen sollte, das Nähere besprochen hatte,
wurde der Plan dem hiesigen Verein zur Förderung von Volks¬
und Jugendspielen unterbreitet, welcher ihn billigte und seine Unter¬
stützung zusagte.
Bei der Auswahl der Kinder, welche ich nunmehr vornahm,
wurden hauptsächlich solche berücksichtigt, welche in ihrer Körper¬
entwickelung zurückgeblieben waren, an Skrofulöse, Blutarmut,
Affektionen der Luftwege und Verkrümmungen der Wirbelsäule
litten. Bei letzteren handelte es sich überwiegend um seitliche
Verkrümmungen (Skoliosen) 1 ) seltener um Kyphosen, die infolge
von Muskelschwäcbe am oberen Brustteil der Wirbelsäulen sich
entwickelt hatten, und zwar waren es vornehmlich Anfangsstadien,
die aber am entkleideten Körper schon deutlich wahrgenommen
werden konnten; bei einigen war die Verkrümmung bereits recht
erheblich vorgeschritten (vgl. z. B. Abb. Nr. 2).
Bezüglich der Affektionen der Luftwege bemerke ich noch,
dass Individuen mit akut-fieberhaften Erkrankungen selbstverständ¬
lich ausgeschlossen waren. Ebensowenig hielt ich es für ratsam,
ausgesprochene Tuberkulöse zuzulassen. Die Luftwegeerkrankungen
unserer Kinder bestanden in zumeist chronischen Katarrhen der
1) Bei der Beschreibung der einzelnen Fälle habe ich der Kürze
halber die Bezeichnung Rechts- (Links-) Skoliose gewählt. Zur Erklärung
bemerke ich, dass bei einer Rechts-Skoliose die Konvexität des Ver¬
krümmungsbogens nach rechts, bei der Links-Skoliose nach links ge¬
richtet ist.
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Laagen; unter den hiermit Behafteten Wurden erblich • Belastete he4
vorzugt. !•- j ' A7
Anfang Mai nahm der Kursus seinen Anfang. Er fotyd an
vier, zeitweise an fünf Nachmittagen der Woche zu je 2 Stunden
(3-—5 Uhr) statt. Die Zahl der Teilnehmer sollte ursprünglich nur
20—25 betragen. Da aber die Gesuche um Teilnahme sich stark)
häuften, wurde sie auf 33 erhöht. Dazu kamen noch einige weitere
Kinder, die auf besonderen Wunsch ihrer Eltern vorübergehend mit¬
machten. Sämtliche Beteiligten wurden auf meinen Antrag durch
die Schulaufsichtsbehörde vom Nachmittagsunterricht entbunden.
Das Alter der Ausgewählten betrug bis auf wenige Ausnahmen,
7—9 Jahre. Die Ausnahmen erstreckten sich anf ein paar ältere
Kinder, die es ganz besonders nötig hatten. Die Institution sollte
vor allem den jüngeren Schülern zugute kommen.
Im folgenden gebe ich nunmehr eine kurze Übersicht über
die Art der in dem Kursus vorgenommenen Übungen.
1. Marschübungen.
Vom Sammelplatz marschieren die Kinder etwa 15—20 Minuten
zu dem eigentlichen Übungsplätze. Auf diesem Wege tragen sie
quer über den Rücken etwa in Höhe des unteren Endes der Schulter¬
blätter einen 80 cm langen Stab, dessen Enden in den beiden Ellen¬
bogenbeugen liegen. Hierdurch sollen die Kinder zu einer geraden
Haltung gezwungen werden. Zeitweise werden auch grössere Wan¬
derungen unternommen.
II. Spezielle Übungen,
a) Mit Hanteln.
In verschiedenen Stellungen (im Stehen, in Rückenlage, im
Liegestütz) werden Hantelübungen (jede Hantel 1 / i kg) vorgenommen.
Bei den Übungen im Stehen wird mit Rücksicht auf die Wirbel¬
säulenverkrümmungen individualisierend vorgegangen. Eine sehr
häufige Übung besteht z. B. darin, dass die Kinder mit gerader
Wirbelsäule abwechselnd einen Arm nach unten strecken, den Rumpf
möglichst weit nach der Seite dieses Armes beugen und den anderen
Arm erst aufwärts strecken, dann über den Kopf hinüber nach der¬
selben Seite beugen. Die Kinder mit skoliotischen Veränderungen
der Wirbelsäule und entsprechendem Tiefstand einer Schulter machen
diese Übung immer nur nach einer Seite hin: die mit einer Rechts¬
skoliose nach rechts, die mit einer Linksskoliose nach links.
b) Mit Stäben (dieselben, die für die Wanderung
benutzt werden).
a) An Stelle der Hanteln werden gleiche bezw. ähnliche
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Übungen mit Stäben gemacht, wobei ebenfalls in der beschriebenen
Weise individualisierend verfahren wird.
ß) Zugübungen am Stab. — Je zwei Kinder ziehen in ent¬
gegengesetzter Richtung an einem Stab, wobei sie zueinander ver¬
schiedene Stellungen einnehmen. Entweder stehen sie Gesicht gegen
Gesicht, oder Rücken gegen Rücken, oder hintereinander gereiht.
Y) Kampfspiel mit dem Stab. — Ein Kind sncbt dem anderea
den Stab zu entwinden.
c) Kriechübungen nach Klapp.
Die Kinder mit Rechtsskoliosen kriechen im Kreise rechts
herum, die mit Linksskoliosen im Kreise links herum.
d) Übungen an der schwedischen Bank.
III. Atemgymnastik.
In verschiedenen Stellungen (im Geben, Stehen und Liegen)
machen die Kinder, meist nach Zählen, Atemübungen, wobei auf
ein langsames, tiefes Einsaugen der Luft mit guter Ausdehnung
des Brustkorbes das Hauptgewicht gelegt wird. Zur Unterstützung
der Einatmung werden die Arme gespreizt bezw. gehoben, während
sie bei der Ausatmung nach vorne gestreckt bezw. gesenkt werden.
Häufig findet auch eine Kombination vou Marsch- und Hantel¬
übungen mit der Atemgymnastik statt.
IV. Spielübungen.
Hierbei werden Laufspiele (Wettlauf, Holland-Seeland u. a.)
und Sprungübungen, verbunden mit Laufen, bevorzugt. Mit den
Mädchen werden auch zeitweise Ballspiele getrieben.
Nach Verlauf der Übungszeit begeben sich die Kinder zu
einer nahegelegenen kleinen Acker- und Milchwirtschaft, wo ihnen
ein Vesperbrot in Gestalt von ca. V* 1 Milch und einem Weissbrot
verabreicht wird. Die wenigen Kinder besser situierter Eltern
müssen die Auslagen hierfür zurückerstatten, die anderen erhalten
es unentgeltlich.
An zwei Übungstagen der Woche begeben sich die Kinder
1 Stunde vorher zu einer der städtischen Badeanstalten, wo ihnen
ein lauwarmes Brausebad zuteil wird.
Während der Sommerferien musste der Kursus 4 Wochen hin¬
durch ausgesetzt werden. Dafür nahmen die Kinder während dieser
Zeit an den Ferienspielen teil.
Alle Übungen werden im Freien abgehalten, und zwar mit
Ausnahme der sub I genannten in einem der hiesigen „Anstalt für
verlassene Kinder“ gehörigen Wäldchen, welches uns zu diesem
Zwecke von dem Kuratorium der Anstalt in freundlichster Weise
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zur Verfügung gestellt wurde. Die Lage und Beschaffenheit des
Übungsplatzes ist nicht ganz gleichgültig. Er darf nicht zu weit
entfernt sein, damit durch den Marsch dorthin nicht zu viel Zeit
in Anspruch genommen und die Kinder, was in der Anfangszeit
des Kursus ins Gewicht fällt, nicht schon ermüdet auf ihm anlangen.
Er muss zweckmässig etwas abgelegen sein, damit die Kinder nicht
durch neugierige Passanten abgelenkt werden. Er soll in der Nähe
einer Behausung liegen, damit die Teilnehmer des Kursus bei plötz¬
lich eintretenden Witterungsunbilden schnell Unterkunft finden.
Endlich muss der Platz aus naheliegenden Gründen, wenigstens
teilweise, Schatten gewähren. Am vorteilhaftesten in dieser Hin¬
sicht ist ein solches Terrain, das zur Hälfte mit Bäumen bestanden,
zur Hälfte frei ist, so dass die Übungen, je nach der Witterung,
auf dem einen oder anderen Teil stattfinden können.
Wichtig für den Erfolg des Kursus ist ferner die Person des
Leiters. Dieselbe muss Liebe zur Jugend, Interesse und Sach¬
kenntnis besitzen, Eigenschaften, die bei Herrn Lehrer Edelboff,
dem Leiter unseres Kursus, . in erfreulicher Weise vorhanden sind.
Nach meiner Kenntnis des Lehrerstandes zweifle ich aber nicht,
dass ähnlich geeignete Persönlichkeiten überall zu finden sind,
höchstens dass bei einzelnen noch in der speziellen Sachkenntnis
nachgeholfen werden müsste.
Zu unserer Genugtuung hat die geschilderte Institution von
Anfang an bei der Bevölkerung sich grosser Beliebtheit erfreut,
die sich einerseits durch Geldspenden der Wohlhabenden, anderer¬
seits in Bitten der Eltern um Zulassung ihrer Kinder kund gab.
Selbst für die im nächsten Frühjahr hoffentlich in grösserem Um¬
fange beginnenden Kurse liegen schon jetzt zahlreiche Gesuche vor.
Um über die erzielten Resultate eine genaue Übersicht zu
gewinnen, wurden sämtliche Kinder unmittelbar vor Beginn des
Kursus und ö Monate später einer exakten Untersuchung unter¬
zogen 1 ). Zur Veranschaulichung dessen, welcher Art diese war
und worauf sie im einzelnen sich erstreckte, sind von 5 Kindern
die Untersuchungsprotokolle abgedruckt. Von denselben 5 Kindern
sind auch (von Herrn Lehrer Kapp angefertigte) Photographien
beigegeben, welche wenigstens annähernd und teilweise die statt¬
gehabten Körperveränderungen zum Ausdruck bringen.
Den Berichten Uber die erste Untersuchung habe ich jedesmal
1) Bei den nachfolgenden Notizen ist aber nur das Untersuchungs¬
resultat von 28 Kindern berücksichtigt. Zwei Kinder nämlich mussten
ausgelassen werden, weil sie im Laufe des Sommers verzogen sind, und
drei andere habe ich deshalb nicht berücksichtigt, weil diese gleichzeitig
einige Wochen in der Ferienkolonie gewesen sind, so dass es zweifelhaft
ist, woher die Besserung ihres Körperbefundes stammt.
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«ihe kurze Bemerkung Ober die soziale Lage der Eltern und ttber
die Wohnungsverhältnisse angefügt, weil diese: beiden Faktoren zu
dein Körperbefunde der Kinder natnrgemäss in naher Beziehung
Stehen. Bei den Protokollen ttber die zweite Untersuchung ist an
entsprechender Stelle eine Notiz ttber das Urteil der Schule ein*
geschoben.
Vor Beginn des Kursus (Anfang Mai 1907).
1. Anna T. (vgl. Abb. Nr. 1), Alter: 8 Jahre, Grösse,:
1,17 m, Körpergewicht: 21 kg, Brustumfang: 52—56 ein.
Umfang des Oberarms: 16 cm, Umfang des Unterarms:
16cm. Sonstiger Körperbefund: Das Kind macht einen elenden
und matten Eindruck. Die Farbe des Gesichtes und der Schleim^
häute ist auffallend blass. Die Muskulatur ist schlaff und schlecht
entwickelt. Am Halse befinden sich beiderseits sehr zahlreiche
grosse skrofulöse Drüsen. Es besteht eine Rechtsskoliose mit deut¬
lichem Tiefstand der linken Schulter. Über den Lungen hört man
zerstreute trockene Rasselgeräusche, keine Dämpfung. Am Herzen
unreiner erster Spitzenton, Puls matt. Die Magengegend ist druck¬
empfindlich, Appetit schlecht. Das Kind klagt viel über Kopf¬
schmerzen und ist wenig teilnehmend. Soziale Lage der Eltern:
Der Vater ist Anstreichergehilfe. Er besitzt ein steuerpflichtiges
Einkommen von M. 800. Zur Familie gehören 8 unerzogene Kinder.
Die Wohnungsmiete beträgt M. 180.
5 Monate später (Anfang Oktober 1907).
la. Grösse: 1,20 m, Körpergewicht: 23,5 kg, Brust¬
umfang: 54—61cm, Umfang des Oberarms: 17,5 cm, Umfang
des Unterarms: 17,5 cm. Sonstiger Körperbefund: Das
Kind macht einen unvergleichlich frischeren Eindruck. Das Gesicht
ist voll, seine Farbe gesund, desgleichen die der Schleimhäute. Die
Muskulatur ist wesentlich kräftiger, Am Halse fühlt mau beider?
seits poch vereinzelte kleine Drüsen. Die Wirbelsäule ist gerades,
beide Schultern stehen gleich hoch. Lungen und Herz sind normal.
Der Appetit ist gut, die Magengegend nicht mehr druckempfindlich.
Urteil der Schule: Das Kind ist im Unterricht teilnehmender,
sein Wesen ist frischer. Die Leistungen sind gegenüber früher
etwas besser (befriedigend).
Vor Beginn des Kursus (Anfang Mai 1907).
2. Pauline St. (vgl. Abb. Nr. 2), Alter: 8 Jahre, Grösse:
1,19m, Körpergewicht: 20,50kg, Brustumfang: 50,5—55cm,
Umfang des Oberarms: 15,5 cm, Umfang des Unterarms:
16 cm. Sonstiger Körperbefund: Sehr elendes, blasses Kind.
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mit schlecht entwickelter, schlaffer Muskulatur und zahlreichen
Skrofeldrüsen an beiden Halsseiten. Es besteht ausgesprochene
Linksskoliose mit starkem Tiefstand der rechten Schulter. Der
Brustkorb ist sehr flach und schmal; über beiden Lungen hört
man zerstreute feuchte und trockene Geräusche. Am Herzen un¬
reiner Spitzenton. Das Kind hat schlechten Appetit, ist wenig
teilnehmend und neigt zu Katarrhen der Luftwege. Der Vater
des Kindes ist an Schwindsucht gestorben. Soziale Lage der
Eltern: Die Mutter TWitwe) lebt in besseren Verhältnissen. Ihr
Alib. Nr. 1. Abb. Nr. 1 a.
jährliches steuerpflichtiges Einkommen beträgt ca. M. 4000. JZur
Familie gehören 4 unerzogene Kinder. Wohnung zufriedenstellend.
5 Monate später (Anfang Oktober 1907).
2a. Grösse: 1,22 m, KöTpergewTcht: 23,5 kg, Brust¬
umfang: 55—62 cm, Umfang des Oberarms: 17,5 cm, Umfang
des Unterarms: 18 cm. Sonstiger Körperbefund: Das Kind
macht jetzt einen auffalleud besseren Eindruck. Das früher blasse,
eingefallene Gesiebt ist jetzt voll und hat eine gesunde Farbe.
Die Muskulatur ist wesentlich kräftiger. Am Halse fühlt man noch
vereinzelte erbsengrosse Drüsen. Die Wirbelsäule ist nahezu gerade
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(vgl. Abb. Nr. 2a). Der Brustkorb ist erheblich besser gewölbt, die
Lungen zeigen keine krankhaften Symptome mehr, auch neigt das
Kind seit einiger Zeit nicht mehr zu Katarrhen der Luftwege.
Appetit gut. Urteil der Schule: Das Kind ist teilnehmender
als früher; sein Wesen ist im allgemeinen ruhig, seine Leistungen
sind gut.
Vor Beginn des Kursus (Anfang Mai 1907).
3. Anna B. (vgl. Abb. Nr. 3). Alter: 9 Jahre, Grösse:
Abb. Nr. 2a.
Abb. Nr. 2.
1,26 m, Körpergewicht: 24 kg, Brustumfang: 53—58 cm.
Umfang des Oberarms: 15,5 cm, Umfang des Unterarms:
16cm. Sonstiger Körperbefund: Sehr blasses Kind mit schlecht
•entwickelter Muskulatur und zahlreichen grossen Ilalsdrflsen. Im
Nasenrachenraum adenoide Wucherungen, weshalb das Kind den
Mund fast ständig offen hat. Es besteht eine leichte Neigung zur
Linksskoliose und Kyphose. Über den Lungenspitzen ist das Aus¬
atmungsgeräusch verschärft. Herz normal. Appetit schlecht. Das
Kind leidet viel an Kopfschmerzen. Soziale Lage der Eltern:
Der Vater ist Musterzeichner, er bezieht ein Einkommen von
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ca. M. 4000. Zur Familie gehören die Ehefrau und 3 unerzogene
Kinder. Wohnung gut.
5 Monate später (Anfang Oktober 1907).
3a. Grösse: 1,29 m, Körpergewicht: 26,5 kg, Brust¬
umfang: 57—64 cm, Umfang des Oberarms: 17,5 cm, Umfang
des Unterarms: 18 cm. Sonstiger Körperbefund: Das Kind
macht einen unvergleichlich frischeren Eindruck. Die Muskulatur ist
erheblich kräftiger und straffer. Am Halse keine Drüsen mehr
Abb. Nr. 3. Abi». Nr. 3a.
fühlbar. Die adenniden Wucherungen sind zurückgegangen; die
Wirbelsäule ist gerade. Lungen, Herz usw. normal. Appetit gut,
keine Kopfschmerzen. Urteil der Schule: Das Kind ist teil¬
nehmender, das Wesen etwas frischer als früher. Die Leistungen
sind gut, waren aber auch früher zufriedenstellend.
4. Willi K. (vgl. Abb. Nr. 4), Alter: 8 Jahre, Grösse:
1,24 m, Körpergewicht: 22,5 kg, Brustumfang: 53—58 cm,
Umfang des Oberarms: 15 cm, Umfang des Unterarms:
15cm. Sonstiger Körperbefund: Der Knabe macht einen
ausserordentlich elenden Eindruck, das Gesicht ist ungemein blass
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und eingefallen. Am Halse zahlreiche Skrofeldrüseu. Wirbelsäule
ziemlich gerade. Die Muskulatur ist auffallend schlecht entwickelt.
Über beiden Lungen hört man zahlreiche zerstreute, trockene und
feuchte Geräusche, keine Dämpfung. Seit langer Zeit neigt der
Knabe zu Katarrhen der Luftwege, seit ca. s / 4 Jahr hustet er fast
beständig und wirft auch aus. In dem Auswurf werden Tuberkel¬
bazillen nicht gefunden. Der Knabe ist sehr matt, isst schlecht und
klagt viel Uber Kopfschmerzen. Die Mutter des Knaben ist lungen¬
krank. Soziale Lage der Eltern: Der Vater ist Schlossergeselle,;
Abb. Nr. 4. Abb. Nr. 4 h.
er hat ein steuerpflichtiges Einkommen von M. 800. Zur Familie
gehören ö unerzogene Kinder. Die Wohnung kostet M. 204.
4a. Grösse: 1,26 m, Körpergewicht: 25,0 kg, Brust¬
umfang: 56—64 cm, Umfang des Oberarms: 17 cm, Umfang
des Unterarms: 16,5 cm. Sonstiger Körperbefund: Der
Knabe ist sehr viel kräftiger entwickelt und frischer als früher.
Das Gesicht ist voll und hat eine gesunde Farbe. Am Halse sind
noch einzelne kleine Drüsen fühlbar. Die Muskulatur ist auffallend
kräftiger entwickelt. An den Lungen sind krankhafte Symptome
nicht wahrnehmbar. Der Knabe neigt nach Angabe der Mutter
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■seit einiger Zeit nicht mehr zn Katarrhen der Luftwege, er hat
guten Appetit und klagt nicht mehr Uber Kopfschmerzen. Urteil
der Schule: Der Knabe ist wesentlich frischer und teilnehmen¬
der im Unterricht. Seine Leistungen sind erheblich besser als früher.
•
Vor Beginn des Kursus (Anfang Mai 1907).
5. Else T. (vgl. Abb. Nr. 5), Alter: 7 Jahre, Grösse: 1,15m,
Körpergewicht: 18,5 kg, Brustumfang: 51—55 cm, Umfang
des Oberarms: 14,5cm, Umfang des Unterarms: 15 cm.
Abb. Nr. 5.
Abb. Nr. 5a.
Sonstige/ Körperbefund’: Schwächliches, schlecht entwickeltes
Kind mit sehr schmächtiger, schlaffer Muskulatur. Das Gesicht
ist eingefallen und blass. Am Halse zahlreiche grosse Drüsen. Es
besteht eine Linksskoliose mit Tiefstand der rechten Schulter. Der
Brustkorb ist schlecht gewölbt; über beiden Lungenspitzen ist das
Ausatmungsgeräusch verschärft, keine Dämpfung. Das Kind leidet
viel an Kopfschmerzen, zeitweise auch an Verdauungsstörungen
und hat schlechten Appetit. Es besteht auch Neigung zu Katarrhen
der Luftwege. Die Mutter des Kindes ist an Schwindsucht gestorben.
Soziale Lage der Eltern: Der Vater ist Polizeisergeant und
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bezieht ein Einkommen von M. 2150. Zur Familie gehören 6 un¬
versorgte Kinder. Die Wohnungsroiete beträgt M. 340.
5 Monate später (Anfang Oktober 1907).
5a. Grösse: 1,18 m, Körpergewicht: 21,0 kg, Brust¬
umfang: 54—61 cm, Umfang des Oberarms: 16 cm, Umfang
des Unterarms: 16,5 cm. Sonstiger Körperbefund: Das Kind
bat sich seit der ersten Untersuchung sehr gut entwickelt, die
Muskulatur ist erheblich straffer und kräftiger. Das Gesicht ist
voll und hat eine gesunde Farbe. Am Halse sind noch vereinzelte
kleine Drüsen fühlbar. Die Wirbelsäule ist grade. An den Lungen
ist etwas Krankhaftes nicht mehr nachweisbar; der Brustkorb ist
besser gewölbt. Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen und Katarrhe
der Luftwege sind in den letzten Wochen nicht mehr aufgetreten.
Der Appetit ist gut. Urteil der Schule: Das Wesen ist teil¬
nehmender; die Leistungen, welche früher befriedigend waren, sind
jetzt besser.
Betrachtet, man das durch die beiden Untersuchungen fest¬
gestellte Ergebnis unseres Kursus im Zusammenhänge, so treten fol¬
gende Punkte besonders hervor:
' a) Die Gewichtszunahme.
Die geringste Gewichtszunahme, welche mehrere Kinder er¬
fahren haben, beträgt 2,0 kg, die grösste, welche bei 1 Kind
konstatiert werden konnte, 6,5 kg. Zwischen diesen Grenzzahlen
liegen Zuwachswerte von 2,5 kg, 3,0 kg, 3,5 kg und 4 kg.
Die durchschnittliche Erhöhung des Körpergewichts ist 2,6 kg.
Da das Durchschnittsgewicht der Kinder vor Beginn des Kursus
21,78 kg war, so beträgt die Zunahme ca. 12 °/ 0 desselben. Das
ist mehr, als gesunde Kinder des gleichen Alters bei guter Er¬
nährung in dem nämlichen Zeitraum zuzunebmen pflegen.
b) JDie Kräftigung bezw. Gesundung des Brustkorbes
und der Lungen.
Bei der Beschreibung der Fälle bedeuten in der Rubrik „Brust¬
umfang“ die beiden Zahlen die Umfangsmasse des Brustkorbes im
Stadium der tiefsten Ausatmung und der höchsten Einatmung.
Zieht man den Ausatmungsumfang bei der ersten Untersuchung von
dem bei der zweiten ab, so gewinnt man den absoluten Umfangs¬
zuwachs. Die geringste Zunahme des Brustumfangs, welche an
mehreren Kindern ermittelt wurde, beträgt 2 cm, die höchste 6 cm,
die dazwischen liegenden Werte sind: 3 cm, 3,5 cm, 4 cm, 4,5 cm.
Die durchschnittliche Umfangszunabme ist 3,1 cm.
Man könnte hiergegen einwenden, dass diese Zahlen nicht
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ganz zuverlässig sind, weil es schwer ist, Individuen in so jugend¬
lichem Alter zu der größtmöglichen Ausatmung zu veranlassen.
Demgegenüber bemerke ich, dass alle Kinder schon früher von mir
untersucht waren, die meisten sogar wiederholt, wobei mit ihnen
Atmungsübungen vorgenommen worden waren. Sie wussten also,
worauf es ankam. Ausserdem wurde ihnen während der Unter¬
suchung genau vorgemacht, wie sie sich zu verhalten hätten. Wenn
trotzdem etwa bei der ersten Untersuchung kleinere Fehler vor¬
gekommen sein sollten — bei der zweiten ist dies wohl ausgeschlossen,
nachdem die Kinder 5 Monate hindurch Atemgymnastik getrieben
hatten —, so würden diese zugunsten des Umfangszuwachses sprechen;
denn sie könnten selbstverständlich nur darin bestehen, dass die
Untersuchten nicht genügend tief ausgeatmet hätten, so dass die
ersten Umfangsmasse um den fehlerhaften Betrag zu hoch, mithin
die Unterschiede zwischen den entsprechenden Massen bei der ersten
und zweiten Untersuchung um ebensoviel zu niedrig angegeben wären.
Die Umfangsdifferenz zwischen Aus- und Einatmung betrachtet
man bekanntlich als ein wichtiges Merkmal für die Leistungsfähig¬
keit der Lungen. Es ist deshalb zweckmässig, auch nach dieser
Richtung die Untersuchungsresultate im Zusammenhänge zu prüfen.
Bei der ersten Untersuchung schwankt die Ausatmungs-Einatmungs¬
differenz wischen 4—6 cm, während sie im Mittel 4,9 cm beträgt.
Bei der zweiten schwankt sie zwischen 6— 8 cm und beträgt im
Mittel 7 cm. Sie ist mithin durchschnittlich um 2,1 cm gewachsen.
Die erhöhte Leistungsfähigkeit der Lungen ist gleichzeitig ein
guter Beweis für die Gesundung des Lungengewebes. Diese wird
ferner festgestellt durch das Schwinden der krankhaften Er¬
scheinungen. Während bei der ersten Untersuchung an den meisten
Kindern mehr oder minder ausgesprochene katarrhalische Symptome
der Lungen gefunden wurden, was besonders bei 9 erblich Belasteten
bedenklich erschien, fehlten dieselben bei der zweiten Untersuchung
in allen Fällen.
c) Das Zurückgehen der Skrofulöse und der Blutarmut.
Sämtliche Kinder waren vor Beginn des Kursus skrofulös 1 );
bei den meisten hatte die Skrofulöse schon einen recht hohen
Grad erreicht. Das gleiche gilt bezüglich der Blutarmut. Beide
Konstitutionsanomalien sind entweder ganz geschwunden oder auf
so geringe Reste reduziert, dass dadurch das Befinden der be¬
treffenden Kinder wenig oder gar nicht mehr beeinträchtigt wird.
1) Als geringsten Grad der Skrofulöse bezeichne ich das Vorhanden¬
sein von deutlich fühlbaren geschwollenen Lymphdrüsen am Halse einer
Person.
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• : d) Die Kräftigung' der Muskulatur.
Die Umfangsmessungen am rechten Obe rartu (dickste Stellet
schwanken bei der ersten Untersuchung zwischen 14—17 cm und
Betragen im Mittel 15,4 cm. Die entsprechenden Masse am Unter¬
arm sind 14—18 cm, im Mittel 15,7 cm. Die durch die zweit»
Untersuchung festgestellte Umfangszunahme ist am Oberarm durch¬
schnittlich 1,75 cm, am Unterarm 1,7 cm. Diese Erhöhung des
Umfangs ist im wesentlichen auf die Volumenvergrösserung der
Muskulatur zurückzuftthren; zu einem kleinen Teil dürfte sie auch
auf dem Wachstum der Knochen beruhen. Ausserdem ist die
gesamte Muskulatur erheblich straffer geworden.
e) Die ßedressierung der Wirbelsäulenverkrümmungen.
Von den 28 Kindern litten 20 an Wirbelsäulenverkrümmungen,
und zwar die meisten an Skoliosen, einzelne an Kyphosen, mehrere
an beiden. Die seitlichen Verkrümmungen (Skoliosen) sind fast
total zurückgegangen; von den Kyphosen ist die Mehrzahl gleich¬
falls verschwunden, bei der Minderheit sind sie nur kleiner geworden.
f) Die Besserung des Allgemeinbefindens.
Alle Kinder litten vor Beginn des Kursus an bedeutenden
Störungen des Allgemeinbefindens. Die häufigsten, bei allen wieder¬
kehrenden, waren: Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Mattigkeit. Dazu
kamen bei verschiedenen nervöse Symptome, Verdauungsstörungen,
Herzbeschwerden (infolge Blutarmut) und Neigung zu Katarrhen der
Luftwege. Von allem diesem ist nichts mehr vorhanden. Es bereitet
eine grosse Freude, die frischen, fröhlichen Kinder jetzt *) zu sehen,
wie sie mit Lust und Eifer 2 Stunden lang den ziemlich anstrengen¬
den Übungen ohne die geringsten Anzeichen von Ermüdung sich
widmen und am Schluss mit einem Appetit, der ansteckend wirkt,
ihr Vesperbrot verzehren.
g) Das Urteil der Schule.
Es war mir von verschiedenen Seiten die Besorgnis aus¬
gesprochen worden, dass die Kinder durch die Befreiung vom Nach¬
mittagsunterricht in ihrer geistigen Entwickelung arg beeinträchtigt
und durch die Teilnahme an dem Kursus abgelenkt werden würden.
Die erstere Befürchtung war ja tatsächlich nicht ganz von der Hand
zu weisen, obwohl man ihr gegenüber einwenden konnte, dass in
den Nachraittagsstunden gewöhnlich nur solche Fächer gelehrt
würden, die sich leicht nachholen lassen, oder solche, die nicht aus¬
schliesslich in diese Zeit gelegt sind.
1) Der Kursus wird noch fortgesetzt, um zu erproben, inwieweit
auch die Winterzeit hierfür geeignet ist.
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*
: Tatsächlich hat sich die Besorgnis als unbegründet erwiesfeni
Ich habe mir Uber jedes Kind von dem betreffenden Klassenlehrer
(Lehrerin) ein kurzes Gutachten Uber seine Gesamtleistungen ein¬
geholt und bei dem Bericht Uber die zweite Untersuchung am
Schluss angefflgt. Aus diesen Urteilen geht zunächst hervor, dass
hei keinem Kinde ein Rückschritt in seinen Gesamtleistungen kon¬
statiert worden ist. Bei 5 lautet das Gutachten auf unverändert,
hei 17 war ein mässiger Fortschritt wahrznnehmen, während 6 sich
erheblich gebessert haben. Den Haupterfolg für die Schule erwarte
ich aber erst von der Zukunft, wenn die Kinder, gekräftigt an
Körper und Geist, wieder im vollen Umfange am Unterricht teil¬
nehmen.
Eine naheliegende praktische Frage ist noch zu»beantworten,
nämlich die: was kostet ein solches Unternehmen?
Je grösser die Zahl der Teilnehmer und je kürzer die Dauer
des Kursus ist, um so geringer sind verhältnismässig die Ausgaben.
Nach den bisherigen Erfahrungen können bis zu 50 Kinder gleich¬
zeitig teilnehmen; als Zeitraum erscheint mir */* Jahr mit wöchent¬
lich 4 Nachmittagen zu je 2 Stunden genügend, aber auch not¬
wendig. Von dem Halbjahre sind 5 Ferienwochen abzuziehen, so
dass also 21 Übungswocben oder 84 Übungstage übrig bleiben.
Die Kosten setzen sich zusammen aus Gehalt für den Lehrer, Be¬
schaffung des Vesperbrotes, Verzinsung nnd Amortisation von Geräten.
Nimmt man das Durchschnittseinkommen des Lehrers mit
2800 M., die Zahl seiner Pflichtstunden mit 28 pro Woche an, so
folgt daraus, dass die Lehrkraft für einen solchen Kursus von
2800 8
6 Monaten - - u = 400 M. kostet. Mithin entfallen auf das ein-
2 2o
zelne Kind 8 M.
Das Vesperbrot (*/* 1 Milch und 1 Weissbrot) kostet nach
hiesigen Verhältnissen ca. 15 Pfg. pro Tag. An 84 Tagen macht
das — abgerundet — 12 M. aus.
Die Ausgaben für Geräte können naturgemäss sehr verschieden
gross sein, je nachdem, was man anschafft. Wir haben uns bisher
mit wenigem begnügt. Die Kosten hierfür — einschliesslich einiger
Ausgaben für Arbeiten auf dem Übungsplätze — betragen noch nicht
150 M. Will man aber mehr aufwenden, ohne Luxus zu treiben,
so sind 300—400 M. schon ein recht ansehnlicher Betrag. Nimmt
man nun an, dass die Apparate in ca. 8 Jahren verschlissen sind — in
Wirklichkeit dürften sie bei guter Behandlung länger Vorhalten —,
so würde das pro Kind ca. 1 M. betragen.
Mithin sind die Gesamtkosten für jeden Teilnehmer im Höchst¬
fall 8 + 12 +1 M. = 21 M.
Es sei mir noch gestattet, an dieser Stelle einige vergleichende
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Original fru-m
UNIVERSITÄT OF IOWA
16
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4
Betrachtungen über die Ferienkolonien 1 ) und unseren Kursus an¬
zustellen.
Was die Erfolge beider betrifft, so ist letzterer zunächst in¬
sofern überlegen, als seine Resultate vielseitiger sind; denn die vmu
gesundheitlichen Standpunkt doch zweifellos als wichtig zu bezeich¬
nende Behandlung von Wirbelsäulenverkrümmungen wird von der
Ferienkolonie nicht geleistet. Auch die Kräftigung der Muskulatur
wird in ihr mindestens nicht in dem gleichen Masse erreicht.
Der Einfluss eines vierwöchigen Aufenthaltes in der Ferien¬
kolonie auf die Skrofulöse, Blutarmut und Lungenkatarrhe dürfte
annähernd so gross sein, wie er in unserm Kursus gewesen ist; das
gleiche gilt von der Hebung des Körpergewichtes.
Der wesentlichste Nachteil aller Ferienkolonien ist der, dass
die dorthin geschickten Kinder in ganz andere, sehr viel bessere
Verhältnisse hineinkommen. Sie erholen sich infolgedessen meistens
ziemlich rasch; wenn sie aber wieder nach Hause gekommen sind,
geht bei einem sehr grossen Prozentsatz der Gewinn schnell wieder
verloren. Diese Erfahrung, welche wohl keinem in die Verhältnisse
eingeweihten Arzt und Lehrer erspart blieb, hat dazu geführt, dass
vielerorts Kinder aus sehr ärmlichen Familien, die es ganz besonders
nötig hätten, gar nicht mehr ausgeschickt werden, weil man ein¬
gesehen hat, dass es nutzlos ist.
Dieses ungünstige Moment besteht bei dem orthopädisch-gym¬
nastischen Spielkursus nicht. Hier bleiben die Teilnehmer in ihrer
alten Lebensweise. Die einzige Veränderung derselben beruht in
der Darreichung des kleinen Vesperbrotes.
Schliesslich spricht auch der Kostenpunkt zugunsten unseres
Kursus. Während der vierwöchige Aufenthalt eines Kindes in der
Ferienkolonie unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden
Faktoren (Beköstigung, Verzinsung und Amortisation des Anlage¬
kapitals, Gehälter für Aufsicht- und Pflegepersonal usw.) je nach
den örtlichen Verhältnissen zwischen 40—60 M. schwankt, kosten
unsere Kinder pro Kopf höchstens 21 M.
Andererseits haben die Ferienkolonien insofern einen erheb-
1) Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerke ich, dass ich
unter dem Ausdruck Ferienkolonien nicht die ursprüngliche Institution
verstanden haben will, die darin bestand, dass während der grossen
Sommerferien eine Anzahl von Kindern irgendwohin gewissennassen in
Pension geschickt wurden. Ich meine hier vielmehr die Einrichtung,
welche in einer Anzahl von Städten, u. a. auch Barmen, besteht, dass näm¬
lich während des grösseren Teils des Jahres (in Barmen April bis einschl.
Okt.) allmonatlich eine Gruppe von Kindern in bestimmte, den Städten
oder gemeinnützigen Vereinen gehörige Anstalten gesendet werden. Aus
der Ferienkolonie ist hier eine Art Anstaltsbehandlung geworden, nur der
Name ist beibehalten.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
17
liehen Vorzug, als man dorthin noch Kinder bringen kann, die für
einen Kursus der beschriebenen Art nicht mehr geeignet sind. Der
Kursus erfordert von seinen Teilnehmern immerhin einen gewissen,
wenn auch geringen Grad von körperlicher Rüstigkeit. Wer diesen
nicht hat, ist zur Teilnahme ungeeignet; wohl aber kann ein solches
Individuum noch in eine Ferienkolonie entsendet werden. Im
speziellen gehören hierher Kinder mit schweren Herz- und Lungen¬
affektionen, sehr hohen Graden von Anaemie — insonderheit,
wenn es sich um Mädchen handelt, die den Pubertätsjabren nahe
sind — tuberkulösen Haut- und Knochenerkrankungen u. a. mehr.
Aus diesen kurzen vergleichenden Betrachtungen glaube ich
die Schlussfolgerung ziehen zu dürfen, dass derartige Kurse in
weniger leistungsfähigen Gemeinden, die gar nicht oder nur in be¬
schränktem Masse in der Lage sind, ihren Kindern den Vorteil
von Ferienkolonien zu gewähren, einen guten und billigen Ersatz
für dieselben abgeben können, während sie in grösseren, wohl¬
habenden Kommunen zur Entlastung und Ergänzung der Ferien¬
kolonien zu dienen geeignet sind.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahr*.
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UNIVERSUM OF IOWA
Wesen, Ursachen, Verbreitung und Bekämpfung
des Alkoholgenusses in den Volksschulen
Von
Kurt W. F. Boas.
Ebenso leicht durchführbar wie die Antialkoholbelehrung in
den höheren Schulen ist die in den Volks- und Gemeindeschulen;
j» sie ist sogar wichtiger als die in den höheren Schulen. Denn
während wir bei dem Gebildeten ein wenn auch noch so geringes
Mass von hygienischen Kenntnissen voraussetzen können, würde eine
solche Annahme bei den niederen Klassen nicht gerechtfertigt sein. Es
mag wohl hier oder da ein Arbeiter aus den bekannten Büchern der
Naturheilkunde, Platen, Bilz, Gerling etc., die fast in jedem
kleinen Hausstand, manchmal als die einzigen Requisiten der Biblio¬
thek angetroffen werden, einige Kenntnisse über den menschlichen
Körper schöpfen, sich vielleicht auch elementare Grundsätze der
Hygiene aneignen: seine Kinder zur Hygiene zu erziehen, wird ihm,
zumal sich zu der Unkenntnis oft auch ein Mangel an pädagogischem
Geschick hinzugesellt, wohl niemals gelingen. Und in den Fällen,
wo das Haus versagt, hat bekanntlich die Schule einzusetzen.
Die Stellung des Themas „Hygiene“ hat die Volksschule mit
der höheren gemeinsam. Nur die Ausführung ist naturgemäss eine
andere. Vorkeuntnisse, die wir bei den „höheren Schülern“ annehmen
können, gehen oft den Volksschülern ab u. dgl. mehr. Es ist
allerdings einleuchtend, dass dadurch die Tätigkeit des Lehrers in
der Hygiene erschwert wird, dass nicht sogleich alles theoretisch
verstanden und praktisch verwertet und beherzigt wird; aber das
soll uns nicht von einer Aufgabe abhalten, an deren Erfüllung Ge¬
sellschaft und Staat ein gleiches hohes Interesse haben. Nur „wer
ewig strebend sich bemüht, den können wir erlösen“.
Eine andere Schwierigkeit, auf die ich bereits hingewiesen
habe, ist der leicht entstehende Konflikt zwischen Schule und Haus,
der manchmal zu den ärgsten Folgen führen kann. Nehmen wir
z. B. den Fall an, das Kind eines chronischen Trinkers, das sich über
den Zustand des Vaters nicht klar ist, das nicht den verborgenen Gram
und Kummer seiner Mutter kennt, wird in der Volksschule auf die
sittlichen, geistigen und wirtschaftlichen Gefahren aufmerksam ge-
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UMIVERSITY OF IOWA
19
macht und gibt za Hanse in kindlicher Naivität getreulich das von
der Lehrerin Auseinandergesetzte wieder. Der Vater, der, wie
qtets, betrunken nach Hause gekommen ist, muss das mit anhören.
Er war vielleicht bis jetzt in jener Alkoboleuphorie, jetzt verwandelt
sich sein Bierhumor in Poltern und Schelten um — wir wissen, dass die
Stimmung der Trinker durch die geringfügigsten Ursachen umschlägt,
dass sie alles und jedes auf sich beziehen, in jedem, der nicht mit
ihnen einer Meinung ist, einen bösen Feind sehen. Dazu tritt die
Einsichtslosigkeit, der Alkobolisten (Juliusburger 1 2 )), die durch
keine Macht der Welt von ihrem alten Treiben abzubringen sind —
der Vater wird also aufgebracht, das Kind begreift, dass seine gar
nicht ernst gemeinten Worte den Vater ärgern, und spricht hinfort
nicht mehr vom Alkohol, um den Zorn des Vaters nicht noch ein¬
mal auf sich heraufzubeschwören. Ja, es geht manchmal so weit,
dass es den Vater um Verzeihung bittet, ihm in seiner Wertschätzung
der alkoholische!! Getränke beistimmt, und dann kommt der lange
verhaltene Groll des Vaters und des Kindes gegen die Tyrannei
der Schule, die doch das Beste der Kinder wie der Eltern will, zum
Ausbruch.
Solche Fälle, wie der eben geschilderte, werden sicherlich nicht
zu den Seltenheiten gehören; sie werden nur darum selten beob¬
achtet und berichtet, weil die Kinder nicht aus sich herausgehen,
nicht ihren Schmerz uud Kummer einer fremden Seele anvertrauen
wollen. Und hierbei will ich gleich die Mahnung an die Lehrer
knüpfen, ein wenig tiefer in die Seele der ihnen anvertrauten Kin¬
der hineinzuscbauen, um sie in ihrer Eigenart verstehen und be¬
greifen zu lernen. Tout comprendre c’est tout pardonner. Doch
um selber zum Seelenleser heranzureifen, bedarf es besonderer Vor¬
studien, nicht theoretischer Art, etwa durch Lektüre des Amentschen
Buches „Die Seele des Kindes“, sondern durch die Wildenbruch-
sclien Erzählungen „Das edle Blut“, „Kindertränen“, „Wie Hänschen
uud Fritzchen die Vorsehung kennen lernten“, „Vizemama“ u. a.
Wildenbrtich hat wie kein anderer die Gabe, uns das Tun und
Lassen eines Kindes menschlich-psychologisch zu motivieren.
Die Belehrung der Schulkinder wird durch die grosse Ver¬
breitung des Alkoholgenusses unter der schulpflichtigen Jugend ge¬
rechtfertigt.
Ich will nunmehr die wichtigsten neueren Statistiken über den
Alkobolgenuss der Volksschule hier folgen lassen.
Die Feststellungen des Ulmer Schularztes*) ergaben, dass 93,7 °/ ö
1) Juliusburger, Zur Lehre von der Einsichtslosigkeit der Al-
koholisten. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 1905, Bd. 19, Heft 2.
2) Der Tätigkeitsbericht des Ulmer Schularztes im Wintersemester
1906/07. Ulmer Zeitung 1907, Nr. 135.
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20
aller untersuchten Kinder durchschnittlich schon Bier, 39% Wein,
41,1 °/ 0 Schnaps, 87,3°/ 0 Most getrunken haben. Täglich Bier
trinken dnrchschnittlich 18,4%» täglich Most 19°/», täglich Milcb
42,6 °/ 0 .
Der Genuss des Mostes ist besonders bedenklich, da in der Literatur
verschiedentlich (Emmerich 1 ), Bantlin®)) Fälle von Leberzirrhose im
Kindesalter angeführt werden, die anf chronischen Mostgenuss zurückzu¬
führen waren.
Darnach nehmen durchschnittlich fast ebensoviele
Kinder täglich gewohnheitsmässig alkoholische Getränke
(34,7°/ 0 ) zu sich wie Milch (42,6°/ 0 ).
In einer Nordhausener Volksschule tranken von 99 Kindern
38 Wein, 40 Schnaps, und fast alle batten schon Bier — zum
Teil regelmässig — genossen. In einer Mädchenklasse hatten von
28 Mädchen 27 bereits Wein, 14 Schnaps getrunken. 16 wollten
schon einmal betrunken gewesen sein. ,
In einer Schöneberger Knabenschule tranken 56,2°/ 0 , in einer
Mädchenschule 48,7 °/ 0 regelmässig Bier.
Interessant sind die Befunde Berliner Schulärzte. Nach den
in einer Knabenschule und in einer Mädchenschule angestellten Er¬
hebungen nahmen alkoholische Getränke zu sich s ):
1.
nie oder nur selten . . .
16,6%
Mädchen, 18,5%
Knaben
2.
wöchentl. mindest. 1 mal Bier
38,5%
» 39,9 °j 0
n
„ „ 1 mal Schnaps
10,9%
0 11,9%
77
3.
täglich Bier.
31,9%
„ 34,4%
n
4.
„ Schnaps ....
Wo
. 4,3%
77
ln einer Knabenschule des Nordens nahmen wiederholt in der
Woche zu sich 21 °/ 0 bayrisch Bier, 2 °/ 0 Schnaps, 21% Wein. Bei
diesen Kindern wurde zugleich die ungünstige Einwirkung auf den
Kräftezustand festgestellt.
Bei der Untersuchung der Volksschüler in Bonn ergab sich,
dass von 247 Kindern beiderlei Geschlechts im Alter von 7—8 Jahren
nur ein einziges noch keine alkoholischen Getränke genossen hatte.
Ungefähr 75% haben Kognak oder Likör genossen, und 8% haben
regulär Schnaps vorgesetzt bekommen.
Nach den Angaben G rigor je ws 4 ) kannten von 182 Schülern
1) Emmerich, Über Alkoholmissbrauch im Kindesalter. Archiv für
Kinderheilkunde 1895, Bd. 20, p. 226.
2) Bantlin, Über einen Fall von Leberzirrhose im Kindesalter.
Inaug.-Diss. Tübingen 1903.
3) Hartmann, Bericht über die Tätigkeit der Berliner Schulärzte
im Jahre 1904/05. Berlin 1906, p. 6.
4) Grigorjew, Zit. nach Postoäw, Über den Alkoholismus. Beiträge
zur Frage des Einflusses der akuten und chronischen Äthylalkoholvergif¬
tung auf den tierischen Organismus. Allg. mediz. Zentral-Ztg. 1904 Nr. 8.
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r.. «),m
- 21 —
der St. Petersburger Schüler im Alter von 8—13 Jahren bereits
1C6 den Genuss alkoholischer Getränke. In vier Mädchenschulen waren
von 159 Mädchen im Alter von 8—16 Jahren bereits 149 mit dem
Genuss alkoholischer Getränke vertraut, und manche sind sogar
mehrmals betrunkeu gewesen.
Bruno berichtet, dass in einer Klasse von den Schülern des
ersten Schuljahres am Sonntage 20 Wein, 24 Bier, 19 Schnaps,
17 Wein und Bier, 14 Wein, Bier und Schnaps tranken. Allein
haben Brunos Erhebungen keine Beweiskraft, da die Gesamtzahl
der Schüler nicht angegeben ist.
König 1 ) hat sehr genaue Erhebungen Uber den Alkoholgenuss
der Schuljugend angestellt.
Zusammenstellung der Erhebung vom Montag den 9. April 1906 in M.
Mädchen.
—
Die Sonntag
den 8. April 1906
Am folgenden
Montag
Regelmässig
trinken
Schul¬
jahr
s
z
3
o
(72
a) Wein
2. b) Bier
® --
3 c) Brannt¬
wein
d) ein Wirts¬
haus
besuchen
e) naehlOUhr
abends zu
Bett gingen
a) kamen zu
spät in die
Schule
b) fehlten
c) waren be¬
sonders ar¬
beitsunlustig
a) Wein
b) Bier
c) Brannt¬
wein
1 .
970
375
319
99
229
178
3
14
35
246
58
50
II.
855
346
205
50
193
140
2
7
26
135
51
20
111.
838
312
216
53
149
120
9
12
31
1301 14
5
IV.
695
276
170
40
107
181
4
—
5
1081 32
7
V.
576
245
145
36
79
59
1
—
_
117
15
—
VI.
384
179
85
31
40
48
2
12
11
46
14
—
VII.
137
19
2
9
5
—
—
—
17
Sa.
4455
17821165
311
806
731
21
45
108
799i 184
82
I.
1020
329
321
88
Knaben.
293 1 161
12
22
120
155
59
17
11.
772
29 t
288
87
190
167
15
4
\>
120
50
26
III.
771
296
247
46
175
146
1
ii
65
139
49
14
,1V.
735
289
235
49
192
201
3
ii
32
119
43
15
V.
623
288
222
24
137
117
4
8
60
74
42
11
VI.
559
277
201
38
11t
130
1
15
31
72
29
3
VII.
40«
233
125
35
75
81
—
7
8
76
15
1
VIII.
154
83
50
19
27
39
—
1
5
38
11
—
Summa d.
Knaben
5040
2086
1
1689 386
1200
1042
' 1
36
r i
78
363
793
298
87
Summa d
Mädchen
4455
1782
11651 311
806-;
731,
21 .
45
|
108 |
799
0,84
82
Sa.
|9495
3868 2854
697 ! 2005 •
i773.
-57 •
123-
471 |
1592
482 1
»69
1) König, Der Alkohol und das Kind. Blätter zum VVeitcrgebeu
1906, Reihe 6, Nr. 4.
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22
In München gelangte Hecker 1 * 3 ) zu folgenden Resultaten:
ih
;i
Gesamt-
zahl
der
Kinder
Wilhelm-
u.'Haim-
hauser
Schule
°/n
Simultan
i
schule
°/o !
Prote¬
stanti¬
sche
Schule
°/o
Alle
Schulen
zu-
i Hammen
°/o
a. j Kein Alkohol.
638
11,44
16,64
17,32
13,7
b. Zuweilen Alkohol ...
1380
25.40
31,77
40.32
29,5
c. Tttgl. einmal Alkohol
1926
43,66
38,66
35,51
41,2
d. Tfigl. zweimal Alkohol
j 1 und mehr.
6f)9
17,51
11.74
6,42
14,1
o. l Nicht verwertbar....
59
1,99
1.19
0,43
1,5
tjj Eigentliche Trinker..
211
8,2
4,9
2.7
4,5
s. Schnaps bekommen..
300
—
6,7
0,5
6.4 .
w.i| Wein bekommen....
ä. i Alkohol auf Ärztl. An¬
164
i
—
10,3
6,1
8,3
ordnung bekommen
31
—
2,6
i
0,4
: 2,6,
t
Fröhlich stellte auf dem 8. internationalen Alkoholkongress
zu Wien fest, dass von lOOOOU Wiener Kindern unter 14 Jahren
72702 regelmässig Bier und Wein und 5953 regelmässig Branntwein
gemessen. Fischer*) konnte von einer ähnlichen Erhebung in Press¬
burg berichten, die folgendes Ergebnis hatte: Von 6297 Elementar¬
schülern tranken 1314 regelmässig Wein oder Bier, 1297 hatten
schon öfters Branntwein genossen. Endlich machte Fischer die Be¬
obachtung, dass-von den 6297 Kindern 3773 an Sonn- und Feiertagen
Wein oder Bier bekommen.
Von 7338 Schulkindern aus den verschiedensten Teilen Deutsch¬
lands batten nach den vom Verein enthaltsamer Lehrer im Jahre
1899 vorgeuoinmenen Ermittelungen 8 ; nur 166 = 2,26°/ 0 noch nie¬
mals geistige Getränke genossen, 847 = 11,4 °/ 0 bekamen sie täglich,
davon 148 = 2°/ 0 vor dem Unterricht.
In Holland hatten von 4340 Schulkindein nur ll°/ 0 noch
keinerlei geistige Getränke genossen.
Eingehende Untersuchungen Uber den Alkoholgenuss der Schul¬
jugend sind auch in Brauuschweig angestellt worden, über deren
Ergebnis ich von Frankenberg 4 * ) folgende Angaben entnehme.
1) Hecker, Verhandlungen der 22. Versammlung der Gesellschaft
für Kinderheilkunde. Meran 1905, p. 91. — Münchener Med. Wochenschr.
1906, Nr. 12. — Jahrb. f. Kinderheilk. 1906, Bd. 63, p. 470 u. 571.
•./■*!* j2f^lke1jer,'öie: :4er ScJyiJe im Kampfe gegen den Alko-
JioltSEpUg. •XlfcMe jÄ)fl4jr4a iptenjafjio.nal contre l’alcoolisme tenu k Budapest
du 11 au’lß’septeninre 1905.''Budapest 1906, p. 149.
3) Pf‘aV.iGe<Ttffl)tbp zur Methodik des Kampfes gegen den
Alkoholismus'. 4ct'<ivgpnd. *{Xi£,*Alkoholfrage 1907, Bd. 4, p. 136.
4) v.. Fj* an Kennet; g, Der Alkoholgenuss der Schulkinder. Zeitsehr
f. SchulgesüitAcit#pfl v :$ß6; Bä. 19, p. 695.
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UNIVERSUM OF IOWA
23
Von 100 Braunsehweiger Schulkindern trinken gelegentlich:
Brannt- Arrak
Wein Bier wein u. dgl.
a) auf den mittl. Knaben Bürgerschulen 47,4 68,3 10,1 30,3
b) „ „ „ Mädchen- „ 46,5 59,5 5,4 27,9
auf den mittl. Bürgerschulen überhaupt 47,0
64,3
8,0
29,3
c)
„ „ unteren „ ....
23,9
67,3
14,1
25,7
d)
„ d. Hilfsschule f. schwachbefäh. Kinder
17,9
70,3
11,8
23,6
auf den Bürgerschulen überhaupt
33,2
66,2
11,6
27,1
e)
„ der katholischen Schule . .
34,2
72,1
17,7
38,8
Von 100 hiesigen Schulkindern trinken täglich:
Brannt*
Arrak
Wein
Bier
wein
etc.
a) auf den mittl. Knaben-Bürgerschulen
0,9
9,9
0,2
0,8
b)
ri rt n Mädchen- ^
1,9
7,5
0,1
1,2
auf den mittl. Bürgersehulen überhaupt
1,3
8,9
0,2
1,0
c)
„ „ unteren „ . . . .
0,5
8,8
0,5
1,2
d)
„ der Hilfsschule.
0,0
4,4
0,4
0,4
auf den Bürgerschulen überhaupt
0,8
8,7
0,4
1,1
c)
„ der katholischen Schule . . .
0,3
6,6
0,0
0,2
Von 100 hiesigen Schulkindern trinken alkoholhaltige Getränke:
schon vor Beginn bei dem Mittag-
des Unterrichtes od. Abendessen
a) auf den mittl. Knaben-Bürgerschulen
0,1
29,3
b)
n ri n Mädchen- „
0,2
24,2
auf den mittl. Bürgerschulen überhaupt
0,17
27,3
c)
„ „ unteren „ . . . .
0,65
23,3
d)
^ der Hilfsschule.
0,4
24,0
auf den Bürgerschulen überhaupt
0,4
24,9
e)
„ der katholischen Schule . . .
0,4
24,9
Mögen diese Angaben genügen, um dem Leser eine Idee von
der Verbreitung des Alkobolismus in den Schulen zu geben. Gebt
man den Ursachen auf den Grund, so wird man in erster Linie die
Heredität der Eltern anführen müssen, auf die ich oben kurz hin¬
gewiesen, und die ich hier auch statistisch darlegen möchte.
Deutsch') konnte an 1001 Kindern, die die Budapester
Gratis-Milchanstalt aufsuchten, folgendes feststellen:
1. Vater Temperenzler, Mutter abstinetot in 7,61 °/»
2. n Alkoholist, „ Temperenzlerin in 11,47 °/ 0
1) Deutsch, Einiges über den Alkoholismus. Der Alkoholisinus
1906, NF. Bd. 3. p. 28.
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24
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3. Vater Temperenzler, Mutter Temperenzlerin in 33,03 °/ 0
4. „ abstinent, „ abstinent in 33,13 °/ 0
5. „ Alkobolist, n „ in 12,06 °/o
6. „ abstinent, „ Alkoholistin in 2,67 °/ 0
Schlesinger ’) ermittelte an 138 Hilfsschulen in 30°/ o Trunk¬
sucht der Eltern, während Robinowitsch und Bournevillen bei
den Eltern ihrer Imbezillen in 54—60 °/ 0 Trunksucht fanden,
Hoppe*) in 41 °/ 0 .
Die Degeneration der Trinkerfamilien legt Schlesinger in
folgender Tabelle dar:
Familien der
übrigen normalen
Trinker Hilfsschüler Hilfsschüler
Zur Zeit lebende Kinder 48,7 59,0 65,0
Verstorbene Kinder . . 38,8 32,6 30,2
Fehlgeburten .... 12,5 8,4 4,8
Dieselbe Tatsache geht aus dem Berichte Uber die bayerischen
Zwangszöglinge vom Jahre 1905 hervor. Unter den 440 Zwangs*-
Zöglingen mit bekannten Eltern waren 171= 39,0 °/ 0 , bei denen die
Eltern bezw. eines der Eltern der Trunksucht, Unsittlichkeit oder
Arbeitsscheu verfallen war.
Neisser*) fand bei Fürsorgezöglingen in 26°/ 0 Alkoholisraus
väterlicher- und mütterlicherseits, Unzucht und Trunkenheit in 2,4 °/ 0 .
Seiffert 1 2 * 4 ) konnte an 354 Fürsorgezöglingen der Anstalt
Straussberg feststellen, dass von den Eltern 75 wegen Diebstahls,
46 wegen Trunksucht, 16 wegen Unzucht vorbestraft waren.
Wir sehen, dass der Alkobolisnius eine Hauptursache bei der
geistigen (wie übrigens auch körperlichen) Entartuug der Nach¬
kommen darsteilt.
Wir kommen nunmehr zur Besprechung der Wirkung des
Alkoholgenusses auf die Schulleistungen, Bayr 5 &) ) konnte
darüber folgendes ermitteln.
1) Schlesinger, Schwachbegabte Schulkinder. Stuttgart 1907.
2) Hoppe, Neuere Arbeiten über Alkoholismus. Zentralblatt für
Nervenheilkunde 1903, Nr. 26.
8) Neisser, Psychiatrische Gesichtspunkte in der Beurteilung und
Behandlung der Zwangszöglinge. Halle a /S. 1907.
4) Seiffert, Diskussion zu dem Vortrage von v.Rohden: Jugend¬
liche Verbrecher. Bericht über den Kongress für Kinderforschung und
Jugendfürsorge in Berlin (1. bis 4. Oktober 1906). Langensalza 1907, p. 392
&) Bayr, Einfluss des Alkoholgenusses der Schuljugend auf den
Unterrichtserfolg. Ztschr. f. Schulgesundheitspfl. 1899, Bd. 12, Heft 8 u. 9.
Gck igle
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UMIVERSITY OF IOWA
25
Es erhielten:
Zeugnis im Fortgang.
Sehr gut
i ...;
Genügend j
Un¬
genügend
Ton 134 Schülern, die keine alko-
56 Schüler
66 Schüler
12 Schüler
hol. Qetränke genossen hatten .
= 41,8 o/o
= 49,2 o/ 9
= 9°/o
Ton 164 Schül., die gelegentl. alko-
56 Schüler
93 Schüler
15 Schüler
holhalt. Getränke genossen hatten
= 34,20/ 0
i =66,7 0/0
= 9,1 0/0
Von 219 Schülern, die tägl. einmal
61 Schüler
; 128 Schüler
30 Schüler
Bier etc. bekommen hatten . .
= 27,90/o
! =58,40/ 0
= 13,7 %;
Ton 71 Schülern, die tägl. zweimal
17 Schüler
41 Schüler
13 Schüler
Bier etc. bekommen hatten . .
= 23,9<’/o
= 67,8 0/0
= 18,3°o/
Ton 3 Schülern, die tägl. dreimal
Bier etc. bekommen hatten . .
— |
; 1 Schüler
: = 33 , 30/0
2 Schüler
= 26,6 0/0
Don 1 ) stellte Untersuchungen an 1890 Kindern an, von denen
76 regelmässig, 1262 gelegentlich und 453 nie alkoholische Getränke
genossen hatten. Dabei ergab sich:
Es erhielten:
Zeugnisnoten.
Sehr gut
Mittelmässig
Schlecht
Von 453 Schülern, die nie alko-
hol. Getränke genommen hatten
Ton 1262Schül., die gelegentl. alko-
hol. Getränke genommen hatten
Von 75Schül., die regelmässig alko-
hol. Getränke genommen hatten
157 Schüler;
= 34,6o/o
298 Schüler 1
= 23,6 °/o
11 Schüler 1
= 14,7 0/o j
221 Schüler
= 48,8 0/0
666 Schüler
= 52,8 0/0
30 Schüler
! = 40,0%
75 Schüler
= 16,6 o/o
29R Schüler
= 23,6 0/0
34 Schüler
= 45,3 0 /o
Hecker*) erhielt folgende Zahlen:
Im Fortgang erhielten die Note:
a. 1
u .
O ;
i-
sehr gut
% ....
2 .
gut
%
3.
ge-
nttgend
%
4.
unge¬
nügend.
%
I. ! Von 638 Rindern, die niemals
alkohol. Getränke erhielteu .
II. j*Von 1380 Rindern, die zuweilen
ll alkohol. Getränke erhielten .
16,3
51,3
29,7
V
12,3
62,0
33,3
2,4
III. j Von 1926 Rindern, die tägl. ein-
1 mal alkoh. Getränke erhielten
9.7
51,7 ;
35,6
1 3,0
J V. Von 659 Kindern, die tägl. zwei-
1 mal alkoh. Getränke erhielten
10,7
54,3
31.0
1 4.0
V. j; Von 211 Rindern der III. und
■| IV Gruppe, d. entweder regel-
: rnässig Schnaps od. tägl. einen
halben Liter Bier u. darüber
erhielten (eigentl. Trinker) . .
4,3
1
43,3 |
48,0
1
1
4,4
1) Don, Alkoholgebrnik door Kinderen. 0verdruck met het Vers-
•lag ran het 3. Nationalcongress voor Geheel-Onthouding 1902.
2) Hecker, 1. c.; vgl. p. 5.
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Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf Fleiss und Auf¬
fassungsvermögen geben die folgenden Zahlen Aufschlüsse:
a
b
c
d
t
Alkohol und Fleiss.
Knaben und Mädchen
Kein Alkohol .
Zuweilen Alkohol.
Täglich einmal Alkohol.
Täglich zweimal Alkohol
Eigentliche Trinker ....
—***:- _0S£.
—--
I--
1
Wilhelm- und;
Simultan-
| Protestan-
Haimhauser-;
schule
schule
tische Schule
I II ; III
i ii | in !
I'll III
°/o i °/o ! °/o 1
°/o 1 °/o I %
1 °/o 1 °/o : 7«
68
1 39
3
| 71
29 !
—
68
30
2
65
40
5
! 63
34 i
3
- 63
35 '
2
55
40
j 54
44
2
69
! 29
2
51
| 43
6 i
j 58
40
2
■ 72
28
—
43
| 47
10
48
48
4
57
43 !
—
Alkohol und Auffassungsvermögen.
. .
—
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i:
Wilhelm- und
Haimhauser-
Simultan- Protestan-
i
schule
schule
tische Schule
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a
j| Kein Alkohol.
25
42
33 ;
53
, 35
12 50
33 !
17
b
lj Zuweilen Alkohol.
23
. 45
32 ( f
47
40
13 l 44
38 1
18
c
j Täglich einmal Alkohol.
20
45
35
40
91
1<> 37
44 '
19
d
‘ Täglich zweimal Alkohol
19
i 46
35
41
43
16 41
54
5
t
Eigentliche Trinker.
10
46 .
44
38
39
23 : 44
52
4
Nach McNicholls J ) Enquöten waren unter der besser situier¬
ten Bevölkerung (34000) 73% abstinent, 23% Biertrinker, 4 %
Wein- und Schnapstrinker, 12% Bier- und Schnapstrinker, unter
der armen Bevölkerung (6879) waren die entsprechenden Zahlen
50%, 43%, 7%, 40%. Von Trinkern, die aus nicbtalkoholischen
Familien stammten, waren 15—25% minderbegabt, von solchen aus
alkoholistischen Familien 53—77 %.
Wenn wir zu diesen statistischen Angaben kritisch Stellung
nehmen, so müssen wir zunächst bemerken, dass die trinkenden
Schüler weit schlechter fortkommen wie die abstinenten und massi¬
gen. Dieser Erfahrung haben auch jüngst Uffenheimer und
Stählin*), Schlesinger 8 ) u. a. Ausdruck gegeben.
1) McNicholl, Alkohol und Unfähigkeit von Schulkindern. Jour¬
nal of the American medical association 1905, Nr. 5. Ref. Deutsche nied-
Wochenschr. 1907, p. 859.
2) Uffenheimer und Stählin, Warum kommen die Kinder in der
Schule nicht vorwärts? Der Arzt als Erzieher, Heft 28. München 1907.
3) Schlesinger, Schwachbegabte Schulkinder. Stuttgart 1907.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Auch der Flciss der trinkenden Schüler ist im allgemeinem
nicht genügend, Dies wird auch durch die neuen grossen Bräunt
Schweiger Erhebungen bestätigt. Da heisst es u. a.: ),In einigen.
Klassen sind die betreffenden Kinder unaufmerksam und träge und*
machen deshalb nur geringe Fortschritte.“ „Aufmerksamkeit, Fleiss-
und Fortschritte waren ungenügend bei 12, mangelhaft bei 10, gut
bei 10 Kindern, die häufig Alkohol trinken.“ „Es wird allgemein,
über Mangel an Aufmerksamkeit, Fleiss und Fortschritten der be«
treffenden Kinder geklagt.“ „Weitaus die meisten der alkohol-
geniessenden Kinder sind unaufmerksam, schläfrig und minderwertig
in ihren Leistungen.“ Den Einzelbcrichten der Klassenlehrer ent¬
nehme ich noch folgende Angaben: „In zahlreichen Fällen wird
mitgeteilt, dass Kinder mit den Eltern bis nach Mitternacht, hier
und da bis 4, 5, ja bis 6 Uhr morgens an Lustbarkeiten teilgenoramem
haben, und dass sie am folgenden Unterrichtstage schlaff,', müde,
unaufmerksam und für den Unterricht unbrauchbar waren. Es wird
vielfach über Nachlässigkeit und geringe Fortschritte derjenigen.
Kinder geklagt, die häufig Alkohol trinken.“ Ähnlich lauten die-
Mitteilungen aus einer grossen Reihe von Mädchen- und Knaben¬
klassen der mittleren und der unteren Bürgerschulen. Die betreffen¬
den Kinder werden als geistig nicht rege, zerstreut, matt, zerfahren*
wenig leistungsfähig geschildert, sie nehmen überwiegend die unterem
Plätze der Klasse ein, auch zeigt sich nicht selten moralische Minder¬
wertigkeit. Die geistige Spannkraft lässt gegen Ender der Unter¬
richtsstunden, beziehungsweise des Schuljahres bei ihnen erheblich,
nach, ihr Auffassungsvermögen, ihr Gedächtnis ist mangelhaft, und:
dies macht sich beim Rechnen besonders unangenehm bemerkbar.
Die besser befähigten Kinder zeigen bei Alkoholgenuss oft ungleich-
mässige Schulleistungen.
Der Alkoholgenuss ist, wie dieser Bericht hervorhebt, und wie
auch Bernhard 1 ) jüngst betonte, eine der Hanptursachen der un¬
günstigen Schlafverhältnissc der Jugend.
Auch ausserhalb der Schule begegnen natürlich der Schuljugendi
oft sittliche Gefahren, besonders Gefahren bezüglich, des AlkohoL
genusses. Ich nenne hier in erster Linie, die Kinematographcn-
darbietungcu, gegen die sich die Schulbehörde genötigt gesehen-
bat ernstlich einzuschreiten, ln verqualmten Räumen bringt dort
ein grosser Teil der Schuljugend den Nachmittag und Abend zu,,
meist ohne Entgelt, weil es den Besuchern meist freisteht, ein Kind.
1) Bernhard, Beitrag zur Kenntnis der Schlafverhältnisse Berliner
Gemeindeschüler. Bericht über den Kongress für Kinderforschung und»
Jugendfürsorge in Berlin (1. bis 4. Okt. 1906). Langensalza 1907* p. 341.
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Go» .gle
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UNIVERSUM OF IOWA
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— 2H —
(kostenfrei in <die Vorstellung mitzunehmen und zahlreiche Jungen
auf die Kinderlosigkeit mancher Besucher spekulieren.
In zweiter Linie müsste gegen die Handlangerdienste der
Schuljugend eingeschritten werden. Oftmals werden Knaben im Alter
von 7—12 Jahren in kleinen Geschäften (Grünkram- und Obsthand-
Jungen) zum Gebäckaustragen und zu kleinen Botengängen benutzt. Ihr
Lohn besteht oft neben Barbezahlung aus einer Flasche Bier zum Ansporn
«und zur „Stärkung“ vor dem Aufbruch. Manchmal werden auch die
verdienten paar Pfennige in Nasch werk oder alkoholischen Getränken
angelegt. Es wäre hier also ein Zusammengehen des Vereins gegen
Ausbeutung der Kinder und der Antialkoholvereine dringend am
Platze. Es «ei betont, dass die Alkoholgegner in gewissem Sinne
«inseitig sind. Sie bekämpfen das Übel, ohne auf die Ursachen zu
achten. Und eine der Ursachen des Alkoholgenusses der Jugend
ist neben dem Wohnungselend, auf das Damaschke jüngst bin-
-wies, die Ausbeutung der Jugend zu gewerblichen Zwecken.
Gegen das dritte Übel, den Alkoholgenuss im Hause, be¬
sonders des Sonntags, sind wir vollends machtlos. Steht das Haus
«cbon im allgemeinen recht gespannt gegenüber der Schule, so wird es
-eich gegen jeden Eingriff in die elterliche Gewalt zu schützen wis¬
sen. Und man kann auch schlechterdings es keinem Menschen
«wehren, seinen Kindern Alkohol zu geben. Oft geschieht das in der
«unverantwortlichsten Weise.
Jakubowitsch 1 2 ) berichtet z. B. einen Fall aus seiner Praxis, in
-dem man einem Brustkinde zwei Teelöffel Wein gab und das Kind nach
12 Stunden starb. Unter den Bauern des Gouvernements Kursk ist nach
Postoews*) Beobachtungen die Unsitte verbreitet, den Kindern den Kopf
•mit Branntwein zu benetzen, damit das Kind besser schlafe.
Im späteren Alter werden naturgemäss solch grobe Verstösse
zur Regel. Das Kind bekommt zu jeder Mahlzeit „sein“ Glas
ÖBier — es kann ja gar nicht anders sein. Die Folgen auf die
.Schulleistungen sind oben schon behandelt worden, doch auch im
Hause treten sie in die Erscheinung. Das Kind ist unbescheiden,
ipatzig, faul, dabei im höchsten Grade eingebildet und von sich ein¬
genommen. Es spricht wie ein „Grosser“ mit, greift mit naiver
»Unverschämtheit in das Gespräch der Alten, redet vou „seiner“ An¬
sicht, als wenn sie massgebend sei — und wird bewundert. Man
bringt der beglückten Mutter seine Glückwünsche zu dem Pracht-
ikinde dar. Der Zauber des Genialen, der dem Kinde anhängt,
verschwindet jedoch zum allgemeinen Bedauern und Erstaunen, die
-tichulleistungen werden immer geringer, bis die bekümmerte Mutter
1) Jakubowitsch, zit. nach Postoöw. Allgemeine medizinische
IZentral-Zeitung 1904, Nr. 8.
2) Postoöw, 1. c.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
29
sieb doch eines Tages entscbliesst, den Ordinarius wegen des Jungen
aofzusQcheo, and oft bat der Lehrer mit einer geblendeten Matter,,
die ihren Felix vergöttert, schweren Stand, um die bedauernswerte-
Mntter Uber das „Genie“ ihres Sohnes, das in Phrasentnm und)
mttssigen Redereien besteht, zn belehren. Das ist das Schicksal
vieler solcher „Wunderkinder“, die da kommen und geben.
Wir wenden uns jetzt der Alkoholbekämpfung der Volksschüler
zu, die im allgemeinen der der höheren Schulen entspricht, so dass
ich hier nicht weiter darauf einzugeben brauche. Ich will hier nur
auf die Bedeutung des Kochkursus fttr die AJkoholbelehrnng hin«
weisen. Wenn irgendwo, so wäre hier der geeignete Platz, die zu«
künftigen Hausfrauen über den Wert resp. Unwert der alkoholischen
Getränke hinzuweisen.
Betreffs der Art, wie die Alkoholbelehrungen in der Stunde
Anzustellen sind, verweise ich auf die Arbeiten von Droste 1 2 * ),
Merth*), Sladeczek*), Kohlstock 4 ) und v. Kraus 5 ).
Welche Hilfsmittel stehen uns ausser der Belebrung¬
in der Schule zur Bekämpfung des Alksholismus der
Volksschüler zu Gebote? In erster Linie abstinente Wande-
dernngen, deren Hauptzweck der sein soll, den Jungen zu zeigen,
dass man ohne Alkohol auskommen kann, dass jene Behäbigkeit
des Herr v. Wantzenau im „Gütz von Berlichingen“ streng zu ver¬
urteilen sei. In dieser Hinsicht bat auch bereits das Haus selbst
eine energische Initiative ergriffen, insofern als einige Eltern ihrea
Kindern die Teilnahme an Klassenausflügen, nur dann erlaubten,
wenn der Lehrer, der den Ausflug unternahm, allen Teilnehmern
den Genuss geistiger Getränke untersagte. Und wirklich ist hier
und da die Durchführung alkoholfreier Spaziergänge und Wander¬
fahrten gelungen.
Hier und da sage ich, nicht immer. Mir persönlich ist es z. B. auf
einer Fusswanderung durch den Harz des öfteren begegnet, dass ich au»
ökonomischen Gründen meinen Durst mit einem Glas Bier löschen musste.
Denn ausser Wasser, das die Wirtsleute nicht gerne abgeben, gab e»
1) Droste, Die Schule, der Lehrer u. die Mässigkeitesache. 17. ÄufL
Berlin 1894.
2) Merth, Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Schule.
Wien u. Leipzig 1904.
8) Sladeczek, Die vorbeugende Bekämpfung des Alkoholismus
durch die Schule. Berlin 1905.
4) Kohlstock, Antialkoholunterriicht in der Volksschule. Die Al¬
koholfrage 1907, Bd. 4, p. 27.
5) v. Kraus, Wie kann durch die Schule dem zur Unsitte gewor¬
denen Missbrauch geistiger Getränke entgegengewirkt werden ? Wien 1896.
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Gck igle
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30
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nur den. bekannten Harzer Sauerbrunnen. Nun sollte tnan meinen, der
-sei durchweg zu billigem Preise zu haben gewesen. InKelbra (am Fusse
des Kyffhäusers) zahlte ich für eine Flasche 25 Pf., was ich mir noch ge-
tfallen Hess, machte aber bald die unliebsame Beobachtung, dass die Preise
bald bis 50 Pf; (Hexentanzplatz) anstiegen. Hier wSre die Einrichtung
eines MilchhHuschens, wie es der Gultemplerorden am Kaiserturm bei
Spandau errichtet hat, dringendes Bedürfnis.
In geradezu idealer Weise hat der in Deutschland weit ver¬
zweigte Verein „Wandervogel“ das Prinzip abstinenter Wanderungen
'verwirklicht. Ob sich allerdings die Volksschüler in die Mitglieder¬
liste eintragen dürfen, ist mir nicht bekannt. Ich halte es auch für
ratsamer, für die Angehörigen der Arbeiterbevölkerung einen eigenea
Verein zu gründen, da die sozialen Gegensätze nicht zu Uber¬
brücken sind.
Ferner müsste viel mehr Wert auf Sport gelegt werden.
Sport, ein schönes Wort, wer's recht verstände, ist man beinahe
geneigt zn sagen. Denn naturgeinäss will ich unter Sport das rohe
Treiben der Engländer verstanden wissen. Aufgabe eines natür¬
lichen Sportes ist die Aus- und Durchbildung des ganzen Körpers:
auch jede einseitige Ausbildung ist zu verwerfen. Wenn Hoffa 1 )
für die Ausübung der körperlichen Bewegungen im nackten Zustande
eintritt, so kann man dies nur billigen. Warum und wie lange
waren die Griechen ein so zähes, widerstandsfähiges Volk? Darum
■und solange sie die körperlichen Übungen mit Nachdruck und doch
mit Mass in unbekleidetem Zustande vor aller Augen betrieben.
In unseren Tagen, bei der heutigen Prüderie wäre die Er¬
hebung einer solchen Forderung einer Ablehnung sicher. Auch
Hoffa ist, obgleich er sie in seinen Leitsätzen stellt, schnell dar¬
über hinfortgegangen. Der sogenannten guten Sitte wird eben heute
mehr Beachtung geschenkt als der Gesundheit!
Der vernünftige naturgemässe Sport — das „Müllern“ ist nicht
mehr als Sport zu bezeichnen (Müllcromanie, Neumann, Oppen¬
heim 2 )) — hätte Freiübungen und vor allem Spiele zu pflegen.
Kein erfahrener Pädagoge zweifelt heute noch daran, dass Spiele
die beste Erholung nach anstrengender Geistestätigkeit sei. In die¬
sem Sinne hat jüngst der neue Kultusminister Dr. Holle eine Ver¬
fügung erlassen, in der die Vornahme von Freiübungen in den Pau¬
sen oder gut gelüfteten Klassen während 5—10 Minuten angeordnet
wird, und zwar an den Tagen, wo 'kein eigentlicher Turnunterricht
stattfindet. Diese Übuugen sind natürlich auch für die Schüler
•obligatorisch, die durch ärztliches Attest vom Turnunterricht dispen-
1) Hoffa, Die Ersetzung des Alkohols durch den Sport. Medizini¬
sche Klinik 1907, Nr. 17.
2) Oppenheim, Deutsche med. Wochenschrift 1906, Nr. 10.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
31
siert sind, ausser in Fällen, wo Körperbewegung auch in geringem
Umfange vom Übel ist, z. B. nach Blinddarmentzündung.
Ich will hier bei der Gelegenheit kurz auf die Streitfrage ein-
gehen, die jüngst zwischen dem Führer der deutschen Turnerschaft,
Dr. Götz, und einem bekannten Alkoholgegner akut wurde. Der
Alkoholgegner hatte sich darüber beschwert, dass Turngesänge, die
den Alkohol verherrlichen, in den Turnliederbücbern enthalten seien,
und forderte zur Ausmerzung derselben auf. Das geht denn m. E.
doch zu weit, zumal da ich oft von Turnern und Sportsleuten habe
behaupten hören, der Alkohol erhöhe ihre turnerischen Leistungen.
Wenn ich mich dem auf Grund eigener Erfahrungen auch nicht
anschliesse, so habe ich doch von dem Meisterschützen des dies¬
jährigen Zürcher Meisterschiessens, sein Name ist mir entfallen, aus
seinem eigenen Munde erfahren, dass er einem guten Trünke abso¬
lut nicht abgeneigt ist und auch unmittelbar vor seinem Meisterschuss
ein Glas Bier genossen habe.
Last not least besitzen wir in den Volks- und Jugend¬
spielen ein vortreffliches Hilfsmittel im Kampfe gegen den Alko¬
holismus der Jugend.
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Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Zichorie.
Digitized by
Von
Dr. Heinrich Zellner, Berlin-Wilmersdorf.
Beim Studium der über Zichorie vorhandenen reichen Literatur
begegnet man der alten Erscheinung: einer Falle von Material, auf
diejenigen Jahre verteilt, in welchen etwas Neues — in diesem
Falle die Zichorie — als Genussmittel Eingang in die breitesten
Schichten der Bevölkerung fand; dann nimmt man ein allmähliches
Abflauen des Interesses wahr, Untersuchungen, Studien, Berichte
werden immer spärlicher und bleiben schliesslich ganz aus. Wenn
auch zugegeben werden muss, dass durch zahlreiche, zum Teil bis
in die kleinsten Einzelheiten durchgefUbrte Arbeiten, der Gegen¬
stand genügend beleuchtet ist, bleibt es doch bedauerlich, dass
einem in solchen enormen Mengen zum Verbrauch gelangenden
Genussmittel nicht ständig mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
So findet man selbst in dem vortrefflichen Werkchen des Kaiser¬
lichen Gesundheitsamtes „Der Kaffee“, Angaben über die Cichorie,
deren Dürftigkeit unseres Erachtens in keinem Verhältnis steht za
der Wichtigkeit dieses Volksgenussmittels. — Physiologen und
Ophtalrnologen dürften bei näherem Studium der Zichorie und ihrer
Eigenschaften noch manches Interessante und Wichtige finden, dessen
Kenntnis für die Allgemeinheit vom volksbygieuiscben Standpunkt»
aus von grösster Wichtigkeit sein müsste.
Geschichtliches. Aus gelegentlichen Bemerkungen in ganz
alten Werken kann man ersehen, dass der Genuss von Abkochungen
der Zichorienwurzel schon im 18. Jahrhundert, besonders in Holland,
bekannt war. Dort wurde auch zum ersten Male die Zichorie in
grösserem Massstabe angebaut und fabrikmässig weiterverarbeitet.
Das geschah bereits um das Jahr 1690. Fast 80 Jahre hindurch
hüteten die Fabrikanten das Geheimnis der Darstellung, bis etwa
um 1765 ein holländischer Müller, namens van Ljer, einem Franzosen
die Methode angab. Van Ljer wurde vielfach in der Öffentlichkeit
als „Verräter“ gebrandmarkt. Es breitete sich nun die fabrik¬
mäßige Verarbeitung der Zichorienwurzel von Frankreich über den
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
33
ganzen Kontinent ans, and im Jahre 1770 erhielt der preussisebe
Major von Klein ein „Königl. preussisches Privileg zur Zicborien-
gewinnung“ auf 6 Jahre. Doch führte sich die Zichorie als Volks-
gennssmittel nur langsam ein, bis Napoleon auf den Plan trat.
Wie durch die Taten dieses Mannes überall die mächtigsten Impnise
ausgelöst wurden, wie sie die weittragendsten Folgen auf allen
Gebieten zeitigten, so ist auch er es gewesen, der — indirekt —
durch Verhängung der Kontinentalsperre der Ziehorienfabrikation
zu einem ungeheuren Aufschwung verhalf. Durch die Sperre wurde
die Zufuhr des Kaffees erschwert, teilweise unmöglich gemacht.
Überall, besonders aber in Deutschland, begann man gar bald das
damals schon vielgeliebte Nationalgetränk zu vermissen. Der Preis
des Kaffees stieg so erheblich, dass sich nur Wohlhabende dessen
Genuss leisten konnten. Man begann nach Ersatzmitteln zn suchen,
rege Spekulanten benützten die günstige Konjunktur, — für die
Zichorienfabrikanten brach eine goldene Zeit an. Naturgemäss
waren die Hauptkonsumenten zunächst die Minderbegüterten, d. h.
also die Hauptmasse der Bevölkerung. Diese gewöhnte sich sehr
schnell an das billige, so schön dunkel aussehende (also kräftige)
Gebräu und hielt mit einer Zähigkeit ohnegleichen bis zum heutigen
Tage daran fest, trotzdem der Kaffee billig geworden ist, trotz¬
dem inzwischen zahlreiche bessere, gehaltvollere, wohlschmeckendere
Surrogate auf den Markt gelangt sind, trotzdem in immer wieder¬
holten zahllosen Veröffentlichungen der Unwert der Zichorie als
Nahrungs- oder Genussmittel klargelegt worden ist.
Die Fabrikation, ln grossem Massstabe wird die Zichorie
im allgemeinen auf folgende Weise verarbeitet: die zerschnittene,
gewaschene und getrocknete Wurzel von Cichorium Intybus wird,
besonders in Mitteldeutschland, in der Provinz Sachsen, in Braun¬
schweig, Hannover, Thüringen, usw., in grossen Trommeln einem
Röstprozess unterworfen. Das Röstprodukt wird gemahlen und
meist zur Erzielung eines speckigen, fettglänzenden Aussehens und
eines besseren Geruches, mit einem geeigneten fetten Öle vermengt.
Das farbige Pulver wird dann angefeuchtet, gepresst und in den
bekannten Paketen in den Handel gebracht.
Arbeitete man überall nach diesem Verfahren, so würde man
in der Zichorie des Handels wenigstens ein einheitliches Produkt
von bestimmt umrissener Zusammensetzung erblicken können. Aber
auch das ist nicht einmal der Fall. Der grosse Zichorienkonsum
rief eine grosse Konkurrenz hervor, und manche Fabrikanten suchten
den karger werdenden Verdienst dadurch zu erhöhen, dass sie nun
an Stelle des billigen Kaffeesnrrogates ein noch billigeres Zichorien-
surrogat setzten. Zu diesem Zwecke unterwarfen sie Löwenzahn¬
wurzeln, Runkelrüben, Mohrrüben, Rübenschnitzel, Rübenpresslinge,
Centralblatt f. all*. Geaondheitspflejre. XXVII. Jahre. 3
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Gck igle
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— 34 —
Eicheln, Bohnen, Erbsen, Lupinen, einem analogen Röstprozess und
Hessen die fertigen Produkte dann unter der Flagge Zichorie in
die Welt hinanssegeln. Das war und ist nicht einmal verboten, und
es liegt demnach für die Fabrikanten keine Veranlassung vor, den
Inhalt ihrer Pakete des näheren zu charakterisieren. Eine Be¬
lastung des Gewissens ist es schliesslich auch nicht, wenn sie Schuld
daran tragen, dass jemand statt Zichorienwurzel etwa Mohrrüben
oder Runkelrüben zu sich nimmt. Vielleicht ist ihnen sogar zu
Ohren gekommen, dass die Zichorienwurzel nicht so ganz harmlos
sei, so dass sie mit deren Ersatz durch ganz unschuldige und nahr¬
haftere andere Wurzeln der Gesundheit der Konsumenten besser zu
dienen glauben.
Das ist also immerhin die harmlosere Seite der Zichorien¬
fabrikation. Es gibt aber auch eine andere. Ruff in stellte fest (1),
dass von 163 Sorten Zichorie, welche er untersuchte, 61 °/ 0 gefälscht
waren. Was alles in dem braunen Mischmasch, Zichorie genannt,
enthalten ist, kann aus folgendem ersehen werden. Es wurden
nachgewiesen (2, 3, 4): Torf, Braunkohle, Steinkohlenasche, Ocker¬
mehl, Ziegelmehl, Ton, roter venetianischer Bolus, Erde, Sand,
Baumrindenpulver, gebrannte Eicheln, alte Nudelabgänge, Brot¬
krumen, geröstete Pferde- und Ochsenleber, Gerberlohe, Abfalle
von Kakaoschalen, Sägespäne, Spanpulver von Campeche- und
Mahagoniholz, Gerberlohe, Mineralöle, Glyzerin, gerbsäurehaltige
eingedickte Pflanzenauszüge, Alkalikarbonate. — Wenn auch nicht
zu leugnen ist, dass durch die scharfe, in neuerer Zeit eingeführte
Kontrolle der Nahrungs- und Genussmittel, ernste Verfälschungen
der Zichorie seltener geworden sind, so sind sie doch zweifellos
vorhanden. Es wäre eine notwendige Aufgabe für die staatlich
subventionierten Untersuchungsanstalten, sich die gesamten im
Handel befindlichen Sorten Zichorie einmal näher anzusehen. Die
Untersuchung ist zeitraubend und schwierig, daher kostspielig;
schon Hilger wies 1890 (5) auf die Schwierigkeiten derselben hin.
Die Untersuchungen müssten auch viel weiter ausgedehnt werden,
als — wie es bisher geschah — auf Asche und Sand. Zwar ge¬
schieht das nach den Vereinbarungen der Kommission deutscher
Nahrungsmittel Chemiker, welche die Untersuchung auf den fest¬
gesetzten Höchstgehalt von Asche 8°/ 0 und Sand 2°/ 0 für Kaffee¬
surrogate für genügend erachteten, — doch gibt diese Untersuchung
nur ganz oberflächliche Anhaltspunkte. Die so erhaltenen Auf¬
klärungen lassen keineswegs einen Schluss auf die reelle Beschaffen¬
heit der Waare zu. Die Arbeiten müssten viel weiter geführt
werden und — wie oben gesagt — sich auf sämtliche ira Handel
befindlichen Sorten Zichorie erstrecken. Wenn dann erst einmal
„Nam’ und Art“ der Beimengungen und Verfälschungen in syste
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UNIVERSUM OF IOWA
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’matiscben und oft wiederholten Arbeiten festgestellt sind, werden
sicherlich bald aus der Fülle des so erhaltenen Materiales brauch-
•bare Methoden sich entwickeln lassen, welche dann durch Ver¬
einbarungen festgelegt werden können.
Die analytischen Daten. Was die chemische Zusammen¬
setzung des Zichorienpulvers anbetrifft, so habe ich den Versuch
.gemacht, zu dem reichlich vorhandenen und kritisch gesichteten
Analysenmaterial etwas Neues hinzuzufügen. Ich kann jedoch nur
-die bekannten Angaben bestätigen. Mit Ausnahme des beim Röst¬
prozess entstehenden empyreumatischen Öles. Dessen Zusammen¬
setzung ist interessant, und sie entspricht nicht den (dürftigen) An¬
gaben, welche die Literatur liefert. Ich behalte mir über dieses
Ol eine besondere Arbeit vor.
Der mittlere Aschengehalt der Zichoriensorten, welche ich
untersuchte, schwankte sehr erheblich. Er betrug im Mittel Wo,
der Sandgehalt 0,84 °/ 0 . Auch schwankte erheblich der Gehalt an
Robfaser, an Eiweiss und an Feuchtigkeit, — eine Erscheinung,
Auf welche man bei der Verschiedenartigkeit der Handelssorten
von vorneherein gefasst sein musste. Ich gebe die Zahlen im Mittel:
Wasser.12,84°/ 0
Eiweisssubstanzen.6,33 „
Fette und Harze.3,74 „
Rohfaser.11,13 „
Asche.7,20 „
Stickstofffreie Extraktivstoffe . . 58,76 „
100,00 °/ 0
(darin reduzierender Zucker 7,93 °/ 0 .
Nach König (6) und zahlreichen anderen Analytikern ent¬
halten die stickstofffreien Extraktivstoffe noch Inulin und Karamel.
-J. Wolff(7) fand in der Zichorienwurzei auf Fruktose berechnet
41,7 °/ 0 direkt gärungfähiges und 24,3 °/ 0 invertierbares, uicht direkt
gärungfähiges Inulin.
Interessieren dürfte hier auch die Analyse der Asche, welche
J. Wolff (7) im Mittel von 15 Analysen folgendermassen angibt:
Kali.38,3 °/ 0
Natron .... 15,68 „
Kalk.7,02 „
Magnesia . . . 4,69 „
Eisenoxyde . . 2,51 „
Phosphorsäure 12,49 „
Schwefelsäure. . 7,93 „
Kieselsäure . . 0,91 „
Chlor .... 8,04 „
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Die Wirkung der Zichorie auf den Organismus.
Prüft man die vorliegenden, über viele Jahrzehnte verteilte»
Arbeiten, Untersuchungen und Studien über Zichorie, so begegnet
man überall Warnungen vor dem Zichoriengenuss. Dieses Resultat
ist zunächst erstaunlich. Man sollte doch meinen, dass ein Genuss¬
mittel, welches in solch ungeheuren Mengen seit über 100 Jahre»
verbraucht wird, auch im wissenschaftlichen Lager Anhänger auf¬
zuweisen haben müsste. Nur ein einziges empfehlendes Urteil fand
sich in der gesamten, mir zugängig gewesenen Literatur. Dessen
Urheber begeisterte sich für die Zichorie und behauptete, dass sie
ein gutes Surrogat für Kaffee sei. Dieser eine war ein — ehe¬
maliger Feldprediger des 14. Kurhannoverschen Regiments zu Madras
in Ostindien (8). Forscher aus anderen, immerhin kompetenteren
Fakultäten, als der theologischen, kommen sämtlich zu ganz anderen
Resultaten. Hier sind einige:
Ungünstige Wirkung auf die Sehkraft beobachteten
unter anderen: Russ (9) und Böhnke-Reich (10). Dieser sagt:
„Sie mag wohl die unbeachtet gebliebene Ursache zu vielen Augen¬
leiden und zur Augenschwäche sein, welche man in der Klasse der
ärmeren Bevölkerung so oft trifft. Prof. Beer sagt (11), dass fort¬
gesetzter Genuss der Zichorie auf das Nervensystem in solcher
Weise einwirkte, dass er Anlass zur Blindheit geben könne. —
Beer, ein berühmter Augenarzt, wirkte zu einer Zeit, während
welcher Zichorie Trumpf war. Auf seine Beobachtungen nahm noch
vor 2 Jahren Lewin Bezug (12), welcher in dem Werke über
Wirkungen von Arzneimitteln und Giften auf das Auge folgendes
schrieb: „In jenem Zeitraum, da der Kaffee streng verboten war,
wurde der Augenarzt häufig wegen einer Gesichtsschwäche zu Rate
gezogen, die einzig und allein von dem häufigen Genuss von Zichorie
herrühren sollte, und die bloss durch Vermeidung dieses
Getränkes wieder verschwand.“
Hier handelte es sich allerdings um den Genuss grosser Mengen
reinen Zichorienaufgusses, während in unseren Tagen doch nur
Zichorie als Zusatzmittel Verwendung findet. Wurden damals er¬
hebliche Störungen der Sehkraft beobachtet, so dürfte nicht zu
bezweifeln sein, dass auch jetzt noch Störungen, wenn auch geringer
Art, zu beobachten sein müssen. Um diese Frage zu klären, habe
ich gemeinsam mit einem hiesigen Augenärzte Versuche begonnen,
deren Ergebnisse wir nach Abschluss veröffentlichen werden.
Wirkung auf den Verdauungstractus, auf die Nerven.
Bibra sagt in seiner vortrefflichen Arbeit (13) über den
Kaffee und seine Surrogate von der Zichorie: „Schon 3—4 Tassen
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UNIVERSITÄT OF IOWA
37
reinen Aufgusses erzeugten mir Schwindel.“ Das gleiche beobachtete
■er bei Personen, welche die Zichorie einsammelten und diese regel¬
mässig nahmen. Diarrhoeen nach Zichoriengenuss beobachteten
•die französischen Forscher Mesat, Leus, Peceira, Chevallier
\ 14). — Im Archiv für physikalisch-diätetische Therapie (15) liest
inan: „Die Menge warmen Wassers, mit koffeinhaltigem Kaffee,
■dem nur die Cichorie Geschmack und Farbe verleiht, kann auf die
Magennerven nur ungünstig wirken, da sie die Nachteile beider
Ingredienzien vereinigt.“
Schwindel und Kopfweh sind bei nicht ganz nervenfesten
Leuten häufig beobachtet worden.
Schwarzkopf (2) stellte fest: Herzklopfen, Sodbrennen,
Magenkrampf, Appetitlosigkeit, Säure im Munde, Gliederschmerzen,
Zittern, Schlaflosigkeit. Ähnlich äussern sich über die Folgen des
Zichoriengenusses: Generaloberarzt Nicolai (16), Carl Lohmann
(17), Oskar Dietzsche (18), J. B. Carthomas (19) und zahlreiche
andere.
Ich möchte nach Kenntnis dieser Angaben allerdings nicht so
weit gehen zu behaupten, dass der fortgesetzte Zichoriengenuss
immer und überall Gesundheitsstörungen hervorrufen muss, aber ich
zweifle nicht daran, dass dieses Hauptgenussmittel die ärmere Be¬
völkerung nach jeder Richtung hin schädigt, und dass diese Schädi¬
gungen oft genug bei nicht ganz taktfesten Individuen zu beobachten
sein werden. Der praktische Arzt, wegen Magenkrankheiten und
Verdauungsstörungen aller Art konsultiert, wird meist sofort etwaigen
Kaffeegenuss untersagen und den Patienten von der schädigenden
Wirkung desselben erzählen. Was diese Patienten, sofern sie Pro¬
letarierkreisen angehören, geschädigt hat, ist aber nicht etwa der
minimal koffeinhaltige Aufguss der paar Kaffeebohnen gewesen,
welche sie tranken, sondern der Hauptbestandteil dieser Brühe: die
Zichorie. Daran sollte man denken und sich weiterhin fragen, ob
unter dem Heer der Magenkranken nicht zahlreiche Personen sind,
deren Krankheit einzig und allein dem Zicboriengenuss zuzuschreiben
ist, da die Erscheinungen überraschend schnell schwinden, wenn
ihnen „der Kaffee“ verboten wird.
Volkswirtschaftliches. Ich kann nicht umhin den Zi¬
choriengenuss für ein nationalökonomisches Unglück zu halten und
schliesse mich der Ansicht von Erismann (20) an, welcher es tief
beklagt, dass Leute, welche sich eine Mehl- oder Brotsuppe zurecht¬
machen könnten, ein gemeines Spülwasser zu sich nähmen, das
noch nicht einmal den Gaumen kitzelt.
Interessant sind die Zahlen Uber die Ein- und Ausfuhr.
1902 wurden eingeführt:
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Rohstoffe zur Zicborienfabrikation: 73,368 Dz.
Fertige Fabrikate: 18,184 „
Dagegen ausgeführt nur: Rohstoffe. 13,617 „
Fabrikate: 7,641 „
Das Ausland schickt also seine Rohwaren, seine zweifelhaften-
Gemische fertiger Ware zu uns, nimmt aber nur sehr wenig der
gleichen Ware auf. Noch lehrreicher sind die Zahlen der Ein- und
Ausfuhr von Kaffeesurrogaten im deutschen Zollgebiete:
Kaffeesurrogate ausser Zichorie.
Januar bi« März
I 1 1900 |
1901
1902
Einfuhr in Dz
51
44
39
Ausfuhr in Dz
1757
1877
2210
Zichorie.
Einfuhr in Dz
4787
4877
4370
Ausfuhr in Dz
'l 3590
2808
1222
Man sehe sich diese Zahlen genau an. Das Ausland führt
uns sein miserables Erzeugnis Zichorie in Massen ein, bedankt sich
aber dafür, obwohl wir doch auch exportieren, nennenswerte Mengen
unserer Fabrikate dafür einzutauschen. Es nimmt von uns lieber
die, besonders in den letzten Jahren immer besser und zweck¬
entsprechender gewordenen, anderen Kaffeesurrogate auf. Es wäre
wünschenswerter, dass das Verhältnis sich umkehrte. Wird man.
hier einwenden wollen, dass doch grössere Landstrecken in Deutsch¬
land mit Zichorie bebaut würden, und dass Industrie und heimische
Landwirtschaft gleicbermassen an der Zichorienausfuhr interessiert
sind, so ist darauf zu erwidern, dass es besser wäre, es würden
die jetzt mit der wenig wertvollen Zichorie bebauten Landstrecken
auf andere Art nutzbar gemacht, wofür besonders durch die Zoll¬
schutzgesetzgebung die Aussichten sehr günstig sind. Und was die-
Industrie anbetrifft, so sollte sie, statt ein derartiges zweifelhaftes
Genussmittel berzustellen, sieb lieber allmählich der Fabrikation
anderer, besserer, gehaltreicherer Kaffeesurrogate zuwenden.
Obenjwurde bereits ausgeführt, dass die Zichorie in solchen
Mengen verbraucht wird, dass man von einem „Zusatz“ zum Kaffee
in den meisten Fällen kaum mehr sprechen kann; sie ist vielmehr
das wesentliche, der Kaffee das nebensächliche. Wie sieht es
nun in Wirklichkeit mit diesem Ersatz, diesem Surrogat aus?
Kann Zichorie jemals den Kaffee ersetzen? Der Wert des
Kaffees liegt in seinem Aroma, seinen anregenden Eigenschaften,.
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UNIVERSUM OF IOWA
seinem Wohlgeschmack. Von allen diesem besitzt die Zichorie
nichts. Und man fragt sich vergebens, wie es möglich gewesen
ist, dass gerade eie ein Surrogat des Kaffees geworden ist, dass
gerade sie, die mit dem Kaffee nicht die geringste Ähnlichkeit hat,
zu einer solchen Machtstellung gelangt ist. In unglaublichem Selbst-
betruge wird aus dem braunen Pulver, unter gleichzeitiger Ver¬
wendung einiger Kaffeebohnen, von dem überwiegenden Teile der
ärmeren Bevölkerung ein Spülwasser zurechtgebraut, welches wider¬
wärtig schmeckt, kein Aroma hat, weder anregt, noch belebt; wobei
ich von der zweifellos vorhandenen Möglichkeit einer Schädigung
der Gesundheit ganz absehen will. Ähnliche Gedanken Anden sich,
zum Teil in schärfster Weise formuliert, in der gesamten mir zu¬
gängigen Literatur, und es scheint ausgeschlossen, dass eine Wider¬
legung derselben auch nur versucht werden könnte. Ich führe,
ausser den früher bereits erwähnten Autoritäten an: Erd man n-
Königs (21), J. Uffelmann (22) und Herrn. Klencke (23).
Wie sehr es not tut, dass man diesen» Gegenstände wieder
mehr Aufmerksamkeit zuwendet, möge man ans einem Satze ersehen,
der sich in der sonst so vortrefflichen Schrift „Der Kaffee“ (24)
des kaiserlichen Gesundheitsamtes findet: „Jedenfalls muss man die
Ersatzmittel des Kaffees, gleichgültig welchen Namen sie führen,
im wesentlichen als unter sich gleichwertig betrachten.“
Demgegenüber ist zu bemerken, dass fast alle im Handel
befindlichen Ersatzmittel des Kaffees besser, in jeder Hinsicht
besser sind, als die in dieser Arbeit des näheren charakterisierte
Zichorie. Es ist doch z. B. gar nicht daran zu zweifeln, dass die
jetzt im Handel befindlichen gebrannten Zerealien mit ihrer sich
stets gleichbleibenden Zusammensetzung, ihrem Nährstoffgehalt, ihrer
Reinheit — unter allen Umständen den Vorzug verdienen gegen¬
über dem unsicheren Miscbprodukt, der Zichorie.
Literatur.
1. Referat über eine Ruffinsche Arbeit in den „Annal. chim. anal.“-
Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und GenuAsmittel, 1898,
2. Die narkotischen Genussmittel u. die Gewürze, von Dr. S. R. Sch warz-
kopf. Halle 1881. W. Knapp.
3. „Biblioth&que nationale“, Extrait de „Dictionnaire Encyclop. des Scien¬
ces med.“
4. Illustriertes Lexikon der Verfälschungen, von Dr. Otto Dämmer.
Leipzig, J. J. Weber.
5. Mitteilungen aus dem pharmazeutischen Institut etc., von R. Hi lg er-
III. Heft, 1890.
6. König, Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel. Ber¬
lin 1904. Jul. Springer.
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Gck igle
Original frurn
UNIVERSUM OF IOWA
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— 4U —
7. Zeitschrift für Untersuchung* der Nahrungs- und Genussmittel, 1900,
III. und 1902, V.
8. Thee, Kaffee u. Zucker, von F. L. Langstedt, vormals Feldprediger
im 14. Kurhannov. Reg. zu Madras und Arcot in Ostindien. Nürnberg
1800. Raspe.
9. Nahrungs- und Genuasmittel, von Carl Russ. Berlin 1868.
10. Der Kaffee etc. 2. Auf). Berlin 1885. Fr. Thiel.
11. Adulterations deteeted, by Arthur Hill Hassal, London. Longmann
and Roberts, 1861.
12. Die Wirkungen von Arzneimitteln und Giften auf das Auge, von Prof.
Dr. L. Lewin (Berlin) und Oberstabsarzt Dr. H. Guillery (Cöln).
Bd. I. Berlin 1905.
13. Der Kaffee und seine Surrogate. Von Baron von Bibra. München,
F. G. Cotta.
14. Dictionn. encyclop. med. Bd. I. Paris 1881.
15. Archiv für physikalisch-diätetische Therapie in der ärztlichen Praxis,
1901, Nr. 5.
16. Der Kaffee und seine Ersatzmittel. Braunschweig 1901. Vieweg.
17. Dr. Karl Lohmann, Fabrikation des Surrogatkaffees etc.
18. Die wichtigsten Nahrungsmittel u. Getränke etc., von Os k ar Dietzsc li.
Zürich 1870. Orell Füssli & Co.
19. Die Hygiene des Magens, von Dr. J. B. Carthomas. St. Gallen 1906.
L. Kirschner-Engler.
20. Gesundheitslehre, von Dr. Fr. Eris mann. 3. Aufl. München 188ö.
M. Rieger.
21. Erdmann-Königs, Grundriss der allgemeinen Warenkunde. 12. und
14. Aufl. Leipzig 1895. J. A. Barth.
22. Dr. J. Uffelmann, Handbuch der Hygiene. Wien 1890. Urban &
Schwarzenberg.
23. Herrn. Klencke, Die Verfälschung der Nahrungsmittel u. Getränke.
Leipzig 1860. J. F. Weber.
24. Der Kaffee etc. Herausgegeben vom Kaiserl. Gesundheitsamt. Berlin
1903. Jul. Springer.
25. Die Nahrungs- u. Genussmittelkunde, von Dr. Ed. Reich. Göttingen
1860. Vandenhoeck & Ruprecht.
26. Archiv f. Hygiene, Bd. 32, Heft 4. München u. Leipzig 1898. R. Olden-
bourg.
27. Vergiftung von 4 Personen durch den Gebrauch von Cichorienkaffee,
von M. J. Clo net. Paris 1875. Gounouillon.
28. Ist das Koffein an der Kaffeewirkung beteiligt? Inaug.-Dissert. von
Felix Wilhelm. Würzburg 1895. J. B. Fleischmann.
29. Genussmittel — Genussgifte, von Dr. Röttger. (Vorwort von Eulen-
burg.) Berlin 1906. E. Staude.
30. Die Kaffeesurrogate, von Heinrich Tr il lieh. München 1889.
M. Rieger.
31. Vereinbarungen etc., Heft III. Berlin 1902. Jul. Springer.
32. Lehrbuch der Pharmakognosie der Pflanzen und des Tierreiches, von
Dr. Wilhelm MarmA Leipzig 1886. Veit & Co.
33. Klemens-Mercks Warenlexikon, herausgegeben von Dr. G. Heppe.
4. Aufl.
34. Dissertation „Sur le Cafe“, de Dr. Aut. Alexis. Cadet de Vaux,
Paris.
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Bericht über die M.-Gladbacher Wohlfahrtsein¬
richtungen zur Bekämpfung der Tuberkulose
bis 1. April 1907.
Von
Dr. Schaefer, Direktor der Heilstätte, und Dr. Grau, 2. Arzt daselbst.
Nachstehend geben wir eine kurze Übersicht über bisherigen
Besuch und Erfolge der M.-Gladbacher Wohlfahrtseinrichtungen zur
Bekämpfung der Tuberkulose: der Lungenheilstätte, der Wald¬
erholungsstätte und Waldschule.
A. Heilstätte.
Die Heilstätte war seit ihrer Eröffnung am 15. August 1904
im allgemeinen sehr gut besetzt. Während anfangs nur bis zu 75
Kranke untergebracht werden konnten, können jetzt im Sommer mit
Hinzuziehung der beiden Döckerbaracken 110, im Winter 95 Betten
belegt werdeu. Mit ganz vereinzelten Ausnahmen wurden nur weib¬
liche Kranke aufgenommen. Im ganzen gingen der Anstalt zu:
1904/05 249, 1905/06 421, 1906/07 447 Kranke.
Die Verpflegungskosten wurden getragen zum grössten Teil
von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, vom Verein zur
Verpflegung Genesender Cöln, vom Bergischen Verein für Gemein¬
wohl Düsseldorf, vom Barmer Verein für Gemeinwohl, vom Rekon-
valeszeutenverein Elberfeld, von den Städten M.-Gladbach, Cöln,
Aachen, Düsseldorf, Essen, Eupen, Mülheim a. d. Ruhr, Mülheim
am Rhein, vom Landeshauptmann der Rheinprovinz, von der Nässe-
Stiftung, der Hütte Phönix n. a. m.
Dem Berufe nach waren die meisten Fabrikarbeiterinnen,
Dienstmädchen, Verkäuferinnen und Näherinnen oder Ehefrauen
von Arbeitern, kleineren Beamten, Kaufleuten usw.
Von den Patienten stammte nur grosser Teil aus der Stadt
oder dem Kreise M.-Gladbach.
Vorzeitig, d. h. nach einem Aufenthalte von weniger als 30 Tagen,
entlassen wurden:
als nicht tuberkulös.
1904/05
3
1905/06
8
1906/07
4
„ zn weit vorgeschritten.
10
26
29
aus anderen Gründen (Heimweh usw.) .
1
26
17
zusammen
14~
60
50
Über den Erfolg der Kur geben die beiden nachstehenden
Tabellen Aufschluss, in welchen jedoch nur Kranke mit einem Kur¬
aufenthalte von mindestens 30 Tagen aufgezählt sind.
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
) Einteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes.
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Kurerfolg in bezug auf Lungenbefund.
43
Unter 16 Jahren waren von diesen:
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1906/07
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— 7
5
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— 13
12
1 ' —
Von den Entlassenen litten an offener Tuberkulose:
1904/05 . 17 = 14,29 °/ 0
1905/06 . 38 = 10,52 °/ 0
1906/07 . 65 = 16,88 °/ 0
B. Walderholungsstätte der Stadt M.-Gladbach.
Die Walderholungsstätte wurde am 2. Juli 1905 eröffnet und
war in Betrieb:
1905 1906
2. Juli
bis 18. Oktober.
1. März bis 13.
Oktober.
Die Frequenz
betrug:
1905
1906
Kinder
... 22
Kinder . .
. 80
Frauen
... 124
F rauen . .
. 244
Männer
... 89
Männer . .
. 180
Sa. 235
Sa. 504
mit 3519 Verpflegungstagen. mit 7101 Verpflegungstagen.
Die durchschnittliche Kurdauer betrug demnach:
1905: 14,97 Tage. 1906: 14,09 Tage.
Im einzelnen verteilen sich die Zugänge auf die Monate:
1905
1906
März ....
. . . —
25
April ....
. . . —
19
Mai ....
—
37
Juni . . . -
. . . —
74
Juli ....
. . . 105
106
August . . .
... 103
165
September . .
... 25
77
Oktober . . .
... 2
1
Das Krankenmaterial setzte sich zusammen aus Tuberkulose (vor¬
zugsweise der Lunge), Chlorose, Anämie, Neurasthenie, Rekonvales¬
zenz nach akuten Krankheiten u. a. m.
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Die Erfolge, soweit sie in der Hebung des Ernährungs- und
Kräftezustandes zuiu Ausdruck kamen, waren zufriedenstellend, zum
Teil gut. Freilich litten bei den inzipienten Tuberkulosen und den
Chlorosen die Erfolge nur allzuhäufig unter der ganz ungenügenden
Knrdauer.
Da sich gegen die Aufnahme vorgeschrittener Lungenkranker von
verschiedenen Seiten mit Recht Widerstand geltend machte, wurde
vom Jahre 1906 an der Grundsatz befolgt, Lungenkranke, die (wenn
auch uur mit Wahrscheinlichkeit) ansteckungsfähig sind, von der
Aufnahme auszuscbliessen. Diese Auslese wurde besonders nötig
mit Rücksicht auf die im Mai 1906 eröffnete Waldschule, deren
Kinder in der Walderholungsstätte verpflegt werden. Es wurde
demnach eine ärztliche Aufnahmeuntersuchung zur Regel gemacht.
C. Die Waldschule der Stadt M.-Gladbach.
Die Waldschule wurde am 28. Mai 1906 eröffnet. Sie schloss
ihr erstes Betriebsjahr am 13. Oktober 1906.
In dieser Zeit wurden 116 Kinder und 4 Lehrpersonen an
5333 Tagen verpflegt. Der Durehschnittsaufenthalt eines Kindes
betrug 46,68 Tage (nach Abzug von 8 Kindern, die weniger als
14 Tage in der Waldschule waren). Unter den Kindern waren
vorwiegend Skrophulöse (leichteren Grades) und Unterernährte,
Schwächliche, Belastete vertreten, weiter Lungentuberkulöse, leich¬
tere Formen Herzkranke u. a. m.
Die Kinder wurden bei der Aufnahme ärztlich untersucht und
weiterhin ständig ärztlich überwacht. Die erzielten gesundheitlichen
Erfolge waren so erfreulich, dass es dringend wünschenswert erscheint,
die Einrichtung weiterhin einer möglichst grossen Zahl von Kindern
zugänglich zu machen.
Die Aufenthaltsdauer wurde teilweise nach dem Bedürfnis ge¬
regelt, in einer Reihe von Fällen erwies sich die Kurdauer von
etwa 2 Monaten als nicht genügend, es musste Verlängerung eintreten.
Leider waren durch die Kostenträger dem Aufenthalt in manchen
Fällen in unliebsamer Weise Grenzen gesetzt.
Während der Schulferien war eine ganze Reihe von Kindern
zu kürzerem Ferienaufenthalte aufgenommen.
Das Unterrichtssystem, 4X‘/s Stunde am Vormittag, hat sich
in gesundheitlicher Beziehung gut bewährt.
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Bericht über die 32. Versammlung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Bremen vom 11. bis 14. September.
Von
Dr. Pröbsting in Cöln.
Im vorigen Jahre tagte der Verein im änsserstcn Süden in
Augsburg, in diesem Jahre im höchsten Norden, in Bremen. Sa
soll der Verein das ganze deutsche Vaterland umfassen, überall
anregend, überall fördernd auf dem Gebiete der öffentlichen Gesund¬
heitspflege.
Zur Begrü8sung fand am Dienstag den 10. September eine
gesellige Vereinigung im Künstlerverein statt, am folgenden Tage
begannen ebendort die Verhandlungen. Nach Begrüssung der sehr
gut besuchten Versammlung — es waren über 400 Teilnehmer
erschienen — durch den Vorsitzenden, Oberbürgermeister Dr. Lentze
('Magdeburg), überbrachte der regierende Bürgermeister Bark hausen
die Grüsse der Stadt Bremen. Nachdem der Vorsitzende für die
herzlichen Begrüssungsworte gedankt hatte, wurde vom ständigen
Sekretär des Vereins, Dr. Pröbsting (Köln), der Jahresbericht er¬
stattet. Danach betrugen die Einnahmen im Jahre 1906 M. 12114.46,
die Ausgaben M. 8509.20, so dass am Schluss des Jahres ein Kassen-
bestand von M. 3605.20 verblieb. Der Verein zählte am Ende des
Jahres 1673 Mitglieder, im Laufe des Jahres sind 25 durch Tod
ausgeschieden. Das Andenken der Verstorbenen ehrte die Ver¬
sammlung durch Erheben von den Sitzen.
Zum ersten Thema der Tagesordnung: Die Verbreitungs¬
weise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre,
nahm Geh.-Med.-Rat Prof. Dr. Flügge (Breslau) das Wort.
Bis zum Jahre 1905 war die epidemische Genickstarre bei
uns in Deutschland ganz ausserordentlich selten, nur ganz vereinzelte
kleine Epidemien wurden gelegentlich beobachtet. Dann brach im
Jahre 1905 in Oberschlesien eine grosse Epidemie aus, die ausser-
Ordentlich viele Opfer forderte. Es erkrankten in diesem Jahre in
Preussen 3673 Personen, von denen 2044 starben. Im Regierungs-
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bezirk Oppeln erkrankten 3280, mit 1860 Todesfällen. In erster
Linie war hier der Industriebezirk befallen: 1953 Erkrankungen
und 1420 Todesfälle wurden beobachtet. Seit diesem Jahre ist die
Genickstarre nun ständig in Preussen vorhanden; ganz besonders
im Westen, im Ruhrkohlenrpvier, haben sich kleinere und grössere
Herde gebildet. In diesem Jahre werden im Regierungsbezirk Arns¬
berg etwa 20 Todesfälle auf 100 000 Einwohner zur Beobachtung
kommen. Die Genickstarre ist deshalb von so hoher Bedeutung,
weil etwa 60 °/ 0 der Erkrankten sterben und von den 40 °/ 0 Ge¬
nesenden noch zahlreiche schwere Schädigungen für ihr ganzes Leben
behalten.
Die Genickstarre wird zweifellos durch den Menigokokkus
cerebrospinalis hervorgerufen. Er findet sich in den Hirnhäuten
der Erkrankten, von wo er nicht nach aussen gelangen kann. Die
Erkrankung beginnt jedoch mit einer Entzündung der Rachenschleim¬
haut; hier siedeln sich die Kokken in grosser Zahl an. Sie ver¬
schwinden aber schon sehr bald, etwa am 5. Erkrankungstage.
Somit ist der Kranke selbst nicht gefährlich, wohl aber sind es
die anscheinend gesunden Personen aus der Umgebung des Kranken.
Die Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass etwa 4 / 5 von
diesen Kokken im Rachen haben, die gar keine oder nur ganz
leichte Beschwerden verursachen. Zur Erkrankung gehört aber
nicht nur das Vorhandensein der Kokken, sondern auch eine be¬
stimmte Disposition, die sich besonders bei Kindern findet, und zwar
bei solchen mit grossen Rachenmandeln. Diese Kokkenträger
kommen in erster Linie für die Verbreitung der Krankheit in Frage.
Sie haben zahlreiche Kokken auf der Racbenschleimhaut und beim
Sprechen, beim Räuspern usw. bringen sie diese Kokken nach aussen.
Solche Kokkenträger verschleppen auch die Krankheit von einem
Ort zum anderen. Es ist erwiesen, dass Einschleppungen in genick¬
starrfreie Orte durch anscheinend gesunde Personen, die aus Seuchen¬
orten kamen, erfolgten. Durch leblose Gegenstände sind solche
Einschleppungen bisher nicht sicher beobachtet worden. Auch Über¬
tragungen von Kranken auf Ärzte oder Pfleger oder andere Kranke,
kommen nie zur Beobachtung. Somit können wir für diese In¬
fektionskrankheit das übliche Schema nicht in Anwendung bringen.
Die Absperrung der Kranken ist fast ohne Bedeutung und bat in
Oberscblesien gar keinen Nutzen gebracht. Da die Kokken ausser¬
halb des menschlichen Körpers ausserordentlich rasch zugrunde
gehen, so ist auch die Desinfektion von ganz geringer Bedeutung.
Die Hauptaufgabe in der Bekämpfung dieser Krankheit ist, die
Kokkenträger zu ermitteln und unschädlich zu machen. Das ist
■aber deswegen nicht so leicht, als man mit einfacher Untersuchung
des Rachenschleims nicht auskoramt. Denn schon beim Transport
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von der Entnahmestelle zum bakteriologischen Institut gehen die
Kokken oft zugrunde. So muss man die Untersuchungen in den
Wohnungen der Kranken selbst vornehmen, und negative Unter¬
suchungsergebnisse sind noch kein sicherer Gegenbeweis.
Gurgeln, Inhalieren, Pinseln usw. ist anscheinend nur von sehr
geringem Nutzen gegen die Kokken. Es bleibt daher nur übrig,
durch Belehrung und Aufklärung die mutmasslichen Kokkenträger
im Verkehr mit anderen Menschen zur Vorsicht zu erziehen.
Kinder aus infizierten Häusern müssen für mehrere Wochen
vom Schulbesuch ferngehalten werden. Die Aussichten, durch
spezifische Sera vorwärts zu kommen, sind noch recht gering; doch
sind Ansätze auf diesem Wege vorhanden, die Erfolg versprechen.
In der anschliessenden Diskussion nahm zuerst Dr. Bruns,
Direktor des Instituts für Hygiene und Bakteriologie in Gelsen¬
kirchen, das Wort. Genickstarreerkrankungen sind in den beiden
letzten Jahren in denjenigen Kreisen, die zum eigentlichen Ruhr¬
kohlenbezirk gehören, in grosser Zahl vorgekommen. Die Erkran¬
kungen stiegen in den Monaten Januar, Februar und März an,
erreichten den höchsten Stand im April und Mai und fielen in den
folgenden Monaten langsam wieder ab. Für dieses Jahr sind die
Zahlen: Januar 49, Februar 99, März 148, April 278, Mai 327,
Juni 188, Juli 147, August 68 und September 46. Es liege die
Vermutung nahe, dass meteorologische Einflüsse, welche zu Er¬
kältungen, ganz besonders zu Rachenkatarrhen Veranlassung geben,
einen günstigen Boden für die Entstehung und Verbreitung der
Erkrankung bilden. An der Verbreitung der Epidemie hätten die
Kokkenträger die Hauptschuld. Die Untersuchungen bei den Familien¬
angehörigen erkrankter Personen ergaben unter 98 Familien 85 mal
ein positives Resultat. Beim Rückgang der Epidemie könne auch
ein Rückgang der Kokkenträger konstatiert werden. So fanden
sieb im Juni 37 °/ 0 , im Juli 27 °/ 0 und im August nur 8,5 °/ 0 positive
Untersuchungsresultate. Nicht allein unter den Familienangehörigen
und in der direkten Umgebung der Kranken fanden sich Kokken¬
träger, auch unter anderen Personen, z. B. Bergleuten, wurden in
Zeiten von Epidemien 14 °/ 0 Kokkenträger, in freien Zeiten 4 °/ 0
gefunden. Man könne 10—20 mal mehr Kokkenträger als Erkrankte
annehmen. Wenn auch der Kranke bei der Verbreitung der In¬
fektion nur eine untergeordnete Rolle spiele, so sei er doch mög¬
lichst zu isolieren, leider sei das gleiche Verfahren auf die zahl¬
reichen Kokkenträger nicht anwendbar. Vor allem sei Wert darauf
zu legen, recht viele bakteriologische Untersuchungsstationen zu
schaffen, um die Erkrankung möglichst frühzeitig zu erkennen.
Prof. Dr. Erismann (Zürich) führte aus, dass man sich bei
der ausserordentlichen Schwere der Erkrankung nicht vor Isolierung
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und Freiheitsbeschränkungen der Kokkenträger fürchten dürfe. Die
Schweiz gehe durchaus scharf in Seucbenfällen vor und isoliere
jeden irgendwie Verdächtigen. Freilich müsse man den Leuten
ihren Verlust an Arbeitsverdienst usw. erstatten, und das geschehe
auch in der Schweiz. Von Belehrung, von einem Merkblatt erwarte
er nur sehr wenig.
Dr. Czaplewski (Cöln) teilte mit, dass er in Cöln etwa
70 Fälle von Genickstarre beobachtet habe. Die Untersuchung auf
Kokken ergab nur etwa 30 positive Resultate. Als Färbung der
Kokken empfahl er konzentrierte Giemsalösung 15 Sekunden lang.
Für die Verbreitung der Krankheit kämen die Schulen ausserordent¬
lich in Betracht, anscheinend ganz gesunde Kinder ans der Um¬
gebung Kranker könnten die Krankheit weiterverbreiten.
Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Kirchner (Berlin) bemerkte,
dass durch die Presse eine gewisse Beunruhigung eingetreten sei.
Man mache der preussiscben Medizinalverwaltung den Verwurf, dass
sie in der Angelegenheit der Genickstarre ihre Pflicht nicht tue.
Aber die Ausführungen des Referenten hätten dargelegt, dass für
solche Vorwürfe kein Anlass vorhanden sei. Wenn der Staat ener¬
gisch Vorgehen solle, dann müsse er die erforderlichen gesetzlichen
Unterlagen haben, die aber noch völlig fehlten; denn das Seuchen¬
gesetz sei nach dieser Richtung hin leider unvollständig geblieben.
Eine Absonderung der Kokken träger, wie auch im rheinisch-west¬
fälischen Industriegebiete versucht worden sei, würde ganz un¬
durchführbar sein, da die Kosten viel zu hoch seien. Denn das
Gesetz schreibt vor, dass der entgangene Arbeitslohn ersetzt werden
müsse; das würde aber ganz unerschwingliche Ausgaben verursachen.
Ausserdem seien die Möglichkeiten einer anderweitigen Verbreitung
der Kokken doch noch so wenig erforscht, dass man die grössten
Bedenken haben müsse, derartigen Anregungen Folge zu geben.
Die Isolierung der Schulkinder sei wünschenswert und not¬
wendig. Daneben müsse eine durchgreifende Desinfektion statt-
finden; nicht aber die Schlussdesinfektion, sondern die dauernde,
fortlaufende Desinfektion sei wichtig. Wünschenswert und nötig
seien weitere eingehende Untersuchungen der Umgebung der Er¬
krankten, und es sei Absicht des Ministers, wo immer grössere
Krankheitsherde aufträten, bakteriologische Sachverständige zu ent¬
senden, um festzustellen, wie die Umgebung sich verhalte, wie die
Verbreitung vor sich gehe usw., um aus diesen Beobachtungen wirk¬
same Massnahmen treffen zu können. Das vom Referenten emp¬
fohlene Merkblatt sei gewiss von Nutzen und sehr zu empfehlen.
Weiter sei es nötig, dass die Kommunen und Kreise die Desinfektion
möglichst zahlreich und unentgeltlich vornehmen lassen; das sei
noch das beste Mittel gegen Verschleppungen von Krankheiten.
Gck igle
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Prof. Dr. Denecke (Hambarg) glanbt, dass man mit allen
Mitteln möglichst rasch und energisch gegen die Kokkenträger Vor¬
gehen müsse, aber nicht durch Internierung, denn das würde zur
ausgedehnten Flucht dieser Träger führen. Strenge Isolierung der
Kranken halte er für notwendig, dann aber auch ausgedehnte, ein¬
gehende Untersuchungen, um Klarheit in der Übertragnng der Kokken
von den Trägern auf die Gesunden zu erhalten. Bei der Aussichts¬
losigkeit ärztlicher Massnahmen gegen diese furchtbare Seuche
müssten wir uns auf Belehrung beschränken und in diesem Sinne
wäre ein Merkblatt sehr zu empfehlen.
Stabsarzt Dr. Kutscher (Berlin), vom Institut für Infektions¬
krankheiten teilte mit, dass die Kocken über drei Monate im Rachen
haften können, wahrscheinlich gebe es sogar chronische Träger und
vielleicht sind es ganz besonders die ausgeheilten Fälle von Genick¬
starre, welche Erkrankungen der Nasenhöhlen hinterlassen, die später
wieder für einen neuen Ausbruch der Epidemie verantwortlich ge¬
macht werden müssten.
Im Institut für Infektionskrankheiten wird ein bakterizides
Meningokokkenserum nach Vorschrift von Wassermann hergestellt,
das in Pulverform, mit Milchzucker vermischt, in den Nasenrachen¬
raum eingestäubt wird. Dasselbe ist ungefährlich und völlig reizlos.
Ausserdem stelle das Institut noch ein anderes Serum dar, dann
haben noch Merk in Darmstadt, ferner Kalle in Bern ein Serum
hergestellt. Das Institut gebe sein Serum gratis ab, und in Essen
habe man mit demselben sehr gute Erfahrungen gemacht, nur 12%
Todesfälle seien hier zur Beobachtung gekommen. Auch in grossen
Dosen seien Schäden nicht beobachtet worden. Die Kranken müssten
jedoch möglichst früh in Behandlung kommen, nach dem 5. Tage
seien die Aussichten auf Heilung schon sehr schlecht.
Stadtarzt Dr. Köttgen (Dortmund) hat in diesem Jahre
28 Fälle von Genickstarre beobachtet und 191 Personen von der
Umgebung geuau untersucht; nur 11, also 5,75%, zeigten einen
positiven Befund.
Marineoberstabsarzt Dr. Peerenboom (Wilhelmshaven) war
der Ansicht, dass die kranken, schwächlichen Kinder bei der Ver¬
breitung der Genickstarre in erster Linie in Betracht kämen. Er
schlug deshalb vor, bei drohender Epidemie diese disponierten
Kinder beizeiten zu entfernen und in Genesungs- und Ferienheime^
unterzubringen.
In seinem Schlusswort bemerkte der Referent, dass es nicht,
angängig sei, die Kokkenträger zu isolieren, wenigstens nicht bei
zahlreichen Erkrankungen, wie z. B. in Oberschlesien. Dort hätte
man bei 3000 Erkrankungen mehr wie 30000 Träger isolieren
müssen, was ja ganz unmöglich sei. Bei einzelnen Erkrankungen,
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 4
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bei fremden, wandernden Arbeitern seien ja solche strenge Mass-
regeln möglich, und es sei gewiss von Interesse, dass die freie
Schweiz Mittel und Wege zu solchen rigorosen Massnahmen gefunden
habe. Der preussische Landtag stehe demgegenüber auf dem Stand'
punkt, nicht allzuviel Freiheitsbeschränkungen, sondern lieber etwas
mehr Krankheiten. Die Serumbehandlung sei sicher sehr wichtig
und auch aussichtsvoll. Im übrigen erhoffe auch er von den weiteren
bakteriologischen Untersuchungen durchgreifende Massnahmen zur
Bekämpfung der Seuche.
Der Referent hatte folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Über die Verbreitungsweise der epidemischen Genickstarre
können wir teils aus den Eigenschaften und den Fundorten der
Meningokokken, teils aus epidemiologischen Beobachtungen
Aufklärung zu gewinnen suchen.
2. Die Untersuchungen über den Meningokokkus haben ergeben,
dass dieser ausserhalb des menschlichen Körpers rasch zu¬
grunde geht, auch auf Tiere nicht übertragbar ist. Seine Ver¬
breitung kann daher nur von Mensch zu Mensch im direkten
Verkehr erfolgen.
3. Das regelmässige Vorkommen des Meningokokkus in den
Meningen der Genickstarrekranken ist, da er von dort nicht
nach aussen gelangen kann, für die Verbreitung der Krankheit
ohne Bedeutung. Die einzige Ansiedelungsstätte, von der ans
die Erreger auf die Umgebung übergehen können, findet sieh
im oberen Teile des Rachens. Hier begegnet man aber der
stärksten Wucherung vor bzw. bei Ausbruch der Meningitis;
vom 5. Krankheitstage ab verschwinden die Kokken allmählich.
4. Reichliche Meningokokken lassen sich aber ausserdem nach-
weisen im Rachen zahlreicher Menschen aus der näheren Um¬
gebung des Kranken. Bei der Untersuchung von Familien¬
mitgliedern und von Soldaten des gleichen Mannschaftszimmers
sind bei etwa 70°/ 0 Meningokokken gefunden. Diese „Kokken¬
träger“ zeigen teils gar keine Krankheitserscheinungen, teils
leichte Pharyngitis. Die Kokken verbleiben im Mittel 3 Wochen
lang im Rachen der Befallenen.
5. Zu Zeiten und in Gegenden, wo Genickstarreerkrankungen
fehlten, wurden auch bei Massenuntersuchungen Meningokokken
. im Pharynx nicht gefunden.
6. Die Meningokokken scheinen sich von den Trägem zu anderen
Menschen nur durch frisches, feuchtes Rachensekret zu ver¬
breiten; entweder durch die beim Sprechen oder Husten ver¬
spritzten Sekrettröpfchen, oder durch gemeinsames Ess- und
Trinkgeschirr, Taschen- und Handtücher.
7. Da die Kokkenträger wohl 10- bis 20mal zahlreicher sind,
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öl
als die Genickstarrekranken; da die Träger mit zahlreichen
Menschen frei verkehren, während die Kranken nur mit wenigen
Erwachsenen in Verkehr bleiben und auch mit diesen unter
Vorsichtsmassregeln; da die Kokken bei den Trägern 3 Wochen
lang im Rachen haften, während sie beim Genickstarrekranken
früh verschwinden, so sind die Träger bei der Ausbreitung
der Meningokokken weitaus in erster Linie beteiligt. Durch
sie erfolgt vorzugsweise ebensowohl die Einschleppung der
Kokken an einen bis dahin verschonten Ort, wie auch die Ver¬
breitung innerhalb einer Ortschaft. Aus der grossen Zahl der
infizierten Träger erkranken stets nur wenige disponierte
Individuen, namentlich Kinder, unter den Erscheinungen der
Genickstarre.
8. Der geschilderte auffällige Befund, den somit die Untersuchung
über die Fundorte der Meningokokken ergeben hat, legt den
Wunsch nahe, womöglich auch auf anderem Wege, nämlich
mittelst epidemiologischer Beobachtung, über die Verbreitung
der Genickstarre Aufschluss zu bekommen.
9. Epidemiologisch ist ermittelt, dass Einschleppungen in bisher
genickstarrefreie Orte oft durch gesunde Personen erfolgt sind,
die ans Genickstarreorten kamen. Einschleppung durch leblose
Gegenstände ist nicht einwandfrei erwiesen.
10. Übertragungen von Genickstarrekranken aus auf Ärzte, auf
Pflegepersonal oder andere Kranke im gleichen Krankenhaus
sind so gut wie niemals beobachtet.
11. Selbst in stark bewohnten Häusern und in kinderreichen Fa¬
milien kommt fast stets nur eine Erkrankung vor. Die seltenen
gehäuften Fälle sind ungezwungen auf ausgebreitetere Disposition
zurückzuführen.
12. Bei Ketten von Erkrankungen ergeben sich sehr verschiedene
zeitliche Intervalle, kürzer oder erheblich länger als die Inku¬
bationszeit.
13. Auch die epidemiologischen Erfahrungen sprechen demnach in
der Tat dafür, dass der Kranke bei der Verbreitung der
Krankheit ganz in den Hintergrund tritt, während die gesunde
Umgebung des Kranken in viel grösserem Umfang die Erreger
ausstreut.
14. Bei der Bekämpfung der Genickstarre haben wir daher von
dem bei anderen übertragbaren Krankheiten gewohnten Schema
wenig zu erwarten. An einer Isolierung des Kranken in so
wenig rigoroser Weise, wie sie das Seuchengesetz vorsieht,
wird man allerdings festhalten, weil die Ausstreuung von Er¬
regern vom Kranken aus immerhin nicht unmöglich ist; die
Aufnahme in ein Krankenhaus wird nach wie vor zu empfehlen
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sein, schon weil sacbgemässe Pflege und Behandlung hei dieser
Krankheit meist nur im Krankenhause gewährt werden kann.
15. Eine Desinfektion nach Ablauf der Krankheit ist angesichts
der grossen Widerstandslosigkeit der Erreger von geringer
Bedeutung.
16. Hauptsächlich muss das Augenmerk auf die Kokkenträger ge¬
richtet werden. Diese stets durch bakteriologische Untersuchung
zu ermitteln, empfiehlt sich nicht, da die Kokken in dem ein¬
gesandten Material schon während des Transportes abzusterben
pflegen; man wird solche Untersuchungen auf besondere ge¬
eignete Fälle (Kasernen, Schulen etc.) beschränken müssen,
wo die Untersuchung unmittelbar an die Entnahme des Ma¬
terials angeschlosseu werden kann. Im übrigen ist es zweck¬
mässig, ohne weiteres anzunehmen, dass jeder, der mit dem
Kranken vor dessen Erkrankung oder mit anderen mutmass¬
lichen Kokkenträgern in nahem persönlichen Verkehr gestauden
hat, zu den Kokkenträgern gehört.
17. Bei der grossen Zahl der Kokkenträger sind Freiheits- und
Verkehrsbeschränkungen für dieselben undurchführbar. Eine
nützliche Wirkung von irgendwelchen Gurgelungeu, Pinselungen
etc. konnte bisher nicht festgestellt werden. Daher bleibt nichts
anderes übrig, als den mutmasslichen Kokkenträgern kurze
Merkblätter einzuhändigen, in den ihnen Vorsicht im Verkehr
mit anderen Menschen für die nächsten Wochen dringend
empfohlen wird. Weiterhin ist die übrige Bevölkerung auf die
Gefahr, die von jenen Trägern ausgeht, in geeigneter Weise
hinzuweisen.
18. Ganz besonders sind diese Vorsichtsmassregeln zu beachten
gegenüber den zur Erkrankung stark disponierten Kindern.
Schulkinder aus Häusern mit Genickstarre-Erkrankungen sind
möglichst für 3 Wochen vom Schulbesuch und vom Verkehr
mit andern Kindern fernzuhalten. Eine Verschärfung der Vor¬
sichtsmassregeln empfiehlt sich ferner beim Einbruch der Krank¬
heit in Industriebezirke mit dichtgedrängter Arbeiterbevölkerung.
Über das zweite Thema: Wie hat sich auf Grund der
neueren Forschungen die Praxis der Desinfektion ge¬
staltet? sprach sodann Prof. Dr. T jaden (Bremen).
Unsere Ansichten Uber die Verbreitung ansteckender Krank¬
heiten, so führt der Redner aus, haben sich in den letzten 30 Jahren
von Grund auf geändert. Während man früher von einem genius
epidemicus sprach und in der Luft das allmächtige Verbreitungs¬
mittel von Krankheiten erblickte, sind wir heute zu der Überzeugung
gekommen, dass es der kranke Mensch ist, welcher als Verbreiter
Gck igle
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UNIVERSITÄT OF IOWA
von ansteckenden Krankheiten nnd von Epidemien in allererster
Linie in Betracht kommt; tote Gegenstände sind nicht oder nur in
sehr beschränktem Masse an der Entstehung und Verbreitung von
Seuchen schuld. Und von dieser Erkenntnis ausgehend, bat sich
unsere Wertschätzung und unsere Anwendung der Desinfektion und
der Desinfektionsmittel sehr geändert. So ist jetzt der grösste
Wert dem Kranken und den kranken Ausscheidungen für die Des¬
infektion beizulegen. Dadurch ist die Desinfektion einheitlicher
geworden, dadurch kann sie den besonderen Verhältnissen besser
angepasst werden, und wenn sie auch nicht mehr in dem Masse
geschätzt und überschätzt wird, wie es früher geschah, so ist sie
doch auch heute noch ein wertvolles Mittel in der Bekämpfung
der ansteckenden Krankheiten, das eingehendster Beachtung, gründ¬
lichstem Studium und Ausbildung wert erscheint.
In der anschliessenden Debatte berichtet zunächst Geh. Rat
Dr. Pütter, Direktor der Berliner Charite, über das dortige Des¬
infektionsverfahren und über die Desinfektion der Wohnungen von
Lungenkranken, wie sie von der Fürsorgestelle für Tuberkulöse in
Berlin ausgeübt wird. Die Zimmer der Kranken werden zunächst
abgesaugt, die Wände und Fussböden soweit wie möglich abgeseift
und dann durch Formalindämpfe alles gründlich desinfiziert. Das
ist jedoch nicht die Hauptsache; weit wichtiger ist es, die Haus¬
frauen zu Reinlichkeit zu erziehen; das ist die wichtigste Aufgabe
der Fürsorgeschwestern, den Sinn für Reinlichkeit zu wecken, die
Hausfrau anzuhalten, die Zimmer täglich nass aufzuwischen und
Trink- und Essgeschirr der Kranken peinlichst zu säubern.
Dr. C’zaplewski (Cöln) betonte, dass auch nach seinem
Dafürhalten die laufende Desinfektion die wichtigste sei, dass aber
auch die Schlussdesinfektion nicht unterschätzt werden dürfe. In
Cöln seien im Jahre 1892 im ganzen 266 Dampfdesinfektionen
und 22 Wohnungsdesinfektionen ausgeführt worden, 1906 jedoch
784 Dampfdesinfektionen und 3025 Wohnungsdesinfektioneu. Die
neuerdings so lebhaft empfohlene Autandesinfektion sei noch nicht
genügend erprobt, sicher aber viel teurer wie die anderen Verfahren.
Das Verfahren von Dörr, Formalin mit Kal. hypermangan zu
mischen, bewirke stürmische Formalindämpfecntwickelung, aber es
blieben grosse Mauganriickstände, die kaum zu verwerten seien.
Geh. Med.-Rat Dr. Rusak (Cöln) machte auf die vorzügliche
Erfahrung aufmerksam, die mit dem Desinfektionsunterricht bei
katholischen Krankenschwestern erzielt sei. Die Schwestern gingen
mit grosser Bereitwilligkeit und regstem Eifer an die Sache heran:
sie wurden 3—4 Tage in Cöln auf Kosten des Ordens in der
Desinfektion unterrichtet und dann in Gegenden, wo Epidemien
herrschen, verschickt. So sei es nur auf diesem Wege möglich
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gewesen, bei einer schweren Typhusepidemie im Siegkreise dieser
Epidemie Herr zu werden.
Der Referent hatte seine Ausführungen in folgende Leitsätze
zusammengefasst:
1. Die neueren Forschungen über die Verbreitungsweise der an¬
steckenden Krankheiten und über die biologischen Eigen¬
schaften der Krankheitserreger haben dargetan, dass in höherem
Masse, als früher angenommen wurde, lebende Wesen für die
Verbreitung in Frage kommen und dass diesem Verbreitungs¬
modus gegenüber die Übertragung durch tote Gegenstände
wesentlich seltener ist.
2. Aus dieser Erkenntnis heraus ist in neuerer Zeit der fortlaufenden
Desinfektion der Ausscheidungen und der Absonderungen un¬
mittelbar am Krankenbette ein grösserer Wert beigelegt worden.
3. Die sogenannte Schlussdesinfektion ist in ihrer Bedeutung
zurückgetreten.
4. Die Desinfektion hat in ihren Grundzügen an Einheitlichkeit
gewonnen, trotzdem sie in Einzelheiten den besonderen, für die
Übertragung in Betracht kommenden Möglichkeiten besser an¬
gepasst ist.
5. Die Desinfektion bildet für die Praxis der Seuchenbekämpfung
auch zurzeit noch ein wertvolles Hilfsmittel, wenngleich ihr
eine so ausschlaggebende Bedeutung nicht mehr zugemessen
werden kann, wie es früher geschehen ist.
Das erste Thema des zweiten Tages lautet: Die Mitwir¬
kung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der
öffentlichen Gesundheitspflege. Berichterstatter war San.-
Rat Dr. Mugdan (Berlin).
Es dürfte wohl zweifellos sein, dass wir vor einer Reform
der Krankenversicherung stehen, und wenn wir zurzeit auch nicht
wissen, wie weitgehend diese Reform sein wird, so möchte es doch
angebracht sein, die Frage zu stellen: Was hat die Krankenver¬
sicherung bisher auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege geleistet, und welche Aufgaben müssen ihr weiter nach
dieser Richtung hin gestellt werden?
Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass die Hauptforderung der
modernen Gesundheitspflege die sein muss, die Krankheitsfälle
möglichst frühzeitig zu erkennen und in geeigneter Weise zu be¬
handeln. Die freie ärztliche Behandlung und die Gewährung freier
Arznei, wie sie den Versicherten vom ersten Tage der Erkrankung
ab durch das Gesetz gewährt wird, ist nach dieser Richtung bin
von der allergrössten Bedeutung. Die Unterbringung eines er¬
krankten Versicherten auf Kosten der Krankenkassen in ein Kranken-
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oo
haus verhütet die Ansteckung der Umgebung des Kranken uud
sichert diesem die beste Pflege und Behandlung. Für Rekonvales¬
zenten, für Nervenkranke und für Tuberkulöse ist die Errichtung
von Genesungshäusern und von Erholungsstätten ausserordentlich
segensreich geworden. Das Krankengeld, welches dem erwerbs¬
unfähigen Kranken vom dritten Tage der Erkrankung gewährt
werden muss, hält von ihm und seiuer Familie Not und Entbehrung
ab, die sonst seine Körperkräfte noch weiter reduzieren würden.
Für die Reform der Krankenversicherung muss in erster Linie eine
Ausdehnung der Krankenversicherungspflicht auf alle diejenigen,
die der Invalidenversicherungspflicht unterliegen, gefordert werden.
Eis sind also vor allem die landwirtschaftlichen Arbeiter und das
Gesinde in die Krankenversieherungspflicht aufzunehmen. Weiter¬
hin ist statt der statutarisch möglichen Gewährung freier ärztlicher
Behandlung und aller übrigen Leistungen an die Familienangehörigen
der Versicherten die obligatorische Gewährung dieser Leistungen
zu fordern. Die beste Versorgung der Versicherten mit ärztlicher
Hilfe besteht in der gesetzlichen Einführung der freien Arztwahl.
Auszumerzen ist die Bestimmung, solchen Kassenmitgliedern, welche
doppelt versichert sind, das Krankengeld soweit zu kürzen, dass es
mit dem anderweitig bezogenen Krankengeld die Höbe des durch¬
schnittlichen Tagelohns erreicht.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist es, durch Schwanger-
sehaftsunterstützung einen Mutterschutz, der ja heute schon in seinen
Grnndzügen im Gesetze enthalten ist, weiter auszubilden. Höchst
wünschenswert ist die Erlangung einer wissenschaftlich zuverlässigen
Krankbeitsstatistik bei den Versicherten, um so endlich eine sichere
Grundlage für die Statistik der Gewerbekrank beiten zu erlangen.
Die deutsche Krankenversicherung ist, so schloss Redner, in
Verbindung mit den beiden Schwestern, der Unfall- und der Invalidi¬
tätsversicherung, der beste Förderer der öffentlichen und privaten
Gesundheitspflege.
ln der Besprechung wünschte zunächst Reg.-Rat Düttmann
(Oldenburg) die Verbreitung hygienischer Kenntnisse durch Ärzte
und Krankenkassen, damit der Arzt möglichst früh an das Kranken¬
lager herantreten könne; ohne die Versicherung wäre z. B. die Heil¬
stättenbewegung gar uicht möglich gewesen, denn nur hierdurch
sei die Frühdiagnose der Tuberkulose ermöglicht worden. Die
hygienische Belehrung und Anregung, wonach heute in den Arbeiter¬
klassen ein wahrer Hunger herrsche, könnte viel intensiver sein,
wenn die Ärzte mehr mitarbeiten wollten; leider sei bei diesen eine
gewisse Zurückhaltung in dieser Beziehung zu beobachten. Er sei
mit dem Referenten durchaus einig, dass die Forderung nach freier
Arztwahl berechtigt sei, wenn vielleicht auch die richtige Formel
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noch gefunden werden müsse. Das Zusammenlegen der verschiedenen
Versicherungszweige würde die Verwaltung nicht wesentlich ver¬
billigen. Auch er sei der Ansicht, dass die Krankenhausbehandlung
wesentlich erweitert werden müsse.
Dr. Wagner (Hanau) war der Ansicht, dass die Versicherung
über einen Zeitraum von 26 Wochen verlängert werden müsse.
Die freie Arztwahl sei wohl ein ideales System, aber nach seiner
Ansicht zu teuer und daher nicht überall anwendbar.
Geh. Ober-Finanzrat Dr. Fuchs (Darmstadt) schloss sich dem
Referenten in dem Wunsche nach erweiterter Familienversicherung
an, doch müsse man in dieser Hinsicht differenzieren. Man dürfe
nicht für alle Teile Deutschlands diese Art der Versicherung gleicli-
mässig verlangen, man müsse allmählich schrittweise Vorgehen, wie
das z. B. in Hessen bei den Eisenbahnangestellteu geschehen sei.
San.-Rat Dr. Sonnenkalb (Leipzig) betonte, dass die Doppel¬
versicherung doch gefährlich sei. Er müsse bezweifeln, dass ein
grosser Hunger nach hygienischer Belehrung bei den Arbeitern be¬
stehe; nach den Erfahrungen in Leipzig wäre dies durchaus nicht
der Fall.
Dr. Len hoff (Berlin) teilte mit, dass die hygienischen Vor¬
träge in Berlin sehr gut besucht würden; es sei ein Verdienst der
freien Arztwahl, diese Angelegenheit in Fluss gebracht zu haben.
Um die bedauerlichen Streitigkeiten zwischen Kassen und Ärzten
unmöglich zu machen, schlug er Tarifverträge und Schiedsgerichte
vor. Die freie Arztwahl steigere die Kosten nicht, wenn Kontroll-
massregeln getroffen würden.
Direktor Dr. Delbrück (Elle bei Bremen) forderte die Kanken-
kassen auf, in dem Kampfe gegen den Alkoholismus mitzuwirken.
Dieser Kampf müsse im Gesetz berücksichtigt werden. Die Kassen
müssten Mittel bereitstellen zur Behandlung der Alkoholkranken,
das sei ebenso wichtig, wie die Bekämpfung der Tuberkulose.
Dr. Fürst (Hamburg) bemerkte, dass man im Volksheim zu
Hamburg mit Vorträgen über Fragen der öffentlichen Gesundheits¬
pflege ausserordentlich gute Erfahrungen gemacht habe.
San.-Rat Dr. Liebeschütz (Dessau) wies darauf hin, dass
der genauen Statistik der bekanute § 300 des St.-G.-B., wonach der
Arzt zur Geheimhaltung seiner Diagnose verpflichtet sei, entgegenstehe.
San.-Rat Dr. Aeckersberg (Berg.-Gladbach) war der Meinung,
dass die Säuglingssterblichkeit durch die Kassen nicht bekämpft
werden könne und dass die Einführung der freien Arztwahl in
dieser Hinsicht ohne Bedeutung sei. Diese wichtige Frage könne
nur durch eine eingehende und ausgedehnte Verbesserung der
Wohnungen gelöst werden.
Dr. RaImow (Schönebergt verlangte auch eine möglichst
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genaue Statistik der Krankheiten bei den Versicherten, war jedoch
der Meinung, dass die Kassen hier zu energischer Mitarbeit heran¬
zuziehen seien, sonst könnte diese ausserordentlich wichtige Aufgabe
nicht gelöst werden. Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
wäre eine ausserordentlich wichtige Aufgabe des Gesetzes.
Den Ausführungen des Referenten lagen folgende Leitsätze
zugrunde:
1. Die Gewährung freier ärztlicher Behandlung, freier Arznei,
sowie Brillen, Bruchbänder und ähnlicher Heilmittel für den
Versicherten, vom ersten Tage der Erkrankung ab, verhindert,
dass die hier in Betracht kommenden unbemittelten oder wenig
bemittelten Personen infolge ihrer Mittellosigkeit oder Un¬
vermögens ihrer Umgebung ärztliche Hilfe und Heilungsmittel
zu spät oder nur im Falle äusscrster Kot erhalten.
2. Die auf Kosten der Krankenversicherungsträger stattöndende
Unterbringung eines erkrankten Versicherten, dessen Krankheit
eine ansteckende ist oder besondere Anforderungen an die
Behandlung oder Verpflegung stellt, in einem Krankenhause
verhindert die Ansteckung der Umgebung des Erkrankten,
sichert dem letzteren fortgesetzte Beobachtung, Wache und
Pflege, stellt ihm alle in dem modernen Krankenhause befind¬
lichen Hilfsmittel der Wissenschaft und Technik zur Verfügung
und beschleunigt dadurch den Heilungsprozess. Die Unter¬
bringung in einem Genesungshause oder in einer Erholungsstätte
hat ausgezeichnete Erfolge bei Rekonvaleszenten, Nervenkranken,
Bleicbsüchtigen und Tuberkulösen leichterer Art gezeitigt.
8. Das im Falle einer mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krank¬
heit vom dritten Tage der Erkrankung ab dem Versicherten
zu gewährende Krankengeld gleicht einigermassen den für den
Kranken und seine Familie aus dem Verlust seiner Arbeits¬
fähigkeit sich ergebenden wirtschaftlichen Nachteil aus und
sichert selbst dem Ärmsten während der Krankheit die Be¬
friedigung der notwendigsten Bedürfnisse, ohne die seine durch
die Krankheit beeinträchtigten Körperkräfte noch mehr dahin¬
schwänden.
4. Die an die Angehörigen des in einem Krankenhause unter¬
gebrachten erkrankten Versicherten während der Zeit seines
Verweilens im Kraukenhause zu zahlende Angehörigenunter-
stützung hält die äusserste Not und Entbehrung, die so häufig
eine Krankheit verursacht, von der Familie ab und erleichtert
es dem Kranken, bis zu seiner vollständigen Wiederherstellung
im Krankenhause zu bleiben.
5. Die den versicherten Wöchnerinnen für die Dauer von sechs
Wochen zu zahlende Wöchnerinnenunterstützung erlaubt der
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jungen Mutter die notwendige Erholung ihres durch die Geburt
geschwächten Körpers und die Erfüllung ihrer mütterlichen
Pflichten gegen das neugeborene Kind. Die Krankenkassen
können ausserdem dadurch, dass sie statutarisch eine Schwangeren¬
unterstützung, die freie Gewährung der erforderlichen Hebammen¬
dienste und die freie Behandlung der Schwangerschaftsbe¬
schwerden heschliessen, die Grundlage eines ausgedehnten
Mutterschutzes bilden.
li. Die statutarisch mögliche Gewährung freier ärztlicher Behand¬
lung, freier Arznei und sonstiger Heilmittel für nichtversicherungs¬
pflichtige Familienangehörige der Versicherten ist geeignet, die
hohe Kindersterblichkeit zu vermindern und Verschleppung der
Heilung einer Krankheit der für den Arbeiterhaushalt unent¬
behrlichen Hausfrau zu verhindern.
7. Um allen Personen, die der Fürsorge im Krankheitsfalle be¬
dürftig sind, die Wohltaten der Krankenversicherung reichs¬
gesetzlich sicherzustellen, ist eine Ausdehnung der Kranken-
versichcrungspflicht auf alle diejenigen, die der Invalidenver¬
sicherungspflichtunterliegen, vor allem auf die landwirtschaftlichen
Arbeiter und das Gesinde, dringend zu wünschen, und ebenso
eine Übereinstimmung der Invalidenversicherungsberechtigung
mit der Krankenversicherungsberechtigung. Auch ist anstatt
der statutarisch möglichen die obligatorische Gewährung freier
ärztlicher Behandlung nebst aller in Ziffer 5 erwähnten
Leistungen an die Familienangehörigen der Versicherten zu
fordern.
Die dreitägige Karenzzeit (vergl. Ziffer 3) für den Anspruch
auf Krankengeld ist vom hygienischen Standpunkte zu ver¬
werfen; schon von dem gesunden Arbeiter ist ein dreitägiger
Wegfall des Arbeitsverdienstes sehr schwer zu tragen, vielmehr
noch von einem Kranken, der durch seine Krankheit oft für
seine Person grössere Ausgaben zu machen hat.
Die Bestimmung des Krankenversicherungsgesetzes (§ 26 a Abs. 1),
dass Kassenmitgliedern, welche doppelt versichert sind, das
Krankengeld soweit gekürzt werden kann, als dasselbe zu¬
sammen mit dem aus anderweiter Versicherung bezogenen
Krankengelde den vollen Betrag ihres durchschnittlichen Tage¬
lohnes übersteigen würde, ist zu verwerfen, da der Kranke
mehr Bedürfnisse hat als der Gesunde, und eine Simulation
von Arbeitern, die durch mehrfache Versicherungen in gesunden
Tagen Opfer bringen, am wenigsten zu fürchten ist.
10. Es i st wünschenswert, dass es nicht, wie jetzt, allein in das
Belieben des Kassenvorstandes gestellt ist, zu entscheiden, ob
Kur und Verpflegung in einem Krankenhause gewährt werden
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soll. Der § 7 des Krankenversicherungsgesetzes sollte etwa irr
der Weise geändert werden, dass Kur und Verpflegung im
Krankenhause auf Antrag des Arztes gewährt werden muss,
wenn die Krankheit des Versicherten seiner Umgehung Ge¬
fahren bringt.
11. Zur Herabsetzung der Verwaltungsausgaben und um das
Krankengeld allgemein erhöhen zu können, was höchst wün¬
schenswert ist, ist die Zusammenlegung aller in einem Stadt¬
kreise oder Landkreise befindlichen Versichernngsträger zu einer
einzigen Krankenkasse zu fordern.
12. Die in den letzten Jahren zwischen Kassenärzten und Kranken¬
kassen an vielen Orten entstandenen Streitigkeiten sind vom
hygienischen Standpunkte aus aufs tiefste zu beklagen, da hier
der Sieg der Ärzte oder der Krankenkassen nur davon abhängt,
wie lange die hilfsbedürftigen Kranken eine geordnete ärztliche
Behandlung entbehren können. Es ist deshalb Aufgabe der
Gesetzgebung, die Wiederholung solcher Vorkommnisse unmög¬
lich zu machen; dies kann nur durch eine gesetzliche Ordnung
der kassenärztlicben Verhältnisse im Sinne der freien Ärzte¬
wahl geschehen.
13. Für einen Erfolg in der Gewerbebygiene ist ein geregeltes
Zusammenwirken der Kassenärzte wie der besonderen Fabrik¬
ärzte mit den Fabrikleitungen einerseits und den Krankenkassen
andererseits erste Voraussetzung; die Ärzte nud besonders die
nach Massgabe der Bestimmungen des Bundesrates von den
Fabrikleitern für eine Reihe von Betrieben vorgesehenen Fabrik¬
ärzte müssen von der Kassenverwaltung und der Fabrikleitung
völlig unabhängig sein uud jederzeit das Recht haben, die in
gesundheitsschädlichen Betrieben beschäftigten Arbeiter auf
ihren Gesundheitszustand zu untersuchen und die von ihnen
festgestellten Gewerbekrankheiten oder als solche verdächtige
Erkrankungen zur Kenntnis des Gewerbeaufsichts- und Medizinal¬
beamten zu bringen.
14. Wünschenswert ist die Erlangung einer zuverlässigen Krank¬
heits-Statistik Uber die bei Kassenmitgliedern vorgekommenen
Erkrankungen. Zu diesem Zwecke ist die Einführung einer
ärztlichen Meldekarte zu fordern, auf der von dem Kassenarzte
wöchentlich die Diagnose der von ihm behandelten Krankheiten,
sowie ihre Dauer und ihr Ausgang zu vermerken ist, nachdem
von der Kassenverwaltung Namen, Beruf (auch frühere Berufe)
und Alter, sowie die Nummer des Krankenscheines vorgetragen
ist, und die, um den Arzt durch Rücksichtnahme auf den
Patienten in der genauen Eintragung der Diagnose nicht zu
behindern, an das nächste statistische Bureau gesandt wird.
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Als zweites Thema wurde behandelt: Die Gartenstadt.
Hierüber sprach Prof. Dr. Fuchs (Freiburg).
Der Redner konstatierte zunächst, dass die Idee der Garten¬
stadt ein altes deutsches Problem sei, das erst wieder auf dem
Umwege über England zu uns kommen musste, um bei uns populär
zu werden. Er schilderte dann die Gartenstadtbewegung in England,
wo er ganz besonders auf die erste Gartenstadt Letchworth hinwies.
Für uns in Deutschland, mit unsern ganz abweichenden Ansiedelungs¬
bedingungen und Agrarverfassung ist die Gartenstadt nach eng¬
lischem Muster nicht das erstrebenswerte. Wir lieben eine mög¬
lichst nahe Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte, während
in England diese Verbindung zumeist eine viel lockere und weit¬
läufigere ist. So kann es sich denn auch bei uns nicht so sehr um
eigentliche Gartenstädte, als vielmehr um Gartenvorstädte handeln.
Um eine solche handelt cs sich auch bei der ersten im Entstehen
begriffenen Gründung in Rüppur bei Karlsruhe.
Es darf wohl nicht bezweifelt werden, dass die Gründung
solcher Gartenvorstädte von ganz ausserordentlicher Wichtigkeit ist
für ein gesundes Wohnen, für die fortschreitende Entwicklung des
Einfamilienhauses und für die immer grössere Zurückdrängung der
gesundheitlich so bedenklichen Mietskasernen. Auch der Schönheits¬
sinn würde zweifellos durch solche Gartenvorstädte ganz erheblich
gefördert, die Bewohner werden zu gesunder Arbeit herangebildet
•und von mancherlei gesundheitsschädlichen Gewohnheiten abgehalten.
Bei uns in Deutschland ist die ganze unbebaute Stadtumgebung mit
einem einheitlichen amtlichen Bebauungsplan zu überziehen und die
verschiedenen Bebauungsarten von vorneberein festzusetzen. So
können die deutschen Bebauungspläne und Bauordnungen als eine
öffentliche Wohnungsfürsorge grössten Stils aufgefasst werden. Der
Referent empfahl ausgedehnte Anwendung des Erbbaurechts durch
Staat und Städte. Er forderte weitgehendste Entwicklung und Er¬
leichterung der Verkehrsmittel, weil nur dadurch der gesundheitliche
Zweck: Entlastung der Grossstadt und Besiedelung des platten
Landes, erreicht werden könne.
Die anschliessende Besprechung w T ar eine ausserordentlich
lebhafte. Geh.Baurat Prof. Dr. Baumeister (Karlsruhe) entwickelte
zunächst seine Ansichten über das Wesen und die Bedeutung der
Gartenstadt. Sie soll nicht etwas Besonderes sein, sie solle nur
eine Stufe in dem allgemeinen Bausystem darstellen. Zunächst
müsse der Wohnbezirk ein guter sein; Fabriken, unangenehme Be¬
triebe seien auszuschliessen; es seien Bestimmungen zu treffen, wie¬
viel Familien in einem Hause wohnen, wieviel Geschosse das Haus
enthalten dürfe. Ob offene oder geschlossene Bebauung zuzulassen
sei, könne nicht allgemein bestimmt werden; zahlreiche Zwischen-
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stufen seien möglich. Vorgärten seien überall nötig. Was die Grösse
der einzelnen Grundstücke angehe, so halte er 1250 qm für ein
gutes Mittelmass. In Bielefeld sei jedes Grundstück 1700 qm, in
Letchworth nur 500 qm gross.
Geh. Oberbaurat Dr. Stübben (Grunewald, Berlin) betonte
zunächst, dass die deutsche Gartenstadtbewegung von der englischen
ausgegangen sei, doch würden wir uns auf Gartenvorstädte be¬
schränken müssen. Wir könnten nicht ganz neue Städte gründen
wie Letchworth, das 60 km von London gelegen sei. Weiterhin
dürfte man bei uns nicht gemeinsames Eigentum und Bauen im
Erbbaurecht unbedingt und ausschliesslich fordern, das entspräche
nicht den deutschen Ansichten über Besitz, und endlich sei der
absolut gartenmässige Bau, d. h. der ausschliessliche Bau von Ein¬
familienhäusern, nicht gerechtfertigt. Auch der Gruppenbau und
der Reihenbau seien zuzulassen, wie das ja auch in den englischen
Gartenstädten Sunlight und Bournville geschehen sei. Selbst der
soviel verschriene Fiskus lasse sich die Idee der Gartenvorstädte
sehr am Herzen liegen. Er beabsichtige, solche in Posen und Thorn
zu gründen.
Gemeindebaurat Blunek (Steglitz) forderte, dass in der Bau¬
ordnung dafür Sorge getragen werde, dass der freie Boden auch
wirklich als Garten Verwendung finde.
Baurat Prof. Genzmer (Danzig) wies auf die grosse Wichtig¬
keit der Bauordnungen für die hygienische Bauweise hin. Er ver¬
langte abgestufte Bauordnung, damit in den Aussenorten der Grund
und Boden nicht so scharf ausgenutzt werde, wie im Innern der
Stadt. Landbauordnungen müssten erlassen werden; doch dürften
diese nicht vom Maximum des Zulässigen ausgehen, sie müssten
vielmehr vom Maxiraum der Beschränkung ausgehen. Dann wäre
es nicht möglich, dass z. B. in der Landbauordnung von Arnsberg
4 Geschosse mit s / 4 Ausnntzbarkeit des Bodens gestattet sei.
Geh. Ober-Finanzrat Dr. Fuchs (Darmstadt) berichtete über
die Villenkolonie Buchschlag hei Frankfurt. Die Gründung gehe
von einer gemeinnützigen Gesellschaft in Frankfurt aus, doch ver¬
mittele diese nur die Kaufabschlüsse, die Verkäufe selbst geschehen
direkt vom Fiskus. Das Quadratmeter würde mit 1 Mark verkauft,
doch könne der einzelne nur 1000 qm erwerben. Nur offene Be¬
bauung sei zulässig; durch dingliche Belastung, die im Grundbuch
eingetragen würde, sei die Mietskaserne dauernd ausgeschlossen.
Die Häuser würden einer bauästhetischen Prüfung unterzogen.
Das Erbbaurecht sei nach seiner Meinung in Deutschland nicht
möglich.
Hauptmann a. D. von Kalkstein (Bremen) stellte fest, dass
die Erfüllung der Wünsche des Referenten erst in etwa 50 Jahren
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die Wobnungszustäude wesentlich verbessern würde; es sei aber
dringend erforderlich, sehon jetzt durch Erlass von Wohnungsord¬
nungen, Einführungen von Wohnungsinspektionen usw. für bessere
Wohnungsverhältnisse zu sorgen. Der preussische Wohnungsgesetz¬
entwurf enthalte alle diese Forderungen, und so werfe er denn hier
öffentlich die Frage auf: Warum bleibt das preussische Wohnungs¬
gesetz nur Entwurf?
Der Referent hatte in folgenden Thesen seine Ausführungen
zu sam mengefasst:
1. Die Gartenstadtbewegung ist als praktisch erfolgreiche Be¬
wegung zuerst in England entstanden. Sie wurzelt hier in
den ganzen eigenartigen Verhältnissen der Besiedelung und
Agrarverfassung, der Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und
Land und der Entvölkerung des platten Landes. Neben dieser
Agrar- und Besiedelungsfrage hat sie ihre Wurzel in der „City¬
bildung“ und der damit zusammenhängenden charakteristischen
englischen Wohnweise, der Trennung des Wohnorts von der
Arbeitsstätte. Diese hat namentlich für die gelernten Arbeiter,
bis auf welche sie sich erstreckt, bereits vielfach ein zu grosses
Mass angenommen.
2. Die Gartenstadtbewegung erstrebt demgegenüber in England
die Beseitigung der Übervölkerung der Städte einerseits und
der Entvölkerung des platten Landes andererseits durch Dezen¬
tralisation der städtischen Bevölkerung und ihrer Arbeits¬
gelegenheiten, also insbesondere der Industrie. Sie bezweckt
also die Schaffung neuer kleiner Industrie- und Wohnorte
von 30000 Einwohnern, welche einen eigentlichen Stadtkern
mit Handel und Gewerbe haben sollen, um den sich garten-
mässig angelegte Wohnviertel und dann auf dem grössten Teil
des Geländes kleine landwirtschaftliche Betriebe berumlegen
sollen. Es sollen also dadurch zur Deckuug des Bedarfs dieser
neuen Städte an landwirtschaftlichen Produkten gleichzeitig
landwirtschaftliche Kleinbetriebe geschaffen werden, und so
eine engere Verbindung von Landwirtschaft und Industrie, von
Stadt und Land hergestollt werden. Als notwendig für die
Sicherung dieses Zweckes wird dabei Gemeineigentum der
Stadt an ihrem ganzen Gelände erachtet. Der erste in Ver¬
wirklichung begriffene Versuch einer solchen Gründung ist die
Gartenstadt Letchworth nördlich von London.
3. Von diesen „Gartenstädten“ im eigentlichen Sinn ist die garten-
mässige Anlage von Vororten, d. h. reinen Wohnorten, ins¬
besondere für Arbeiter, in der Nähe der Gressstädte zu unter¬
scheiden, also die wirtschaftliche und namentlich ästhetische
Reformierung der suburbs, in denen in England schon jetzt
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die Mehrzahl der städtischen Bevölkerung wohnt. Hier handelt
es sich also nm „Gartenvorstädte“, nicht um Gartenstädte im
engeren Sinn. Musterbeispiele dafür sind in England Port
Sunlight bei Liverpool und Bournville.
4. In Deutschland besteht bei seinen gänzlich abweichenden
Agrar- und Besiedlungsverbältnissen weder das gleiche Bedürfnis,
noch die gleiche Möglichkeit für Gartenstädte im engeren Sinn.
Hier kann es sich daher bei der Gartenstadtbewegung vor¬
wiegend nur um Gartenvorstädte handeln. Dies gilt auch
von der ersten im Entstehen begriffenen Gründung der Deutschen
Gartenstadtgesellschaft in Rüppur bei Karlsruhe. Die aus¬
gedehnte Gründung von solchen Gartenvorstädten ist aber von
grösster Bedeutung für die Emanzipation von der Mietskaserne
in den Aussenbezirken unserer Städte und damit für die Schaf¬
fung gesünderer und kulturell höherstehender Wohnungsverhält¬
nisse für unsere Mittel- und Arbeiterklassen.
5. Zu ihrer Einbürgerung sind neben entsprechender Gestaltung
der Bebauungspläne und Bauordnungen (vor allem Unter¬
scheidung von Wohn- und Verkehrsstrassen und Herabsetzung
der Anforderungen für Kleinhäuser) ausgedehnte Anwendung
des Erbbaurechts durch Staat und Städte, sowie entsprechende
Entwicklung der Verkehrsmittel notwendig.
Für den dritten Tag stand nur ein Thema zur Beratung:
Der moderne Krankenhausban vom hygienischen und
wirtschaftlichen Standpunkte. Zwei Referenten waren hier¬
für bestellt: Prof. Dr. Lenhartz und Baurat Ruppel, beide aus
Hamburg.
Der erste Referent führte zunächst aus, dass vom Jahre 1877
bis 1904 die Zahl der allgemeinen Krankenhäuser im Deutschen
Reich von 1822 auf 3603 und die Zahl der Krankenbetten von
72 219 auf 205117 gewachsen sei.
Seit dieser Zeit ist auch im Krankenhausbau ein ganz wesent¬
licher Umschwung eingetreten. Nach dem nordamerikanischen Be¬
freiungskriege und dem Kriege von 1870/71 war man zu der Er¬
kenntnis gekommen, dass der bis dahin übliche Korridorbau zahl¬
reiche Missstände und Gefahren in sich schliesse. So schuf dann
Berlin im Jahre 1872 in Moabit den Barackenlazarettypus, in dem
die einzelnen Krankensäle in Pavillons über eine grosse Fläche
zerstreut sind. Dieser Typus wurde in der Folge für die meisten
neuen Krankenhausanlagen grossen Stils vorbildlich, so in Berlin
für das Krankenhaus am Urban, und in Hamburg für das Eppen-
dorfer Krankenhaus, das mit seinen 2150 Betten, das grösste deutsche
Krankenhaus darstellt. Seit etwa 10 Jahren macht sich nun ein
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neuer Wandel in der Anschauung dabin bemerkbar, dass man von
dem reinen Pavillonsystem abgeht. In kleinen Städten mit mittel¬
grossen Krankenhäusern bevorzugt man wieder mehr das Korridor¬
system, oder man wählt ein gemischtes System, teils mit Korridor¬
bauten, teils mit Pavillons. Bei diesen letzteren zeigt sieh dann
das Bestreben, die Grösse der Säle einzuschräuken, statt eines
grossen Sales mit 30—32 Betten, zwei kleinere von je 15—18 Betten
einzurichten, und ein Teil der notwendigen Einzelräume, die sich
sonst an der Stirnseite der Pavillons befanden, in die Mitte zu ver¬
legen. Diese neue Grundrissform wurde zuerst am Rudolf Virchow-
Krankenhause in Berlin angewandt, in der Folge auch bei dem
Um- und Erweiterungsbau des Hamburger Krankenhauses St. Georg,
das nach den Ideen der beiden Referenten gestaltet ist.
Nachdem daun Redner noch im einzelnen die Anforderungen
die man an Höhe, Grösse und Belichtung des Krankensales stellen
muss, an Teekitehen, Einzelzimmer usw. besprochen hatte, ging er
zu einer sehr scharfen und eingehenden Kritik des Rudolf Virchow-
Krankenhauses über.
Selbst ein Kenner der grossen Kraukenhäuser, der dies aus
eigener Anschauung und Erfahrung kennen gelernt hatte, ist wohl
zunächst durch die grossartige Gesamtanlage dieses modernsten
Krankenhauses überrascht und gefesselt. Allein bei nüchterner Be¬
trachtung und Kritik zeigen sieh doch so zahlreiche Mängel, dass
man bald zu der Überzeugung kommt, der Arzt sei gegenüber dem
Architekt uicht gebührend beachtet worden. Zunächst sind die
Kosten schon ganz ungewöhnlich grosse. Das Bett kostet bei
unseren modernen Krankenhäusern im allgemeinen 5000, höchstens
6000 M., beim Rudolf-Virchowkrankenhause beträgt es ca 9500 M.
Dieser grosse* Preisunterschied kann nicht allein durch das Ansteigen
der allgemeinen Baukosten bedingt sein. Die Gemeinden müssen
für hygienische Einrichtungen schon jetzt so grosse Summen auf¬
bringen, dass es nicht recht ist, sie mehr wie notwendig zu belasten.
Es ist wohl auch vielleicht falsch, so überaus grosse Kraukeubäuser
zu bauen, über 1500- 1600 Betten sollen sie nicht hinausgehen.
Von den zahlreichen Einzelheiten, die der Referent tadelte, sei
zunächst hervorgehoben, dass die Pavillons nach seinem Dafürhalten
viel zu lang und viel zu dicht zusammenliegen. Die Räume in der
Mitte des Pavillons sind viel zu sehr ineinander geschachtelt. Das
Operationshaus, so das Leichenhaus haben viel zu viel ineinauder-
geschaehtcltc Räume. Das Badehaus ist zu üppig und nicht über¬
sichtlich genug. An den Pavillons ist dann noch zu tadeln, dass
die Korridore nicht genügend belichtet sind, dass die Fenster viel
zu kleine und zierliche Scheiben haben, und dass besonders auch
die Klosettanlage sehr viel zu wünschen übrig lasse. Auch der
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Tagesraum habe nicht genügend Licht und Luft. Er ist zwar sehr
anheimelnd, aber mehr im Sinne einer altdeutschen Bierstube und
nicht für ein Krankenhaus geeignet. Referent geht dann noch zur
Kritik einiger anderen deutscher Krankenhäuser über, insbesondere
bemängelt er die Krankenhäuser in München und in Düsseldorf.
Cher die wirtschaftlich-technischen Anforderungen, die an ein
Krankenhaus zu richten sind, verbreitete sich dann der Korreferent
Baurat Kuppel.
Wir unterscheiden beim Krankenhausbau Korridorbauten, Pa¬
villonbauten und kombinierte Korridor-Pavillonbauten, von denen
jede Art bestimmte Vorzüge besitzt. Eine stereotype Grundrissform
hat sich bei uns in Deutschland nicht berausgebildet. Die Geschoss¬
zahl soll über 2, nämlich Erdgeschoss und Obergeschoss, nicht
hinausgehen, wobei man freilich im dritten Stock Wohnung für
Personal und sonstige Räume nnterbringen kann. Kleinere Anlagen,
etwa bis 150 und 200 Betten kann man auf ein Gebäude beschränken.
Bei den grossen Anforderungen und den ausserordentlich hohen
Kosten, welche die modernen Krankenhausbauten für die Gemeinden
mit sich bringen, ist die äusserste Sparsamkeit am Platze, wobei
freilich den Forderungen der Hygiene unbedingt Rechnung getragen
werden muss. Unter 3000 M. kann das Bett nicht hergestellt
werden, aber es soll 5000—6000 M. nicht überschreiten, um nicht
kleinere Gemeinden von den notwendigen Krankenhausbauten ab*
zubringen. An der Hand zahlreicher Lichtbilder erläutern dann
die beiden Referenten die Fortschritte des modernen Kranken¬
hausbaues, wobei sie auch an einzelnen Mängel nachweisen und
Kritik üben.
In der ausserordentlich lebhaften und anregenden Diskussion
wies zunächst Dr. Dosquet (Berlin) auf das ländliche Kranken¬
haus, das er bei Pankow errichtet hat, hin. Dieses müsse auf
250 Betten beschränkt werden. Der Wirtschaftsbetrieb sei möglichst
ans dem Krankenhause zn entfernen, und es solle nur für ein Ge¬
schlecht eingerichtet sein, da die Unterbringung beider Geschlechter
in ein Krankenhaus grosse Anlagen und zu grosses Personal ver¬
langen. Der Bau muss eingeschossig sein, muss an der Peripherie
einer Grossstadt liegen und die Kosten pro Bett dürfen 1000 M.
nicht übersteigen.
Baninspektor Tietze (Berlin), der vom ersten Tage au mit
der Banleitnng des Virchowkrankenhauses betraut gewesen ist, ver¬
suchte nachzuweisen, dass der Architekt nicht ein Übergewicht
über den Arzt gehabt habe. In allen einzelnen Teilen seien Ärzte,
in erster Linie Virchow selbst, an den Vorarbeiten für die Gesamt¬
anlage und für die einzelnen Sonderabteilungen tätig gewesen. Die
gesundheitlichen Forderungen seien allen anderen vorangestellt
Centralblatt f all*. Gesundheitapdeprc. XXVII. Jahr*?. O
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wordeu. Allerdings sei der Architekt bemüht gewesen, ein har¬
monisches Bild zu schaffen und das Geschaffene nicht starr, sondern
gefällig und gemütvoll erscheinen zu lassen.
Nachdem man sich über die Grundrissform der Pavillons ge¬
einigt hatte, wurde zunächst ein Pavillon fertiggestellt und ein¬
gerichtet. Dann wurde auf Grund der Kritik der Krankenhaus¬
deputation und der Sachverständigen ein zweiter Pavillon gebaut,
und als auch dieser eingehend geprüft war, erst der ganze Aufbau
in Angriff genommen. Eingehend suchte Redner, die Ausführungen
des Referenten Punkt für Punkt zu widerlegen, er zeigte, dass die
Kosten der Krankenhäuser nicht nach der Zahl der Betten einfach
zu vergleichen seien, sondern nach der Ausdehnung und Höhe der
Gebäude, nach der Art der Ausstattung und ganz besonders nach
der Vielseitigkeit der besonderen Einrichtung und Anlage.
Stadtrat Geh.-Rat Dr. Strassmann (Berlin) berichtete über
die Vorarbeiten zum Virchowkrankenhause.
Auch er betonte, dass Ärzte im weitesten Umfange zu diesen
Vorarbeiten zugezogen worden seien, und dass eine Reihe von
Dingen, die als überflüssig hingestellt seien, gerade auf dringenden
Wunsch der Ärzte eingerichtet wurde. Die Verbindungsgänge z. B.
zwischen dem Operationshause und den einzelnen Pavillons seien
auf Wunsch der Chirurgen hergestellt worden.
Geh.-Reg.-Rat Dr. Ohlmttller (Berlin), der Verwaltungs¬
direktor des Rudolf Virchow-Krankenhauses ging auf die zahlreichen
Bemängelungen des Referenten ein und wies sie als ungerechte
zurück. Für die Desinfektion sei in jedem Pavillon ein Desinfek¬
tionsapparat vorhanden, bei den Infektionspavillons sei noch eine
besondere Desinfektion der Abgänge vorgesehen. Die Zufuhr der
Speisen sei nicht schwierig, sie habe sich selbst im strengen Winter
bewährt. An der abfälligen Kritik des Referenten habe er selbst
vielleicht einige Schuld, da er ihn zuerst in die hohen, schönen
Empfangsräume geführt habe, er möge sich dann später in den
übrigen Räumen wohl etwas beengt gefühlt haben.
$£/Äl San.-Rat Dr. Sonnenkalb (Leipzig) bemerkte, dass die Säle
mit 25 Betten zu unruhig seien, 15—20 Betten soll die Höchstzahl
sein. Wenn auch nicht alle Pavillons, so müssen doch die chirur¬
gischen mit dem Operationshause verbunden sein.
Hofrat Dr. Brunner (München) glaubte, dass dreigeschossige
Pavillons keine Bedenken hätten, dass Erdgeschoss solle dann für
Betriebsräume reserviert werden.
Prof. Dr. Denecke (Hamburg), sprach sich ebenfalls für Ver¬
bindungsgänge zwischen den einzelnen Pavillons aus. Das in den
neueren Krankenhausbauten dem Komfort der Kranken weitgehende
Rechnung getragen wird, sei ein bedeutender Fortschritt.
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Auch Baurat Schüufelder (Elberfeld) sprach sich für Ver¬
bindungsgänge aus.
Stadtarzt Dr. Schrakamp (Düsseldorf) verteidigte die Düssel¬
dorfer Anlage, ganz besonders das Operationshaus.
Baurat Beters (Magdeburg) berichtete, dass in der Lungen¬
heilstätte in Lostau bei Magdeburg die grossen Säle durch feste
Einbauten in Monierkonstruktion geteilt seien, was sich durchaus
bewährt habe.
Geh.-Rat Prof. Ritschel (Berlin) war der Ansicht, dass die
Pulsionslüftung für ein Krankenhaus die beste Lüftungsart, die
Warmwasserheizung die beste Heizungsart sei. Von ausserordent¬
licher Wichtigkeit sei die richtige Anordnung der Heizanlage zu
den gesamten Gebäuden. Für jedes grössere Krankenhaus verlangte
er eine eigene Licht- und Kraftanlage.
In dem Schlusswort gingen beide Referenten nochmals ein¬
gehend auf die gerügten Missstände ein.
Die Leitsätze des Referenten lauteten:
1. Das rasche und mächtige Anwachsen der Bevölkerung, ins¬
besondere der Volksschichten, die in erster Linie auf die Hilfe
der öffentlichen Krankenhäuser angewiesen sind, bat das Be¬
dürfnis zur Anlage neuer Anstalten in ungeahnter Weise ge¬
steigert.
2. Angesichts dieser Sachlage verdienen die Grundsätze, die für
den Bau neuer Krankenhäuser massgebend sein müssen, die
ernste Aufmerksamkeit der Staats- und städtischen Verwal¬
tungen, der Kreise und kleineren Gemeinden.
3. Die Erfahrungen, die in den letzten 30 Jahren auf dem Gebiet
des Krankenhausbaues gewonnen sind, lehren, dass nur durch
einmütiges Zusammenwirken von Ärzten und Architekten muster¬
gültige Anstalten geschaffen werden.
4. Andererseits beweist die neueste und grossartigste Schöpfung
auf diesem Gebiet, dass die architektonischen Rücksichten nicht
den Bau beherrschen dürfen, sondern die hygienischen Forde¬
rungen als ausschlaggebend voranzustellen sind.
5. Die Rücksichten auf das Wohl der Kranken und den ärztlich¬
technischen Betrieb der Anstalt muss nicht nur die General¬
anlage der Anstalt, sondern auch die Ausgestaltung aller ein¬
zelnen Krankengebäude bestimmen.
6. Bei Beachtung dieser grundsätzlichen Forderungen werden die
Anlagekosten nicht auf eine solche Höhe anwacbsen, wie dies
bei der Voranstellung architektonischer Wirkungen zu ge¬
schehen pflegt, anderseits nicht unter das Mass herabsinken,
das vom ärztlich-technischen Standpunkte aus gefordert werden
muss. Wirtschaftliche und sozialpolitische Erwägungen ver-
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— Be¬
dienen neben den hygienischen und technischen volle Wür¬
digung.
7. Die Grösse der Anstalt wird in erster Linie von den örtlichen
Forderungen bestimmt. Aus den verschiedensten Gründen ist
es ratsam, 1500 Krankenbetten als höchst zulässige Zahl fest¬
zulegen.
8. Je nach der Grösse und der Aufgabe der Anstalt, den ört¬
lichen Bedingungen und den klimatischen Verhältnissen ist die
Anlage im Pavillon-, Korridor- oder gemischten Stil zu empfehlen.
Bei allein ist für die Schaffung grosser, schöner, für die Pa¬
tienten leicht erreichbarer Gartenanlagen Sorge zu tragen.
9. Jedes System hat seine Licht- und Schattenseiten: je zer¬
streuter die Anlage der einzelnen Krankenhausbauten, um so
günstiger die allgemeinen hygienischen Verhältnisse für die
Kranken, insbesondere bezüglich der Vorbeugung von Haus¬
infektionen, um so schwieriger und kostspieliger aber auch die
ärztliche und wirtschaftliche Versorgung. Durch die Anlage zwei¬
stöckiger Pavillonbauten wird ein gewisser Ausgleich geboten.
10. Das Pavillonsystem verdient besonders bei grossen Kranken¬
hausanlagen den Vorzug. Aber auch bei der Pavillonanlage
wird man für manche Krankengruppen nicht auf Korridor¬
häuser verzichten dürfen, die für kleinere Anstalten am zweck-
mässigsten sind. Augen-, Ohren-, Halskranke, Rheumatiker,
Nierenkranke und Deliranten sind in den Korridorhäusern weit
besser aufgehoben, wie bei den meist allzu luftigen und aus
verschiedenen anderen Gründen weniger geeigneten Pavillons.
11. Bei dem Geueralplau einer Krankenhausanlage sind nicht
nur alle hygienischen und ärztlich-technischen Forderungen zu
berücksichtigen, soweit sie sich auf die Trennung der Ge¬
schlechter, der inneren, chirurgischen und Infektionsabteilungen
und die Unterbringung des Hauspersonals beziehen, sondern vor
allem auch die Gruppierung des Operations-, Röntgen-, Turn-
und Badehauses, sowie der Apotheke und Wirtschaftsgebäude
auf das sorgfältigste zu überlegen, damit sie von den Kranken¬
stationen leicht erreicht werden können, und die wichtige Frage
des Speisentransports baldmöglichst gelöst wird.
12. Während alle diese Fragen bei kleineren Pavillon- und den
Korridoranstalten nur geringen Schwierigkeiten begegnen, wach¬
sen letztere beträchtlich mit der Grösse der Krankenhäuser,
die in reinem Pavillonstil erbaut sind.
13. Diese Schwierigkeiten haben zu mancherlei Auswegen geführt.
Man hat die Zahl der Geschosse auf 3 bis 4 vermehrt oder
durch langgestreckte Pavillons in geringeren Abständen vonein¬
ander oder durch Verbindungsgänge die Mängel der Anlage zu
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beseitigen gesucht. Allen diesen Auswegen haften aber solche
Fehler au, dass man ihnen nur uiit bestimmten Einschrän¬
kungen zustimmen darf.
14. Bei der Innenanlage der verschiedenen Anstaltsgebäude ist
der übersichtlichen Anordnung der Einzelräume, den Belich-
tungs, Lüftungs- und Heizungsverhältnissen die grösste Sorg¬
falt zu widmen. Labyrinthische Gliederungen sind streng zu
vermeiden. Die Anlage der Wände, Türen und Fassböden
verdient grösste Sorgfalt. Die Fenster aller Krankenräume
sind möglichst bis zur Decke zu führen und nicht nur mit
grossen, einen freien Ausblick gestattenden Fensterflügeln, son¬
dern auch mit Kippflügeln zu versehen. Die jetzt bei Wohn¬
häusern vielfach beliebte Butzenscheibeneinteilung ist zu be¬
kämpfen. Ausser der vom Wartpersonal leicht zu handhaben¬
den Lüftung mit Kippflügeln sind die sonst üblichen automati¬
schen Ventilationsvorrichtungen nicht zu umgehen. Für die
Heizung kommen nur zentrale Anlagen in Betracht, ebenso für
die elektrische Beleuchtung.
15. Während einem grossen Teil der in den Korridorhäusern
gelegenen Krankeuräumcn der Nachteil anhaftet, dass sie bei
entsprechender Tiefe nicht immer genügend zu belichten und
schwierig zu lüften sind, auch eine zu ausgiebige Luftverbindung
zwischen den einzelnen Geschossen und den zahlreichen Einzel¬
räumen fast unvermeidbar ist, bieten die Pavillonanlagen an¬
dere Fehler, die zum Teil zwar vermieden werden können,
zum Teil dem System anhaften. Für Augenkranke sind die
von zwei oder gar drei Seiten belichteten Pavillons nicht
brauchbar, Rheumatismuskranke sind zu viel Zug ausgesetzt
u. a. m. Die übermässige Grösse der Pavillonsäle bedingt viele
Schattenseiten: Infektionen können sich einer grösseren Kranken¬
zahl mitteilen, die Gemütlichkeit fehlt, unruhige, in sozialer
Beziehung ungünstige Elemente stören 30 und mehr Kranke
gleichzeitig.
16. Absonderungsräume sind daher nötig für unruhige, sterbende,
übelriechende und vor allem für infektionsverdächtige Fälle.
Diese Räume müssen so gelegen sein, dass wenigstens vorüber¬
gehend eine wirkliche Abtrennung möglich ist. Auf Kinder¬
abteilungen kann man durch verstellbare Boxes einen Notbehelf
schaffen — besondere Isolierzimmer sind vorzuziehen, am mei¬
sten sind kleine Isolierpavillons zu empfehlen.
17. Au sonstigen Nebenräumen sind ausser guten Wohnzimmern für
das Pflegepersonal hinreichend grosse Räume für Teeküchcn,
Anstaltswäsche- und Kleidermagazine vorzusehen. In dieser
Beziehung sind an vielen Orten Fehler gemacht.
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18. Auch bei den Badezimmern ist auf genügende Grösse Wert zu
zu legen; Wascbeinricbtungeu müssen für die Aufpatienten in
genügender Zahl vorhanden sein. Die Ahortanlagen sind mög¬
lichst gross vorzuseben. Sie dürfen keine Gerüche in die
Krankenräume abgeben und müssen leicht erreichbar sein. Ihre
Grösse ist so zu bemessen, dass Auswurf, Harn, Erbrochenes
nnd Stuhlentleerungen bis zur ärztlichen Besichtigung auf¬
bewahrt, und die betreffenden Gefässe daselbst leicht gereinigt
werden können. Die Anlage von besonderen Desinfektions¬
einrichtungen auf den Krankenstationen für die Behandlung der
Wäsche, des Auswurfs und sonstiger Entleerungen von Kranken
ist überflüssig und durchaus nicht wünschenswert.
19. Für die von den Kranken mitgebrachte Kleidung sind beson¬
dere Gelasse nötig. Nur für kleinere Anstalten genügt ein
zentraler Aufbewahrungsraum, für grosse (mit 100 und mehr
Betten) sind vielfache Kammern einer zentralen vorzuziehen.
20. Wohl aber sind tadellose zentrale Anlagen für die Desinfektion
der verdächtigen Kleidungsstücke, der infizierten Wäsche und
dergl. nötig, während die Abwässer der Krankenstationen am
zweckmässigsten in Sielgrubenhäusern desinfiziert und alle
festen infektiösen Abfälle, wie gebrauchte Verbandstoffe usw.,
in eisernen Behältern gesammelt und im Verbrennungsofen
vernichtet werden müssen.
Der Korreferent, Baurat F. Ruppe 1, hatte folgende Leitsätze
aufgestellt:
Für die hygienisch einwandfreie und zweckmässige bauliche
Gestaltung eines modernen Krankenhauses kommen vom wirt¬
schaftlich-technischen ^Standpunkt aus folgende wesentliche Ge¬
sichtspunkte in Betracht:
1. Für die Gesamtgruppierung der einzelnen Teile eines Kranken¬
hauses gilt als Hauptgrundsatz: möglichste Trennung aller für
den eigentlichen Krankendienst bestimmten Gebäude oder Räume
von allen übrigen Räumen und Nebenbetrieben, scharfe Tren¬
nung der Infektionskranken von den allgemeinen Kranken und
möglichste Scheidung der Kranken nach Geschlecht, Krankheits¬
gattung, Alter u8w.
2. Wenn auch aus allgemeinen hygienischen Rücksichten eine
möglichste Dezentralisierung aller Kranken anzustreben ist, so
erscheint doch aus wirtschaftlichen Gründen bei kleineren und
mittleren Anstalten bis zu etwa 200 Betten die Vereinigung in
einem einheitlichen Ban durchaus zweckmässig und bei Be¬
rücksichtigung der Forderungen der modernen Gesundheits¬
technik auch hygienisch unbedenklich. Bei grösseren Anstalten
verdient jedoch das Pavillonsystem jedenfalls den Vorzug.
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Bei letzterem sind alle Gebäude übersichtlich, zweckent¬
sprechend und den freien Luftströmungen gut zugänglich,
ausserdem aber derart anzuordnen, dass die einzelnen Betriebe
sich nicht gegenseitig stören.
3. ' Nach der Grundrissgestaltung der Krankengebäude sind drei
Hauptarten zu unterscheiden, nämlich: Korridorbauten, Pavillon¬
bauten und kombinierte Korridor-Pavillonbauten, von denen
jede Art für sich bestimmte Vorzüge besitzt und daher je
nach dem zu erfüllenden Zweck zur Anwendung zu bringen ist.
Bei der grossen Verschiedenheit der Bedürfnisse und Zwecke
in den allgemeinen Krankenhäusern haben sich, in Deutschland
wenigstens, stereotype Grundrissformen nicht herausgebildet.
Gegen die grosse Mannigfaltigkeit der Grundrissgestaltung
selbst sind im allgemeinen so lange keine Bedenken zu erbeben,
als die Forderungen der Gesuudheitstechnik überall befriedigend
erfüllt werden.
4. Die Geschosszahl der Krankengebäude soll abgesehen von dem
Kellergeschoss aus hygienischen und wirtschaftlichen Gründen
möglichst nicht über zwei (Erdgeschoss und Obergeschoss) hin-
ausgehen, wobei es keinem Bedenken unterliegt, in einem
dritten Stock oder ausgebauten Dachgeschoss Wohnungen für
Personal und sonstige Räume unterzubringen.
5. Bei der Konstruktion der Krankengebäude und ihrer baulichen
Durchbildung muss als Leitstern dienen die möglichst aus¬
giebige, direkte Zuführung von Licht und Luft zu allen Räu¬
men , sowie möglichste Erleichterung der Reinhaltung der
Räume, und zwar nicht nur aller Bauteile derselben, sondern
auch der Luft und aller Gegenstände in ihnen.
Alle Konstruktionsmaterialien müssen leicht reinigungsfähig
und desinfizierbar sein; besondere Beachtung verdienen hierbei
die Fussböden, Wände und Decken.
6. Die Desinfektion von Wäsche, Fäkalien nsw. sollte, soweit es
sich nicht um gemeingefährliche, ansteckende Krankheiten han¬
delt, aus wirtschaftlichen, praktischen Gründen nicht dezentra¬
lisiert, sondern möglichst zentralisiert werden.
7. Für die Heizung, Lüftung und Warmwasserbereitung werden
am zweckmässigsten zentrale Anlagen vorgesehen. Am besten
bewährt haben sich die Niederdruckdampfheizungen und Warm¬
wasserheizungen, auf deren gute, sachgemässe Herstellung so¬
wohl im hygienisebeu Interesse als auch im Interesse eines
ökonomischen und durchaus sicheren Betriebes das grösste Ge¬
wicht zu legen ist.
Für die Lüftung der Krankenräume sind zwar die überall
herzustellenden oberen Kippflügel der Fenster von grosser Be-
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deutung, für eine notwendige, ständig wirkende Ventilation sind
jedoch künstliche Lüftungseinrichtungen nicht zu entbehren.
Von diesen verdient die Pulsionslüftung, die sich allerdings
auch am teuersten stellt, wegen ihrer jederzeit sicheren, be¬
liebig zu regulierenden Wirkung vor allen anderen den Vorzug,
zumal dieselbe auch eine Reinigung der Luft durch Filter und
dergleichen gestattet.
8. Einer besonders sorgfältigen baulichen Durchbildung bedürfen
die Operationsräume in bezug auf leichte Reinhaltung und Aus-
spritzbarkeit, auf reichliche, reflexfreie Lichtzuführung mög¬
lichst reiner Frischluft usw.
9. Die modernen hydrotherapeutischen Anlagen erfordern neben
einem allgemeinen zentralen Ruhe- und Ankleideraum einen
grösseren Duscheraum für die verschiedensten Wasser- und
Dampfduschen, für ein Bassinbad usw., währeud je nach Er¬
fordernis noch weitere Badeeinrichtungen, Dampf- und Heiss-
luftschwitzkästen, elektrische Lichtbäder, Sand-, Kohlensäure-,
Sool-, Moor-, elektrische Lichtbäder, permanente Wasserbetten,
und dergleichen auf einzelne Räume zu verteilen sind.
Alle für Badezwecke dienenden Räume sind besonders
widerstandsfähig gegen die Einwirkungen der Feuchtigkeit,
des Dampfes usw. herzustellen.
10. Die Wirtschaftsräume (Koch- und Waschküche) sind für einen
guten Betrieb mit einer gewissen Weiträumigkeit und bereits
bei der ersten Anlage schon mit Rücksicht auf spätere
Erweiterungen herzustellen. Neben den Dampfkocheinrichtungen
empfehlen sich für direkte Feuerungen Gasherde und Gasbrat-
öfen. In grösseren Anstalten erweist sich oft die Verbindung
maschineller Anlagen mit der Kesselanlage zur Erzeugung von
Elektrizität für Licht- und Kraftzwecke, zur Eisbereitung, zum
Betrieb für Pumpen bei einer eigenen Wasserversorgung und
zu sonstigen Zwecken als sehr wirtschaftlich.
11. Mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen Kosten moderner
Krankenhausbauten erscheint im Interesse einer gesunden Weiter¬
entwicklung des Krankenhausbauwesens und einer grösseren
Verbreitung desselben auch auf kleinere, weniger finanzkräftige
Gemeinden eine strenge Sparsamkeit in allen Dingen, die dem
eigentlichen Zweck nicht dienen, geboten, jedoch ohne dass
die hygienischen Forderungen irgendwie beeinträchtigt werden
12. Zur Sicherstellung eines glatten, ordnungsmüssigen und spar¬
samen Betriebes sind die vielgestaltigen und zum Teil kompli¬
zierten Einrichtungen eines Krankenhauses so zu gestalten, dass
sie für das Betriebspersonal möglichst leicht verständlich sind
und ihre Handhabung eine über ein gewisses Mass hinaus-
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gehende Mühe und Sorgfalt nicht erfordert. Je mehr die Fort¬
schritte der Gesundheitsteehnik diesem wichtigen wirtschaft¬
lichen Gesichtspunkt Rechnung tragen, um so wertvoller werden
sie für die weitere Entwicklung des Krankenhausbauwesens
sein.
Die Tagesordnung war damit erledigt und der Vorsitzende
schloss die Versammlung mit herzlichen Dankesworten an die Re¬
ferenten, die Diskussionsredner und besonders an die gastliche
Stadt Bremen.
Oberbürgermeister Dr. Fuss (Kiel) dankte dem Vorsitzenden
für die vortreffliche Leitung der Sitzungen.
Für das Geschäftsjahr 1907/08 setzt sich der Ausschuss des
Vereins folgendermassen zusammen: Oberbürgermeister Dr. Ebeling
(Dessau), Stadtbaurat Kölle (Frankfurt a. M.), Oberbürgermeister
Morneweg (Darmstadt), Geh. Obermedizinalrat Dr. Pistor (Berlin),
Geb. Hofrat Prof. Dr. Schottelius (Freiburg i. B.), Ober- und Geh.
Baurat Dr. Stübben (Grunewald-Berlin;. Zum Vorsitzenden wurde
Geh. Hofrat Prof. Dr. Schottelius gewählt.
Von den geselligen Veranstaltungen seien der prächtige Be-
grüssungsabend seitens der Stadt in dem herrlichen alten Ratskeller
erwähnt, dann der gemeinsame Ausflug in See mittels eines vom
Norddeutschen Lloyd zur Verfügung gestellten Dampfers und daran
anschliessend die glänzende Bewirtung auf dem wundervollen Dampfer
„Kaiser Wilhelm II.“. Beide Veranstaltungen werden sicher allen
Teilnehmern in dauernder daukbarer Erinnerung bleiben.
Auch die schöne Festschrift, welche die Stadt den Teilnehmern
an der Tagung überreichen liess, verdient lobende Erwähnung.
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Literaturbericht.
König, Fortschritte im Sanitfttswesen der Marine. (Deutsche med.
Wochenschrift Nr. 39. 1907 .)
Das Sanitätskorps der Marine in seiner jetzigen Zusammen¬
setzung kann in diesem Jahre auf ein zehnjähriges Bestehen zurück¬
blicken: 1897 wurde es von dem der Armee geschieden. Seitdem
hat es sich der etatsmässigen Zahl nach mehr als verdoppelt.
Die Zahl der wissenschaftlichen Kommandos auf Universitäten und
Instituten (heute 15) hat sich verdreifacht. Daneben bestehen zur
Aus- und Fortbildung noch 6 Kurse mit einer Dauer von 3 Wochen
bis 3 Monaten; einzelnen Sanitätsoffizieren wird hierzu ein mehr¬
jähriger Urlaub ins Ausland bewilligt. Für die einjährig-frei¬
willigen Ärzte, Unterärzte und jüngeren Assistenzärzte werden von
älteren Sanitätsoffizieren Unterrichtskurse in der Organisation des
Sanitätswesens, in der Ausübung der einzelnen Dienstzweige und
in Schiffs- und Tropenhygiene abgehalten. Durch grössere und
vorteilhafter gelegene Lazarette an Bord, durch Vervollkommnung
ihrer Einrichtungen und der ärztlichen Ausrüstung ist es dem
Schift'sarzt — einem Oberstabs- oder Stabsarzt — jetzt ermöglicht,
auch schwer erkrankte Mannschaften an Bord zu behandeln. Ein
Bordkommando dauert im allgemeinen nicht länger als 2 Jahre;
dann folgen mehrere Jahre, in denen der Marinearzt Dienst am
Land tut.
Die Sanitätseinrichtungen und der Sanitätsdienst am Lande
sind im wesentlichen nach dem Muster der Armee geschaffen worden.
Die oberste Leitung liegt in den Händen des Reichsmarineamtes
bzw. des Generalstabsarztes der Marine. Bei den Marinestations¬
kommandos (Kiel und Wilhelmshaven) leitet je ein Generalarzt den
Dienst. Dem Kommando der Hochseeflotte und der Inspektion
des Bildungswesens sind ebenfalls Generalärzte beigegeben. Die
Ausrüstung der Schiffe regeln die Sanitätsdepots. Als besonderer
technischer Berater für hygienische Angelegenheiten ist der Schiffs¬
prüfungskommission ein oberer Marinearzt beigegeben. Die Leiter
der hygienisch-chemischen Untersuchungsstationen wirken gleich¬
zeitig als Mitglieder der Proviant»bnahmekommissionen. Als Mann-
schaftsfämilienärzte haben ältere Marineärzte die Behandlung der
Angehörigen von Unteroffizieren usw. in Händen. Die Vermehrung
des Sanitätskorp$ hat naturgemäss günstig auf die Beförderung
eingewirkt. Doch bringt es der anstrengende Dienst im Ausland
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und an Bord mit sich, dass der durchschnittliche Abgang' in
jüngeren Lebensjahren als bei der Armee erfolgt.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Steuber, Ober die Verwendbarkeit europäischer Truppen in tro¬
pischen Kolonien vom gesundheitlichen Standpunkte. (Berlin
1907. E. S. Mittler & Sohn.)
Verfasser geht aus von der Entsendung der Marinetruppen
nach Deutsch-Ostafrika im Jahre 1905 und bespricht in klarer
Form die Schwierigkeiten, welche das Tropenklima und seine
Krankheiten der Verwendung europäischer Mannschaften entgegen¬
setzen. Prophylaxe, Ausrüstung, Verpflegung, Transportwesen,
Marschleistungen usw. werden erörtert und Vergleiche mit fran¬
zösischen und englischen Verhältnissen angestellt. Es verlohnt sich
wohl, die Schlussfolgerungen dieses „alten, erfahrenen Afrikaners“
zu hören:
1. Der grosse Vorteil, den eine europäische Kolonial truppe vor
den Eingeborenentruppen hat, liegt in ihrer absoluten Zu¬
verlässigkeit jedem Feinde gegenüber.
2. Diesem Vorteil der weissen Truppen stehen erhebliche Nach¬
teile gegenüber, die bedingt sind durch die Schwierigkeiten
ihrer Verwendung infolge des tropischen Klimas, der tropischen
Krankheiten und der Eigenart unserer tropischen Kolonien.
3. Die Frage der Verwendung europäischer Truppen ist in aller¬
erster Linie eine solche der praktischen militärischen Tropen-
hygiene im weitesten Umfange.
4. Die Kosten europäischer Kolonialtruppen sind im Vergleich
zu den zu erwartenden Vorteilen und zu den Kosten der
Eingeborenentruppen sehr hoch.
5. Eine Verwendung europäischer Truppen in den Tropen ist
möglich, doch wird sie selbst bei weitgehendster Berück¬
sichtigung der hygienischen Forderungen im tropischen Flach¬
lande nur eine beschränkte, zeitlich stets nur vorübergehende
sein können. Der Standort der europäischen Truppen muss
mindestens 1300 m hoch im malariafreien Gebirge liegen.
Für Deutsch-Ostafrika kommen in dieser Beziehung z. B. der
Kilimandscharo, das Usambaragebirge und das Hochland von
Uhehe in Betracht..
6. Die Hauptmasse einer Expeditionstruppe in tropischen Kolonien
muss sich aus Eingeborenensoldaten zusammensetzen. Die
europäischen Truppen sollen, auf die farbigen Truppen ver¬
teilt, für diese nur den Rahmen, das Skelett und, wo es
notwendig wird, die feste Reserve abgeben.
7. Unerlässliche Vorbedingungen für die Verwendung euro-
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päischer Truppen in geschlossenen Verbanden sind Eisen¬
bahnen. M ü h 1 s c h 1 e g e 1 (Stuttgart).
Beck. Touristik und Herz. (Wiener med. Wochenschr. 1906, Nr. 6 u. 7.)
Beck fand den Blutdruck während anstrengender Bergtouren
nur massig erhöht und lehnt deswegen eine Blutdruckerhöhung als
primäre Ursache der Herzüberanstrengung beim Steigen ab. Albu¬
minurie wurde als Folge anstrengender Hochtouren gewöhnlich
nicht gefunden, nur einigemal Hessen sich geringe Spuren von
Eiweiss mit den empfindlichsten Proben nachweisen. Die absolute
Herzdämpfung wurde verschiedentlich während der Tour vergrössert
gefunden. Diese Vergrösserungen schwanden aber bald, so dass
sie der Autor wenigstens teilweise auf akute Überfüllung des Her¬
zens bezieht. Die Pulsfrequenz wurde meist zwischen 120 und
lbO Schlägen gefunden. Wichtiger als diese Tatsachen, die übri¬
gens der Referent aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann, ist
nun aber die dankenswerte Untersuchung von 31 Personen, die
regelmässig schwierige Hochtouren machen (Führern und Touristen).
Sie ergab bei 28 d. h. bei 90 °/ 0 Kardiopathien, die den Leuten
bisher keine subjektiven Erscheinungen verursacht hatten. Meist
waren es Myokarderkrankungen, einmal eine reine Hypertrophie,
fünfmal Mitralinsuffizienzen oder wenigstens systolische Geräusche.
Die sportmässig und anhaltend betriebene Hochtouristik hat dem¬
nach sehr ernste Gefahren auch bei gesunden jüngeren Leuten.
Der Verfasser hebt ausdrücklich hervor, dass die Untersuchten keine
Alkoholiker waren, und er hat seine Befunde von einer Reihe von
anderen Ärzten kontrollieren lassen, so dass, wenn auch natürlich
nicht immer mit allen modernen Methoden untersucht werden konnte,
doch die Resultate einen recht zuverlässigen Eindruck machen.
Matthe s (Cöln).
Bingel, Untersuchungen über den Einfluss des Biertrinkens und
Fechtens auf das Herz junger Leute. ( Münchener med. Wochenschr.
1907, Nr. 2.)
Untersuchungen an Verbindungsstudenten, die das übliche Stu¬
dentenleben führten, und zwar wurden die Beobachtungen vom Eintritt
in die Verbindung fortlaufend angestellt. Als Resultat ergab sich:
Das gesunde Herz wird durch die Einflüsse des Studentenlebens
während der üblichen Studienzeit nicht in erkennbarer Weise ge¬
schädigt, wenn nicht andre schädliche Momente hinzukommen. Die
Beobachtungen lassen aber keinen Schluss darüber zu, ob ein Herz,
das ein ausgiebiges Studentmleben hinter sich hat, nicht früher und
leichter versagt, als ein andres, das solchen Einflüssen nicht aus¬
gesetzt war. Von grosser Bedeutung ist, ob die Lebensführung
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der ersten Studentenjahre über die übliche Zeit fortgesetzt wird.
Das vorher schon irgendwie geschädigte Herz dagegen läuft Gefahr,
insuffizient zu werden. Matthes f'Cöln).
Boas jr.. Wie soll siob die Bekämpfung der Genussgifte in den
breitesten Volksschichten gestalten? Mit besonderer Berück¬
sichtigung der Krankenpflege. (Ztsehr. f. Krankenpflege 1907, Nr. 'S.)
Ausgehend von der Tatsache, dass die Genussmittel oft nur
Genussgifte sind, die an dem sozialen Wohlstände und dem Volks-
wohl zehren, macht Verf. folgende Vorschläge für die Bekämpfung
der Genussgifte.
Eine al lgem eine Beleh ru ng der breiten Volksmassen über
die Nutzlosigkeit bezw. Schädlichkeit der Genussmittel lässt sich
nicht ermöglichen. Man muss daher unterscheiden zwischen
1. Aufklärung im Heere,
2. Aufklärung bei der Arbeiterklasse,
3. Aufklärung bei den übrigen, sog. „gebildeten“
Ständen
Die Aufklärung im Heere hält Verf. für die aussichtsreichste, da
sie, richtig angefasst, auf die späteren Generationen vorbildlich
wirkt. Die erste Vorbedingung aber für den Erfolg ist
die Abschaffung des Trinkzwanges unter den Offizieren.
Die vorbeugende Belehrung der Soldaten ist in der
Instruktionsstunde vorzunehmeD, und zwar ist damit ein abstinenter
Feldwebel oder Kaserneninspektor zu betrauen.
Ausserdem soll auch das Sanitätspersonal vom Oberstabsarzt
bis zum Lazarettgehilfen bei Gelegenheit die Mannschaften über
den wahren Charakter der Genussgifte aufklären.
Aufgabe der Kassenärzte ist es, die Genussgifte unter der
Arbeiterbevölkerung, deren Angehörige Kassenmitglieder sind,
zu bekämpfen, und zwar durch Verteilung geeigneter Belehrungs¬
schriften.
Ferner empfiehlt Verf. populäre Vorträge für Arbeiter, vom
Fabrik-, Kassen- oder Stadtarzt gehalten, sowie Anschaffung ge¬
eigneter Schriften für Volks- und speziell Arbeiter- (d. i. Fabriks-)
bibliotheken.
Die Bekämpfung der Genussmittel in den höheren
Schichten wird ohne Frage auf die grössten Schwierigkeiten
stossen, da es vielen nicht leicht fällt, sich „ihr“ Glas Wein oder
„ihre“ Flasche Bier zu versagen.
Hier muss die Bewegung bei der Jugend einsetzen gemäss
dem bekannten Worte: „Wer die Jugend hat, hat das Jahrhundert.“
Als geeignetes Mittel bringt Verf. die Elternabende in Vorschlag,
bei denen der Schul- oder ein anderer Arzt über die medizinische
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Seite, der Pädagoge über die erzieherische Seite des Themas „Die
Genussgifte“ zu referieren hat.
Ferner kommt die gelegentliche Belehrung in den Unterrichts¬
stunden in Betracht. Verf. verwirft mit Scharrelmann u. a. den
von Mrs. Hunt in den Vereinigten Staaten inaugurierten obligatori¬
schen Antialkoholunterricht.
Während wir für die Bekämpfung der Genussgifte in den
höheren Schulen in dem Milchverkauf (in den Zwischenstunden)
eine geeignete Handhabe besitzen, kommt eine solche Massnahme
schon aus ökonomischen Gründen den Kindern der niederen Schich¬
ten nicht zugute. Daher empfiehlt Verf. Schulspeisungen nach
Muster der in Paris mit gutem Erfolg geschaffenen Schulspeisungs¬
stätten. Das Essen soll einfach, aber nahrhaft und kräftig sein
(Suppen, Fische, Hülsenfrüchte, Speisen), als Getränke kommen
Wasser, Milch, Schokolade, Malz- oder Kraftbier in Betracht, Kakao
ist trotz seiner Bekömmlichkeit und seines hohen Nährwerts aus
wirtschaftlichen Rücksichten auszuschliessen; sollte aber aus irgend¬
welchen Gründen der Kakao vor den genannten Getränken den
Vorzug erhalten, so ist auf Grund der Pincussohnschen Versuche
wegen seiner höheren Ausnützung der fettarme, nicht der fett¬
reiche Kakao zu verwenden (Pincussohn, Beiträge zur Kakao¬
frage. Zentralblatt für innere Medizin 1907, Nr. 7).
Endlich sollen an Stelle wissenschaftlicher Programmarbeiten,
die, für die Eltern der Schüler bestimmt, in 99°/ 0 der Fälle wert¬
los sind, Aufsätze über Fragen aus dem Gebiete der Schulhygiene
treten, die von einem Lehrer in Verbindung mit einem Arzte, am
besten natürlich dem Schulärzte, zu verfassen sind. Autoreferat.
Groedel, Über den schädlichen Einfluss des Schnürens auf den
Magen. (Mediz. Klinik 1907, Nr. 20.)
Schon früher war der schädliche Einfluss des Korsetts auf
die Unterleibsorgane, besonders die Leber bekannt. Verf. tut nun
mit Hilfe der Röntgcnstrahlen die ungünstige Wirkung des Schnü¬
rens auf den Magen dar. Er wurde zu seinen Untersuchungen
durch die von ihm oft beobachtete Erscheinung angeregt, dass
einer in vielen Fällen regelmässig wiederkehrenden Einschnürung
an der grossen Magenkrümmung (Kurvatur) genau die Taillen¬
einschnürung entsprach. Dieses Symptom konnte Verf. bei Män¬
nern, die Riemen oder Gürtel zur Befestigung der Beinkleider
trugen, vor allen aber bei Frauen, die sich mit dem Korsett oder
den Röcken stark schnürten, feststellen.
Verf. kam nun mit Hilfe der Röntgenuntersuchung des Magens
mit Wismutaufschwemmung nach Rieder zu folgendem Ergebnis:
Unter dem Einfluss des stark geschnürten Korsetts nimmt der Ma-
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gen die Form und Lage sowie die Eigentümlichkeit des patholo¬
gischen Magens an: die Leibesform wird ähnlich wie beim Hänge¬
bauch.
Das Korsett erhöht ferner, wie 6. nachweist, die beim weib¬
lichen Gescblechte bereits vorhandene Disposition zum Hängebauch,
zur Magensenkung und Magenerweiterung.
Ferner entsteht sehr oft durch zu starkes Schnüren eine „chro¬
nische Schnürfurche“.
Zum Schluss verteidigt sich Verf. gegen den Vorwurf, gegen
das Korsett als solches zu Felde zu ziehen und etwa für die Reform¬
kleidung eintreten zu wollen. Boas jr. (Berlin).
Lengfellner, Worauf kommt es beim Schuhwörk (wissenschaftlich-
orthop&disch gedacht) vor allem an? (Mediz. Klinik 1907. Nr. 38.)
Der Kern der Schuhwerkfrage liegt nach Ansicht des Verf.
in dem Schuhgewölbe. Er führt daher ein neues Mass ein, „das
Mass der Fusswölbung“, und hält jeden Schuh in wissenschaft¬
lich-orthopädischer Hinsicht für ungenügend, der diesem Masse
nicht entspricht. Boas jr. (Berlin).
Feer, Der Einfluss der Blutsverwandtschaft der Eltern auf die Kin¬
der. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 66.)
Schlussfolgerungen: 1. Eigenartige oder schädliche Folgen,
beruhend auf der Blutsverwandtschaft der Eltern an sich, sind nicht
erwiesen.
2. Die Eigenschaften und Krankheiten der Nachkommen bluts¬
verwandter Eltern erklären sich aus den auch sonst gültigen Tat¬
sachen der Vererbung.
3. Einige seltene Krankheitsanlagen, sicher diejenigen zu
Retinitis pigmentosa und zu angeborener Taubstummheit, erlangen
mehr wie andere eine gesteigerte Vererbungsintensität, wenn sie
sich bei beiden Teilen eines Elternpaares befinden. Da nun die
Wahrscheinlichkeit, dass die betreffenden Anlagen bei beiden Eltern
vorhanden sind, a priori in Verwandtenehen grösser ist als in nicht-
verwandten Ehen, so begünstigt diese besondere Tendenz der Reti¬
nitis pigmentosa und der angeborenen Taubstummheit zu zwei¬
gesehlechtiger Entstehung das Auftreten dieser Krankheit bei den
Kindern blutsverwandter Ellern. Boas jr. (Berlin).
Jessen, Die praktische Lösung der Frage der Schulzahnkliniken.
(Die Gesundheitswarte der Schule 1907, Nr. 3.)
In der Strassburger Schulzahnklinik wurden untersucht
resp. behandelt:
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— SO —
untersucht
behandelt
mit Füllungen
u. Kxtraktio
im
l.
Jahr
5343
2666
699
2912
n
2.
n
6900
4967
4822
6530
n
3.
r
4372
6828
7065
7985
»5
4.
834
7491
8340
8552
In Strassburg ist die zahnärztliche Behandlung der Kinder von
3—6 Jahren, die die Kleinkinderschulen besuchen, obligatorisch.
Weitere Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
Boas jr. (Berlin).
Rühs, Einrichtung von Krematorien. Kritische Besprechung der
Leichen Verbrennung mit Berücksichtigung der Grunde für uud wider
dieselbe. (Vierteljahrschr. f. gerichtl. Med. u. öftentl. Sanitätswesen. H. 3,
1907.)
Verfasser schildert zunächst die Vorgänge bei der Fäulnis
und bei der Verwesung und bespricht dann die von den Gegnern
der Erdbestattung meistgebrauchten Argumente, dass durch die Zer¬
setzungsvorgänge die Luft, der Boden und das Grundwasser in
der Nähe von Begräbnisplätzen verunreinigt würde. Besonders
widmet er sich der Frage, ob nicht die in der Leiche vorhandenen
Mikroorganismen zu einer Schädigung der Aussenwelt führen
können, und zwar nicht nur diejenigen pathogenen Mikroben, die
beim Zustandekommen der Fäulnis ihre Rolle spielen, sondern vor
allem auch die spezifischen Keime, die mit den Opfern der Infek¬
tionskrankheiten in den Boden geraten. Er weist darauf hin, dass
nach den bisherigen Untersuchungen mit Ausnahme der Sporen¬
bildner die meisten für die Gesundheit wichtigen Mikroben schon
abgestorben sind, ehe die Fäulnis erhebliche Fortschritte gemacht
hat, und dass sie überhaupt nie tiefer als 5 cm unterhalb der
Grabessohle nachgewiesen wurden, ferner dass die Tetanusbazillen,
die einmal 2 l / 2 Jahre nach der Beerdigung noch gefunden wurden,
auch sonst in der Gartenerde und im Strassenstaub Vorkommen.
Eine Verschleppung der Keime aus den Gräbern infektiöser Leichen
auf weitere Strecken hin ist unmöglich; selbst wenn einmal ge¬
stiegenes Grundwasser die Leichen umspülen sollte, reicht die
P^iltrationskraft des Bodens aus, die Keime nicht ins Grundwasser¬
becken durchzulassen; es müsste denn ein sehr durchlässiger,
spaltenreicher Boden sein. Verfasser beleuchtet dann noch die
Erd- und die Feuerbestattung nach ihren ökonomischen, ästhetischen,
religiösen und juristischen Seiten hin und kommt schliesslich zu
folgenden Leitsätzen:
1. Sowohl die Feuerbestattung als auch das rationell betriebene
Erdbegräbnis genügen vollauf den Anforderungen der Hygiene.
2. Das Erdbegräbnis ist nur dann zu verwerfen, wenn un¬
günstige Boden- und Grundwasserverhältnisse eine Verzögerung
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der Zersetzung der Leiche bedingen und Gefahren für die Um¬
gebung bestehen.
3. Die Einführung der obligatorischen Feuerbestattung ist
eine absolute Unmöglichkeit; die fakultative Leicbenverbrennung
hat die Einführung der obligatorischen Leichenschau zur Vor¬
bedingung.
4. Die fakultative Feuerbestattung ist für grössere Städte vom
ökonomischen und sozialen Standpunkte dringend empfehlenswert.
5. In Kriegs- und Epidemiezeiten ist zwar die Feuerbestattung
vom hygienischen Gesichtspunkte absolut zu befürworten, ihre
Durchführung stösst aber auf unüberwindliche Schwierigkeiten.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Doebert (Berlin). Sanitätspolizeiliche Gesichtspunkte für die Besei¬
tigung der Haus- und Küchenabf&lle (des sog. Mülls). (Viertel-
jahrsschr. f. gerichtl. Med. u. öffentl. Sanitätswesen, H. 2, 1907.
Verf. hat in dieser Arbeit alle jetzt gebräuchlichen Methoden
der Aufsammlung, Beförderung und endgültigen Beseitigung des
Hausmülls durchbesprochen, um den Medizinalbeamten Hinweise
und an der Hand der Literatur begründete Unterlagen für die
nötigen sanitätspolizeilichen Massnahmen zu geben. Die Wahl der
einzelnen Methode muss sich ganz nach den örtlichen Verhältnissen
richten, da zu viele örtliche Gesichtspunkte (Gressstadt, Kleinstadt,
Landwirtschaft, Bodenbeschaffenheit, Kostenpunkt, Brennbarkeit)
dabei mitsprechen. Es lässt sich auch mit allen Methoden schliess¬
lich — mit der einen leichter, mit der anderen schwieriger —
hygienisch Genügendes erreichen. Wenn auch die Verbrennung
des Mülls wohl die idealste Art der Beseitigung ist, so soll damit,
nicht gesagt sein, dass nicht unter Umständen auch ein sorgsam
angelegter Abladeplatz hygienischen Ansprüchen genügen kann.
Und jeder Praktiker weiss, wie oft auch einfache sanitäre Mass¬
nahmen lange Zeit brauchen, um den Widerstand der Bevölkerung
zu überwinden. Mühlschlegel (Stuttgart).
Quinke, Ober Deokenluft-Ventilation durch Wind. (Münch, med.
Wochenschrift Nr. 39. 1907)
In verschiedenen Krankenräumen der medizinischen Klinik
in Kiel hat Quinke eine Ventilationseinrichtung erprobt, die den
Wind zur Durchwehung der Deckenluft benutzt. An zwei Aussen-
wänden des Raumes, die entweder einander gegenüber oder im
rechten Winkel zueinander stehen, sind in etwa 2—2 1 /* m Höhe
über dem Fussboden in der Mauer zwei oder mehrere Öffnungen
von 10—20 cm Lichtweite angebracht; in jede dieser öflnungen
ist ein rechtwinklig gebogenes Rohr eingelassen, dessen innerer
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 6
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aufsteigender Schenkel durch eine Klappe verschlossen werden
kann, und dessen äusserer horizontaler Schenkel ein Fliegengitter
und, wenn nötig, einen Windfang mit gebogenen Blechen trägt.
Da das Mass des Luftwechsels durchaus von der Windstärke ab;
hängt, eignet sich die Vorrichtung vorzugsweise für ein windiges
Klima und für freistehende Gebäude. Die mehrjährige Erfahrung
zeigte, dass dadurch auch im Winter und bei geschlossenen
Fenstern, namentlich während der Nacht, eine wesentliche Er¬
neuerung der Luft stattfindet, ferner dass die Kranken die Vor¬
richtung angenehm empfinden. Mühlschlegel (Stuttgart).
Finkler, Disposition und Virulenz. Eine klinisch-bakteriologische Stu¬
die. (Deutsche med. Wochenschrift Nr. 39. 1907.)
Das Wort „Disposition“ war früher und ist vielfach heute
noch ein Sammelname mit unklarem Begriff. Alle -die Fälle, bei
denen lediglich äussere Umstände für die Erkrankung massgebend
sind, müssen aus dem Begriff der Disposition ausgeschieden werden.
Diese kommt vielmehr erst dann in Frage, wenn die Krankheits¬
erreger den Menschen befallen haben. Es ist anzunehmen, dass
sie sich aus verschiedenen Momenten zusammensetzt, z. B. aus der
Möglichkeit zur Ansiedlung, aus der Aufnahme der Bakterien, aus
der lokalen Entwicklung der spezifischen pathologisch-anatomischen
Veränderungen und andererseits aus der Empfindlichkeit gegen das
betreffende Bakteriengift. Stoffwechselveränderungen durch phy¬
siologische Vorgänge, chemische Veränderungen, ev. durch Fermente
oder Lebewesen bedingt, Gifte — können die Empfindlichkeit so¬
wohl in spezifischer Weise, wie auch für andersartige Krankheits¬
erreger steigern. Umgekehrt beobachten wir alle Grade der ab¬
geschwächten Empfänglichkeit. Für die Bakterien des Typhus, der
Cholera, der Diphtherie, der Pneumonie, der Meningitis epidemica
kennen wir „Bazillenträger“ — gesunde Menschen, welche gefähr¬
liche Bakterien mit sich herumtragen. Diese Beobachtung führt
uns auf die „erworbene Immunität“; auch diese ist nicht als
einheitlicher Begriff aufzufassen. Wir wissen, dass die „passive“
Immunität sich unterscheidet von der „aktiven“, dass die ver¬
schiedenen Methoden aktiver Immunisierung zu verschiedenen
Erfolgen führen. Sicher ist bei vielen Menschen die Unempfäng¬
lichkeit für bestimmte Krankheiten eine erworbene aktive Immuni¬
tät. Die Immunität braucht nicht vollkommen zu sein; sie lässt
verschiedene Abstufungen zu.
Andererseits ist auch die Virulenz der Krankheitserreger
abgestuft, was sich in einzelnen Erkrankungen und in dem Charakter
der Epidemien ausdrückt; ebensogut in der Energie, mit welcher
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sich die Bakterien lokal ansiedeln und lokale Veränderungen machen,
■also beim Typhus die Darmgeschwüre, bei der Pneumonie die
Lungenveränderungen, bei Diphtherie die Membranen, wie in den
■Gifterscheinungen, welche sich im Nervensystem, am Herzen und
in entfernteren Organen ftussern.
So überzeugend indes auch die verschiedenen Virulenzen das
Krankbeitsbild beeinflussen, sie stellen es nicht allein her: es wirken
Disposition und Virulenz zusammen oder gegeneinander in
allen Abstufungen, welche möglich sind bei der Variabilität beider
Begriffe. Unter allen Umständen kann ein Gift nur bestimmte
Wirkung äussern in Abhängigkeit von der natürlichen Anlage des
befallenen Organismus. Diese natürliche Anlage müssen wir un¬
bedingt in den Bau und die Energie der lebenden Zellenmoleküle
verlegen; sie ist dann konstitutionell und soll durch den Ausdruck
Disposition gekennzeichnet werden. Mühlschlegel (Stuttgart).
Weichselbaum, Über die Infektionswege der menschlichen Tuber¬
kulose. Einleitendes Heferat zur VI. Internat. Tuberkulosekonferenz.
(Wiener klin. Wochenschrift Nr. 38. 1907.)
Durch den Vortrag v. Behrings auf der Naturforscher¬
versammlung in Kassel 1903 ist die Frage, ob die Fütterungs¬
tuberkulose der nahezu einzige oder wenigstens der häufigste In-
fektionsmodus beim Menschen ist, zu einer besonders aktuellen ge¬
worden. Doch weit ist ihre Lösung nicht vorgeschritten. Noch
auf der vorjährigen Tuberkulosekonferenz hatten die drei Referenten
drei verschiedene Ansichten. Hie Calmette und Verdauungsweg,
hie Flügge und Tröpfcheninfektion, und Spronck suchte einen
Mittelweg. Gross ist die Zahl derer, die seitdem durch Experi¬
mente zur Lösung der Frage beigetragen haben. Auch in des
Verf. Institut wurde und wird noch, besonders von Bartel, fleissig
gearbeitet.
Nachdem sich Verf. über den gegenwärtigen Stand der ge¬
nannten Frage verbreitet hatte, trägt er auch seine Ansicht vor.
Er glaubt aus all dem Bisherigen den Schluss ziehen zu dürfen,
dass wir die Streitfrage zwar noch nicht zu entscheiden imstande
sind, dass wir aber schon jetzt behaupten können, die Fütterungs¬
tuberkulose komme beim Menschen, besonders im Kindesalter, viel
häufiger vor, als bis vor kurzem noch die meisten Forscher geglaubt
haben. Bei diesem Infektionsmodus kann aber das Eindringen der
Tuberkelbazillen nicht bloss vom Magen und Darm, sondern auch
von der Mund-, Nasen- und Rachenhöhle, und zwar gleichzeitig
von allen diesen Stellen erfolgen, gleichgültig, ob die Bazillen mit
der Nahrung und sonstigen Ingesta oder mit der Atemluft oder auf
andere Weise in die genannten Höhlen gekommen sind. In den
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betreffenden Schleimhäuten und auch in den regionären Lymph-
drüsen braucht es nicht sogleich oder überhaupt nicht zu mani¬
festen bezw. spezifisch-tuberkulösen Veränderungen zu kommen,
sondern die Wirkung der Tuberkelbazillen kann sich zunächst in
der Erzeugung der sogenannten lyraphoiden Tuberkulose äussern,
deren Dauer verschieden lange sein kann und die schliesslich ent¬
weder ganz zurückgeht oder nach erneuter Infektion, aber auch
ohne eine solche zu spezifisch-tuberkulösen Veränderungen führt,
sei es an den Eingangspforten oder in den Lungen und Bronchial-
drüsen oder in anderen Organen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass
auch die kongenitale Tuberkulose häufiger Vorkommen dürfte, als
bisher von den meisten Autoren behauptet wurde. Für die Prophy¬
laxe aber werden, trotz sonstiger Meinungsverschiedenheiten, alle
darin einig sein, dass erstens das Eindringen der von Menschen
und Tieren stammenden Tuberkelbazillen in den Organismus ver¬
hütet werden muss, und dass zweitens alles hintanzuhalten ist, was
die Ansiedlung und Vermehrung der etwa eingedrungenen Keime
begünstigen kann. Mühlschlegel (Stuttgart).
Zieschö, Über die quantitativen Verhältnisse der Tröpfchenaus¬
streuung durch hustende Phthisiker. (Zeitschr. f. Hyg. u. Infek-
tionskrankh., Bd. 57, Heft 1, 1907.)
Die verbreitetste Infektionsquelle für die natürliche Ver¬
breitung der wichtigsten tuberkulösen Erkrankung, der Lungen¬
tuberkulose, ist das Sputum der Phthisiker. Eine weit bedeut¬
samere Rolle als der bazillenhaltige feinste Staub spielen für die
Infektion die feinsten, von Phthisikern beim Husten verschleuderten
Tröpfchen. In Ansehung der Wichtigkeit der Quantitfttsverbältnisse
gerade bei diesen Infektionsgelegenheiten hat Zieschf* in einer
grösseren Versuchsreihe die Zahl der in bestimmter Zeit und im
Bereich eines bestimmten Raumes ausgeworfenen Tröpfchen und
Tuberkelbazillen bei hustenden Phthisikern bestimmt. Die Ergeb¬
nisse der Experimente lassen sich in folgende Sätze zusammen¬
fassen :
1. Bei einmaliger Untersuchung finden sich unter Phthisikern,
die Tuberkelbazillen enthaltendes Sputum entleeren, nur 30—40 °/ 0 ,
die beim Husten Tröpfchen verstreuen. Bei wiederholten Unter¬
suchungen derselben Patienten steigt der Prozentsatz erheblich.
2. Mundtröpfchen (der Mundfiüssigkeit entstammend) enthalten
selten, Bronchialtröpfchen sehr häufig und reichlich Tuberkel¬
bazillen.
3. Die in einer halben Stunde in 40—80 cm Entfernung auf¬
gefangenen Tröpfchen enthalten in 20 % der Untersuchungen über
400 und bis 20000 Tuberkelbazillen.
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4. 200—400 Tuberkelbazillen in der Einatmungsluft sind
nötig, um beim Menschen eine Infektion hervorzurufen. Daher
erfolgt
5. eine Infektion nicht bei kurzen) Zusammensein mit einem
Phthisiker, auch nicht, wenn der Gesunde den Bereich der direkten
Husteustösse und ein Nahekommen auf mehr als 1 m meidet oder
sich abwendet.
6. Dauerndes enges Zusammensein führt leicht zur Infektion
(Mutter — Kind, Pfleger von bettlägerig Schwerkranken).
7. Bei offener Glottis werden wenig Tuberkelbazillen ver¬
streut. daher sind Kehlkopfärzte wenig gefährdet.
Weischer (Rosbach/Sicg).
Pfeiffer und Friedberger, Vergleichende Untersuchungen Ober die
Bedeutung der Atmungsorgane und des Verdauungstraktus für
die Tuberkuloseinfektion (nach Versuchen an Meerschweinchen).
[Ans d. Iiyg. Inst. d. Univ. Königsberg.] (Deutsch« med. Wochenschrift
Nr. 39. 1907 )
Von einer Tuberkelbazillenemulsion wurden einer Serie Meer¬
schweinchen in zehn Minuten etwa */ 10 ccm = 3000 Bazillen (also
möglichst wenig) in feinster Tröpfcheiiform zum Einatmen zu¬
geschleudert, einer andem Serie 9 ccm = 3 Millionen Bazillen
mittelstSchlundsonde eingegeben. Von 29lnbalationstieren erkrankten
22 an Tuberkulose der Lungen und fast regelmässig auch der
Bronchialdrüsen, bei 15 wurde generalisierte Tuberkulose fest¬
gestellt, in keinem Falle eine tuberkulöse Erkrankung der Mesen¬
terialdrüsen und des Darmes. Von 28 Tieren der Verfütierungs-
serie zeigten 4 Lungentuberkulose; diese entstand nach Ansicht
der Verff. durch Aspiration der tuberkelbazillenhaltigen Flüssigkeit,
welche beim Herausziehen von der Schlundsonde aus in die oberen
Luftwege gelangte. 3 Tiere dieser Serie hatten Tuberkulose der
MesenterialdrUsen und bei 21 Tieren war überhaupt keine Spur
von Tuberkulose im Körper zu entdecken.
Beim Vergleich der Inhalations- und Fütterungsversuche muss
Flügge recht gegeben werden, wenn er für das Meerschweinchen
die Einatmung selbst kleinster Mengen fein verstäubter Tuberkel¬
bazillen als eine viel sicherere und so gut wie regelmässig positiv
ausfallende Art der tuberkulösen Infektion unsieht gegenüber der
Verl'ütterung, welche erst bei Anwendung viel tausendmal grösserer
Mengen des Infektionsmaterials und auch daun nicht entfernt so
regelmässig zu einem Haften des tuberkulösen Virus führt. Die
Übertragung auf die Verhältnisse beim Menschen liegt nahe. Auch
hier wird mit grosser Wahrscheinlichkeit die Inhalation als die
praktisch wichtigere Quelle der tuberkulösen Ansteckung aufgefasst
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werden müssen, während die Aufnahme von Tuberkelbazillen durch
den Verdauungstraktns dagegen in den Hintergrund tritt.
Mühlschlegel (Stuttgart;.
Findel, Vergleichende Untersuchungen über Inhalations* und
Fütterungstuberkulose. (Zeitschr. f. Hvg. u. Infektionskrankh., Bd. 57,
Heft 1, 1907.)
In der Anschauung über die Infektionswege der Tuberkulose
hat sich ein bemerkenswerter Umschwung vollzogen. Während
früher fast ausschliesslich die Inhalationstheorie, d. i. die Infektion
vom Respirationstractus aus, anerkannt war, ist neuerdings — wohl
unter dem Einfluss Behrings — die Fütterungstheorie, d. i. die
Infektion vom Darmtractus im weitesten Sinne aus, fast ausschliess¬
lich in Geltung gekommen. Von Findel auf Veranlassung Flügges
angestellte exakte Versuche ergaben, dass zur Erzeugung einer In¬
halationstuberkulose bedeutend geringeres Infektionsmaterial genügt,
wie zur Erzielung einer Fütterungstuberkulose.
Die tödliche Inhalationsdosis betrug Vßuoo* die überhaupt zur
Infektion führende Inhalationsdosis (20 Baz.) Visooo der noch un¬
wirksamen Fütterungsdosis.
Die zur Erzeugung einer Fütterungstuberkulose nötige Ba-
zillenmenge muss, wie dies in Flügges Institut festgestcllt, sechs-
millionenmal so gross sein, wie die tödliche Inhalationsdosis. Die
enorme Gefährlichkeit der Inhalation ist damit zweifellos fest¬
gestellt. Weise her (Rosbach/Sieg).
Fraenkel, Über die Wirkung der Tuberkelbazillen von der unver¬
letzten Haut aus. (Hyg. Rundschau 1907. Heft 15.)
Fraenkel hat 22 Meerschweinchen auf die rasierte Bauchhaut
eine kleine Menge, meist etwa den 50. Teil einer Kultur der
Tuberkelbazillen aufgerieben und die Tiere dann ihrem Schicksal
überlassen; etwa die Hälfte der Tiere bekam die Einreibung erat
am Tage nach der Entfernung der Haare, also zu einer Zeit, wo
man eine Verheilung der etwa gesetzten ganz geringfügigen Wunde
schon mit Sicherheit erwarten durfte.
Alle infizierten Tiere (mit Ausnahme eines einzigen, das eine
seit 25 Jahren künstlich gezüchtete, also stark abgeschwächte Kultur
erhielt) sind an einer ausgebreiteten Tuberkulose ihrer inneren
Teile zugrunde gegangen, und zwar in einem Zeitraum von 2 1 /*
bis 10 Monaten, meist 6—7 Monaten nach der Einreibung. Nie¬
mals Hess sich an der Einreibestelle eine örtliche Veränderung
wahrnehmen. Nach Beobachtungen an 4 Tieren, welche 4, 8, 24
und 48 Stunden nach der Einreibung getötet wurden, vollzog sich
das Eindringen der Tuberkelbazillen auf dem Wege der Haar-
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bälge und der Talgdrüsen in die Lymphbahnen des Unterhaut-
zellgewebe8. Mühlschlegel (Stuttgart).
K&ser, Alkohol und Tuberkulose. (Separatabdruck aus: Jahresbericht
der Tuberkulösenheilstätte Heiligenschwendi.)
Den Vorwurf der Einseitigkeit, den Ref. gegen das gleich¬
namige Schriftchen Stubenvolls erhoben hat, muss er auch Käser
machen. Verf. führt eine Reihe von Äusserungen bekannter Tuber¬
kuloseforscher an, denen man andere, von nicht minder gutem
Klange gegenüberstellen könnte. Die Schrift des Verf. zeigt wieder
einmal in krasser Weise, wie oft die Alkoholgegner vom Partei¬
standpunkte aus gegen die Art sine ira ac Studio zu schreiben,
verfahren. Boas jr. (Berlin).
Beschorner, Die Stellung der Fürsorgestellen für Lungenkranke
im Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit. (Münch,
med. Wochenschrift Nr. 38 u. 39. 1907.)
Wie die Heilstätten sich zum Mittelpunkt der therapeuti¬
schen Bestrebungen im Kampfe gegen die Schwindsucht heraus¬
gebildet haben, so sind die Fttrsorgestellen berufen, das Zentrum
der gesamten vorbeugenden Tuberkulosebekämpfung zu werden.
Gegenwärtig sind über 80 Fürsorgestellen für Lungenkranke im
Deutschen Reich in Tätigkeit. Sic decken sich nicht durchaus mit
den französischen Dispensaires, sie decken sich noch viel weniger
mit den Polikliniken für Lungenkranke, wie sie in Berlin und
andern Städten bereits bestanden; denn sie schliessen jede ärzt¬
liche Behandlung aus. Ihre Aufgabe ist eine doppelte: sie sollen
einmal durch genaue Untersuchung der Kranken, seiner Wohnungs¬
und sonstigen Verhältnisse die Infektionsträger und die Seuchen¬
herde feststellen; ferner sollen sie durch die Hilfeleistung, die den
Kranken zuteil wird, bestehende Seuchenherde assanieren uud die
Bildung neuer Seuchenherde verhindern. Zu der ersten Aufgabe
müssen alle Hilfsmittel, auch das Röntgen- und Tuberkulinverfahren
herangezogen werden, und sollten die Schul-, Impf- und Militär¬
ärzte beitragen (letztere tun dies auf Befehl des Kriegsministeriums
bereits seit 1 Jahre durch Nennung der tuberkulösen und tuber¬
kuloseverdächtigen Persouen an die Zivilbehörden. Ref.). Die Unter¬
suchung hat sich dann auf die gesamte Familie und Umgebung
zu erstrecken. Bei der Durchführung der zweiten Aufgabe gilt es
vor allem: leicht Erkrankte möglichst frühzeitig in Sanatorien unter¬
zubringen, die aus den Heilstätten Entlassenen und die wegen
Platzmangels Zurückgewiesenen oder Zurückgestellten in Be¬
obachtung und Pflege zu nehmen, und endlich Gesunde oder Ge¬
fährdete vor Ansteckung zu schützen. Ausser der Beseitigung
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alles Ansteckenden bat sieb die Fttrsorgetätigkeit zu erstrecken auf
eine Besserung der Wohnungs- und Ernährungsverhältnisse, auf
die Hebung der sozialen Lage, Mitwirkung bei der Berufswahl,
Beachtung der allgemeinen Gesundheitspflege und Aufklärung im
Volke. Ganz besondere Aufmerksamkeit aber ist der Tuberkulose¬
bekämpfung im Kindesalter zu schenken.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Martin, Ältere Anschauungen über den Gebrauch des Binzelkelches
beim Abendmahl. (Mediz. Klinik 1907, Nr. 50.)
Der interessante historische Aufsatz läuft auf Ben Akibas
bekannte Wort hinaus: Alles dagewesen, alles dagewesen. Es ist
nicht ein Verdienst der modernen medizinischen Forschung, die
Gefahr der gemeinsamen Abcndmablskelche erkannt zu haben, viel¬
mehr waren schon im 14. Jahrhundert zur Pestzeit Einzelkelche
üblich. Boas jr. (Berlin).
Kaiser, Über die Desinfektion infektiöser Darmentleerungen.
(Archiv für Hygiene 1907, B. 00, H. 2.)
Der Verfasser kommt auf Grund seiner umfangreichen, mit
Colikulturen als Testobjekt ausgeführten Untersuchungsreihen zu
folgenden Schlussätzen:
1. Die bisherigen Vorschriften über Fäkaliendesinfektion im
Stechbeckcn berücksichtigen ausschliesslich diarrhöisehe Stühle und
erweisen sicli festen gegenüber als insuffizient.
2. Die Tiefenwirkung der 10°/ o igen Kresolscifenlösung und
der 20°/„igen Kalkmilch auf konsistente Fäkalien ist auch nach
längerer Einwirkungsdauer äusserst gering.
3. Das häufige Auftreten fester Stühle ('/o — Vs alle Fälle
bei Typhus) erfordert eine ausdrückliche Betonung in den ver¬
schiedenen Desiufektionsvorsehriften, Merkblätter etc. und dement¬
sprechende Ergänzung der für diarrhöisehe Entleerungen gedachten
Vorschrift.
4. Ein Mittel mit beträchtlich grösserer Tiefenwirkung auf
Fäkalien ist das Ätznatron in 15°/ 0 iger Lösung.
Dasselbe kann jedoch nur in besonders geeigneten Fällen
gebraucht werden.
;j. Im allgemeinen wird man sich der 10°/ 0 igen Kreaolseifeu:
lösung zu bedienen haben, jedoch deren Einwirkungsdauer auf feste
Stühle erheblich über die in den Desinfektionsvorschriften anget
gebenen Zeit von 2 Stunden ausdehnen müssen.
Matth es (Cöln i. i
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Kaiser, Über eine Trinkwasser-Typhusepidemie. (Aus d. hyg. Inst,
d. Univers. Graz). (Dtsche. Vierteljahrschr f. üff. Gesundhtspfi. 1907, H. 2.)
Als in einem Knabenerziehungsinstitut 1906 innerhalb 6 Tagen
25 Insassen, 18 davon bettlägerig, erkrankten, wurde Verfasser
beauftragt, nach der Infektionsquelle zu forschen. Die Besichtigung
der örtlichen Verhältnisse, das trübe Aussehen und die hohe Keim¬
zahl des Wassers lenkte den Verdacht auf einen der drei Brunnen.
In Anbetracht der immer noch seltenen Auffindung von Typhus
bazillen im Trinkwasser, dürfte der weitere Gang der Untersuchung
interessieren: Mit je 900 ccm von dem verdächtigen Wasser wurde
das Anreicherungsverlühren nach Roth-Ficker-Hoffmann mittels
Koffein-Nutrose-Kristallviolett Bouillon vorgenommen und die Vor¬
kultur 12 Stunden bei 37° gehalten. Zur Ausfüllung der ver¬
mehrten Keime wurden je 2 Fällungsmethoden, a) nach Ficker
mit Soda und Ferrisulfat, b) nach Altschüler mit hochwertigem
Typhusserum angewandt und der mittels Zentrifuge ausgeschleuderte
Bodensatz, a) auf v. Drigalskis, bj auf En dos Nähragar aus¬
gestrichen und verrieben; im ganzen waren es 48 Platten. Nach
12 Stunden wurden 125 Kolonien auf Bouillon abgeimpft und
wiederum nach 12 Stunden mit Typhusserum im hängenden Tropfen
auf Agglutination untersucht. Alle bis auf eine schlugen negativ
aus. Diese eine Kolonie ist auf dem Weg A ltschüler-Endo ge¬
funden worden. Der Stamm agglutiniertc sofort 1:640 und erwies
bei der weiteren Untersuchung alle Merkmale des Typhusbazillus.
Die Epidemie erlosch, nachdem die Infektionsquelle — der
Brunnen — ausgeschaltet worden war.
Für die bakteriologische Diagnose war dieser Fall besonders
günstig, da in dem auszementierten Brunnenschacht, in dem das
Wasser durch eine Leitung floss, eine Vermehrung der einge¬
schleppten Keime, oder wenigstens keine Fortführung stattfinden
konnte. Wahrscheinlich ist das numerische Verhältnis der Typhus¬
keime zu den Wassersaprophyten zur Zeit der Probeentnahme ein
besonders günstiges gewesen. Woher die Typhuskeime stammten,
und wie sie in den Brunnen kamen, hat sich nicht feststellen lassen.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Kossel, Zur Verbreitung des Typhus durch Bazillenträger. [Aus
d. hyg. Inst. d. Univ. Giessen.] (Deutsche ined. Woch. Nr. ü9. 1SK)7.)
Verfasser beschreibt, wie eine grössere Zahl von Typhus-
-erkrankungen in einer Stadt den Verdacht auf die Milch und auf
einen Gutshof lenkte, und wie von da aus trotz mehrerer wich¬
tiger Sanierungen immer wieder Typhus ausgestreut wurde, bis
schliesslich in der Person des Schw'einefütterers, der manchmal zum
.Melken herangezogen wurde, die bakteriologische Untersuchung
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einen Bazillen-Dauerträger entdeckte. Die Beobachtungen sind sehr
lehrreich und wohl geeignet, die Anschauung zu stützen, dass
Typhusdauerträger eine erhebliche Rolle bei der Verbreitung' des
Typhus spielen können, und dass ein solcher Bazillenträger jahre¬
lang eine Gefahr für einen grossen Kreis von Menschen bilden
kann. Sie lehren ferner, dass bei der gesundheitlichen Überwachung
der Gewinnung, der Verarbeitung und des Verkaufs der Milch
nicht allein auf die Ausstattung der Räume, die Beschaffenheit der
Gefässe, die Wasserversorgung und dergleichen geachtet werden
muss, sondern dass alle auf die Sauberkeit gerichteten Massnahmen
illusorisch werden können, wenn unter dem Personal sich ein Typhus¬
träger befindet. Mühlschlegel (Stuttgart).
Dehler, Zur Behandlung der Typhusbazillenträger. (Münchener med.
Wochenschrift 1907, Nr. 16.)
Dehler hat bei einer Bazillenträgerin die Eröffnung der Gallen¬
blase vorgenommen, um die Typhusbazillen zu entfernen. Er be¬
tont ausdrücklich, dass von seiten der Gallenblase absolut keine
Indikation zu dem Eingriff klinisch bestand. Die Patientin hatte
bei sonstigem subjektiven Wohlbefinden in den letzten Jahren au
schwer zu beeinflussendem Abgang von dünnflüssigem Kot, einem
Mastdarmvorfall und gelegentlicher Entleerung von Darmsehleim
mit blutigen Fetzen gelitten. Die entleerte. Galle enthielt anfangs
spärlich Typhus-, reichlicher Colibazillen, später wurden Typhus¬
bazillen in Reinkultur gefunden. Solange die Galle reichlich aus
der Fistel floss, waren die Bazillen spärlich, bisweilen gar nicht
nachzuweisen, später mit zunehmender Verengerung der Fistel wurden
sie wieder reichlicher. Im Stuhl, der vor der Operation regel¬
mässig Typhusbazillen enthalten hatte, wurden nur einmal, 2 Monate
nach der Operation, Bazillen gefunden, später wurden sie dauernd
vermisst. Die Diarrhöen sistierten nach der Operation, und auch
der Mastdarmvorfall trat nicht mehr so häufig hervor. Bei der
Eröffnung der Gallenblase waren übrigens zw r ei sterile Gallensteine
gefunden worden. Im Blut und Urin waren weder vor noch nach
der Operation jemals Typhusbazillen nachzuweisen. Der Verfasser
hält deswegen das Bestehen von Depots ausserhalb der Leber für
unwahrscheinlich. Auf den befriedigenden Ausfall der Operation
hin erklärt der Verfasser allen Ernstes eine Ausräumung und Ver¬
ödung bzw. totale Entfernung der Gallenblase bei Typhusträgern für
berechtigt, ein Standpunkt, den der Referent nicht zu teilen vermag.
Matthes (Cöln).
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LOffler, Zum Nachweise und zur Differentialdiagnose der Typhus¬
bazillen mittels der MalachitgrQnnfthrbOden. [Aus d. hyg. Inst,
d. Univ. Greifswald.] (Deutsche med. Wochenschrift Nr. 39 1907.)
Durch das „Malachitgrün kryst. ehern, rein“ konnten die zum
Typbusnachweis geeigneten Grünnährböden im allgemeinen ver¬
bessert werden. Verf. gelang es nun, im besonderen das Bouillon¬
nutroseagar durch Zusatz von 3 °/ 0 Rindergalle und 1,9 °/ 0 einer
0,2°/ 0 igen Malachitgrün kryst. ehern, rein-Lösung derart zu
modifizieren, dass die Colibazillen fast sicher ausgeschaltet werden
können. Für die weitere Untersuchung der bei mikroskopischer
und makroskopischer Betrachtung etwa als typhusverdächtigerkannten
Kolonien hat er aus Nutrose, Pepton, Traubenzucker, Milchzucker,
Malachitgrün und Normalkalilauge eine „Typhuslösung“ geschaffen,
worin die Typhusbazillen eine eigenartige Gerinnung hervorrufen.
Für den im Lauf der Zeit so bedeutungsvoll gewordenen Nachweis
der Paratyphus- und Fleischvergifterbakterien dient eine ähnlich,
nur ohne Traubenzucker zusammengesetzte „Paratyphuslösung“,
deren helles Grün von Paratyphusbazillen in ein blasses Gelb ver¬
wandelt wird.
Das Untersuchungsverfahren gestaltet sich demnach in der
Praxis folgendermassen: Ist auf dem Grünagar eine verdächtige
Kolonie gewachsen, so impft man von ihr je ein Röhrchen Typhus¬
lösung und Paratyphuslösung. Sind beide Röhrchen vergoren, so
hat man es mit Colibakterien zu tun; ist in der Typhuslösung eine
typische Gerinnung und in der Paratyphuslösung keine Ver¬
änderung eingetreten, so hat man Typhusbakterien vor sich; ist die
Typhuslösung vergoren und die Paratyphuslösung entfärbt, so gehört
der fragliche Mikrobe zur Gruppe der Paratyphus und Fleisch¬
vergiftungsbakterien (ihre nähere Differenzierung ist dann mit Hilfe
der spezifischen Paratyphus- und Gaert nur-Sera möglich); ist
endlich keines der Röhrchen verändert, so ist es weder ein Coli-,
noch ein Typhus-, noch ein Paratyphusbakterium.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Bacmeister, Bakteriologische Untersuchungen bei Cholelithiasis.
[Aus dem pathol. Inst d.Univ. Freiburg i./Br.) (Münch, med. Wochen¬
schrift Nr. 38. 1907.)
Die Frage, ob Bakterien das auslösende oder ein mitwirken¬
des Moment bei der Gallensteinbildung sind, schwankt immer noch
hin und her. Die bei weitem grössere Zahl von Forschern neigt
jetzt der Ansicht zu, dass neben anderen pathologischen Ver¬
änderungen Infektionserregern ein Anteil an der Steinbildung zu¬
fällt. Verfasser hat Steine von 24 Fällen untersucht. Hiervon er¬
wiesen sich 20, worunter viel jüngere Steine, als steril, während
bei 4 zum Teil älteren Steinen durch das Bouillonkulturverfabren
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Bakterien aus dem Zentrum gewonnen wurden: 3 mal Coli-, 1 mal
Typhusbakterien. Ferner hat er von 11 Steinen, die er zuerst
sterilisierte und dann in verschiedene Bouillonkulturen legte, bei
zweien aus dem Zentrum Typhusbazillen züchten können; diese
beiden Steine waren 8 und 24 Tage lang in der Kultur. Mit diesen
Befunden glaubt Verfasser den Beweis erbracht zu haben, dass in
alle Arten von Gallensteinen und zu jeder Zeit Bakterien ein¬
wandern können. Müh tsch lege! (Stuttgart).
Westenhoeffer, Über die. praktische Bedeutung der Rachener¬
krankung bei der Genickstarre. (Berl. klin. Woehschr. Nr. 38. 1907.)
Verf. betrachtet bekanntlich auf Grund seiner schlesischen
Beobachtungen die Erkrankungen der Rachentonsille als die Pri¬
märerscheinung, von der» aus die Meningitis entsteht. Diese An¬
schauung ist allmählich allgemein anerkannt worden, besonders des¬
halb, weil sich die Meningokokken, wenn überhaupt, so regelmässig
im Rachensekret von Meningitis und von Pharyngitiskranken und
von Gesunden feststellen lassen. Es gibt sieh daher von selbst
der Gedanke, dass auch die Rachenerkrankung die Ursache sein
kann für die Verbreitung der Keime, sei es im Sinne der Tröpf¬
cheninfektion oder der Sputumverstäubung oder dergl., und dass
die Krankheitserreger hauptsächlich mit der Atmungsluft in den
Organismus hineinkommen. Die merkwürdige Tatsache, dass die
Schulen niemals die Vermittler der Ansteckung sind, obwohl die
Genickstarre gerade eine Kinderkrankheit ist, erklärt W. damit
dass Kinder nicht auswerfen, sondern ihr Sputum schlucken. Es
stellt sich immer mehr heraus, dass Erwachsene, welche Kokken
tragen und auswerfen, die Verbreiter sind; in den Kohlenrevieren,
wo die Mehrzahl der Bewohner an chronischem Rachenkatarrh lei¬
det und auffallend gern auswirft, ist eine Verbreitung der Genick¬
starre besonders leicht möglich.
Nach allem, was wir heute wissen, sollen Meningokokken
nur da Vorkommen, wo Meningitis existiert, und soll ein Meningo¬
kokkenträger, der irgendwo in der Welt herumläuft, zu einem
Meningitisfall in Beziehung gestanden haben. W. teilt aber einen
Fall aus dem Krankenhaus Moabit mit, wonach ein 20 Jahre
alter Mann nach einer Lumbalanästhesie mit Stovain an einer
Meningokokken-Meningitis erkrankte und nach 4 Tagen starb; die
Meuingokokken wurden in der Lumbalflüssigkeit und im Eiter der
Meningen mikroskopisch, kulturell und durch Agglutination nachge¬
wiesen; die mikroskropische Untersuchung des Nasenrachenraums
und der Lungen hat nicht die geringste Entzündung ergeben, und
die Anamnese konnte keinerlei Verbindung mit einem Meningitiar
fall feststellen. Woher kamen da die Meningokokken? Zwei Er-
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klärungen sind möglich: 1. Der Mann war doch Kokkenträger. 2. Die
Infektion erfolgte durch das Instrument oder die Injektionsflüssig¬
keit. Weder die eine noch die andere Erklärung Hess sich be¬
weisen. W. bezweifelt, ob die heutige Anschauung von dem Vor¬
kommen des Meningokokkus richtig ist, und ob sich letzterer nicht ähn
lieh verhält, wie „der Pneumokokkus oder Diphteriebazillus, die
ebenfalls als Rachenbewohner gesunder Menschen Vorkommen, die
zu Pneumonie oder Diphtherie keine Beziehung haben“.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Voigt, Was ist als generalisierte Vakzine zu bezeichnen? (Münch,
med. Wochenschrift Nr. 38. 1907.)
Der Name generalisierte Vakzine, zu deutsch: allgemeiner
Kuhpockenausschlag, wird neuerdings in so verwirrender Weise
für ganz verschiedene vakzinale Erscheinungen gebraucht, dass es
Verfasser für erforderlich hält, einmal wieder auf die althergebrachte
Bedeutung dieses Namens hinzuweisen. Mit dem Namen „generali¬
sierte Vakzine“ darf nur ein auf hämatogenem Wege entstandener
allgemeiner Ausschlag bezeichnet werden, der sich in Gestalt von
mehr oder weniger vollständig ausgebildeten Vakzinepusteln äussert
und sich bei den mit Kuhpockenimpfstoff Geimpften ziemlich seiten
um die Zeit des Aufhörens des Vakzinefiebers zeigt und der ein¬
fach abtrocknet, ohne nennenswerte Narben zu hinterlassen. Man
hat von jeher allgemein angenommen und verlangt, dass dieser
postvakzinale Ausschlag in seinem Bläschcninhalt einen wirksam
übertragbaren Kuhpockenimpfstoff enthalte. Nach Pfeiffers und des
Verfassers Versuchen aber ist dies entweder nur ausnahmsweise
der Fall oder kommt die generalisierte Vakzine äusserst selten vor.
Der postvakzinale Ausschlag der generalisierten Vakzine findet
eine Analogie in dem Allgemeinausscblag der Variola, der eben¬
falls nach dem Abklingen des Eingangsfiebers der Variola aus¬
bricht und die ernsteren Erscheinungen dieser Kranken bedingt.
Wohl zu unterscheiden von der generalisierten Vakzine sind die
auf örtliche Übertragung zurückzuführenden vakzinalen Formen,
als da Bind: Nebenpusteln oder supemumeräre und sekundäre
Pusteln und Ekzema vakzinatum. Mühlschlegel (Stuttgart).
Jacobi, Das dänische Gesetz betreffend die Bekämpfung der Un-
sittlichkeit und venerischen Ansteckung vom 80. März 1906.
(Ärztliche Sachverständigen-Zeitung 1907, Nr. 19.)
Gegen Personen, die ein unsittliches Gewerbe treiben, ist die
Polizei befugt, ebenso einzuschreiten wie gegen die Landstreicherei,
allerdings nur nach vorausgegangener Verwarnung. Mit Gefängnis,
unter erschwerenden Umständen mit Zuchthaus wird bestraft, wer
zur Unzucht in der Weise auffordert oder ein unsittliches Bt—
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nehmen derart zur Schau trägt, dass dadurch das Schamgefühl
verletzt, öffentliches Ärgernis erregt oder Umwohnende belästigt
werden; dieselbe Strafe trifft diejenige Frauensperson, die Unzucht
als Gewerbe betreibt oder ein unmündiges Kind, das über zwei
Jahre alt ist, im Hause bei sich hat oder wenn sie von männlichen
Personen unter 18 Jahren Besuch zu unsittlichen Zwecken empfängt,
ferner wer ein Bordell unterhält, sich der Kuppelei schuldig macht,
des Gewinnes halber Personen beiderlei Geschlechts zum Zwecke
der Unzucht Zutritt in seine Wohnung gestattet, Zimmer nicht zum
■dauernden Aufenthalt, sondern um Gelegenheit zur Unzucht zu
geben, vermietet oder Frauenzimmer unter 18 Jahren, die ihren
Unterhalt durch unsittliche Lebensweise erwerben, ins Haus nimmt.
Es ist ferner verboten, Mittel gegen die Konzeption öffentlich an¬
zupreisen.
Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sollen öffentliche
Arzte angestellt werden, die speziell die Behandlung der Geschlechts¬
krankheiten übernehmen, und zwar ohne Entschädigung seitens der
Kranken, die das Recht haben, einen Arzt aufzusuchen. Dafür
haben sie die Pflicht, die von dem Arzte verordneten Kuren ge¬
wissenhaft durchzuführen und nur mit Genehmigung des Arztes
die stationäre Behandlung im Krankenhause zu verlassen. Jeder
Arzt, der ein geschlechtlich erkranktes Individuum untersucht,
hat es auf die Ansteckungsgefahr und die gerichtlichen Folgen auf¬
merksam zu machen, insbesondere soll der Kranke auf die Gefahr
der Infektion in der Ehe hingewiesen werden.
Verf. bemängelt an dem dänischen Gesetze, dass es eine fort¬
laufende Beobachtung und sanitäre Kontrolle nicht kennt. Im
übrigen, meint er, wird sich manches davon für uns verwerten
lassen. Boas jr. (Berlin).
Yüdice, Statistische Erhebungen über die Häufigkeit des Trippers
beim Manne und seine Folgen für die Ehefrau und Kinderzahl.
(Inaug.-Diss. Berlin 1907.)
Verf. hat Erbs Angaben an dem Materiale der Josephschen
Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten nachgeprüft. Verf.
weist zunächst die Berechtigung nach, von der retrospektiven Me¬
thode, die Erb empfohlen hat, nahekommende Resultate zu er¬
warten. Auf dieser Basis hat Verf. einen Prozentsatz von 61,9
der in der Poliklinik behandelten Männer als mit Gonorrhöe in¬
fiziert gefunden. Schaltet man den Umstand aus, dass das Material
einer Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten entstammt,
so bleiben 50,3°/ 0 , eine Zahl, die etwa der grossen Masse der nie¬
deren Bevölkerungsschicht entspricht. Von diesen wurden 77,0%
bis zum 25 Lebensjahre infiziert, 23% nach dem 25 Lebensjahre.
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Was die Folgen des Trippers für die Ehefrau betrifft, so
konnte Verf. feststellen, dass der Tripper, wenn er akut übertragen
wird, in 14,l2°/ 0 mit Sicherheit und noch in 13,(J° /U mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine verhängnisvolle Wirkung auf Ehefrauen
und Nachkommenschaft ausübt. Weniger gefährlich ist die Über¬
tragung der chronischen Gonorrhöe in der Ehe; hier werden
nur 6,37 °/ 0 der Ehefrauen in Mitleidenschaft gezogen, davon 3,98 °/ 0
mit Sicherheit.
Das ausschlaggebende Moment in dem Einfluss des Trippers
auf die Kinderzahl ist die schwere Unterleibserkrankung der Frau,
die meist Sterilität der Ehe oder eine „Einkindsehe" zur Folge hat.
Auf der anderen Seite weist aber Verf. darauf hin, dass die Ehen
gonorrhoischer Männer mit gesunden Frauen viele 0- und 1-Kinds-
ehen aufweisen, deren Ursachen nicht bekannt sind. Hier ist die
Möglichkeit zuzugeben, dass auch manche von diesen ihre Ur¬
sache in der Gonorrhöe haben, manche wohl auch in der Gonorrhöe
der Frau, die sie mit in die Ehe brachte.
Verf. bemerkt zum Schluss: Gegenüber Erb haben wir eine
grössere Anzahl von durch Tripper beeinflussten Ehen gefunden.
So kommen wir zu dem begründeten Schlusswort, dass die Gonor¬
rhöe für die Ehe eine ernste Gefahr bedeutet und auf ihre Aus¬
heilung das grösste Gewicht zu legen ist, dass aber die krassen
Gerüchte über ihre Häufigkeit und Untergrabung des ehelichen
Lebens, die auch zu Ausschlachtungen (? Kef.) im öffentlichen
Leben Anlass geben, nicht zu Recht bestehen. Boas jr. (Berlin).
Sofer, Über das Wesen und die Bekämpfung des Gelbfiebers. (Me¬
dizinische Klinik 1907, Nr. 32.)
Im ersten Teile seiner Arbeit schildert Verf. das Wesen des
Gelbfiebers mit Berücksichtigung der neueren und neuesten Literatur
und bespricht im zweiten die Bekämpfung. Eine Quarantäne
gegen die Einschleppung des Gelbfiebers ist wirkungslos. Bei der
Abwehr des Gelbfiebers handelt es sich in erster Linie darum, den
Körper gegen den Stich der blutsaugenden Weibchen zu schützen,
die Mücken nicht nur in den Wohnräumen zu vertilgen, sondern
vor allem ihre Brutstätten zu vernichten, ihnen durch Trocken¬
legung der Sümpfe die Existenzbedingungen zu nehmen. Die Be¬
völkerung soll über die von bestimmten Mücken drohende Gefahr
und ihre Abwehr belehrt werden. Den Reisenden in den Gebieten,
in welchen das Gelbfieber endemisch ist, soll auf den Eisenbahnen
und Dampfern und in den Schlafräumen durch Grassische Netze
Schutz gegen die Mückenplage geboten werden. Verf. empfiehlt
diese von Goeldi gemachten Vorschläge, die sich in Havanna glänzend
bewährt haben.
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Dem Verf. ist wohl ein Versehen unterlaufen, wenn er schreibt:
„Während im Jahre 1906 noch 301 Menschen in Havanna an Gelb¬
fieber starben, sank 1901 die Sterblichkeit auf 5 Fälle, um 1902
zum erstenmal seit Jahrhunderten gleich 0 zu sein.“ Statt 1906
muss es offenbar 1896 heissen. Boas jr. (Berlin).
Bashford, Murray und Haaland. Ergebnisse der experimentellen
Krebsforschung. (Aus d. Labor, ri. Imperial Cancer Research in Lon¬
don.) (Berl. klin. Wochschr. Nr. 38. 1907.)
Da die epitheliale Natur der transplantabien Mammatmnoren
der Maus wegen kleiner histologischer Abweichungen angezweifelt
und infolgedessen die Berechtigung bestritten wurde, diese Tu¬
moren den menschlichen Karzinomen zur Seite zu stellen, suchten
die Verff. einen anderen epithelialen Tumor, über dessen Histo-
genese kein Zweifel bestehen kann, zu transplantieren. Sie wähl¬
ten dazu ein Plattenepithelkarzinom einer alten Maus. Von
den tieferen Partien dieses Tumors impften sie Mäusen je 0,01 bis
0,02 g unter die Rückenhaut. Von 156 Mäusen wurde in 4 Fällen
3—4 Wochen nach der Impfung eine beginnende Tumorentwick¬
lung als schrotkorngrosses Knötchen festgestellt. Dieses wuchs bei
1 Maus nach 7 Monaten zu einem 1,5 cm grossen Tumor heran
und wurde dann wiederum auf 64 Mäuse übertragen. Hiervon
hatten 7 bereits nach 2 Wochen einen Tumor, und die weitere
Verpflanzung dieses Tumors bot keine Schwierigkeit mehr. Von
der 3. Generation an zeigten die Tumoren ein auffallend rasches
Wachstum. In der 8. Generation trat eine typische Verhornung
auf, die sich bei der histologischen Untersuchung auch in den
Lungenmetastasen fand. Gleichzeitig mit der gesteigerten Neigung
zur Verhornung war eine Abnahme der Impfungsbeute wahrzu¬
nehmen.
Was nun die Immunität betrifft, so sind nach Verff. die Tiere,
bei denen Tumoren oder grössere Irapfdosen ohne deutliche Tumor-
bildung resorbiert wurden, gegen spätere Impfungen desselben Tu¬
mors in hohem Grade geschützt. Dagegen Bind diese Tiere gegen
Tumoren ganz verschiedener Histogenese (Jensens Tumor, Adeno¬
karzinom der Mamma) nicht in demselben Grade geschützt. Um¬
gekehrt ist es möglich, Tiere, die gegen die letztgenannten Tu¬
moren vollkommen immun sind, mit diesem Plattenepithelkrebs er¬
folgreich zu impfen. Somit ist ein weiterer Beweis für eine ge¬
wisse Spezifität der Resistenz gegen den einzelnen Tumor erbracht.
Mühlschlegel (Stuttgart).
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Weinberg, Kritisohe Bemerkungen zu der Breslauer Statistik des
Krebses beider Ehegatten und der Frage des Krebses der Ehe¬
gatten Qberhaupt. (Ztschr. f. Krebsforsch. 1906, Bd. 4, p. 83—90.)
Verf. -.bemängelt die Breslauer Statistik von Frief (Klin.
Jahrbuch 1904, Bd. XII). Im übrigen leugnet er wie Frief das
häufige Vorkommen des Cancer k deux (Behla) — Frief hat in
Breslau nur 65 Fälle von Krebs beider Ehegatten, W. selbst in
Stuttgart 48 Fälle gefunden — und glaubt, dass man den Nach¬
weis des Cancer k deux nur mittels eiuer längere Zeit durch¬
geführten Statistik im ganzen Deutschen Reich führen könne.
Dieser Pessimismus des bekannten Medizinalstatistikers gibt zu
denken! Boas jr. (Berlin).
Römer, Ober Krebsangst. (Zeitschrift für Krebsforschung 1906, Bd. 4,
p. 75-82.)
Verf. hält die Krebsangst für ein ebensogrosses Übel, wie die
Krebskrankheit selbst. Er fasst seinen interessanten Aufsatz in
folgenden Satz zusammen: Je mehr die Beziehungen der Ärzte zu¬
einander und zu den Kranken von gegenseitigem Vertrauen ge¬
tragen sind, desto besser ist dem wahren Wohl aller Beteiligten
gedient, und desto leichter lässt sich die verhängnisvolle Wirkung
'der Krebsangst ausschalten. Boas jr. (Berlin).
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Abelsdorff, Dr, G., Das Auge des Menschen und seine Gesundheitspflege.
Leipzig 1907. B. G. Teubner. Preis geh. 1 M., geb. 1.25 M.
Thirty-Eighth Annual Report of the State Board of Health of. Massa¬
chusetts. Boston 1907. Wrigth & Potter.
Bourcart, Dr. M., und Cautru, Dr. F., Le Ventre. Etüde anatomique et
clinique de la Cavite abdominale au point de vue du massage. Ge-
neve 1908. C. Kündig. Paris, Felix Alcan.
Clouston, Prof. T. S., Die Gesundheitspflege des Geistes. München 1908.
Ernst Reinhardt. Preis geb. 2.80 M.
Fortschritte der Ingenieurwissenschaften. Zweite Gruppe. 14. Heft: Die
Assanierung von Köbenhavn. Leipzig 1907. Willi. Engelmann. Preis
geh. 16 M.
Hartelius, Prof. # T. J., Lehrbuch der schwedischen Heilgymnastik.
Deutsche Ausgabe. Leipzig 1907 Th. Griebens Verlag. Preis geb.
4.60 M.
Klinger, H. J., Kalender für Heizungs , Lüftungs- und Badetechniker.
Halle a. S. 1908. Preis 3.20 M.
Langfeldt, Dr. med., Ein zuverlässiges Mittel gegen Scharlach. München
1908. Verlag der Ärztl. Rundschau. Preis 1 M.
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Metschnikoff, Elias, Beiträge zu einer optimistischen Weltanschauung.
Deutsch von Heinr. Michalski. München, J. F. Lehmann. Preis 6 M.
Möller, Karl, Deutsches Ringen nach Kraft und Schönheit. Leipzig 1907.
B. G. Teubner. Preis geb. 1.25 M.
Nussbauin, Prof. H. Chr., Die Hygiene des Städtebaus. Leipzig 1907.
G. J. Göschen. Preis 80 Pf.
-Die Hygiene des Wohnungswesens. Leipzig 1907. G. J. Göschen.
Preis 80 Pf.
Pelc, Dr. Ignaz, Bericht über die sanitären Verhältnisse und Einrichtungen
des Königreiches Böhmen in den Jahren 1902—1905.
Praunitz, Dr. W., Grundzüge der Hygiene unter Berücksichtigung der
Gesetzgebung des Deutschen Reichs und Österreichs. München 1906.
J. F. Lehmann. Preis geh. 8 M., geb. 9 M.
Rigauer, Dr. Valentin, Ein kurzer praktischer Ratgeber für wichtige
Fragen der Gesundheitspflege und zur Verhütung von Magen- und
Darmkrankheiten. München 1907. J. F. Lehmann. Preis geh. 80 Pf.
Roth, Dr. E., Gewerbehygiene. Leipzig 1907. G. J. Göschen. Preis 80Pf.
Schuster, Dr. P., Das Nervensystem und die Schädlichkeiten des täg¬
lichen Lebens. Leipzig 1908. Quelle & Meyer. Preis geh. 1 M., geb.
1.25 M.
Tillmanns, Dr. H., Moderne Chirurgie. Leipzig 1908. Quelle & Meyer.
Preis geh. 1 M., geb. 1.25 M.
Weber, Adolf, Dr. jur. et phil., Armenwesen und Armenfürsorge. Leipzig
1907. G. J. Göschen. Preis 80 Pf.
Wiel er, Prof. Dr. A., Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen narkotischen
Aufgussgetränke. Leipzig 1907. B. G. Teubner. Preis geh. 1 M., geb.
1.25 M.
Wi 11h au er, Dr. med. Kurt, Leitfaden für Krankenpflege im Krankenhaus
und in der Familie. Halle 1907. C. Marhold. Preis 3 M.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
EinMnd.ro genügen. Dje Vertagshandlung.
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Schule und ansteckende Krankheiten.
Vortrag,
gehalten in einer Versammlung der Cölner Lehrerschaft
vom
Beigeordneten Dr. Krautwig (Cöln).
Mit 2 Kurventafeln.
„Die Schule ist nun einmal kein Sanatorium, sie ist für Schüler
und -Lehrer ein Gewerbe, ein Beruf, und jedes Gewerbe, selbst das
leichteste, birgt Gefahren in sich.“ Mit diesen Worten wandte sich
der bekannte Pädiater Hagenbach-Burckhardt in Basel gegen
allzu weitgehende sanitäre Massnahmen in den Schulen zur Abwehr
ansteckender Krankheiten. Ähnliche Empfindungen werden auch
die Lehrer oft gehabt haben, wenn sie die etwas unruhig hastenden
Gesetze und Verfügungen der Sanitätsbehörden in den letzten Jahren
zu Gesicht bekommen haben. Man wird solche Empfindungen um
so besser verstehen, als man ja ihre Klagen kennt, dass man der
Schule, die schon mit ihren eigensten Aufgaben überbescbäftigt sei,
immer noch mehr Sonderaufgaben zuzuweisen bestrebt ist. Die
Schule wird nicht nur die Sanitätsbehörde und den Schularzt nicht
mehr los, sie soll auch für das leibliche und soziale Wohl der
Schulkinder sonst in vielseitigster Weise herangezogen werden.
Ich erinnere nur an Fragen wie Schulspeisung, gewerblicher Kinder¬
schutz, körperliche Ausbildung, Koch- und Haushaltungsunterricht
und dergleichen.
Trotz alledem halte ich es nicht für einen modernen Sport,
der kommt und verschwindet, wenn wir Ärzte die eminente Be¬
deutung der Schule für die Volksgesundheit immer wieder hervor¬
beben und fordern, dass neben der eigentlichen und wichtigsten
Aufgabe der Schule, der Erziehung und Belehrung der Kinder,
auch die Sorge für das körperliche Wohl zu ihrem Rechte kommt.
Wohl mögen manche Ärzte und Volksfreunde mit ihrem Eifer gar
zu viel von der Schule verlangen. Die Bedeutung einer energischen
und doch massvollen Schulhygiene wird heute im Ernste kein Ein-
CentralbUtt f. tilg. Gesundheitspflege. XXVII. Jshrg. 8
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sichtiger mehr bestreiten wollen, und wir Ärzte freuen uns ganz
besonders, dass wir bei der Lehrerschaft Verständnis und Entgegen¬
kommen für unsere Bestrebungen finden, ja dass manche Lehrer
bereits Schulter an Schulter mit uns in Wort und Schrift für die
Ziele der Schulhygiene kämpfen.
Eines der wichtigsten Kapitel der Schulgesundheitspflege
knüpft sich an die Beziehungen der Schule zu den Infektions¬
krankheiten. Infektionskrankheiten sind ansteckende Krankheiten.
Der Begriff der letzteren hat sich im Lichte der neueren Forschungen
ausserordentlich verschoben. Was man früher vielfach noch als
Erkältungskrankheit ansah, ich nenne Influenza, Lungenentzündung,
Halsentzündung, ist heute im wesentlichen als eine Infektions¬
krankheit aufzufassen in dem Sinne, dass ausser dem disponierenden
Moment der Erkältung noch als spezifische Krankheitsursache hinzu¬
kommt eine jeder Krankheit eigene Art von Infektionserregern.
Auch für den unbestimmten Ausdruck Miasmen haben wir heute
kein rechtes Verständnis mehr. Das Wechselfieber, welches dnrch
das Miasma der Sümpfe nach früherer Ansicht übertragen wurde,
wird nach dem heutigen Stande unserer Wissenschaft durch ganz
bestimmte Krankbeitskeime unter Vermittlung einer Mücke al6
Zwischenwirtes von Mensch zu Mensch übertragen. Bei einer
ganzen Reihe von Krankheiten, ich nenne Tuberkulose, Diphtherie,
Typhus, Genickstarre, Pest usw., die man auch früher schon nach
der Art ihres Auftretens als ansteckend bezeicbnete, kennen wir
heute genau den Erreger der Krankheit und mehr oder weniger
genau auch die Art der Übertragung von Mensch zu Mensch.
Leider ist trotz allen Fortschrittes der Wissenschaft auch heute
noch der Erreger für manche ansteckende Seuche nicht bekannt.
Noch kennen wir nicht die infektiösen Keime des Scharlachs, der
Masern, der Pocken. Es lässt sich aber für alle diese Krank¬
heiten mit Sicherheit behaupten, dass sie durch das Eindringen
von pflanzlichen oder tierischen Kleinlebewesen in dem menschlichen
Körper zum Ausbruch kommen. Die Mikroorganismen sind kleinste
Körperchen, deren Länge sich nach einem Tausendstel, deren
Dicke sich nach einem Zehntausendstel eines Millimeters meist
hemisst. Sie entziehen sich deshalb der Betrachtung durch das
blosse Auge und können nur durch das Mikroskop bei vielhundert¬
facher Vergrösserung zur Ansicht gebracht werden. Die Bak¬
terien sind lebendige Wesen, die wachsen und sich vermehren,
die Nahrung von aussen aufnehmen und durch ihre Lebens¬
vorgänge Stoflfwechselprodukte ausscheiden. Diese letzteren inter¬
essieren uns hier am meisten hei den sogenannten pathogenen, d. h.
krankmachenden Bakterien, welche als die Ursachen der Infektions¬
krankheiten anzusprechen sind. Die Stoffwechselprodukte, welche
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die Bakterien bei ihren Trägern bilden, sind die furchtbaren Gifte,
welche die Krankbeitserscheinnngen verschiedenster Art zur Folge
haben. Glücklicherweise ist der Körper diesen feindlichen Ein¬
dringlingen gegenüber nicht machtlos. Wenn sie nicht in allzu
grosser Menge in den Körper eindringen, so wird ein starker
Organismus oft genug mit ihnen schon an der Eingangspforte fertig.
Haften aber die Keime im Körper und führen sie zur Krankheit,
so werden im Blute des Menschen geheimnisvolle Kräfte lebendig,
die den Kampf mit den gefährlichen Feinden aufnehmen und
glücklicherweise oft genug siegreich beenden. Im Vordertreffen des
Kampfes stehen hier die weissen Blutkörperchen, die in Scharen
gegen die Bakterien vorrücken, um sie in sich aufzunehmen und
zu vernichten. Dazu bildet die Lebenskraft des Organismus Schutz-
stofife und Gegengifte, die auf chemischem Wege die'Gifte der
Krankheit unschädlich zu machen suchen. Es wird Ihnen bekannt
sein, dass wir bei einer Reihe von Krankheiten, zumal aber bei
der Diphtherie, solche Gegengifte von aussen her zur Heilung in
den erkrankten Körper hineinbringen. Durch grosse Gaben von
Diphtheriebeilserum, welches aus dem Blute von mit Diphtheriegift
vorbehandelten Pferden gewonnen wird, vermag man dem kranken
Körper des Kindes einen mächtigen Bundesgenossen im Kampfe
gegen die tückische Krankheit einzuverleiben.
Nicht jeder Mensch erkrankt, wenn die ansteckenden Keime
in den Körper dringen; besonders empfänglich sind Kinder und
wiederum solche besonders, deren Hals- und Nasenschleimbaut
geschwollen und gelockert ist und so den Keimen einen günstigen
Entwickelungsboden darbietet. Diese Tatsache ist zum Verständnis
der meisten Infektionskrankheiten wichtig. Mund und Rachen sind
die Haupteingangspforte für die meisten Erkrankungen. Schlechte
Zähne, gelockertes Zahnfleisch, geschwollene Mandeln, die sogenannte
dritte Mandel (Rachenmandel) bieten den Keimen eine sehr
empfängliche Haftfläche, von der aus sie tiefer ins Gewebe, in die
Drüsen und schliesslich bis zum Blut Vordringen. Darum ist die
Sorge für gesunde Zähne, die Behandlung von Schleimhaut¬
schwellungen und Mandelvergrössernngen eine ernste Pflicht, deren
Vernachlässigung sich oft bitter rächt. Regelmässiges Gurgeln
gehört ebenso zum eisernen Bestände der täglichen Gesundheits¬
pflege wie Waschen der Hände und des Gesichts.
Wo finden sich nun diese gefürchteten Erreger der ansteckenden
Krankheiten vor? Zunächst zweifellos bei dem erkrankten Indivi¬
duum und in seiner unmittelbaren Nähe. Sie halten sich im
menschlichen Körper verschieden lange Zeit lebendig und infektions¬
fähig. Nehmen wir z. ß. die Diphtherie und Scharlach, so haben wir
hier die ansteckenden Keime besonders in den Ausscheidungen der
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Nase und der Mund- und Rachenschleimhaut zu suchen, und zwar
nicht nur für die ersten Tage der offensichtlichen Krankheit, in
denen der Betroffene mit Fieber und schweren Allgemeinstörungen
krank darniederliegt. Wochenlang können sich auch hier nach
scheinbarer Gesundung die Krankheitserreger noch in der Schleim¬
haut des Mundes vorfinden und von hier aus ihren Weg zum
nächsten Opfer finden. Wir wissen, dass Diphtheriekranke oft
nach vielen Wochen und Monaten noch Diphtheriebazillen in ihrem
Munde beherbergen. Nach Professor Tjaden in Bremen 1 ) darf
man annehmen, dass bei etwa zwei Drittel der Erkrankten die
Diphtheriebazillen in den ersten beiden Wochen wieder verschwinden,
dass nach Ablauf von drei Wochen sie noch vorhanden sind bei
25°/o der Erkrankten, nach Ablauf von fünf Wochen bei 10°/ 0 .
Bis zu 17 Wochen nach dem Eintritt der Erkrankung konnte
Tjaden noch Diphtheriebazillen nachweisen. Mit Rücksicht auf
diese unbestimmte Einnistung der Bakterien im menschlichen Körper
ist in der bekannten Ministerialanweisung zur Verhütung der Ver¬
breitung übertragbarer Krankbeiten durch die Schulen als Richt¬
schnur angegeben worden, dass die Ansteckungszeit bei Pocken und
Scharlach gewöhnlich auf sechs Wochen, bei Masern und Röteln
auf vier Wochen anzunehmen ist. Besondere Erwähnung verdient
die Tatsache, dass in der Umgebung von erkrankten Personen sehr
häufig gesunde Personen die Krankheitserreger in ihren Körper
aufnehmen, ohne selbst zu erkranken; dabei sind sie aber für ihre
Umgebung unter Umständen genau so gefährlich, wie der Erkrankte
selbst. Solche Ansteckungsverbältnisse kennen wir besonders bei
der Diphtherie und noch mehr bei der Genickstarre. Es wird
gerade die Schule interessieren, daBS nach unseren heutigen An¬
schauungen fast die ganze Umgebung des Erkrankten als ansteckungs¬
verdächtig anzusehen ist. Zahlreiche Personen aus der Umgebung
nehmen die gefürchteten Meningococcen in ihren Hals auf. Glück¬
licherweise sind diese Erreger nicht besonders lebenskräftig, sie
gehen meist schnell zugrunde, und nur besonders disponierte
Menschen vermögen ihrem tieferen Eindringen von den Halsorganen
bis zu dem Gehirn und Rückenmark keinen genügenden Widerstand
entgegenzusetzen.
Finden wir die Erreger der genannten Erkrankungen be¬
sonders in den Halsorganen, so wird Ihnen bekannt sein, dass bei
anderen Erkrankungen, so dem Typhus, der Ruhr, Cholera, sich
die Krankheitsprozesse besonders in dem Darm abspielen; hier
werden wir die Erreger also vorzugsweise im Stuhl und Urin zu
1) Tjaden, Die Diphtherie als Volksseuche und ihre Bekämpfung.
Leipzig 1905. Vogel.
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-rachen haben. Auch bei Typhus kennen wir die Keimträger, die
nach aberstandener Erkrankung wochen-, monate- und selbst jahre¬
lang die Krankheitserreger noch bei sich beherbergen.
Aber nicht nur vom kranken Menschen selbst vermögen die
Krankheitskeime durch Bertthrung, Anhusten usw. direkt auf weitere
Menschen Übertragen zu werden; es kann auch der Übertragungs¬
modus ein indirekter sein, insofern die pathogenen Keime zunächst
den kranken Körper verlassen und dann durch Zwischenglieder
erst von neuem den Weg zu einem anderen Menschen finden. In
Praxi mnss man die ganze Umgebung eines kranken Menschen
als infiziert und geeignet betrachten, die Erkrankung weiter zu
schleppen. Das Essgeschirr, das Handtuch, das Taschentuch, welches
der Kranke benutzt, vermag die Erkrankung weiter zu tragen.
Das gleiche gilt für die Bett- und Leibwäsche des Kranken, kurzum
für alle Gebrauchsgegenstände, Spielsachen, Bücher und dergl.
Wie lange sich die einzelnen Krankheitserreger in der Aussenwelt
lebendig und infektionsfähig zu erhalten vermögen, das ist noch
nicht abschliessend ermittelt. Generell kann man sagen, dass die
meisten Krankheitskeime ausserhalb des menschlichen Körpers in
•kurzer Zeit zugrunde gehen, wenn sie nicht besonders günstige
Lebensbedingungen zufällig antreffen. Sonne und Licht, dazu die
Austrocknung können sie schlecht vertragen. Kommen sie dagegen
an dunkle, feuchte Stellen, so erhalten sich gewisse Keime oft
'wochenlang lebendig und virulent. An geeigneten Stellen in der
Wohnung oder auch im Boden vermögen sich Diphtberiebazillen
wochenlang lebensfähig zu erhalten. Ausgetrocknet vertragen viele
Keime nach Abel 2 1 /, Monate die Winterkälte ohne Abnahme der
Giftigkeit. In feuchter Hitze gehen sie schon bei 50° bald zugrunde.
Im Wasser halten sie sich nicht lange. Typhusbazillen halten sich
in trockenem Zustand in Erde und Kleidern monatelang, in roher
Milch 1—2 Tage, im Wasser stunden- und tagelang.
Tuberkelbazillen behalten im Auswurf bei Zimmertemperatur
getrocknet monatelang ihre Giftigkeit. An Zigarren angetrocknet,
gehen sie in zehn Tagen zugrunde, an Papier bleiben sie bis zu
vier Woeben leben 1 ). Besonders schnell sterben draussen Masern-
und Genickstarreerreger ab, so dass hier im Hause und in der
Schule die Desinfektionsmassregeln sich in bescheidenem Umfange
halten dürfen.
Der wichtigste Träger und Verbreiter der Bakterien ausser¬
halb des Körpers ist der Staub, dem darum der Hygieniker den
Krieg erklären muss, wo er ihn auch findet. So leicht die Keime
auch sein mögen, sie sinken ausserhalb des menschlichen Körpers
1) S. Lehmann, Atlas und Grundriss der Bakteriologie.
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für gewöhnlich zu Boden und werden erst wieder in die Luft
geschlendert, und damit wieder infektionsgefährlich, wenn der Staub
des Bodens aufgewirbelt wird. Von diesem Gesichtspunkte aus
wollen die strengen hygienischen Massregeln zur Bekämpfung des
Staubes verstanden sein, sei es, dass man nach der besten, aber
kostspieligsten Methode häufige feuchte Reinigungen der Schulzimmer
verlangt, oder dass man den Staub durch staubbindendes Öl zu
fixieren und unschädlich zu machen versucht. Aus 1 gr Schulstaub
mögen wohl viele Millionen entwickelungsfähige Keime heraus¬
zuzüchten sein.
Glücklicherweise ist diese Kleinlebewelt der Bakterien, so
furchtbare Feinde des Menschengeschlechts sie auch enthält, doch
nicht in allen ihren Gliedern gewissermassen nur ersonnen, das
Leben höherer Organismen zu zerstören; die grosse Schar der nicht¬
krankmachenden Bakterien vermag auch nützliche Dienste im Haus¬
halt der Natur zu verrichten. Die Bakterien, welche sich im mensch¬
lichen Darm vorfinden, sind zweifellos zur erfolgreichen Arbeit der
Verdanungsorgane notwendig. Manche geschätzten Produkte der
Gärungsindustrie würden uns entgehen, wenn nicht die Bakterien
als unsichtbare fleissige Arbeiter die nützlichen Prozesse beförderten.
Sie helfen zumal bei der Verwesung die stickstoffhaltigen Sub¬
stanzen in ihre Bestandteile abbauen. Aus dem Dünger des Feldes
verarbeiten sie die komplizierten organischen Verbindungen in ein¬
fache, für den Aufbau der Pflanzen leicht assimilierbare Ver¬
bindungen.
Fragen wir uns nun nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen,
welche besonderen Beziehungen der durch ansteckende Keime hervor¬
gebrachten Krankheiten sich zum Schulbetrieb entwickeln lassen.
Inwiefern bedarf es zur Verhütung der Übertragung dieser Krank¬
heiten in der Schule besonderer Vorsichtsmassregeln? Das zahlreiche
Vorkommen von ansteckenden Krankheiten in der schulpflichtigen
Jugend fällt durchaus nicht ausschliesslich oder gar überwiegend
dem Schulbetriebe selbst zur Last; denn es handelt sich um Krank¬
heiten, die eben vorzugsweise die Kinderwelt befallen, und gingen
die Kinder nicht zur Schule, so würden tausend weitere Ansteckungs¬
möglichkeiten in der Familie und auf der Strasse die Krankheiten
schliesslich doch verbreiten. Diese letztere Behauptung trifft zumal
zu für die weitaus grösste Zahl der Kinder der kleineren Leute,
besonders der Arbeiterbevölkerung. In so nahe Berührung die
Kinder auch in der Volksschule kommen mögen, so enge sie in
den Klassenzimmern auch zusammensitzen mögen, so sind doch die
Verhältnisse in der Wohnung gewöhnlich nicht besser, sondern oft
noch schlechter. Hier liegt auch der wunde Punkt des sanitären
Schulausschlusses gesunder Kinder. Man vermeidet damit ja die
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weitere Berührung dieser Kinder mit kranken und krankheits¬
verdächtigen in der Schule; aber nun werden die Kinder in der
freien Zeit in den Mietskasernen oder auch auf Spielplätzen sich
genau so zusammenfinden und sich weiteren Ansteckungen aussetzen.
Dagegen wird diese Massregel ohne allen Zwjeifel in den wohl¬
habenden Kreisen manche Ansteckung fernhalten können, weil hier
die Kinder in solchen Zeiten der Seuchen viel mehr gegen den
Kontakt mit fremden Kindern geschützt werden. Es ist ferner die
Ansteckungsmöglichkeit beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen
zweifellos erheblich grösser, als bei dem Verkehr der Kinder im
Freien auf Strassen und Plätzen. Das liegt wesentlich darin
begründet, dass auf die ansteckenden Keime in geschlossenen
Räumen die Einwirkung von Sonne, Licht und Wind nicht in dem
Masse möglich ist wie im Freien, und dass draussen die Verteilung und
Verdünnung der Keime in ganz anderem Masse vor sich geht wie
in der Schule. Die Keime fallen in der Schule, so weit sie nicht
von Person zu Person durch direkte Berührung oder durch von
dem Munde des Sprechenden aussprühende Tröpfchen übertragen
werden, allmählich zu Boden und werden nun durch gelegentliche
Aufwirbelung von Staub, die sich auch in den bestgehaltenen Schul¬
lokalen nicht vermeiden lassen wird, in die Höbe gebracht und
damit wiederum Mund und Nase anderer Personen genähert. Es
bedarf aber auch die Frage einer kurzen Berücksichtigung, ob
nicht die Schule noch durch andere ihr eigene Betriebseinrichtungen
die Übertragungsgefahr in beachtenswertem Masse steigert. Folgen
wir dem Kinde systematisch auf dem Wege in das Scbulhaus, so
stellen wir dann fest, dass vielleicht schon auf dem Wege eine
Berührung mit kranken oder krankheitsverdächtigen Kindern statt¬
findet. Mit ihrem Schuhwerk schleppen die Kinder, zumal bei
schmutzigem Wetter trotz aller Abstreif Vorrichtungen eine Menge
Staub ins Schullokal, dessen Bedeutung für die Infektionsgefahr
wir eben kennen gelernt haben. Nun werden die Kleider und
Hüte in die Garderobe gehängt, und ausser der Möglichkeit, dass
hier, zumal bei Mädchen, die Läuse von einer Garderobe zur
anderen überwandern, was hier nur nebenbei erwähnt sei, ergibt
sich die weitere Gefahr, dass Diphtherie- und Scharlachkeime
gelegentlich von einem Kleidungsstück zum anderen abgestreift
werden können. Sehr hoch ist diese Gefahr allerdings nicht an¬
zuschlagen. Im Scbulzimmer ist dann ausser der Übertragung von
Krankheiten seitens der nebenan sitzenden Kinder die Gefahr zu
beachten, dass ein tuberkulöser Lehrer beim Sprechen mit den
Kindern diese gefährden kann. Eine weitere Gefahr würde nun
etwa in der Pause unter Umständen dann entstehen, wenn die
Kinder sich beim Schuldiener Milch verlangen, in dessen Familie
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vielleicht Masern, Scharlach oder Diphtherie geherrscht haben. Auf
diesem Wege sind selbst Massenansteckungen denkbar. Eine gleiche
Übertragnngsgefahr würde auch aus der gemeinsamen Benutzung
der auf dem Hofe zum Wassertrinken angebrachten Becher resul¬
tieren, wenn wir uns daran erinnern, dass besonders Diphtheriekeime
Wochen und Monate im Halse von früher erkrankten Kindern und
selbst bei gesunden Kindern Vorkommen. Die Gefahr, dass durch
Anfassen der Türklinke und des Treppengeländers ansteckende
Krankheiten übertragen werden, wird für gewöhnlich überschätzt,
ganz wegzuleugnen ist sie allerdings nicht. Wenn nun die Kinder
den gemeinsamen Abort benutzen, so entstehen wieder neue Über¬
tragungsmöglichkeiten, wenn unter den Kindern sich solche befinden,
die an Typhus gelitten haben. Bei Typhus hat man Monate, ja
Jahre hindurch infektiöse Keime in dem Stuhl solcher Leute nach-
weisen können, die früher die Krankheit überstanden haben. Be¬
gleiten wir nun die Kinder noch zu dem Schulbade, so würden
wir auch hier weitere Infektionsgefahren zumal dann konstatieren,
wenn die Brausen in gemeinsamen grossen Becken genommen werden.
Ohne Frage sind die Einzelbrausen mit besonderen Zellen die hygie¬
nischsten Schulbäder. Sie sind überwiegend bei uns in Gebrauch,
und da selbstverständlich jedes Kind seine eigene Badewäsche hat,
so können wir über die hygienische Seite des Badebetriebes durch¬
aus beruhigt sein. Ist man sehr ängstlich, so wird man gar ver¬
langen, dass die grossen Schwämme zum Abwaschen der Tafeln
verschwinden und an ihrer Stelle waschbare Tücher gebraucht
werden, dass ferner auch die Kreide wenigstens täglich eine neue
Papierumhüllung erhält. Auch die Schulbücher, zumal die Bücher
der Schulbibliothek können unter Umständen Krankheitsstoffe weiter¬
tragen, und die Forderung, zumal die Bücher der Bibliothek perio¬
disch zu desinfizieren, ist theoretisch nicht unrichtig, wenn sie nur
nicht praktisch so schwer zu erfüllen wäre. Neuerdings soll ein
patentiertes Verfahren von A. Scherl in Berlin eine vollkommene
Desinfektion der Bücher ermöglichen in einem evakuierten Raum
bei 50—60° unter Einwirkung eines Gemisches von Alkohol und
Wasser unter Zusatz von Thymol, Menthol oder dergl. Papier und
Einband soll dabei nicht leiden 1 ).
Alle diese Eigenheiten des Schulbetriebes sind gewiss imstande,
die Infektionsgefahren innerhalb der Schule zu steigern, zumal dann,
wenn die Klassen in unerwünschter Weise überfüllt sind. Diese
Gefahr ist besonders gross gegenüber den Kindern der wohlhabenden
Kreise, die zu Hause in grossen Wohnungen leben und relativ wenig
Verkehr haben. Gerade hier ist es sicher nachgewiesen, dass die
1) Therap. Monatsberichte 1908, Nr. 1.
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Kinder vor der Schulzeit viel weniger an den gewöhnlichen an¬
steckenden Krankheiten erkranken, während die Frequenz der Er¬
krankungen während der Schulzeit erheblich ansteigt. Bei den
Kindern kleiner Leute sind dagegen die Gefahren zu Hause selten
kleiner, oft noch grösser als in der Schule, und wenn in den grossen
Arbeiterbäusern eine Krankheit herrscht, so wirkt der Schulbesuch
fttr die nichtbefallenen Kinder des Hauses geradezu gefahrmindernd.
Bedenken wir nun noch weiter, dass die Schule durch mannigfache
Massnahmen direkt und indirekt der Infektionsgefahr entgegen wirkt,
so kann im ganzen ihr Konto im Punkte der ansteckenden Krank¬
heiten nicht so sehr belastet werden. Der Einfluss der Schule
auf Ordnung und Reinlichkeit der Schulkinder ist gewiss ein
grosser; von vielen Lehrern ist mir besonders der Erfolg der
Schulbäder in diesem Punkt gerühmt worden. Dazu kommt ja
noch, dass die Schule sich auch in steigendem Masse um die körper¬
liche Ausbildung und Kräftigung der Schüler bemüht durch Schul¬
ausflüge, Turnen, Schwimmen und dergl. -
Es ist darum schwer, die Frage definitiv zu beantworten, ob
Schule und Schulbetrieb in erheblichem Masse die Zahl der Infek¬
tionskrankheiten steigern. Die statistische Prüfung der Fragen, ob
etwa mit dem Beginne der Schulpflichtigkeit in den betreffenden
Altersklassen die Infektionsgefahr anwächst und ob für die Ferien¬
zeit die Zahl der Infektionen nachweislich abnimmt, ist aus nahe¬
liegenden Gründen eine sehr schwierige.
Die Art des Auftretens der Infektionskrankheiten in den ein¬
zelnen Altersperioden ist aus der folgenden für Bayern berechneten
Tabelle ersichtlich, die in den Resultaten mit den später für Preussen
und England mitgeteilten Tabellen im wesentlichen Ubereinstimmt 1 ).
Es kamen auf 10000 Lebende (beziehungsweise 10000 Lebend¬
geborene im ersten Lebensjahr) Sterbefälle:
0-1
1—2
2-6
5-15
i
15 — 30 j 30—60
50-70
über
70
zu¬
sammen
Keuchhusten.
72,1
34,6
3,9
0,3
0,0
0,0
0,0
0,1
3,9
Masern.
32,1
43,5
6,2
0,8
0,0
0,0
0,0
0,0
3,0
Scharlach . j
Diphtherie u.Croup!
2,6
5,0
3,3
1 1,2
0,1
0,0
0,0
0,0
0,8
13,0
38,4
21,3
4,7
0,2
0,0
0,1
0 ,!
4,4
Abdominaltyphus .
0,1
0,1
0,1
i
0,3
0,9
0,8
0,8
0,3
1
0,6
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass Keuchhusten und Ma¬
sern das Maximum der Sterbeziffer bereits im 1. und 2. Lebens-
1) Die Tabelle ist entnommen dem Handbuch der medizinischen
Statistik von Dr. Prinzing. Verlag von G. Fischer, Jena. 1906.
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jahre erreichen, dem gegenüber die Zahl der Sterbefälle während
des schulpflichtigen Alters sehr erheblich zurücktritt. Auch bei
Diphtherie und Scharlach liegen die Verhältnisse ähnlich, wenn¬
gleich hier die Sterbeziffer im schulpflichtigen Alter noch er¬
heblich hoch ist. Typhus kommt, wie wir sehen, für die vor¬
schulpflichtige Zeit ebensowenig in Betracht wie für die schulpflich¬
tige. Eine Statistik, welche dem „Gesundheitswesen des preussischen
Staates im Jahre 1904“ entnommen ist, ergibt für die beiden wich¬
tigsten Erkrankungen, Diphtherie und Scharlach, ein ähnliches Ver¬
hältnis; immerhiu fällt auf, dass hier die Höchstzahl der Sterbefälle
ins 3. bis 6. Lebensjahr fällt (in Bayern ins 2. bis 3.). Hier
kamen auf 10000 Lebende Sterbefälle:
|°-i
! | ! 1
1-2 2 - 5 5-15 15 - 30 30-50 50 - 70
• 1 1 : i
1 über
| 70
i zu-
; saramen
Diphtherie ..
| 1 ! i
.. 21,20; 3P,3r 38,93 8,78 0,65 j
0,11 ^
|
0,12
0,09
i
| 3,92
Scharlach . .
.. 9,35
14,51 28,07 8,761 0,77 ,
0,16 .
0,03
0.01
2,83
Die Erkrankungsziffern für Scharlach und Diphtherie habe
ich für die Jahre 1906 und 1907 auch für Cöln berechnet. Hier
ergibt sich nun, dass bei Diphtherie im Jahre 1906 von 1112
Fällen 715 auf das nichtschulpflichtige Alter und 397 auf das
schulpflichtige Alter entfallen; im Jahre 1907 waren bei 1194
Erkrankungen die betreffenden Zahlen 778 gegen 416. Im Mittel
beider Jahre fallen also auf die nichtschulpflichtige Zeit 65 °/ 0 ,
auf die schulpflichtige Zeit 35°/ 0 der Erkrankungen. Scharlach¬
erkrankungszahlen hatten wir im Jahre 1906 und 1907 828 be¬
ziehungsweise 1324, davon fallen auf die nichtschulpfiicbtige Zeit
439 beziehungsweise 504 Fälle, während auf die schulpflichtige
Zeit 389 beziehungsweise 830 Fälle fallen. Im Mittel beider Jahre
berechnet, ergibt, dass ins nichtschulpflichtige Alter 44°/ 0 der
Scharlachfälle fielen, ins schulpflichtige Alter dagegen 56°/ 0 der
Fälle. Ganz besonders zeichnet sich das Jahr 1907 durch eine
ausserordentlich grosse Beteiligung der schulpflichtigen Kinder an
der Scharlachziffer aus. Diese Tatsache ist doch für uns in Cöln
für die Bewertung der Abwehrmassregeln der Schule von grosser
Bedeutung. Sie weicht mit dem Überwiegen des Scharlachs in der
schulpflichtigen Zeit erheblich ab von den Zahlen in Bayern und
Preussen, nach welchen der Scharlach in vorschulpflichtigem Alter
bereits die meisten Kinder befällt; ein endgültiges Urteil wird bis
zum Vorliegen einer über eine grössere Zahl von Jahren sich
erstreckende Statistik vertagt werden müssen.
Noch schwieriger dürfte der Versuch sein, auf statistischem
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Wege einen Unterschied der Infektionsgefahr festznstcllen innerhalb
des Kalenderjahres für die Schulzeit und fttr die Ferienzeit. Die
Statistiker, die sich hier versucht haben, sind oft zu total entgegen¬
gesetzten Resultaten gelangt. Selbst dann aber, wenn flbereinstimmend
zu bestimmten Zeiten ein Maximum und Minimum der Erkrankungen
festgestellt wird, kann man diese Differenzen nicht ohne weiteres
einem zeitlichen Zusammenfallen mit der Schulzeit oder den Ferien
zur Last legen; denn für die Verbreitung der ansteckenden Krank¬
heiten ist erfabrung8gemäBS die Jahreszeit mit ihren klimatischen
Einflüssen von erheblicher Bedeutung. Wenn wir darum finden,
dass bei der Diphtherie die Erkrankungsziffer im Winter gewöhnlich
grösser ist, so können wir durchaus nicht ohne weiteres schliessen,
dass hier die Schulzeit eine Rolle spielt. Denn hier konkurriert
als Faktor der Winter mit seinem scharfen Klima und seinem Ein¬
fluss auf Lüftung und Belichtung der Wohnungen.
Folgende Tabelle l ) ergibt ein ziemlich zutreffendes Bild über
die durchschnittliche Verteilung der ansteckenden Erkrankungen auf
die einzelnen Jahresmonate:
| Masern
Scharlach
Diphtherie
Keuch¬
husten
Genick¬
starre
Januar.
117
125
141
109
96
Februar.
101
112
128
110
124
März.
97
i 97
109
97
170
April.
94
! 90
93
86
171
Mai.
123
91
82
95
125
Juni.
118
: 94
72
110
118
Juli.
90
i 82
62
114 :
80
August.
48
72
64
115
74
September.
44
84
83
95
77
Oktober.
98
113
109
82
54
November.
140
124
132
94
56
Dezember.
130
116
125
93
55
Danach fällt das Maximum der Erkrankungsziffer bei Masern,
Scharlach und Diphtherie in die Wintermonate, was schon um des¬
willen nicht schwer zu verstehen ist, weil sie alle ihre Eingangs¬
pforte im Munde und in der Nase haben und die Winterszeit be¬
kanntlich zu Katarrhen und Mandelentzündungen disponiert. Im
einzelnen ist aber hervorzuheben, dass das jahreszeitliche Auftreten
1) Entnommen Prinzing, Medizinische Statistik.
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der Masern in vielen Jahren durchaus unbestimmt ist und von
geradezu launischen Verhältnissen abzuhängen scheint. Ausser den
Wintermonaten sind besonders die Frühjahrsmonate oft von schweren
Epidemien heimgesucht. Für Keuchhusten lässt sich eine gesetz-
massige Verteilung auf die Jahreszeiten noch weniger behaupten;
man weiss nur aus Erfahrung, dass Keuchhustenepidemien den Masern¬
epidemien gern auf dem Fusse folgen. Während man die Diph¬
therie mit einer ziemlichen Regelmässigkeit im Winter am meisten
verbreitet sieht, konkurriert beim Scharlach sehr oft schon die Zeit
des Spätherbstes mit der Winterszeit bezüglich der Erkrankungs¬
frequenz.
Aus den Tabellen, welche ich für Cöln über die Frequenz der
Diphtherie und des Scharlach in den verschiedenen Monaten in den
Jahren 1906 und 1907 zusammengestellt habe, geht für die Diph¬
therie hervor, dass im Jahre 1906 der Gipfel der Erkrankungsziffer
in den Monat Dezember fällt und das Erkrankungsminimum in den
Sommer. Das gleiche ergibt sich für den Scharlach, der die höchste
Erkrankungsziffer im November auf weist. Wenn nach diesen Ta¬
bellen für die Diphtherie in den Jahren 1906 und 1907 und für
den Scharlach im Jahre 1906 das Erkrankungsminimum ungefähr
mit den Herbstferien zusammenfällt, so wäre es doch zu bedenklich,
daraus irgend eine Beziehung auf Schulzeit und Ferienzeit kon¬
struieren zu wollen. Die Tabelle des Scharlach für 1907 zeigt in
den Herbstferien sogar ein Ansteigen der Erkrankungsziffer gegen
diejenige des Juli. Dass übrigens die unbestimmte Dauer der
Inkubationszeit für die zu Anfang der Ferien und zn Anfang der
Schulzeit notierten Fälle von Infektionskrankheiten die Entscheidung
sehr schwer macht, ob sie noch der einen oder schon der folgenden
Zeitperiode ihre Entstehung verdanken, wird dem Sachverständigen
einlcuchten.
Einige kurze Bemerkungen mögen Ihnen das wichtigste über
die Hauptinfektionskrankheiten, mit denen die Schule zu rechnen
hat, mitteilen.
Diphtherie.
Die Diphtherie wird hervorgerufen durch den Löfflerschen
Diphtberiebazillus der sich zumal in der Schleimhaut der Mandeln
ansetzt und hier zu grauweissen, speckigen Belägen führt. Die Er¬
krankung setzt sich gern nach oben in die Nase, nach unten in
den Kehlkopf und die Luftröhre fort, und führt im Kehlkopf, wenn
sich die Membranen allzu sehr häufen, zur Verengerung der schmalen
Passage, zur Atemnot und oft genug sogar zur Erstickung; dabei
ist bei schweren Prozessen das Allgemeinbefinden stark beeinträch¬
tigt und das Herz sehr angegriffen. Die Sterblichkeit hängt von
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dem Alter and von der Schwere der Erkrankung ab, die nicht nur
im einzelnen Falle, sondern oft auch in den verschiedenen Jahren,
selbst Jahrzehnten eine verschiedene ist. Dieser Wechsel des so¬
genannten Genius epidemicus ist auch die Ursache, warum viele
Ärzte in. der Beurteilung der Heilerfolge des Behringschen Diph¬
therieheilserums ausserordentlich vorsichtig sind. Es fällt in der
Statistik immer wieder auf, dass die hohe Sterblicbkeitsziffer der
Diphtherie mit dem Jahre 1895 stark herabgeht, es ist das dasselbe
Jahr, in welchem die Behringsche Heilserumbehandlung zur grösseren
Anwendung kam. Nach einer Tabelle des „Gesundheitswesens des
preussischen Staates im Jahre 1904 u starben im preussischen Staate
von 16000 Lebenden an Diphtherie im Jahre:
1888 . .
13,25
1894 . .
14,73
1900 . .
4,83
1889 . .
13,83
1895 . .
9,00
1901 . .
4,87
1890 . .
14,54
1896 . .
7,6
1902 . .
4,05
1891 . .
12,05
1897 . .
6,2
1903 . .
4,19
1892 . .
13,20
1898 . .
5,56
1904 . .
3,92
1893 . .
17,97
1899 . .
5,63
Die Medizinische Abteilung des Ministeriums spricht sich zu diesen
Zahlen dahin aus, dass der Behandlung mit Heilserum die Abnahme
der Diphtheriesterblichkeit zuzuschreiben und dem Einwand, dass
der Verlauf der Erkrankung an sich ein milderer geworden sei,
schon wegen des anhaltenden Tiefstandes der Zahlen zu wider¬
sprechen sei. Die Ärzte erkennen heute mit verschwindenden Aus¬
nahmen die Bedeutung des Heilserums für die Heilung und auch
Vorbeugung der Krankheit an und werden den Rat der Ministerial¬
anweisung billigen, dass alle Personen, die in der Schule mit einem
Diphtheriekranken in Berührung gekommen sind, sich unverzüglich
durch Einspritzung von Diphtherieheilserum gegen die Krankheit
immunisieren lassen. Die weitere Empfehlung der Anweisung, dass
dieselben Personen in den nächsten Tagen tagtäglich Rachen und
Nase mit einem desinfizierenden Mundwasser ausspülen, ist nach
dem Gesagten leicht verständlich. Von Bedeutung ist die Tatsache,
dass bei Erkrankungen oft noch wochen- und monatelang die Er¬
krankungserreger in den Halsorgauen sich vorfinden.
Auch heute sind die Opfer, welche die Diphtherie an Kindes¬
leben fordert, erheblich; es starben im preussischen Staate noch im
Jahre 1904 14162 Personen an Diphtherie. In Cöln erlagen dieser
Krankheit im Jahre 1906 107 Personen bei einer Erkrankungsziffer
von 1112 Fällen, das macht eine Mortalität von 9,6 °/ 0 , und in den
Jahren 1897—1906 hatten wir in Cöln eine Gesamterkrankungs¬
ziffer von 9702 und eine Gesamtsterbeziffer von 1118, das macht
im Durchschnitt der Jahre eine Erkrankungsziffer von 112, gleich
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UNIVERSUM OF IOWA
112
Diphtherie
Erkrankungen und Sterbefälle in cfen3ahren 1897/
'"'1906.
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113
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Scharlach
Erkrankungen und Sterbefälle in denDahren
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UMIVERSITY OF IOWA
114
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In den Jahren 1894, 1895 und 1896 betrug die Erkrankungs-
bezw. Sterbeziffer an Diphtherie 221:421; 918:173; 1264:155.
Die Erkrankungsziffer für 1894 ist selbstverständlich zu gering an¬
gegeben und erklärt sich aus der mangelhaften Befolgung der ärzt¬
lichen Anzeigepflicht.
Scharlach.
Scharlach gilt auch heute noch als eine der gefährlichsten
und tückischsten Kinderkrankheiten, wenn auch seine Gefährlichkeit
in den letzten Jahren fast überall bedeutend abgenommen hat.
Während bei der Diphtherie die Zeit von dem Eindringen der
Krankheitserreger bis zum ersten deutlichen Krankheitszeichen immer¬
hin etwa 3—7 Tage im Durchschnitt fällt, dauert diese sogenannte
Inkubationszeit beim Scharlach nur 3—5 Tage, oft sogar nur einen
einzigen Tag.
Die Krankheit fängt meist mit Erbrechen und Schüttelfrost an.
Als erstes Zeichen tritt eine starke Entzündung der Mandeln auf,
der dann ein charakteristischer Ausschlag über den ganzen Körper
folgt in Form einer gleichmässigen himbeerfarbenen Röte, die das
Kinn frei lässt. Auch die Zunge ist himbeerfarben. Der Ausschlag
verschwindet nach einigen Tagen, und dann beginnt eine oft wochen¬
lang anhaltende Abschuppung der Haut. Der Tod tritt entweder
in den schlimmeren Fällen in den ersten Tagen ein, oder erst einige
Wochen später infolge von Nachkrankheiten, besonders von Nieren¬
entzündungen.
Die Erreger des Scharlach kennen wir noch nicht, wissen
aber aus Erfahrung, dass das Gift ausserordentlich flüchtig und
leicht übertragbar ist. Darüber sind die Meinungen noch geteilt,
ob die Ansteckungsmöglichkeit in den ersten Tagen eine gefähr¬
lichere ist oder erst im späteren Verlauf der Krankheit während
des Abschuppungsstadiums. Auf alle Fälle werden wir mit der
ministeriellen Anweisung einen Scharlach kranken mindestens sechs
Wochen lang für ansteckend halten. Trotz des sehr flüchtigen
Charakters des Ansteckungsstoffes, der die Erkrankung weithin zu
verbreiten vermag, erkrankt selten in einer Familie eine Mehrzahl
von Kindern. Daraus geht hervor, dass zur Erkrankung eine ge¬
wisse Disposition besonders der Halsorgane doch notwendig ist.
Es starben in Preussen im Jahre 1904 10202 Personen an
Scharlach, in Cöln im Jahre 1904 65 Personen bei einer Er¬
krankungsziffer von 876 Fällen, gleich einer Sterblichkeit von
7,03 o/ 0 .
Aus der Tabelle, welche ich für die Jahre 1897—1906 zu¬
sammengestellt habe, geht hervor, dass bei uns in Cöln ein ganz
unregelmässiges Auf- und Abschnellen der Erkrankungsziffer fest-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
115
zustelleü int. Gegenüber 159 Erkrankangsfällen im Jahre 1898
schnellt die Erkranknngsziffer in den Jahren 1901 und 1902 anf
1485 bezw. auf 1563 Fälle an. In den Jahren 1897—1906 beträgt
die Gesamterkranknngsziffer an Scharlach 7820 Fälle, die Sterbe¬
ziffer 520 Fälle; das macht im Durchschnitt der Jahre eine Er¬
krankungsziffer von 782 und eine Sterbeziffer von 52 gleich 6,7 °/ 0
der Fälle. Ich glaube annehmen zu dürfen, dass eine grössere Zahl
von leicht verlaufenden Scharlachfällen, die wegen ihrer kurzen
Dauer und ihrer unbestimmten Krankheitserscheinungen in der Dia¬
gnose zweifelhaft bleiben, der amtlichen Statistik nicht bekannt wer¬
den, so dass die Sterbeziffer bei ihrer Berücksichtigung sich noch
günstiger stellen würde.
Masern.
Die Gefährlichkeit der Masern, deren Krankheitserreger wir
auch noch nicht kennen, wird gewöhnlich unterschätzt. Zumal
dann, wenn die Epidemien in den Winter fallen, erliegen viele
Kinder den Komplikationen durch Lungenentzündung. Es starben
in Preussen an Masern im Jahre 1904 noch 7376 Personen. Da
für Masern eine Anzeigepflicht nicht eingeführt ist, so lässt sich die
Erkrankungsziffer auch nicht annähernd schätzen. Die angegebene
Sterbeziffer bleibt sehr wahrscheinlich weit unter ihrer tatsächlichen
Grösse, insofern die Todesfälle der Masern oft viele Wochen nach
Eintritt der Erkrankung erfolgen; die Kinder sterben an Lungen¬
entzündung, an Ohreiterung usw., und auf den Totenscheinen er¬
scheinen dann diese Krankheiten und lassen nicht mehr erkennen,
dass der Tod auf das Schuldkonto der Masern kommt. Bei uns
in Cöln starben an den Masern in den Jahren:
1888 . . 198 | 1901 . . 351 1904 . . 134
1899 . . 179 j 1902 . . 90 1905 . . 139
1900 . .165 | 1903 . . 304 1906 . . 229
Personen, also zusammen in neun Jahren: 1789 Personen oder durch¬
schnittlich im Jahr 198 Personen, erheblich mehr als an Diphtherie
(112) und an Scharlach (52) zusammen. Diese Cölner Zahlen
stimmen nicht zu den Zahlen im preussischen Staat, wo gewöhn¬
lich sowohl die Diphtherie- wie die Scharlachsterblichkeit jede für
sich grösser ist als die Masernsterblichkeit.
Sehr böse wirken die Masern dadurch, dass sie die Kin¬
der durch heftige und langandauernde Katarrhe ausserordentlich
schwächen und zu Tuberkulose disponieren. Unter diesen Um¬
ständen ist es zweifellos nicht immer richtig, nach dem Rezept
der früheren Zeit zu verfahren und in kinderreichen Familien, falls
ein Masernfall auftritt, die gesunden Kinder mit dem kranken
in ein Bett zusammenzustecken, damit man die Erkrankung anf
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jabrg. 9
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UNIVERSUM OF IOWA
116
einen Schlag los wird. Jedenfalls ist ein solches Unternehmen für
kleinere Kinder nnd Säuglinge geradezu lebensgefährlich. Es sei
an dieser Stelle mitgeteilt, dass sowohl für Masern als auch für
Diphtherie und Scharlach der Satz gilt, dass Säuglinge, zumal im
ersten halben Lebensjahr, von diesen Erkrankungen meist verschont
bleiben.
Über den Verlauf im einzelnen sei kurz mitgeteilt, dass man
die Inkubationszeit auf etwa 10—12 Tage schätzt. In dieser Zeit
sind so minimale Störungen des Allgemeinbefindens vorhanden, dass
die Schulkinder meistens zur Schule gehen; der geringe Schnupfen
und Husten wird durchaus nicht angeschlagen, ist aber sicher schon
ansteckend. Dieses Stadium ist zweifellos der schnellen, unbemerkten
Verbreitung der Krankheit am förderlichsten. Vom zehnten bis
zwölften Tage kommt es dann zur starken Entzündung der Augen
und der Nase und zu starkem Husten. Damit verbindet sich ein
fleckiger Ausschlag über den ganzen Körper, der besonders stark
im Gesicht sich ausspricht. Der helle oder dunkelrote Ausschlag,
die verschwollenen Augen, der starke Schnupfen geben selbst dem
Laien ein gut erkennbares charakteristisches Bild. Das Fieber lässt
nach einigen Tagen nach, und vom sechsten bis siebenten Tage ab
kommt es dann zu einer kleienförmigen Abschuppung der Haut.
Im übrigen kann man wohl sagen, dass fast alle Menschen für Ma¬
sern empfänglich sind, und die wenigen Leute, die in der Kindheit
dieser Krankheit entgehen, werden nicht selten noch in reiferen
Jahren von derselben befallen und dann oftmals unter schweren Er¬
scheinungen.
Keuchhusten.
Auch den Erreger des Keuchhustens kennen wir noch nicht
mit Sicherheit. Selbst der Laie kennt das Krankbeitsbild, die
krampfartigen, besonders des Nachts auftretenden Hustenanfälle, bei
denen die Kinder rot und blau werden. Die Inkubationszeit beträgt
3—10 Tage. Mit dem Auftreten der Hustenanfälle, deren Stärke
sich allmählich steigert, beginnt das Ansteckungsstadium und dauert
wohl auch ebensolange wie die Hustenanfälle. Wir müssen an¬
nehmen, dass der Ansteckungsstoff durch die bei dem Husten ver¬
spritzten kleinen Schlei mtröpfchen weiter verbreitet wird. Auch
hier sind als Komplikationen, die oft tödlich verlaufen, zu fürchten
schwere Katarrhe und Lungenentzündungen. Da die Anzeigepflicht
für Erkrankungen nicht besteht, so müssen wir uns begnügen, die
Todesfälle festzustellen. In Preussen starben im Jahre 1904 12051
Personen an Keuchhusten, in Cöln in den Jahren:
1898 . . . 153 Personen 1900 . . . 164 Personen
1899 ... 65 „ 1901 ... 154 „
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117
1902 . . . 223* Personen 1905 . . . 211 Personen
1903 ... 49 „ 1906 . . . 231 „
1904 . . . 156 „
lin Durchschnitt der neun Jahre betrug also die jährliche Sterblich¬
keit in den neun Jahren 160 Todesfälle. Das bereits bei den Masern
über tödliche Nachkrankheiten Gesagte gilt auch bei diesen Zahlen,
und somit sind dieselben kein erschöpfender Ausdruck für die Ge¬
fahren der Erkrankung. Der Zusammenhang von Masern und
Keuchhusten ist derart, dass letzterer den Masernepidemien zeitlich
meistens folgt. Sicher ist die Kinderwelt nicht in gleich hohem Masse
za Keuchhusten disponiert wie zu Masern. Die meisten Fälle fallen
ebenso wie bei Masern schon ins vorschulpflichtige Alter. Mit dem
S. Lebensjahre nimmt die Disposition zu der Erkrankung deutlich
ab; es ist aber bekannt, dass auch Erwachsene den Keuchhusten
eich noch zuziehen können.
Genickstarre.
Diese unheimliche Erkrankung ist auch bei uns im vorigen
Jahre zu Gast gewesen, und wir dürfen kaum die Hoffnung haben,
dass wir in diesem Jahre von weiteren Fällen verschont bleiben.
Sie beruht auf einer Entzündung der Gehirn- und Rückenmarkhäute
und geht mit heftigem Erbrechen, starken Kopfschmerzen, Krämpfen
und Bewusstlosigkeit einher. Von der starken Steifigkeit des im
Nacken bintenübergebeugten Kopfes bat die Erkrankung ihren
Namen. Es wechseln Fälle, die in kaum einem Tage tödlich ver¬
laufen, mit solchen, die sich wochenlang binziehen. Die Sterblich¬
keit wechselt zwischen 50—80 °/ 0 , und diejenigen, welche der
tückischen Krankheit entrinnen, sind noch von der Gefahr dauernder
Störungen wie Taubheit, Blindheit, Hemmung der geistigen Ent¬
wicklung bedroht. Am meisten ist gefährdet die Kinderwelt. Die
Erreger sind die sogenannten Meningococcen, welche vom Rachen
her nach dem Gehirn zu eindringen. Im Mittel verbleiben nach
Flügge die Coccen etwa noch drei Wochen im Rachen der Be¬
fallenen. Von den Erkrankten werden beim Sprechen und Husten
die Coccen in die Luft geschleudert und infizieren dabei in grossem
Massstabe die Umgebung. Man rechnet etwa 10—20 mal so viele
Coccenträger, als Genickstarrekranke; glücklicherweise ist nur eine
relativ kleine Zahl von Menschen zur Erkrankung selbst disponiert.
Die meisten, deren Mund bereits infiziert ist, bleiben nur Träger
der Coccen, ohne selbst zu erkranken. Gegen sie müsste sich aber
das sanitäre Vorgehen in erster Linie richten, weil sie frei herum¬
gehen und darum den Erkrankungsstoff viel leichter fortschleppen
als der schwer Erkrankte, der gewöhnlich bewusstlos und darum
für seine Umgebung weniger gefährlich im Bette liegt. Es ist
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Original fru-m
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aber unmöglich, alle diese Coccenträger zu ermitteln, nnd noch un¬
möglicher, sie zu isolieren. Der schwere Eingriff in die persön¬
liche Freiheit und die Kosten, welche die massenhafte Isolierung^
an sich gesunder Menschen verursachen würde, erklären es auch,,
warum gesetzlich eine Handhabe zu solchem Vorgehen nicht geboten¬
worden ist. Nur die persönliche Berührung mit Erkrankten oder
Coccenträgern bedingt eine Gefahr, während eine mittelbare Ueber-
tragung durch Gebrauchsgegenstände um deswillen kaum zu be¬
fürchten ist, weil die Erreger ausserhalb des menschlichen Körpers¬
ausserordentlich schnell absterben. Eine Desinfektion des Schul¬
zimmers, der Kleidung usw. hat deshalb keinen grossen Wert; man
wird sie allerdings zur Beruhigung der Bevölkerung bei dieser
tückischen Krankheit vornehmen lassen. Begründeter ist schon
der Rat der ministeriellen Anweisung, dass alle die, welche in der
Schule mit einem Genickstarrekranken zusammengekommen sind,
in den nächsten Tagen täglich Rachen und Nase mit einem des¬
infizierenden Mundwasser ausspülen sollen. Der Erfolg einer solchen
Gurgelung ist leider ein recht unsicherer.
Bekanntlich ist in den letzten Jahren die Genickstarre in
Preussen in einer ganz ausserordentlichen Häufigkeit aufgetreten.
Wir hatten im Jahre 19U5 nicht weniger als 4000 Erkrankungen,
mit einer Sterblichkeit von nahezu 70 °/ 0 . Über die Cölner Er¬
krankungen im Jahre 1907 sei folgendes mitgeteilt: Es erkrankten
im Laufe des Jahres 86 Personen, davon starben 56, mithin hatten
wir eine Sterbeziffer von 65 °/ 0 . Überwiegend wurde das männ¬
liche Geschlecht befallen, derart, dass von 86 Personen 61 männ¬
lichen und 25 weiblichen Geschlechts waren. 22 Erkrankte waren
unter 6 Jahren, 38 im Alter von 6—14 Jahren und 26 über
14 Jahre. Demnach stellt das schulpflichtige Alter etwa 44 °/ 0 der
Erkrankungen. Es starben von den schulpflichtigen Kindern 23,.
d. h. 60 °/ 0 . Die Verteilung auf die einzelnen Monate des Jahres-
erfolgte so, dass im Februar 2 erkrankten, im März 6, im April 10,
im Mai 11, im Juni 13, im Juli 16, im August 33, im September
keiner, im Oktober 4, im November 2 und im Dezember 5. Die
Erkrankungen nahmen also im ganzen von Februar ab bis August
ständig an Umfang zu, um dann ganz plötzlich stark wieder zurttck-
zugehen. Diesem Typus des Verlaufes entspricht nicht nur die
Gesamterkrankungsziffer, sondern auch die Erkrankungsziffer der
Schulkinder.
Tuberkulose.
Über die Tuberkulose sei nur kurz mitgeteilt, dass sie für
die Schulkinder eine viel grössere Rolle spielt, als man das früher
angenommen hatte. In allen Kulturstaaten hat die Gesamtsterblich-
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
keit der Tuberkulose in den letzten 20 Jahren infolge der hygie¬
nischen und kulturellen Fortschritte der Menschheit erheblich ab¬
genommen. Während in Preussen in den Jahren 1873—1880 noch
von 100000 Einwohnern 318 Personen an Tuberkulose starben,
sinkt diese Zahl in den Jahren 1881—1890 auf 301 und in den
Jahren 1891—1900 auf 230. Die absolute Zahl der Sterbefälle an
Tuberkulose ist in Preussen von 82529 im Jahre 1889 bis zu
■69326 Sterbefällen im Jahre 1904 berabgesunken. Dieser erfreu¬
lichen Tatsache gegenüber ist die unerfreuliche zu stellen, dass
gerade beim jugendlichen Alter die Tuberkulose keine Tendenz
zeigt herabzugehen, vielmehr noch merklich angestiegen ist. Die
Angaben über die Beteiligung der Schuljugend an der Tuberkulose
schwanken allerdings in ausserordentlichen Grenzen. Es mag das
'besonders daher kommen, weil die Anfangsstadien der Erkrankungen
noch unsicher zu diagnostizieren sind und die Ärzte hier je nach
■den Untersuchungsmethoden und je nach ihrem wissenschaftlichen
Standpunkte verschieden urteilen. Darum mag es auch nicht ver¬
wunderlich sein, dass wir hier in Cöln bei einer auf diesen Punkt
gerichteten Statistik von unseren Schulärzten nur relativ wenig
Kinder als tuberkulös bezeichnet erhielten, während man in
.anderen Städten mehrere Prozent der Kinder als tuberkulös, be¬
ziehungsweise als tuberkuloseverdächtig feststellte. Im Jahre 1904
berichteten unsere Schulärzte, dass an Tuberkulose 184 Schulkinder,
an Skrophulose 90 erkrankt seien. 48 wurden für Landaufenthalt,
10 für Anstaltsbehandlung vorgeschlagen. Auf etwa 50000 Schul¬
kinder kämen also an tuberkulösen und verdächtigen Kindern zu¬
sammen 274 Kinder = rund 0,5°/ 0 . Einige grosse, für Preussen
berechnete Zahlen mögen uns immerhin ein Bild davon geben, welche
Bedeutung der Tuberkulose im schulpflichtigen Alter zuzumessen
ist. Es starben im 6.—10. Lebensjahre in Preussen auf 10000
Lebende der betreffenden Altersklasse: an Scharlach 8,01, Diph¬
therie 6,46, Tuberkulose 3,62, Masern 1,70, Keuchhusten 0,45
Kinder. Die Tuberkulose steht demnach hier an dritter Stelle.
Im 11.—15. Lebensjahre rückt sie sogar als Todesursache an die
-erste Stelle; denn es starben von 10000 an Tuberkulose 4,08,
-Scharlach 1,42, Diphtherie 1,10, Typhus 0,67, Masern 0,24. Nach
Kirchner kann man die Gefahren der einzelnen Infektionskrank¬
heiten für die Kinder so ausdrücken, dass die meisten Opfer im
1. Lebensjahre der Keuchhusten, im 2. Lebensjahre Masern und
Köteln, im 3., 4. und 5. die Diphtherie, im 6.—10. das Scharlach¬
fieber und vom 11. Lebensjahre ab die Tuberkulose fordert. In
•Cöln betrug die Gesamtsterblichkeit an Lungentuberkulose in den
Jahren:
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120
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1898 .
. . 741 Personen
1903 . . .
792 Personen
1899 .
. . 782 „
1904 . . .
791
V
1900 .
. . 883
1905 . . .
829
7)
1901 .
. . 781 „
1906 . . .
730
T)
1902 .
. . 779 „
1907 . . .
694
V
Das macht
eine jährliche Durchschnittssterbeziffer
an Tuberkulose
von 780 Personen. Von den 739 Todesfällen des Jahres 1906 sind
nach Answeis der standesamtlichen Totenscheine 43 im Alter bis zu
6 Jahren, 26 im Alter von 6—14 Jahren, 670 im Alter über 14
Jahre erfolgt. Für das Jahr 1907 verteilen sich die 694 Todes¬
fälle auf 34 bis znm Alter von 6 Jahren, 33 von 6—14 Jahren
nnd 622 im Alter über 14 Jahre. Im Durchschnitt der beiden
Jahre würden demnach die Tuberkulosetodesfälle des schulpflichtigen
Alters nur 4,1 °/ 0 der gesamten Sterblichkeit an Tuberkulose aus¬
machen.
Da sich die Tuberkulose durch direkte Versprühung bazillen¬
haltiger Mundflüssigkeit eines Erkrankten oder durch Aufwirbelung
von tuberkelbazillenhaltigem Staub verbreitet, so verlangt die mini¬
sterielle Anweisung den strikten Ausschluss aller an Tuberkulose
erkrankten Lehrer und Schüler vom Schulunterricht, sofern sie und
so lange sie Auswurf haben. Es soll ferner bei Lehrern und Schü¬
lern, die unter verdächtigen Erscheinungen erkrankt sind (Mattig¬
keit, Abmagerung, Blässe, Hüsteln, Auswurf), möglichst bald ein Arzt
befragt und die bakteriologische Untersuchung des Auswurfs ver¬
anlasst werden. Die Vorschriften über die Reinigung der Schul¬
räume, die Aufstellung von Speigefässen und das Verbot des Spuckens
im Schulgebäude sind wesentlich diktiert von der Sorge, die Weiter¬
verbreitung gerade dieser Krankheit zu verhindern.
Mit diesen Erkrankungen sind die wichtigsten Infektionskrank¬
heiten, welche die Interessen der Schule berühren, genannt. Die
übrigen sind entweder in ihren Wirkungen und Gefahren für ge¬
wöhnlich unbedeutend, so die Röteln, die Windpocken, der Mumps,
Krätze, oder sie kommen ausserordentlich selten vor, so dass sich
hier eine eingehende Besprechung erübrigt. Das gilt insbesondere
für die sogenannten gemeingefährlichen Erkrankungen: Aussatz,
Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest, Pocken, Rttckfallfieber. Auch
Typhus kommt im schulpflichtigen Alter selten vor, hierzulande auch
die Ruhr.
Die Bekämpfung dieser ansteckenden Krankheiten in den
Schulen war bisher geregelt durch einen Ministerialerlass aus dem
Jahre 1884, der bezüglich der Augen-Erkrankungen, zumal der so¬
genannten ägyptischen Augenentzündung oder der Körnerkrankheit,
durch einen Runderlass des Ministeriums vom Jahre 1898 ergänzt
wurde. Es handelt sich bei diesen Ministerialbestimmungen immer
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
121
am Verwaltungsmassregeln, die der Minister gewissermassen als be¬
sorgter Hausvater für die Schulen erlässt, nicht um eigentliche gesund-
heitspolizeiliche Bestimmungen. Die gesundbeitspolizeiliche
Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten war bis vor einigen
Jahren durch ein altehrwürdiges Regulativ aus dem Jahre 1835 ge¬
regelt, welches natürlich bei den enormen Fortschritten der Wissen¬
schaft gerade auf diesem Gebiete im Laufe der Zeit durchaus un¬
zulänglich geworden war. Dieses Regulativ wurde ersetzt durch
das Reicbgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Juni 1900 und durch das preussische Gesetz
betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August
1905. Mit diesen beiden Gesetzen, deren Ausführung der Gesund
heitspolizei obliegt, standen nun wiederum die Vorschriften der
Schulverwaltung aus dem Jahre 1884, beziehungsweise 1898 nicht
mehr im Einklang. Die wünschenswerte Übereinstimmung der
seitens der Polizei und seitens der Schulverwaltung zu treffenden
Anordnungen ist nun erfreulicherweise durch die Anweisung des
Ministers vom 9. Juni 1907 zur Verhütung der Verbreitung über¬
tragbarer Krankheiten durch die Schulen hergestellt worden. Es
empfiehlt sich, den Unterschied festzuhalten, dass man die aus¬
ländischen, besonders gefährlichen Seuchen als gemeingefähr¬
liche bezeichnet, denen gegenüber unsere einheimischen Krank¬
heiten, Scharlach, Diphtherie usw., als übertragbare bezeichnet
werden.
Es wird Ihnen nach den früheren Auseinandersetzungen als
selbstverständlich Vorkommen, dass die Infektionskrankheiten zunächst
den Schulausschluss der von ihnen befallenen Personen notwendig
machen. Bemerkenswert ist, dass der Schulausschluss bei den
gefährlichen Erkrankungen: Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelb¬
fieber, Pest, Pocken, Rotz, Rückfallfieber und Typhus auch schon
beim Verdacht der Erkrankung stattzufinden hat. Eine Neuerung
gegen früher liegt auch darin, dass Schüler, Lehrer und sonstige
im Schuldienst beschäftigte Personen, welche an Lungen- und
Keblkopftuberkulose leiden, dann vom Schulbesuch aus¬
geschlossen sind, wenn und solange in dem Auswurf Tuberkel¬
bazillen vorhanden sind. Manche Schwindsüchtige in den Anfangs¬
stadien haben keinen Auswurf; so lange sind sie ungefährlich. So¬
bald aber die Erkrankungsherde in der Lunge in offene Verbindung
mit den Luftröhrenästen treten und auf diesem Wege den an¬
steckungsfähigen Auswurf nach aussen gelangen lassen, also bei
der sogenannten offenen Tuberkulose, dürften die Befallenen bei
der Eigenart des Schulbetriebes allzu grosse Gefahren für ihre Um¬
gebung darbieten.
Ausser der Tuberkulose sind noch gegen früher als schul-
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UNIVERSITÄT OF IOWA
122
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ausschliessende Krankheiten hinzugekommen: Rotz, Milzbrand, Toll¬
wut, Gelbfieber, Pest, Lepra, Grind, Mumps und Windpocken.
Wie erhält nun der Vorsteher der Schule, dem nach der
Ministerialanweisung die Beobachtung der Vorschriften obliegt,
Kenntnis von diesen Erkrankungen? In den meisten Fällen wird
ja wohl auch heute noch von den fehlenden Kindern ein ärztliches
Attest beigebracht. Es verlaufen eben die meisten Infektionskrank¬
heiten derart fieberhaft, dass die Kinder zum Schulbesuch unfähig
werden. Ausserdem ist aber die Polizeiverwaltung angewiesen,
von jeder Infektionskrankheit dem Vorsteher der Anstalt unverzüg¬
lich Mitteilung zu machen. Die meisten ansteckenden Krankheiten
werden der Polizei infolge der Einführung der gesetzlichen Anzeige-
pflicbt von den Ärzten mitgeteilt. Das gilt allerdings nicht für
Masern, Keuchhusten, Krätze, Mumps, Röteln und Windpocken.
Hier kann also die Polizei dem Schulleiter die Arbeit nicht erleichtern.
Da aber oft bei der Polizei die Anzeigepflicht versäumt wird, auf
dem Schulattest aber dieselbe zur Kenntnis des Schulleiters kommt,
so ist unsererseits die Bestimmung erlassen, dass, wenn bei den
gefährlicheren Erkrankungen, die genau bezeichnet sind, die polizei¬
liche Mitteilung nicht innerhalb drei Tagen nach der Erkrankung
bei der Schule eingeht, umgekehrt der Schul Vorsteher der Gesund-
beitspolizei Anzeige zu erstatten hat.
Wie lange sollen die erkrankten Kinder aus der Schule
bleiben? Erst dann dürfen sie wieder zugelassen werden, wenn
entweder eine Weiterverbreituug der Krankheit durch sie nach
ärztlicher Bescheinigung nicht mehr zu befürchten oder die für
den Verlauf der Krankheit erfahrungsmässig als Regel geltende
Zeit abgelaufen ist. Diese Zeit dauert bei Pocken und Scharlach
etwa sechs, bei Masern und Röteln etwa vier Wochen; vier Wochen
dürften auch für Diphtherie gewöhnlich genügen, wenn auch das
sichere Kriterium für die Ungefährlichkeit erst dadurch erbracht
würde, dass eine mehrmalige Untersuchung des Halsschleims keine
Bazillen mehr ergibt. Eine solche mehrmals zu wiederholende
bakteriologische Kontrolle scheitert für gewöhnlich in der Gross¬
stadt schon an dem immensen Umfang der Arbeiten.
Der Schulleiter kann demnach ohne weitere Verantwortung
Diphtheriekranke nach vier Wochen, Scharlachkranke nach sechs
Wochen wieder zulassen; dann wird auch seitens der Gesundheits¬
polizei die notwendige Desinfektion bereits vorgenommen worden
sein. Die frühere Zulassung erkrankt gewesener Kinder zur Schule
kann der Schulleiter nur dann genehmigen, wenn ihm durch ärzt¬
liches Attest die Unbedenklichkeit des Schulbesuches und durch
ein Attest der Gesundheitspolizei die erfolgte Desinfektion nach¬
gewiesen ist.
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Sefar schwer wird es dem Sehnlicher sein, hei solchen Krank*
beiten, um welche sich die Polizei nicht bekümmert, so bei Masern
and Keuchhusten, den Nachweis zu erhalten, dass die erkrankt
gewesenen Personen vor ihrer Wiederzulassung gebadet und ihre
Wäsche, Kleidung und die persönlichen Gebrauchsgegenstände vor-
schriftsmässig gereinigt worden sind. Meines Erachtens würde es
genügen, wenn er hier den Schulbesuch erst nach der üblichen
Zeit zulässt und bei dem wiedereintretenden Kinde möglichst auf
Reinlichkeit des Körpers und der Kleidung sieht.
Bei der Körnerkrankheit, deren Feststellung die Schulärzte
ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden, hat der Schulausschluss
nur dann stattzufinden und nur so lange zu dauern, als deutlich
Eiter abgesondert wird. Kinder mit Körnerkrankheit ohne Eiter¬
absonderung sollen von den gesunden Kindern entfernt gesetzt und
angehalten werden, Berührungen mit den gesunden Schülern zu
vermeiden. Bei dieser chronisch verlaufenden Krankheit wird sich
der Lehrer stets an das Votum des Schularztes halten können.
Der Rat der Anweisung, dass alle diejenigen, die mit Diphtherie-,
Scharlach- und Genickstarrekranken zusaramengekommen sind, mög¬
lichst viel mit einem desinfizierenden Mundwasser gurgeln sollen,
soll nach der Anweisung von dem Lehrer den betreffenden Kindern
erteilt werden. Er wird aber meines Erachtens hier ebenso wie
bei dem Rat, dass mit Diphtheriekranken in Berührung gekommene
Personen sich durch Heilserum gegen die Krankheit immunisieren
sollen lassen, kaum auf eigene Faust Vorgehen können, vielmehr
sich damit genügen lassen, dass er die von der Polizeiverwaltung
ihm zur Verfügung gestellten gemein verständlichen Belehrungen an
die betreffenden Personen verteilt.
Die Schulausschliessung trifft aber nicht nur die Erkrankten
selbst, soudern bei dem gefährlichen Teil der ansteckenden Er¬
krankungen auch gesunde Schüler, gesunde Lehrer und andere
im Schuldienst beschäftigte Personen für den Fall, dass in ihrer
Behausung eine ansteckende Erkrankung vorgekommen ist. Die
Zweckmässigkeit dieser Massregel wird uns durchaus einleuchten,
nachdem wir schon eingangs die verschiedenen Übertragungsmöglich¬
keiten auch durch Personen als Zwischenträger kennen gelernt
haben. Dieser Ausschluss der Gesunden erstreckt sich einmal auf
Fälle von gemeingefährlichen Erkrankungen, ferner auf Diphtherie,
Scharlach, Genickstarre, Typhus und Ruhr. Über die ministerielle
Anweisung hinaus haben wir hier in Cöln gesunde Lehrer und
Schuldiener auch dann vom Schulbesuch vorläufig ausgeschlossen,
wenn Keuchhusten, Masern oder Röteln bei einem Mitgliede ihres
Hausstandes aufgetreten sind; denn wir sind der Überzeugung, dass
diese Erkrankungen ebenfalls.durch Dritte verschleppt werden können.
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Ich mache auf die Ausdrucksweise der ministeriellen Anweisung
aufmerksam, welche durchweg an Stelle des in der früheren An¬
weisung gebrauchten Wortes „Hausstandes“ den weitergehenden
Begriff der „Behausung“ eingeführt hat. Es wird also auch dann
der Scbulausschluss ausgesprochen werden müssen, wenn im selben
Hause schulpflichtige Kinder und Lehrer mit einem erkrankten
Kinde zusammen wohnen. Allerdings wird hier die Entscheidung
nach Lage des Einzelfalles erfolgen müssen. Eine abgeschlossene
Etagenwohnung moderner Art dürfte wohl als eine selbständige
Behausung aufgefasst werden, deren Inhaber durch Krankheitsfälle
im übrigen Teile des Hauses kaum berührt wird.
Gesunde Lehrer und gesunde Schüler dürfen erst dann wieder
zur Schule zugelassen werden, wenn die Erkrankten genesen (also
eventuell nach 4—6 Wochen) oder in ein Krankenhaus übergeführt
oder gestorben sind. In jedem dieser drei Fälle wird aber noch
der Nachweis verlangt werden müssen, dass Wohnräume, Wäsche,
Kleidung und Gebrauchsgegenstände vorschriftsmässig desinfiziert
worden sind. Bei uns hat sich die Praxis derart eingebürgert, dass
wir bei den schwereren Krankheiten in der Familie des Lehrers
oder des Schuldieners den Kreisarzt mit besonderen Ermittelungen
und Vorschlägen beauftragen würden, dagegen den Schularzt bei
Erkrankungen an Masern und Keuchhusten in der Familie des
Lehrers und Schuldieners. Überall da, wo es sich um den Aus¬
schluss gesunder Kinder infolge ansteckender Erkrankungen in
deren Behausung handelt, also weitaus in der Mehrzahl der Fälle,
macht die Gesundheitspolizei selbst für die Schule die nötigen
Feststellungen. Sie ermittelt bei jeder ansteckenden Erkrankung,
welche schulpflichtigen Kinder in der Behausung vorhanden sind,
und teilt deren Fernhaltung aus der Schule und den Termin ihrer
Wiederzulassung jedesmal dem Schulleiter mit. Auf diese Weise
wird die etwas komplizierte Arbeit wesentlich von der Polizei¬
verwaltung geleistet, bei deren Ermittelungen und Anordnungen der
Schulleiter sich für gewöhnlich beruhigen kann.
Wenn es bei den schweren Infektionskrankheiten bedenklich
ist, dass Lehrer und Schüler aus Behausungen, welche kranke
Kinder beherbergen, zur Schule kommen, so ist es natürlich gleich
bedenklich, wenn gesunde Lehrer und Schüler die Wohnung von
Infektionskranken aufsucheu und betreten. Es wird darum in der
Anweisung hiervor gewarnt, ja es sollen sogar die Schulen darauf
hinwirken, dass die Schulkinder nicht auf öffentlichen Strassen und
Plätzen mit den vom Unterricht ferngehaltenen Schülern verkehren.
Bei dem guten Rat wird es hier wohl meistens verbleiben; eine
darauf gerichtete Kontrolle wird meines Erachtens die Schule in
der Grossstadt nie wirkungsvoll leisten können. Sehr zu billigen
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ist das ausdrückliche Verbot, Leichen von Schulkindern, die an
Infektionskrankheiten gestorben sind, durch die Schule begleiten zo
lassen. Gefährlicher noch ist zweifellos die vielerorts und auch in
Cöln noch bestehende Unsitte, dass Schulkinder die Leichen solcher
Kinder im Sterbezimmer aufsuchen. Wir haben mehr als einmal
bei Todesfällen von Genickstarre und Typhus feststellen können,
dass Erwachsene und Kinder aus der Nachbarschaft in grösserer
Zahl die Leiche besuchen. Die Bedenklichkeit einer solchen Unsitte
liegt klar zutage.
Besonders scharfe Massregeln sind dann notwendig, wenn
eine im Schulgebäude selbst wohnhafte Person an einer Infek¬
tionskrankheit erkrankt. Hier sind nicht nur die gefährlicheren
Erkrankungen bedenklich, sondern auch leichtere Erkrankungen, wie
Masern, Köteln, Keuchhusten und Mumps. Die Anweisung verlangt
sofortige Schulschliessung nach vorheriger Anhörung des Kreisarztes.
Nur dann wird von der Schulschliessung abgesehen, wenn nach dem
Gutachten des Kreisarztes die erkrankte Person in ihrer Wohnung
wirksam abgesondert oder in ein Krankenhaus übergeführt worden
ist. Es ist darum notwendig, dass der Schulvorsteber die Gesund¬
heitspolizei sofort benachrichtigt, damit vom Bürgermeisteramt even¬
tuell die Schulschliessung veranlasst werden kann. Wann die Schule
wieder zu öffnen ist, wird ebenfalls vom Bürgermeisteramt auf Grund
eines kreisärztlichen Gutachtens bestimmt werden. Vor der Auf¬
nahme des Schulbetriebs bat eine gründliche Reinigung und Des¬
infektion der Schule zu geschehen.
Des weiteren kann die Schulscbliessung noch in Frage
kommen bei gehäuftem Auftreten von ansteckenden Krankheiten.
Bei uns in der Grossstadt wird die Schulscbliessung aus diesem
Grunde selten in Frage kommen, da sich die Erkrankungen meist
auf viele Schulsysteme und wieder auf die einzelnen Klassen so ver¬
teilen, dass eine besondere Häufung von Krankheitsfällen in einer
Klasse kaum vorkommt. Auch die innere Berechtigung der Mass-
regel wird jedesmal zu prüfen sein, da wir wissen, dass gelegent¬
lich die Infektionsgefahr ausserhalb der Schule bei Epidemien kaum
geringer ist als in der Schule. Man wird sich auch fragen müssen,
ob z. B. bei zehn Masernfällen in einer Schulklasse der Schul- oder
Klassenschluss sich nicht schon deshalb verbietet, weil die übrigen
Kinder alle oder überwiegend bereits die Masern überstanden haben.
Die Massregel wird darum nur in den untersten Klassen überhaupt
in Frage kommen, und wir werden demnächst wohl schlüssige Unter¬
lagen für diese Frage haben, wenn wir die in dem schulärztlichen
Gesundheitsbogen vorhandenen Rubriken: „Krankheiten von der Schul¬
zeit und während der Schuljahre“ genau zusammenstellen und prüfen
können. Auch die Erwägung ist von Bedeutung, ob man gerade
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im Anfang des Semesters oder schon gegen Schloss desselben
sich befindet. Die Störung für die Schule wird in dem ersten
Falle eine ganz erhebliche sein, so dass ein Schul- oder Klassen¬
schluss dem eigentlichen Schulzweck sehr ungelegen kommt, während
diese Erwägung gegen Schluss des Semesters gegenüber dem sani¬
tären Zweck der Massregel weniger schwer ins Gewicht fällt. Wir
halten es für zweckmässig, dass bei Häufung von übertragbaren
Krankheiten der Schulleiter sich frühzeitig des Rates der Schulärzte
versichert und in jedem Falle, wenn die Zahl der Erkrankungsfälle
20 °/ 0 der Klassenstärke übersteigt, die Gesundheitspolizei benach¬
richtigt. Dass der Schularzt relativ wenig bei den Schutzmass-
regeln gegen die ansteckenden Krankheiten in Aktion tritt, erklärt
sich daraus, dass die vorhandenen Gesetze fast ausschliesslich dem
Kreisarzt dieses Gebiet zuweisen. Immerhin ist in den Bekämpfungs-
raassregeln dem Schulleiter eine solche Summe von verantwortlichen
Geschäften aufgebürdet, dass ich doch raten muss, in Zweifelsfällen
möglichst mit dem sachverständigen Schularzt zusammenzuarbeiten.
Nur so wird es den Lehrern vielleicht möglich sein, mit der Emp¬
fehlung von vorbeugenden Mitteln bei gewissen Krankheiten (Gur¬
gelungen und Einspritzung von Diphtherieheilserum) einigermassen
das Richtige zu treffen. Auch die weitere Empfehlung des Ministers,
die Schüler gelegentlich des naturwissenschaftlichen Unterrichts und
bei sonstigen geeigneten Veranlassungen über die Bedeutung, die
Verhütung und Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten auf¬
zuklären und die Eltern der Schüler für das Zusammenarbeiten mit
der Schule und für die Unterstützung der von ihr zu treffenden
Massregeln zu gewinnen, weist die Lehrer wohl auf einen für sie
nur schwer gangbaren Weg, wenigstens heute noch. Die Aufgabe
liegt dem Schularzt zweifellos besser.
Die Infektionskrankheiten legen unserem Volke schwere Opfer
an Gut und Blut auf. Sie bringen durch schmerzliche Verluste
unsagbares Leid und Unglück in unsere Familien. Es lohnt sich,
dem tückischen Feinde entgegenzutreten, wo man ihn findet. Möge
die Schule an ihrem Teile an den hohen Aufgaben der Volks¬
gesundheitspflege mitarbeiten; denn die Rettung von Menschenleben
ist ein hoher Gewinn.
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XIV. Internationaler Kongress für Hygiene
und Demographie in Berlin
vom 23. bis 20. September 1007.
(Schluss aus Heft 11/12 des vorigen Jahrgangs.)
Von
Privatdozent Dr. Selter-Bonn.
Schulhygiene.
Als erstes Hanptthema war aufgestellt Erfahrungen über
das System der Schulärzte. Johannsen (Christiania) gab ein
Bild davon, wie das System der Schulärzte in Norwegen mit
seinen in vielen Beziehungen eigentümlichen Verhältnissen und mit
einer ziemlich gut fungierenden Schule gewirkt hat. Seit dem
Jahre 1885 ist ein Arzt als Ratgeber des Unterrichtsdepartements
in allen Fragen der höheren Schulen angestellt. In dem städtischen
Volksschulgesetz vom 26. Juni 1889 wurde bestimmt, dass die Ober¬
leitung jeder Schule, wenn das Geld dazu bewilligt wird, einen Arzt
annebmen kann, der den Gesundheitszustand der Schuljugend zu
überwachen hat. Durch das Gesetz vom 27. Juli 1897 wurde es
jeder höheren Schule obligatorisch auferlegt, einen Schularzt an¬
zustellen. Die Schulärzte behandeln gewöhnlich nicht die kranken
Kinder, aber untersuchen die Schüler, die ihnen vorgeführt werden,
und sehen zu, dass die hygienischen Bestimmungen, die für die
Schule gelten, aufrechtgehalten werden. Eine Anfrage bei an¬
gesehenen Schulärzten, Rektoren und Schuldirektoren, wie ihrer
Ansicht nach das System der Schulärzte in Norwegen gewirkt hat,
ergab, dass die Auffassung aller ist, dass die Institution für die
Volksschule eine grosse Bedeutung hat; mehrere der Schuldirektoren
bezeichnen sie geradezu als unentbehrlich. Von den anderen nor¬
dischen Ländern nimmt Schweden in bezug auf die Schularzt¬
institution eine hervorragende Stellung ein. Hier ist der Schularzt
berechtigt, an den Verhandlungen des Schulkollegiums über schul¬
hygienische Fragen teilzunehmen, und ist eiu wissenschaftlich ge¬
bildeter Hygieniker der Oberleitung der höheren allgemeinen Schu-
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len zuzaordnen. In Finnland haben zahlreiche private und kom¬
munale Schulen den Schularzt eingeführt, in einigen Schulen ist
dieser verpflichtet, in der Hygiene, besonders in der Sexualhygiene
zu unterrichten. Dänemark hat bisher nur an den Volksschulen
und Bürgerschulen Kopenhagens und einiger grösserer Städte den
Schularzt eingeführt.
Stephani (Mannheim) tritt für den Schularzt im Haupt¬
amt ein. Für Landschulen oder kleinere Städte mit einer Gesamt
schülerzahl von weniger als 1000 Schülern komme ja allerdings nur
der Schularzt im Nebenamt in Betracht; ebenso würde für Stadt¬
schulen mit grösserer Kinderzahl, in welchen die Hygiene der Schul¬
gebäude und eine eingehende individuelle Beobachtung in den Ge¬
schäftskreis des Schularztes nicht einbezogen wird, das System der
nebenamtlichen Schulärzte genügen. Bei einer grösseren Schul¬
bevölkerung jedoch, wo neben der gewöhnlichen Untersuchung der
Lernanfänger und der allgemein üblichen Überwachung noch ein
näheres Eingehen auf die Hygiene der Schulgebäude, auf eine fort¬
laufende Beobachtung geistig schwach oder krankhaft beaniagter
Kinder oder gar auf die Hygiene des Unterrichts verlangt wird, ist
■das System des Schularztes im Hauptamt das beste. Als Grund¬
bedingung für die erfolgreiche Wirksamkeit jeglichen Systems schul¬
ärztlicher Tätigkeit ist zu fordern, dass ein Arzt als vollberechtigtes
Mitglied in das massgebende Schulkollegium eintritt, um die gesund¬
heitlichen Interessen der Schüler und der Lehrer uachhaltig ver¬
treten zu können.
Göppert (Kattowitz) behandelte die Frage vom Standpunkt
des Schularztes im Nebenamt. Die Tätigkeit des Schularztes
im Nebenamt erstreckt sich nach ihm im wesentlichen auf Fest¬
stellung der Schuldienstfähigkeit in körperlicher und geistiger Be¬
ziehung, Schutz des Schülers vor Infektion und Wahrnehmung der
gesundheitlichen Interessen des erkrankten Schülers. Sein Einfluss
auf Gebäude und Unterrichtshygiene ist dagegen nur gering. Wäh¬
rend sich bei Feststellung der Schuldienstfähigkeit das System be¬
währt hat, kann es zur Verhinderung von Übertragung akuter In¬
fektionskrankheiten stets nur wenig wirken. Zur Verhütung der
Verbreitung chronischer Infektionskrankheiten hat es sich als nütz¬
licher erwiesen und ist namentlich im Kampf gegen die Tuberkulose
noch leistungsfähiger zu gestalten. Zur Wahrung der körperlichen
Interessen des erkrankten Schülers zeigte sich tüe einfache Benach¬
richtigung der Eltern über das gefundene Leiden als genügend.
Vielmehr bedarf es einer persönlichen Einwirkung des Schularztes
auf die Eltern. Bei der Aufnahmeuntersuchung soll stets eine Be¬
sprechung von Schularzt und Eltern über die Pflege des Kindes
erfolgen. Zu den Pflichten des Schularztes gehört die Heranziehung
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sämtlicher Fürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen im Interesse der
ihm unterstellten Kinder. Die Wirksamkeit des Systems wird in
Frage gestellt, wenn dem Schularzt im Nebenamt mehr als 1200 Kin¬
der unterstellt werden. Zu seiner Ergänzung bedarf es des Schul¬
augenarztes.
In der sich an diese Vorträge anschliessenden Diskussion wurde
hervorgehoben, dass die Frage, ob man sich für grössere Städte¬
verwaltungen für das System der Schulärzte im Hauptamt ent¬
scheiden solle, noch nicht genügend geklärt sei und es erst noch
weiterer Erfahrungen bedürfe.
Die Frage der Überarbeitung in der Schule behan¬
delte als erster Referent Czerny (Breslau). Er behielt seinen schon
früher vertretenen Standpunkt bei, dass eine Überarbeitung durch
die Schule für normale Kinder von keiner Seite bewiesen sei. Die
Krankheitssymptome, welche auf Überarbeitung bezogen werden,
sind meist Folgen der Wärmestauung bei mangelhafter Ventilation
der Scbulräume. Objektiv feststellbare Störungen durch angebliche
Überarbeitung in der Schule linden sich nur bei psychopathischen
Kindern. Die von den Schulärzten immer behauptete Schulanämie
bestehe in Wirklichkeit gar nicht; bei mehrfachen Blutunter¬
suchungen habe er absolut keine Veränderungen des Blutes der als
anämisch bezeichneten Kinder finden können. Prophylaktisch komme
eine zweckmässige Erziehung der Kinder im Hause schon vor und
während des Schulbesuches in Betracht; eine Erziehung zum Pflicht¬
bewusstsein, Beherrschung des Willens und zur Subordination unter
die Autorität der Eltern und der Lehrer. Im Gegensatz zu Czerny
vertritt Mathieu (Paris) den Standpunkt, dass die Überarbeitung
mit dem Augenblick beginnt, wo das Kind oder der Jüngling in¬
folge des dauernden Sitzens anf der Schulbank sich nicht mehr so
ausreichend in der frischen Luft aufbalten und bewegen kann, dass
das Wachstum und die körperliche Entwicklung ihren normalen
Fortgang nehmen. Die geistige Überarbeitung ist eine Folge des
dauernden Stillsitzens, der dauernden angespannten Aufmerksamkeit
und der hierdurch entstehenden Überbürdung des Gehirns; der Ein¬
tritt der geistigen Überarbeitung kann auch durch tägliche, wöchent¬
liche oder gar ein Jahr umfassende Ruhepausen nicht genügend ge¬
hindert werden. In Frankreich kann man das übermässige lange
Sitzen und die Erscheinungen der geistigen Überarbeitung sowohl
in den Elementarschulen als in den höheren Schulen beobachten.
Das übermässig lange Sitzen hängt wesentlich mit der Überlastung
des Stundenplans und der Menge der häuslichen Arbeiten zusammen.
Die Überarbeitung benachteiligt in hohem Grade die geistige Arbeit
und veranlasst schwere Gesundheitsstörungen, besonders bei jungen
Leuten mit erheblicher Anlage zur Nervosität; in unserem Zeitalter
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droht aber eine erbliche nervöse Belastung einen immer grösseren
Umfang anzunehmen.
Über die zweckmässige Regelnng der Ferienord¬
nung sprach als erster Referent Enlenbnrg (Berlin). Vom scbul-
bygienischen Standpunkt erscheint eine jährliche Gesamtdaner der
Ferien von 80—90 Tagen, wie sie auch jetzt in den meisten deut¬
schen Bundesstaaten und den Nachbarländern tatsächlich besteht,
als ausreichend und den gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechend.
Ebenso muss an der Verteilung der Ferien auf die verschiedenen
Jahreszeiten, wie sie gegenwärtig — zum Teil in Anlehnung an die
hohen kirchlichen Feste Weihnachten, Ostern, Pfingsten — durch¬
gängig geübt wird, im Prinzip festgehalten werden. Die ausgedehn¬
testen Ferien müssten stets in die heisseste Jahreszeit, in Mittel¬
europa also in die mit höchsten Durchschnittstemperaturen und höch¬
sten absoluten Temperaturen versehenen Monate Juli und August
fallen — Sommerferien — und sind über die an den meisten Orten
bisher übliche Zeitdauer von vier, allenfalls fünf, auf mindestens
sechs Wochen zu verlängern. Diese Verlängerung kann, wie es
schon bisher vielfach, namentlich in den süddeutschen Bundesstaaten,
in Elsass-Lothringen und zum Teil in den westlichen Provinzen
Preussens geschieht, durch Zusammenlegen der Sommerferien mit
den kurzen Ferien am Herbstbeginn erzielt werden. Allerdings ist
dabei die notwendige Voraussetzung, dass — wie es ja auch aus
pädagogischen Gründen lebhaft befürwortet wird — das Ende des
Schuljahres oder des Sommerhalbjahres mit dem Beginn der Sommer¬
ferien zusammenfällt, nicht aber auf den Schluss eines auf die
Sommerferien folgenden sechs- bis siebenwöchentlichen sog. zweiten
Sommervierteljahres gelegt wird.
Burgerstein (Wien) hält Ferien vom hygienischen Stand¬
punkt dann für notwendig, wenn Vorteile der Schulfreiheit behufs
Resistenzgewinnung am stärksten zur Geltung kommen können. Für
alle höheren Schulen sowie für alle Schulen überhaupt in grossen
Ansiedelungen beginnen die Hauptferien am günstigsten unmittelbar
nach Schluss des Schuljahres. In gemässigten Klimaten ist für die
Hauptferien die beste Zeit im Jabresabschnitt der grössten Tages¬
längen nnd höchsten Aussentemperaturen gelegen. Die Hauptferien
allein genügen aber nicht, es sind ausserdem grössere Arbeitsunter-
brechungen im Schuljahre erforderlich. In Mitteleuropa sind Ferien
um die Jahreswende und weiter etwa Ende März angezeigt. Re¬
ferent empfiehlt bis auf weiteres folgende Ordnung: Schuljahrbcginn
ca. Anfang September, ca. 3 1 /* Monate Unterricht; zwei Wochen
Ferien um Weihnachten, dann ca. drei Monate Unterricht; zwei
Wochen Ferien etwa Ende März, dann gegen drei Monate Unter¬
richt: Hauptferien Juli und August.
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Cohn (Charlottenburg) erörtert die Notwendigkeit der Unter¬
weisung der Jugend in der Hygiene durch den Schularzt unter Mit¬
wirkung der Lehrer. Die Lehrer müssten eine entsprechende Aus¬
bildung in der Gesundheitspflege erhalten und die Jugend bei jeder
Gelegenheit zur Beachtung der Regeln der Hygiene anhalten, unter
Berücksichtigung der von den Schulärzten gegebenen Anweisungen.
Bernhardt (Berlin) machte statistische Angaben über un¬
genügende Ernährungsverhältnisse Berliner Gemeindeschüler hin¬
sichtlich gänzlichen oder teilweisen Fehlens von Frühstück und
Mittagessen. Er verlangt zur Verbesserung dieser Verhältnisse die
Heranziehung der Kommunen.
Über Schulhygiene und Statistik sprach Gastpar
(Stuttgart). Dem Schularzt ist durch die Massenuntersuchungen Ge¬
legenheit gegeben, eine wissenschaftliche Bearbeitung des gesammelten
Materials vorzunehmen und so die Kenntnis von der körperlichen
Entwicklung des Schulkindes und den drohendeu Gefahren und
Schädlichkeiten zu erweitern und zu vertiefen. Die wissenschaft¬
liche Bearbeitung ist seine Pflicht, insofern mit der fortschreitenden
Kenntnis auch Wege zur Abhilfe sichtbar werden. Bei Bearbeitung
aller dieser Fragen stehen dem Schularzt die Gesetze und Methoden
der wissenschaftlichen Statistik zu Gebote. Es bedeutet dies eine
wesentliche Erleichterung und Förderung seiner Aufgabe. Deshalb
hat sich der Schularzt mit den Gesetzen und Methoden der Stati¬
stik vertraut zu machen. Die Grundlage für jede Statistik ist das
Urmaterial. Je sorgfältiger dasselbe in rein technischer wie in
wissenschaftlicher Beziehung bearbeitet ist, desto besser ist die dar¬
auf aufgebaute Statistik. Im vorliegenden Fall hat man sich auf
der wissenschaftlichen Seite nicht bloss mit der Registrierung des
Körperbefundes zu begnügen, sondern es ist namentlich auch der
Anamnese eine wesentliche Stellung einzuräumen. In technischer
Beziehung scheint eine Zählkarte, die jedes Kind durch die Schule
begleitet, absolut notwendig. Je einheitlicher die Beschaffung des
Urmaterials in den verschiedenen Städten und Staaten geschieht,
um so umfangreicher kann sich die Statistik gestalten. Es sollte
deshalb von Reichs wegen durch die zuständigen Reicbsbehörden
— Gesundheitsamt und Statistisches Amt — unter Zuziehung von
Schulärzten ein Entwurf zu einer allgemein einzuführenden Schüler¬
zählkarte ausgearbeitet werden. Ebenso sollte ein Entwurf zu einer
Bearbeitung des so gewonnenen Materials ausgearbeitet werden, da¬
mit die jetzt für die Statistik vielfach verloren gehenden Befunde
und Erhebungen an einer Zentralstelle gesammelt und nutzbringend
verarbeitet werden können.
Oebbecke (Breslau) hält die statistische Kontrolle der Schul¬
hygiene für jedes Land für sehr wichtig, weil bei dem fast überall
Centralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 10
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eingeführten Schulzwang die ganze Nation durch die Schule hin¬
durch muss und Schulschäden durch einen unhygienischen Betrieb
erleiden kann. Bei der schulärztlichen Statistik ist das Material so
zu gliedern, wie es der Schulbetrieb ergibt, d. h. nach Geschlecht
und Klassen bezw. Alter. Die Lernanfängerklasse ist von den
übrigen Klassen noch besonders zu trennen, um festzulegen, mit
welchem Status praesens der Schüler in die Schule eintrat. Die
besondere Stellung des Schularztes, welcher nicht behandelnder,
sondern nur Überwacbungsarzt sein soll, verlangt eine Dienstord¬
nung, welche sowohl gesunde wie kranke Schüler unter statistische
Kontrolle stellt. Die gesundheitliche Kontrolle aller Schüler ge¬
schieht zunächst durch jährliche Wägungen und Messungen, ferner
durch körperliche Untersuchungen zu Anfang, Mitte und Ende der
Schulzeit, um so wenigstens drei Vergleichspunkte einer Kurve mit
steigender oder fallender Tendenz bei jedem Schüler zu erhalten.
Bei den kranken Schülern sollen nur diejenigen Schülerkrankheiten
statistisch berücksichtigt werden, welche direkt durch einen un¬
hygienischen Schulbetrieb hervorgerufen werden können, oder welche
eine besondere Berücksichtigung oder Schonung des Schülers im
Unterrichtsbetrieb erfordern. Es handelt sich bei den letzteren
hauptsächlich um Anlagen zu chronischen und subchronischen Krank¬
heitszuständen oder um besondere körperliche und funktionelle De¬
fekte. Zur Überwachung solcher Krankheiten dienen die regel¬
mässigen Sprechstunden des Schularztes in der Schule. Damit die
im schulärztlichen Betriebe festgestellten Resultate ein für die Sta¬
tistik rechenfähiges und vergleichbares Material ergeben, ist eine
vereinbarte Klassifikation der Schülerkrankheiten unbedingte Vor¬
aussetzung; ebenso sind hier nötig einheitlich vereinbarte Unter-
suchung8raetboden zur Gewinnung der Resultate. Über jeden Schüler
ist ein Personalschein anzulegen, in welchen sämtliche ärztliche Be¬
funde wie Anordnungen während der ganzen Schulzeit eingetragen
werden können. An der Ausfüllung desselben hat sich sowohl der
Schularzt wie der Lehrer zu beteiligen.
Die Fürsorge für Schwachsinnige behandelte Weygandt
(Würzburg). Er verlangt, dass Hilfschulen mit Schulzwang für
Schwachsinnige und Landeshilfsschulen mit Internaten für ländliche
Schwachsinnige gegründet werden; für geeignete pädagogische Lei¬
tung und ärztlichen Beirat ist Sorge zu tragen. Auch auf Fürsorge¬
erziehung für sittlich gefährdete und defekte, für epileptische, ner¬
ven- und geisteskranke Kinder ist Bedacht zu nehmen. Nach Für¬
sten heim (Berlin) gibt es eine grosse Gruppe von Kindern, denen
mit dem Spezialunterricht allein nicht geholfen ist, und die auch
nicht in die Idioten- und Irrenanstalten gehören, selbst dann nicht,
wenn diesen Kinderabteilungen angegliedert werden. Für diese sind
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besondere Heilerziehungsanstalten erforderlich, deren Leitung spe-
zialistisch vorgebildeten Männern gebührt. Ein öffentlicher Kosten¬
träger existiert in Preussen vorläufig für das Heilerziehungsverfahren
nur bei denjenigen Kindern, bei denen die Voraussetzungen des
preussischen Fürsorgeerziehungsgesetzes vom 2. Juli vorliegen: näm¬
lich entweder die Gefahr völliger sittlicher Verwahrlosung des Kin¬
des oder aber schwere erziehliche Vernachlässigung seitens der
Eltern. Also gerade in den Fällen, in welchen sich Eltern recht¬
zeitig ratsuchend an den Arzt wenden, bleibt Unbemittelten heute
die notwendige Hilfe versagt. Selbst wenn es gelänge, private
Mittel für den Bau von Heilerziehungsanstalten flüssig zu machen,
Ähnlich wie seinerzeit bei dem Bau von Lungenheilstätten, so müsste
dennoch auf legislativem Wege ein Kostenträger für das Heil-
-erziehungsverfahren geschaffen werden, wie ihn bei den Lungen¬
heilstätten die Landesversicherungen darstellen. Die Vorbereitung
anf die Schule durch besondere heilpädagogiscbe Kindergärten ist
sehr zweckmässig, noch wichtiger jedoch die Fürsorge' für die
schulentlassenen geistig-abnormen Kinder; sie bedürfen einer be¬
sonderen Berufsbildung von Lehrkräften, die mit der Eigenart der
Kinder vertraut sind. Es sind demnach im Anschluss an die Fort¬
bildungsschule für Hilfsschulentlassene und an die Heilerziehungs¬
anstalten Berufsbildungsstätten zu gründen — Flick- und Näb-
scbulen, Koch- und Hausbaltungsschulen für Mädchen-, Korb- und
Holzbearbeitungsscbulen, Streicher- und Töpferschulen für Knaben —,
in denen ein grosser Teil der Kinder in einer ihrer Neigung und
Fähigkeit entsprechenden Weise zu „halben Kräften“ im Dienste
der Gesellschaft erzogen werden kann.
Neuerungen auf dem Gebiete der Trinkwasserreinigung.
Über Reinigung von Trinkwasser durch Ozon sprachen
Courmont und Lacomme (Lyon). In Frankreich ist die Ozoni¬
sierung von Trinkwasser in grossem Massstabe bereits seit längerer
Zeit eingeführt, und zwar nach drei Methoden, nach Abraham und
Marmier in Lille, nach Tindal de Friese in Saint Maur und nach
Otto in Nizza. Die Ozonisierung kann nur auf klares Wasser An¬
wendung finden, d. h. Quellwasser, welches sich nie trübt, oder auf
'Quellwasser, welches sich trüben kann, und Flusswasser nach
Filtrierung. Bei der industriellen Herstellung und Verwendung des
Ozons ist zu beachten, dass die Kontrolle der Apparate eine
beständige ist unter der Leitung eines verantwortlichen Ingenieurs,
dass die Registrierapparate ohne Unterbrechung arbeiten, und dass
die Ergebnisse durch häufige bakteriologische Untersuchungen
kontrolliert werden. Die Kosten der Überwachung und Kontrolle
sind nur für eine einigermassen bedeutende Anlage erträglich.
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Ein nenes Trinkwasserfiltrationsverfahren gibt
Götze (Bremen) an. Das wesentliche daran ist eine Doppelsand¬
filtration nnd Vorklärung mit schwefelsaurer Tonerde. Ein Nach¬
filter, das als eingearbeitetes Filter hinter ein anderes unvoll¬
kommen arbeitendes geschaltet wird, soll ohne Schwierigkeit die
geringen Reste der Vernnreinignngen, die gelegentlich im Filtrat
noch vorhanden sind, beseitigen. Die Filter werden im allgemeinen
als Einzelfilter angelegt und erhalten nur als Ergänzungen die
Heberverbindung mit Nachbarfiltern. Unter normalen Verhältnissen,
wenn die Einzelfiltration ganz zuverlässige Ergebnisse hat, werden
alle Filter als Einfachfilter mit Rohwasser beschickt betrieben. Die
Vorklärung mit schwefelsaurer Tonerde verlegt einen grösseren
Teil der Reinigungsarbeit in das Klärbecken und verbessert dort
das Rohwasser, macht es leichter filtrierbar. Im Verhältnis von
1:50000 bis 1:25000 zum Rohwasser zugesetzt verwandelt sie
auch stark von tonigen Suspensionen oder von Algen getrabtes,
oder von Huminsubstanz gefärbtes in klares durchsichtiges Rob-
wasser, dem nur noch geringe Verunreinigungen anhaften, welche
durch Filtration leichter beseitigt werden können, als wenn das
Rohwasser nicht vorbehandelt ist. Imbeaux (Nancy) empfiehlt
für Sandfiltration die langsamen Filter mit Bildung einer Membran,
wenn die Membran sich leicht bildet und bestehen bleibt, wenn der
Abfluss gleichmässig und regelmässig ist, und wenn eine genaue
bakteriologische Überwachung gesichert ist. Die raschen Filter —
mechanische oder amerikanische — sind besonders für Flusswässer
passend, die einen grossen Teil des Jahres trübe bleiben, und die
ebenso wie farbiges Wasser einer chemischen Präzipitation bedürfen,
um klar zu werden. Die intermittierende Filtration oder die Zwischen¬
lagerung einer Schicht oxydierender Substanzen-Polarit, Karboferrit
u. a. — ist empfehlenswert, wenn es sich um Wasser handelt, die
durch organische Substanz stark verunreinigt sind. Die Filter mit
feinem, nicht unter Wasser gesetztem Sande und ohne Membran¬
bildung empfehlen sich für Wässer, die zwar verunreinigt sind,
dabei aber klar bleiben, z. B. für Quellwasser; ein Vorzug der¬
selben besteht darin, dass sie weder eine so grosse Gleichmässigkeit
noch eine so genaue bakteriologische Überwachung erfordern, wie
die Filter mit Membranbildung; sie passen daher mehr für kleinere
Örtlichkeiten. Die Wahl unter den verschiedenen Verfahren hängt
von den besonderen Umständen jedes einzelnen Falles ab.
Über Talsperrenwasser als Trinkwasser hatFränkel
(Halle) Erfahrungen gesammelt. Dasselbe ist dem Oberflächen¬
wasser, d. b. dem Inhalt der Flüsse, Ströme, Bäche und Seen für
die Versorgung des Menschen weitaus vorzuziehen. Wenn dnreh
Absperrung der ganzen Stauanlage vom Verkehr, von einer Be-
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rührung mit Menschen eine Verunreinigung der Talsperre mit
Sicherheit ausgeschlossen erscheint, kann von einer nachträglichen
Reinigung des Wassers auf dem Wege der Filtration durch Sand¬
filter oder durch Bodenberieselung Abstand genommen werden, um
eine Verteuerung des Betriebes zu vermeiden. Um eine zu Zeiten
eintretende Verschlechterung des Geschmacks des Wassers zu ver¬
hüten, ist die ganze zu überstauende Fläche von allen Bäumen,
Sträucbern sowie von den Gräserarten und besonders vom Humus¬
boden zu befreien. Grassberger (Wien) verlangt demgegenüber,
dass als Trink- oder Nutzwasser bestimmtes Talsperrenwasser
grundsätzlich einer künstlichen Reinigung zu unterziehen sei. Für
die Beurteilung des Reinheitszustandes der Zu- und Abflüsse von
Stauweihern geben die bakteriologischen Anreicherungsmethoden,
insbesondere die Eykmannsche Probe wertvolle Anhaltspunkte. Bei
einer Talsperre in Tullnerbach bei Wien, deren Niederschlags¬
gebiet und Art des Stauteiches sehr ungünstige Rohwasser¬
verhältnisse zeigen, Hessen sich die Betriebsstörungen und Sandfilter¬
überlastung durch die bei Hochwasser und Schneescbmelze regel¬
mässig auftretenden Lehmtrübungen durch eine zeitweise in Betrieb
gesetzte, eigens errichtete Alaunisierungsanlage vermeiden. Die
fortlaufende Kontrolle der Talsperren durch ein hygienisches
Institut oder einen hygienischen Fachmann ist unter allen Umständen
wünschenswert.
Schattenfroh (Wien) spricht über die Grundlagen der
hygienischen Wasserbegutachtung. Hierfür sind besondere
Begutachter, mit speziellen hygienischen Kenntnissen ausgestattet,
notwendig. Die häufigsten Gesundheitsstörungen durch Trinkwasser
werden durch Infektionen mit pathogenen Keimen hervorgerufen;
vor allem sind hier Typbus, Cholera und Wurmkrankheit zu nennen.
Von organischen Giften sind es meist Bleivergiftungen, die in Frage
kommen. Dem Hygieniker fällt die Aufgabe zu, bei der Auswahl
guten Trinkwassers mitzuwirken, die Frage über die Entstehung
der etwaigen Verunreinigung eines Wassers zu entscheiden und Vor¬
schläge zur Abhilfe bestehender Übelstände zu machen. Eine Ent¬
scheidung lässt sich durch eine einmalige Untersuchung meist nicht
treffen, hierzu sind wiederholte chemische und bakteriologische
Wasseruntersucbungen erforderlich. Vielleicht findet die Zukunft
bessere Verfahren, um eine Verunreinigung von Brunnen durch
Grubeninhalt festzustellen.
Ab wässer reinigung.
Über die Erfolge der mechanischen, chemischen und
biologischen Abwässerklärung sprach Schmidtmann (Berlin).
Die Forderungen, welche im Interesse der Allgemeinheit an den
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Reinheitsgrad der geklärten Abwässer za stellen sind, sind nicht
feststehend, sondern von Fall zu Fall unter eingehender Prüfung der
Gesamtverhältnisse festzusetzen. Wenn der nach den gegebenen
Verhältnissen zu fordernde Reinheitsgrad mit einem einfachen Ver¬
fahren erreicht werden kann, so ist es unberechtigt, eine weiter¬
gehende und kostspieligere Klärung zu fordern. Den verhältnis¬
mässig sichersten Erfolg für die einwandfreie Beseitigung von
Abwasser, insbesondere wenn es sich um grosse Mengen handelt,
bietet die Reinigung durch Verteilung auf ausreichenden Land¬
flächen von geeigneter Beschaffenheit. Die durch den natürlichen
biologischen Prozess der Bodenbehandlung zu erzielende Reinignngs-
wirkung kann in ähnlicher Weise, abgesehen von der Beeinflussung^
der Infektionsstoffe, durch das künstliche biologische Verfahren
erreicht werden. Die chemische Abwasserreinigung ist durch daa
biologische Verfahren und die bessere Ausbildung der mechanischen
Verfahren in neuerer Zeit zurückgedrängt; doch ist in manchen
Fällen, namentlich wenn gewerbliches Abwasser in Frage kommt,
die Anwendung von chemischen Fällungs- oder Bindungsmitteln für
sich allein oder in Verbindung mit anderen Klärverfabren auch
heute noch wertvoll und unter Umständen unentbehrlich. Die
mechanische Abwasserklärung durch Becken, Brunnen oder Türme
hat sich namentlich in Deutschland hei günstigen Vorflutverbältnissen
und zweckmässiger Durchbildung bisher bewährt. Die in neuester
Zeit angewandten Verfahren, den Schlamm in den Becken oder
Brunnen während des Betriebs von dem durchfliessenden Abwasser
abzutrennen und ausfaulen zu lassen, verdienen Beachtung. Die
ständige Verbindung der Desinfektion mit dem Betrieb zentraler
Kläranlagen empfiehlt sich nicht; sie ist auf Ausnahmefälle zu
beschränken. Die Vernichtung der Infektionsstoffe ist für gewöhn¬
lich am Ort ihrer Entstehung durchzuführen, jedoch schon bei der
Anlage zentraler Kläreinrichtungen ist die Möglichkeit einer etwa
erforderlichen Desinfektion des Gesamtwassers vorzubereiten. Die
Desinfektion der Rohabwässer ist unsicher und kostspielig wegen
des grossen Bedarfs an Chemikalien; es empfiehlt sich deshalb, die
Desinfektion an den geklärten Abwässern auszuführen. Die bakterio¬
logische Prüfung kann in der Regel bei der Kontrolle des aus
irgend einer Kläranlage abfliessenden Abwassers entbehrt werden,
sie kommt jedoch in Betracht, wenn es sich um desinfiziertes Ab¬
wasser handelt, alsdann ist festzustellen, ob die Abflüsse noch
Bazillen aus der Gruppe des Bakterium coli enthalten.
Die bisherigen Erfahrungen über Trennungssysteme
der Abwässer behandelte Günther (Berlin). Die getrennte Ab¬
leitung der Hauswässer einschliesslich Fäkalien und mancher gewerb¬
licher Abwässer einerseits und die der Niederschlagswässer anderer-
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seits bat sich in Deutschland bisher im allgemeinen bewährt. Man
hat beim Trennsystem häufig geringere Kosten fttr Anlage und
Betrieb der Kanalisation und der Abwässerreinigung aufzuwenden,
als sie bei der Wahl des Mischsystems erforderlich würden.
Namentlich ist dies der Fall bei leichter Erreichbarkeit der Vorflut
für die Niederschlagswässer, ferner bei ausgedehntem Baugebiet mit
geringer Besiedelung, ferner bei dem Vorliegen der Notwendigkeit,
das ganze Schmutzwasser zu beben, und andererseits der Möglich¬
keit leichter oberirdischer Ableitung der Regenwässer, ferner bei
vorliegender Notwendigkeit, die Reinigungsanlage in grösserer Ent¬
fernung von dem Entwässerungsgebiet zu errichten, und daraus
sich ergebendem Zwange der Schaffung einer langen Schmutz¬
wasserleitung, usw. Auch nach Hofer (Baden) bei Wien ent¬
sprechen technisch richtig angelegte Trennungssysteme den vom
hygienischen Standpunkte aufgestellten Anforderungen an eine
Wegschaffung der Abwässer. Das Minimalgefälle der Kanäle muss
unter Berücksichtigung der kleinsten Wassermengen und der Kanal¬
profile so gross gewählt werden, dass die hierdurch erzeugte
Wassergeschwindigkeit imstande ist, nennenswerte Ablagerungen
von Sinkstoffen auszuschliessen. Das Trockenlaufen von Kanälen,
die in sehr starken Gefällen liegen, hat in der Regel keine fühl¬
baren Übelstände im Gefolge.
Bezüglich der Verwertung und Beseitigung des Klär¬
schlammes aus Reinigungsanlagen städtischer Abwässer
stellt Metzger (Bromberg) folgende Forderungen auf:
Die Schlammrückstände aller bekannten Reinigungsmetboden
sind niemals so wertvoll, um etwa derjenigen Reinigungsart den
Vorzug zu geben, bei der die grösste Schlammenge gewonnen wird.
Die einfachste und mit geringster Belästigung verbundene Methode
der Schlammbeseitigung ist die Unterbringung des dünnflüssigen
Schlammes auf genügend grossen Ländereien. Der Schlamm¬
berieselung sollte daher mehr, als es bisher geschehen ist, der Vorzug
gegeben werden, und zwar auch dann, wenn das Schlammwasser
durch maschinelle Anlagen nach entfernt gelegenen Ländereien be¬
fördert werden muss. Die Aufsammlung des Schlammes in der
Umgebung der Kläranlage ist, sofern diese in der Nähe der Stadt
liegt, zu vermeiden, da Belästigungen durch Geruch, durch massen¬
hafte Ansammlung von Fliegen und anderen Insekten und durch die
spätere Abfuhr nicht zu verhindern sind. Die Verwertung und Be¬
seitigung des Schlammes ist von so grosser Bedeutung, dass eine
Kläranlage nicht eher zur Ausführung kommen sollte, bis alle
die spätere Behandlung des Schlammes betreffenden Fragen end¬
gültig und unter Vermeidung der bekannten Übelstände in Prinzip ent¬
schieden sind.
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Über den Einfluss geklärter Abwässer auf die Be¬
schaffenheit der Fittsse referierte als erster Bordas (Paris).
Er verlangt, dass die städtischen Abwässer nach vorheriger Reinigung
durch Berieselung oder Behandlung zwecks Beseitigung der Bak¬
terien, vor der ZurUckleitung in die Wasserläufe auch von ihren
krankmachenden Keimen befreit werden. Um dieses zu erreichen,
genügt es, das gereinigte Wasser mit hypermangansaurem Kalk oder
Natron oder mangansaurem Natron in Dosen von 50 cg pro cbm
zu behandeln. Hofer (München) setzt ausführlich das Verhalten
der Organismen bei der Wasser Verunreinigung und seiner Selbst¬
reinigung auseinander und kommt dabei zu dem Schluss, dass
Fischteiche mehr wie bisher zur Klärung organischer Abwässer
herangezogen werden möchten. Kisskalt (Berlin) hält eine regel¬
mässig und nicht zu selten vorgenommene Untersuchung der Flüsse,
in die gereinigte Abwässer einmünden, für notwendig, auch ohne
dass Klagen von seiten der Anwohner einlaufen. Die Zahl der
pathogenen Bakterien wird am wenigsten durch die mechanische
Klärung vermindert; etwas mehr leistet die chemische Klärung, noch
mehr das Oxydationsverfahren; Rieselfelder halten unter Umständen
alle pathogenen Bakterien mit Sicherheit zurück. Die Selbst¬
reinigungsstrecke wird um so kürzer, je grösser der Reinheitsgrad
des einfliessenden Abwassers ist.
Anschliessend an diese Vorträge nahm der Kongress folgende
Resolution an:
Die zahlreichen Erfahrungen, welche in den letzten
vier Jahren in bezug auf die Reinigung der Abwässer
gemacht worden sind, haben die vom 13. Internationalen
Kongress für Hygiene und Demographie zu Brüssel aus¬
gesprochene Meinung bestätigt und gezeigt,
einerseits, dass es kein Verfahren gibt, welches un¬
bedingt als das beste und wirtschaftlich empfehlens¬
werteste bezeichnet werden dürfte,
andererseits, dass man durchaus befriedigende Erfolge
erzielen kann, wenn man das den Umständen an¬
gemessenste Verfahren sorgfältig auswäblt, es den
örtlichen Bedingungen anpasst und streng geregelt
unter wirksamer Überwachung verwendet.
Der Kongress spricht den Wunsch aus:
1. dass die Regierungen eine ständige technische
Überwachung der Wasserläufe organisieren sollten,
um die Wasserläufe gegen die zunehmende Verun¬
reinigung zu schützen und die Reinigung der städ¬
tischen und industriellen Abwässer wirksaju zu über¬
wachen;
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2. dass eine internationale Verständigung angebahnt
werden möge, um zn einheitlichen Methoden der Über¬
wachung nnd technischen Untersuchung der Wasser¬
läufe zu gelangen.
Wohnungsfarsorge.
Ein wichtiges Kapitel war die Wohnungsfürsorge für
Unbemittelte. Cacheux (Paris) teilte mit, dass in Frankreich
die Privatwohltätigkeit Personen unterstützt, die ausserstande sind
ihre Miete zn bezahlen. Es wäre wünschenswert, dass die Wohl¬
tätigkeitsanstalten, die Klöster, Hospize u. a. Arbeitern so viel ge¬
sunde und billige Wohnungen zur Verfügung stellten, als nur irgend
möglich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, können dieselben das
folgende Verfahren einschlagen:
1. Sie können ihren Immobiliarbesitz in der Weise verlosen,
dass sie möglichst viel Lose für Bauplätze, die für die Erbauung
billiger Häuser ausreichend sind, an den Markt bringen. 2. Sie
können die Bildung von Gesellschaften zum Bau billiger Häuser
dadurch erleichtern, dass sie nach den Entwürfen des Verwaltungs-
ansschusses dieser Gesellschaften Aktien und Schuldverschreibungen
entnehmen. 3. Sie können in Fällen von grosser Bedürftigkeit
selber Häuser banen, die allmählich gegen jährliche Abzahlungen
verkauft werden. 4. Sie können sich um Schenkungen und Legate
bemühen, die zur Vermehrung gesunder, bequemer und billiger
Arbeiterwohnungen verwendet werden. Auch nach Aldridge
(Liverpool) muss die Herstellung der Wohnhäuser von Privat¬
unternehmungen, philantropischen Privatgesellschaften nnd durch
Fürsorge der Stadtbehörden erfolgen. Die Wohnungsmieten müssen
so gehalten werden, dass sie die Zinsen, die Amortisation, Steuern,
Reparaturen usw. decken. Fahrgelegenheit ist als ein integraler
Teil der Wohnungsfrage zu betrachten, und wenn nötig sind be¬
sondere Strassenbabnzüge für Nachtarbeiter vorzusehen, wie man
sie in London eingeführt hat. Besondere Aufmerksamkeit ist der
Überwachung zu schenken. Es genügt nicht, die Leute aus den
ungesunden Wohnungen zu ziehen und sie in besseren Wohnungen
unterzubringen. Die Kraft der öffentlichen Meinung -muss sich
dahin fühlbar machen, dass jeder Missbrauch der besseren Woh¬
nungen durch sorgfältige Überwachung verhindert wird.
Nach Fuchs (Freiburg i. B.) sind in Deutschland die hohen
Bodenpreise der Mittel- und Grossstädte die Ursache der allgemeinen
Wohnungsfrage. Diese hohen Bodenpreise sind zu einem grossen Teil
das Werk der Bodenspekulation, und die Herrschaft der letzteren im
modernen deutschen Städtebau verursacht ausserdem noch direkt
den ungenügenden Bau von Kleinwohnungen; die Bodenspekulation
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zwingt das von ihr abhängige Bangewerbe znm Ban von mittleren
und grösseren Wohnungen über die Nachfrage hinaus, während die
Kleinwohnungen allenthalben hinter dem Bedarf Zurückbleiben. Zar
Lösung der Kleinwohnungsfrage ist in Deutschland eine umfassende
Wohnungsreform grossen Stiles erforderlich. Vor allem sind not¬
wendig Reformen auf dem Gebiete des städtischen Realkredits,
Verbot der Beleihung von Baustellen durch Hypothekenbanken,
Einführung einer Verschuldungsgrenze oder Unterscheidung von
Meliorationshypotheken und einfachen Bodenschulden bei der grund-
bucblichen Eintragung, ferner landesgesetzliche Erzwingung der
allgemeinen Einführung abgestufter Bebauungspläne und Bauord¬
nungen mit Unterscheidung von Wohn- und Verkehrsstrassen und
Herabsetzung der Anforderungen für Kleinbäuser. Putzeys
(Lüttich) wünscht, dass jeder Arbeiter, der einen genügenden
Verdienst hat und imstande ist zu sparen, möglichst in die Lage
versetzt werde, Eigentümer des von ihm bewohnten Hauses zu
werden. Der Abbruch von Häusern und ganzen Strassen, der von
den Städten ins Werk gesetzt wird, um die Gesundheitsverhältnisse
verseuchter Stadtviertel zu bessern, um die Verkehrswege zu
erweitern, oder um Verschönerungsanlagen zu schaffen, darf erst
vorgenommen werden, wenn neue Stadtteile zur Aufnahme der aus
ihren Wohnungen verdrängten Arbeiter angelegt worden sind.
Nussbaum (Hannover) beschreibt die Anforderungen, die vom
technischen Standpunkt an Arbeiterwohnungen zu stellen sind.
Jeder Wohnung ist ein vollkommener Abschluss zu geben und die
gemeinsame Benutzung von Nebenräumen nach Möglichkeit zu be¬
schränken, um der Verbreitung der von Person zu Person übertrag¬
baren Krankheiten entgegenzuwirken. An Räumen sollte jede Wohnung
bieten: ein Wohnzimmer, ein Koch- und Speisezimmer (Wohnküche)
und ein Schlafzimmer von 15—22 qm Fläche. Falls herangewachsene
Kinder die Wohnung teilen, sind für sie weitere (für Knaben und
Mädchen getrennte) Schlafzimmer zu fordern. Ihr Ausmass kann
geringer sein, muss aber der Zahl der Bewohner entsprechend ge¬
wählt werden. An Nebenräumen sind notwendig ein Abort, einige
Wandschränke und ein Gelass zum Aufbewahren der Speisen.
Die Frage der Ledigenheime wurde zuerst von Maresch
(Wien) behandelt. Das Wohnbedürfnis der alleinstehenden Personen
mit kärglichem Einkommen wird nach ihm rationeller als durch
private Schlafstellen in Ledigeuheimen befriedigt, und sind solche
geeignet, eine Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse herbei¬
zuführen. Die Herstellung von Ledigenheimen ist geboten in der
Nähe von reichen Arbeitsgelegenheiten, also vornehmlich in Gross¬
städten und Fabriksorten. Pagliani (Turin) stellt folgende Be¬
dingungen an sie. Die einzelnen Zimmer müssen einen besonderen
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Eingang haben; sie dörfen nicht untereinander in Verbindung stehen
oder auf Gänge vor den Fenstern angewiesen sein, die ihnen Licht
und Luft geben; sie mttssen zum Gebrauch für eine einzelne Person
nicht weniger als 30 cbm bei einer Höhe von mindestens 3 m ent¬
halten; bei Benutzung von zwei Personen darf ihr Rauminhalt nicht
weniger als 40 cbm betragen. Singer (München) will dort, wo
stark fluktuierende Bevölkerung wie in den Grossstadtzentren des
Verkehrs und der Industrie vorhanden ist, moderne Unterkunfts-
häuser nach dem Muster des Stuttgarter Arbeiterheims oder der
englischen Rowtonhäuser errichtet haben. Insbesondere für die
Unterbringung ständig beschäftigter weiblicher Personen bieten sie,
in kleinerem Massstabe errichtet, die zweckmässigste Lösung der
Wohnungsfrage.
Landsberger (Charlottenburg) wünscht, dass von seiten des
Staates ein Gesetz erlassen werde, welches allen Gemeinden die
obligatorische Ein- und Durchführung einer regelmässigen
Wohnungsaufsicht auf erlegt und die Zusammensetzung und Be¬
fugnisse der hierzu notwendigen Organisationen regelt, Mindestforde¬
rungen über Bauordnungen und Wohnungsbeschaffenheit aufstellt, fer¬
ner Bestimmungen erlässt Uber Enteignungs- und Umlegungsmassregeln
zum Zwecke der Sanierung sowie über Stadterweiterungspläne und
Zonenrechte im Interesse des Wohnungsbedarfes. Das Gesetz soll
gesundheitliche Mindestforderungen festlegen, die des näheren aus¬
geführt werden. Juillerat und Fillassier (Paris) verlangen eine
ständige Statistik über sämtliche Häuser ohne Rücksicht auf ihre
Bedeutung. Zu diesem Zweck sind in allen Ländern Häuser¬
gesundheitsregister unter Anlehnung an das in Paris eingeführte ein¬
zurichten und zu führen, und zwar nach vorher getroffener Ver¬
einbarung zwischen den verschiedenen Stadtbehörden, damit diese
Register eine einheitliche Form erhalten, um in einer Zentralstelle
zusammengestellt und miteinander verglichen werden zu können. Mit
Bezug auf die Tuberkulose ist in allen grösseren Städten eine Unter¬
suchung ähnlich der in Paris unternommenen einzuleiten, um den
Einfluss der Wohnung auf die Entwicklung und Verbreitung dieser
Krankheit festzustellen. Nach, v. Mangoldt (Dresden) herrscht im
allgemeinen Übereinstimmung darüber, dass die Wohnungspflege
keinen Polizeicharakter, sondern den Charakter einer Wohlfahrts¬
einrichtung, wenn nötigenfalls auch unter Anwendung von Zwangs-
massregeln, tragen soll. Die Tendenz der Entwicklung in Deutsch¬
land geht offensichtlich dahin, die Wohnüngspflege in der aus¬
gebildeten Form, wie sie zur Zeit in Hessen, Bayern und an einigen
anderen Stellen besteht, allgemein zur Einführung zu bringen.
Über die Ergebnisse der Wohnungszählungen berichtet
Böhmert (Bremen). Es ergibt sich, dass die tabellarischen Ergebnisse
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grosser Wohnungszählungen, die sich über ganze Stadtgebiete oder
gar Länder erstrecken, mit grosser Vorsicht benutzt werden müssen.
Vergleiche sind selbst innerhalb derselben Zählbezirke bei zeitlich
verschiedenen Zählungen oft irreführend, weil kleine Abweichungen
in der Instruktion der Zähler oder in der Art der Bearbeitung zu
wesentlich verschiedenen Ergebnissen führen können. Vergleiche
verschiedener Städte untereinander sind jedoch noch weit bedenk¬
licher, besonders in Deutschland, wo zwischen Gebietsteilen, die
einander benachbart und nach Rassenmischung, politischer und
sozialer Entwicklung nahe verwandt sind, oft die grössten Ver¬
schiedenheiten im Wohnungsbau obwalten. Das höchste, was eine
allgemeine Statistik der Wohnungen in Deutschland leisten kann,
dürfte eine Gliederung der Wohnungen nach dem Mietspreise sein.
Die Spezialuntersuchungen einzelner Wohnungen sind in ihren
Ergebnissen weit zuverlässiger, als jene allgemeinen Zählungen.
Alle Verhältnisse, die für die Beurteilung der Wohnung in sozialer
und gesundheitlicher Beziehung von Wichtigkeit sind, lassen sich
in erschöpfender Weise klarlegen. Dem steht allerdings der Nach¬
teil gegenüber, dass sich solche Untersuchungen nur auf eine be¬
schränkte Zahl von Wohnungen erstrecken können. Die Gestaltung
des Wohnungsmarktes zeigt nach Pohle (Frankfurt a. M.) in den
Grossstädten einen sehr regelmässigen Wechsel zwischen Perioden
der Zunahme des Wobuungsvorrates und solchen seiner Abnahme,
und zwar geht die Grösse des Wohnungsangebotes in den Zeiten
industriellen Aufschwungs gewöhnlich zurück, eventuell bis zu einem
als akute Wohnungsnot empfundenen Tiefstand, um dann aber in
der Zeit der industriellen Depression ebenso rasch wieder zuzunehmen.
Die Schwankungen auf dem Wohnungsmarkte sind also nur als eine
Begleiterscheinung der regelmässigen Wellenbewegung aufzufassen,
die für das gegenwärtige Wirtschaftsleben auf fast allen seinen Teil¬
gebieten charakteristisch ist. Die Besiedelungsdichte auf dem Boden
der Grossstädte, d. h. die auf derselben Fläche wohnende Ein¬
wohnerzahl hat von 1870 bis 1900 überall mindestens um die Hälfte
zugenommen, vielfach ist sie sogar auf das Dreifache und darüber
gestiegen. Dabei lehrt jedoch ein Vergleich der besonders von
dieser Entwicklung betroffenen Städte mit Bremen, wo der Typus
des Kleinhauses herrschend geblieben ist, dass der Übergang zum
Massenmiethaus nicht zu ungünstigeren Wobnungsverhältnissen zu
führen braucht. Der Teil der Bevölkerung, der in Einzimmer¬
wohnungen untergebracht ist, ist überall im starken Rückgang be¬
griffen, wenn er auch an sich noch beträchtlich genug ist. Dafür
haben die Zwei- und Dreizimmerwohnungen in den meisten Städten
grössere Bedeutung edangt. Es .ergibt sich iast überall eine, wenn
auch nur langsam und nicht ohne Rückschläge sich vollziehende
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Abnahme der Wohndichtigkeit. Besonders bemerkenswert ist, dass
sich diese Abnahme in einer Zeit vollzogen bat, in der die Miet¬
preise der Wohnungen im allgemeinen nicht anbedeutend gestiegen
sind, eine Erscheinung, die in dem Anwachsen der grossstädtischen
Boden werte, der Steigerung der Baukosten und der Verbesserung
der Bauweise sowie der inneren Einrichtung der Häuser ihre Er¬
klärung findet.
Der Kongress nahm folgende die Wohnungsfürsorge betreffenden
Resolutionen an:
1. Der Kongress ist der Meinung, dass der Kern¬
punkt der Frage der billigen Wohnungen in der Boden¬
frage liegt. Um der Bodenspekulation entgegenzutreten,,
ist es von grösster Wichtigkeit, dass die Gemeinde¬
verwaltungen, welche die höheren Interessen der öffent¬
lichen Gesundheit zu vertreten haben, einen bedeutenden
Besitz an Grundstücken zu billigen Preisen haben. Die
Gemeinden sollen diesen Besitz zur Verbesserung der
Wobnungsverhältnisse verwenden auf jene Weise, die je
nach den Verhältnissen des Staates und des Ortes als
beste erscheint.
2. Der Kongress hält eine durchgreifende Wob-
nungs- und Bodenbesitzreform für eine unentbehrliche
Forderung der Volksgesundheitspflege. Er empfiehlt
bei der Ausgestaltung bestehender Ortschaften wie
bei der Begründung neuer Siedelungen, die Gedanken
der Gartenstadtbewegung zugrunde zu legen, welche
bereits in verschiedenen Kulturländern hygienisch
vorbildliche Ansiedelungen geschaffen hat und neue
der Art zu schaffen im Begriff ist.
3. Der Kongress hält die Verbesserung der Wohn¬
verhältnisse für eine der wichtigsten Fragen des
Volkswohls. Neben den Bemühungen für reformato-
rische Massnahmen ist vor allem die gesetzliche Ein¬
führung einer von allen Gemeinden auszuübenden Woh-
nungsaufsicbt geboten.
4. Um genau bestimmen zu können, welche Mass¬
nahmen zur richtigen hygienischen Einrichtung der
Häuser zu treffen sind, damit die Gefahr von infolge
schlechter Einrichtungen entstehenden Krankheiten ver¬
mieden wird, ist eine ständige Statistik über sämtliche
Häuser aller Städte ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung
zu führen. Mit Bezug auf die Tuberkulose ist in allen
grösseren Städten eine Untersuchung einzuleiten, um
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den Einfluss der Wohnung auf die Entwicklung und
Verbreitung dieser Krankheit festzustellen.
Hygiene der Ernährung.
Ein Haupttbema für diese Frage war der Bericht Uber den
Stand der Nahrungsmittelgesetzgebung und -Überwachung
in den verschiedenen Ländern. Kerp (Berlin) berichtete über
die deutschen Verhältnisse. Er erkennt an, dass das Nahruugs-
mittelgesetz vom 14. Mai 1879 den bei seinem Erlass gehegten
Erwartungen entsprochen hat, und dass es mit seiner Hilfe gelungen
ist, die Verfälschung der Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände
erfolgreich zu bekämpfen. Der Grundgedanke, die Nahrungsmittel¬
gesetzgebung in einem allgemeinen, grossen Gesetz zusammen¬
zufassen, hat sich als richtig und zweckmässig erwiesen. Der Erlass
eines Sondergesetzes erscheint nur da geboten, wo es sich um ein
grosses abgeschlossenes Gebiet, wie Wein, Fleisch, Fett bandelt,
welches auch eine entsprechend grosse wirtschaftliche Bedeutung
besitzt. Erweisen sich die Bestimmungen des allgemeinen Gesetzes
als zu eng, so ist es zweckmässiger, dieses neu zu gestalten und
zu erweitern, als es in eine Anzahl Sondergesetze aufzulösen. Bei
der öffentlichen Bestellung von Sachverständigen für Nahrungs¬
mitteluntersuchung, für die Auswahl von Arbeitskräften für die
öffentlichen Anstalten im Dienste der Nahrungsmittelkontrolle, für
die Auswahl von Gutachtern für die einschlägigen Fragen sollte an
erster Stelle der Nahrungsmittelchemiker, der den amtlichen Be¬
fähigungsnachweis erworben hat, berücksichtigt werden. Auch die
Einheitlichkeit der Untersuchungsverfahren und der Beurteilungs¬
grundsätze ist einer der Hauptpfeiler, auf welchen das Gebäude
der Nabrungsmittelgesetzgebung ruht. Als ein verdienstliches Werk
erscheint cs, diese Verfahren und Grundsätze zu einer allgemein
verbindlichen Vorschriftcnsammlnng zu vereinigen, welche, um sie
auf der Höhe wissenschaftlicher Forschung zu erhalten, nach be¬
stimmten Zeiträumen einer Neubearbeitung zu unterziehen wäre.
In Frankreich hat, wie Chassevant (Paris) mitteilt, der
Gesetzgeber den Stadtbehörden unter Überwachung seitens des Prä¬
fekten das Recht erteilt, Verfügungen zu erlassen, um im allgemeinen
Interesse und speziell in demjenigen der öffentlichen Gesundheit die
Aufrichtigkeit der Geschäfte und die Zuträglichkeit der verkauften
Waren sicherzustellen. Die ständige technische Kommission, welche
mit der Ausarbeitung der Methoden der obligatorischen Analyse für
die offiziellen Laboratorien befasst ist, hat die nationale Einheitlich¬
keit dieser Analysierungsmethode durchgeführt.
Als Bedürfnisse der Nahrungsmittelgesetzgebung
nannte König (Münster) übereinstimmende Vorschriften für alle
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Nahrungs- und Genussmittel betreffend Behandlung oder Zusätze,
besonders von Frischhaltungsmitteln sowohl der Art wie der Menge
nach; ferner sollten bestimmte, amtlich gültige Begriffserklärungen
für die einzelnen Nahrungs-, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände,
nebst einheitlichen Untersuchungsvcrfahren für die Beurteilung ge¬
schaffen werden. Nach Abel (Berlin) sollte das Inverkehrbringen
gesundheitsschädlicher Lebensmittel ganz verboten werden und der
Handel mit nachgemachten, verfälschten, verdorbenen und minder¬
wertigen Lebensmitteln, soweit er nicht ebenfalls zu untersagen ist,
nur unter der Voraussetzung gestattet werden, dass die nicht voll¬
wertige Beschaffenheit der Nahrungsmittel jedermann klar erkennbar
gemacht wird. Vom hygienischen Standpunkt erscheint es erforder¬
lich, bestimmte Nahrungsmittelbetriebe, insbesondere den Handel
mit Milch, von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig
zu machen, für andere zum wenigsten vorherige Anmeldung bei der
Behörde einzuführen. Ebenso sind Bestimmungen angezeigt, die es
der Behörde ermöglichen, erwiesenermassen unzuverlässigen Personen
die Weiterführung von Nahrungsmittelbetrieben zu untersagen. Die
behördliche Überwachung des Nahrungsmittelverkehrs sollte all¬
gemein bei der Gewinnung und Herstellung der Lebensmittel be¬
ginnen, sich auch auf alle Aufbewahrungsräume erstrecken und die
Berechtigung zur Entnahme von Proben aus allen Räumen und Vor¬
räten umfassen. Den Betriebsinhabern ist Auskunftspflicbt über
ihre Geschäftsverhältnisse aufzuerlegen. Andrfe (Brüssel) wünscht,
dass die vom Gesetz bestimmten Strafen möglichst hoch, aber ver¬
schieden abgestuft sein sollen, je nachdem es sich um gesundheits¬
schädliche oder nicht schädliche, dem Verkäufer bekannt oder nicht
bekannt, Verfälschung oder Abänderung, oder aber um eine ein¬
fache Übertretung von Ausführungsbestimmungen zur Verhinderung
von Betrug handelt. Der Handel mit schädlichen und in besonderen
Fällen der Handel mit verdächtigen oder die Gesundheit gefähr¬
denden oder wenig nahrhaften Nahrungsmitteln oder mit solchen,
bei denen Manipulationen ausgeführt worden sind, die eine Ver¬
wendung zwecks Betrug begünstigen, muss gänzlicb untersagt werden.
Die allgemeine Durchführung der Fleischbeschau
mit Rücksicht auf Krankheitsverhütung behandelte Oster¬
tag (Berlin). Durch Fleischgenuss können eine Reihe Krankheiten
übertragen werden, so Infektionskrankheiten wie Milzbrand, Rotz,
Tollwut, Tuberkulose; ferner können die im Fleisch vorkommenden
Bakteriengifte und chemische Gifte, die dem Fleisch als Konser¬
vierungsmittel oder zur Erhaltung der natürlichen Farbe zugesetzt
werden, Krankheiten beim Menschen verursachen; endlich sind die
im Fleisch vorkommenden Zooparasiten (Taenia saginata, Taenia
8olium, Tricbinella spiralis, Echinococcus polymorphus und multilo-
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cularis) für den Menschen gefährlich. Die Übertragung dieser im
Fleisch enthaltenen oder ihm beigemengten Schädlichkeiten auf den
Menschen ist durch die Massnahmen der Fleischbeschau verhütbar.
Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, die Fleischbeschau Überall
als obligatorische Einrichtung durchzufübren. Märtel (Paris) glaubt,
dass die Fleischbeschau nur dann eine durchgreifende Wirkung hat,
wenn sie auf das gesamte Gebiet eines Landes ausgedehnt wird
und wenn die nötigen Vorsichtsmassregeln bezüglich des aus dem
Auslande eingeführten Fleisches ergriffen werden; auch können
gute Resultate nur dann erreicht werden, wenn die Tierärzte, denen
die Aufsicht über die Fleischbeschau übertragen ist, alle Mittel, die
die Wissenschaft zur Verfügung stellt, anwenden, und wenn die
diensttuenden Beamten verpflichtet sind, von Zeit zu Zeit einen
Kursus in den Tierarzneischulen oder an den amtlichen Stellen für
die Fleischbeschau durchzumachen.
Rubner (Berlin) bespricht die volkswirtschaftlichen
Wirkungen der Armenkost. Unter Armenkost versteht er eine
Kost, welche aus Mangel an Subsistenzmitteln aus genussmittel
armen, billigen Vegetabilien zusammengesetzt werden muss, und die
zur Erhaltung eines normalen Körpergewichts, wie es der Körper¬
grösse entspricht, nicht genügt. Die volkswirtschaftlichen Wirkungen
der Armenkost sind demnach in erster Linie in der Herabsetzung
des Ernährungszustandes der davon Betroffenen zu suchen; daraus
folgt die Verminderung der Arbeitskraft dieser Klassen, ihre geringere
Verwendbarkeit, die hohe Kränklichkeitsziffer und Mortalität, die
starke Inanspruchnahme der Krankenkassen, wahrscheinlich auch
die Mehrung der Unfälle und traumatischen Verletzungen, das
Zurückbleiben der Kinder solcher Minderernährten, die Gefahr dieser
Klasse als erste Nährböden bei Epidemien; ferner ist bedeutungs¬
voll die Rückwirkung solcher Kost auf den Gemütszustand. Ein
Mensch ohne zureichenden Ernährungszustand ist, von hygienischer
Seite betrachtet, stets minder günstig zu bewerten; es muss das
Bestreben sein, die Zahl solcher Personen zu vermindern. Unter
allen Umständen ist die Ernährung der Arbeiter mit stärkerer Muskel¬
arbeit so zu gestalten, dass erstere zur Erhaltung eines kräftigen
Körpers ausreicht. Ungenügende Ernährung ist aber nicht immer
als Wirkung eines ungenügenden Einkommens anzusehen, sondern
kann in schlechter Führung des häuslichen Budgets, unzweckmässiger
Ernährung, mangelnder Kochkunst, ferner auch auf dem Genuss
alkoholischer Getränke beruhen. Zum Studium der öffentlichen und
Volksernährung ist die Einrichtung einer staatlichen Zentralstelle,
eines „Nahrungsamtes“ unabweislich.
Rubner behandelte dann noch die Frage des kleinsten
Eiweissbedarfs. Die Grösse des Eiweissminimums ist variabel je
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nach der Art der beigegebenen stickstofffreien Stoffe und je nach
der Art der Nahrungsmittel, mit welchen die Ernährung durch¬
geführt wird. Das Eiweissminimum dieser Art braucht im günstigen
Falle den im Hungerzustand eines normalen, wohlgenährten Menschen
gegebenen Stickstoffumsatz nicht zu überschreiten. Viele Personen
können sich auch bei gemischter Kost mit sehr kleinen Mengen von
Eiweiss lange Zeit leistungsfähig erhalten. Fasst man die Frage
des Eiweissminimums als Problem der Massenernährung auf, so kann
man die physiologischen Minimalwerte der Eiweisszufuhr nicht als
Grundlage nehmen, vielmehr wird man für eine schmackhafte ge¬
mischte Kost eines kräftigen Mannes und Arbeiters an den bis¬
herigen Normen festhalten können. Nach Tigerstedt (Helsingfors)
kann der Mensch das Stickstoffgleichgewicht behaupten und völlig
leistungsfähig bleiben, auch wenn die Menge des genossenen Eiweisses
erheblich geringer ist, als die von Voit in seinem Normal kostmass
für einen mittleren Arbeiter geforderte Menge. Daraus folgt aber
nicht, dass es bei der Feststellung eines Kostmasses angezeigt wäre,
die Eiweisszufuhr diesen Erfahrungen nach zu vermindern. Im
allgemeinen lässt sich wohl sagen, dass die Kost, wenn sie die be¬
rechtigten Anforderungen an ihre Menge und Beschaffenheit sonst
erfüllt, auch Eiweiss in genügender Menge enthält.
Der Kongress nahm folgende Resolutionen hierzu an:
1. Der Kongress soll, entsprechend dem Vorschläge
des Herrn Rubner, die Schaffung zentraler Nahrungs¬
ämter zum Zwecke der Erforschung und Förderung der
Volksernährung anregen.
2. Die Permanente Kommission für den nächsten
Kongress soll veranlasst werden, die Frage zur Beschluss¬
fassung vorzubereiten, ob es zweckmässig sei, internatio¬
nale Konferenzen zu berufen, die internationale Konven¬
tionen über den Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln
vereinbaren sollen.
3. Von Staatswegen möge mehr für die Erforschung
der wissenschaftlichen Fragen der Diätetik und des
wissenschaftlichen Unterrichts in der Diätetik und
speziell der Kochkunst getan werden.
Gewerbehygiene.
Als erstes zu behandelndes Thema war hier aufgestellt: Die
Ermüdung durch Berufsarbeit. Eisner (Berlin) ist der An¬
sicht, dass — von verhältnismässig wenigen Ausnahmen abgesehen —
der deutsche, normale, d. h. gesunde, auf die Arbeit eingewöhnte,
nüchterne Arbeiter in der normalen Arbeitszeit, ohne erhebliche
Überstunden, bei den heutigen Fabrikeinrichtungen und unter den
Ceatralblatt f. aller* Gesundheitspflege. XXVII. Jahr?. 11
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heutigen sozialpolitischen Verhältnissen berufsmässig nicht bis zu
einer Ermüdung arbeitet, welche ihn dauernd schädigt. Eisner
will sich deshalb aber doch nicht gegen das Studium der Ermüdung
ablehnend verhalten, da jedes hierbei gefundene Ergebnis die
weitere Durchführung des sanitären Maximal-Arbeitstages unterstütze.
Nach Roth (Potsdam) tritt Ermüdung um so früher ein, je an¬
strengender die Arbeit und je weniger ausreichend die Arbeits¬
pausen sind, um die Ermüdungsstoffe fortzuschaffen. Sonstige
Betriebsgefahren, hohe Temperaturen, hohe Feucbtigkeitsgrade,
heftige Erschütterungen, gezwungene Körperhaltung, einseitige In¬
anspruchnahme einzelner Muskeln begünstigen den vorzeitigen Eintritt
der Ermüdung, die wieder die Ausserachtlassung der Massnahmen des
persönlichen Arbeiterschutzes zur Folge hat. Das gleiche gilt von
der Aufnahme giftiger Stoffe in den Giftbetrieben. Insofern schlechte,
verdorbene Luft die Leistungsfähigkeit berabsetzt und dadurch den
Eintritt der Ermüdung begünstigt, muss auch aus diesem Grunde in
allen gewerblichen Betrieben für ausreichende Zufuhr frischer Luft
gesorgt werden. Arbeiten, die an die Verantwortlichkeit und Auf¬
merksamkeit der beschäftigten Personen besondere Anforderungen
stellen, und die mit andauernder geistiger Anspannung einhergehen,
sind geeignet, den vorzeitigen Eintritt der Ermüdung zu begünstigen,
und das gleiche gilt unter Umständen von Eintönigkeit der Arbeit.
In allen körperlich oder geistig anstrengenden Betrieben, mit Ein¬
schluss der grossen kaufmännischen Betriebe, wie desgleichen in
Anlagen, in denen die Arbeiter besonderen Gefahren ausgesetzt sind,
muss eine dauernde Kontrolle nach der Richtung stattfinden, dass
der Leistungsfähigkeit im Einzelfall in geeigneter Weise Rechnung
getragen wird.
Imbert (Montpellier) meint, dass bei Erwachsenen Ermüdung
eingetreten ist, wenn nach der periodischen Ruhezeit — wöchent¬
lichen oder auch nur Nachtruhe — noch Spuren von Ermüdung
vorhanden sind und die ursprüngliche und normale Produktivität
nicht wiedererlangt ist. Handelt es sich um junge Arbeiter, Kinder
oder Jünglinge, so ist von Ermüdung zu sprechen, sobald die nor¬
male physiologische Entwicklung des Organismus gestört wird und
zurücktritt. Imbert wünscht, dass nach dem Beispiel des Direktors
des Arbeitsamtes in Frankreich, Herrn A. Fontaine, besondere
Laboratorien mit der Untersuchung der gewerblichen Arbeit in den
verschiedenen Ländern offiziell betraut werden. In den Kommissionen,
welche in den verschiedenen Ländern mit der Ausarbeitung von
Massnahmen bezüglich der gewerblichen Arbeit beauftragt werden,
sollten auch Ärzte und Physiologen Sitz und Stimme haben.
An zweiter Stelle sollte ein Überblick über die Erfolge
der Unfallverhütung gegeben werden. Hartmann (Halensee)
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hält bei den nahezu 650000 Unfällen, die z. B. im vorigen Jahre
in gewerblichen nnd landwirtschaftlichen Betrieben vorkamen, eine
ausreichende Überwachung der Betriebe für unerlässlich, da sonst
die Bestimmungen der Verordnungen und Vorschriften vielfach
unbeachtet bleiben. Zur Verbreitung der Kenntnis bewährter unfall¬
sicherer Einrichtungen hält Referent die Museen für ausserordentlich
wichtig, die in Wien, Zürich, Amsterdam, München, Charlottenburg,
Paris, New-York, Stockholm, Luxemburg, Reichenberg, Graz, Buda¬
pest begründet worden sind. Nach Pontiggia (Mailand) beruhen
in Italien die Erfolge der Unfallverhütung vor allem auf der Tätig¬
keit von Vereinen der Gewerbetreibenden. So übt der Mailänder
Verein gegenwärtig die Aufsicht über mehr als 5200 Fabriken aus,
die nahezu eine halbe Million Arbeiter beschäftigen. Eine brauch¬
bare Statistik über die Erfolge der eingeleiteten Massnahmen steht
noch nicht zur Verfügung, jedoch ist als sicher festgestellt, dass
durch die genaue Beachtung vernünftiger Vorbeugungsmassregeln
die Zahl der Unfälle, die durch Motoren, verschiedene Werkzeuge,
Transmissionen usw. verursacht werden, ganz erheblich eingeschränkt
werden, während jene Kategorie von Unfällen, deren Verhütung
fast ausschliesslich von der Sorgfalt, der Disziplin und der Weit¬
sichtigkeit der Arbeiter abhängt, eine beklagenswerte Zunahme
erfahren bat. In Frankreich geschieht, wie Mamy (Paris) berichtet,
die Bekämpfung der bei der Arbeit entstehenden Unfälle sowohl
durch die staatlichen Behörden als auch durch private, aus eigener
Initiative hervorgegangene Vereinigungen, und stellt sich die Auf¬
gabe, die Zahl der Unfälle durch die sacbgemässe Auswahl und
Anwendung von Vorbeugungsmassregeln allmählich herabzusetzen.
Obwohl es heute noch nicht möglich ist, mit Sicherheit und zahlen-
mässig den Einfluss der Vorbeugungsmassregeln auf den Rückgang
der Arbeitsunfälle festzustellen, so kann man doch jetzt schon be¬
haupten, dass dieser Einfluss ein sehr erheblicher und ganz unzweifel¬
hafter ist, und man wird dauernd bestrebt sein müssen, die Vor¬
beugungsmassregeln noch zu verbessern und zu erweitern.
Über die hygienische Vorbildung der Gewerbeinspek¬
toren sprach Borg mann (Düsseldorf). Er hält zur erfolgreichen
Bekämpfung der in den gewerblichen Betrieben auftretenden Ge¬
sundheitsschädigungen neben hygienischen Kenntnissen in erster
Linie technische für unerlässlich. Die von den meisten Staaten zur
Ausübung der Gewerbeaufsicht berufenen technischen Beamten be¬
sitzen infolge der bei ihnen vorauszusetzenden naturwissenschaft¬
lichen Kenntnisse auch ein ausreichendes Verständnis für gewerbe¬
hygienische Fragen. Für den Gewerbeaufsichtsbeamten ist die
Praxis verbunden mit fortgesetztem eifrigen Selbststudium, die beste
Lehrmeisterin auch auf dem Gebiete der Gewerbehygiene. Daneben
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hat jedoch eine dauernde Unterstützung von staatlicher Seite durch
Aufklärung der Beamten über die Ergebnisse der gewerbe¬
hygienischen Forschungen und Erfahrungen stattzufinden. Eine
wesentliche Förderung der Gewerbehygiene ist zu erwarten durch
Einführung der Anzeigepflicht der gewerblichen Vergiftungen und
durch Begründung einer ausschliesslich dem Studium der wissen¬
schaftlichen und praktischen Aufgaben der Gewerbebygiene dienenden
Landesanstalt. Über Art und Umfang der in mancher Beziehung
nicht zu entbehrenden ärztlichen Mitwirkung bei der Gewerbe¬
aufsicht kann nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse des be¬
treffenden Staates ein Urteil abgegeben werden.
Im Anschluss an diesen Vortrag nahm der Kongress folgende
Resolution an:
Zur erfolgreichen Bekämpfung der in den ge werb¬
lichen Betrieben auftretenden Gesundheitsschädigungen
ist es unumgänglich notwendig, dass die Regierungen
zur Gewerbeinspektion sachverständige Ärzte heran¬
ziehen. Die Mitwirkung der Ärzte bei der Gewerbe¬
aufsicht muss mit der technischen Tätigkeit der Be¬
amten Hand in Hand gehen. Der ärztliche Gewerbe¬
inspektor und der technische Gewerbeinspektor sollen
sich gegenseitig ergänzen.
Über die gewerbliche Bleivergiftung referiert Wutz¬
dorff (Berlin). In den menschlichen Organismus gelangt das Blei
entweder vom Munde aus durch Vermittlung der damit beschmutzten
Hände, Barthaare und Kleider beim Essen, Trinken oder Rauchen,
Schnupfen oder Kauen von Tabak, oder von den Luftwegen aus
durch Einatmung von bleihaltigem Staub. Nach der Ansicht mancher
Sachverständiger kann auch die Aufnahme unmittelbar durch die
äussere Haut erfolgen. Am häufigsten scheint nach ziemlich all¬
gemeiner Annahme der zuerst bezeichnete Weg, also meistens die
Aufnahme durch den Mund zur Bleivergiftung zu führen. In Deutsch¬
land dienen zur Verhütung der gewerblichen Bleivergiftung einmal
die vom Bundesrate für bestimmte Arten von Betrieben erlassenen
Vorschriften; gleichzeitig wird auf die Belehrung der Arbeiter in
solchen Betrieben hingewirkt, in denen eine Besserung des Ge¬
sundheitszustandes vornehmlich nur von einer tätigen Mitwirkung
der Arbeiter zu erwarten ist. Die reichen, den deutschen Behörden
zu Gebote stehenden Schutzmassnahmen gegenüber der gewerblichen
Bleigefahr würden indes unzulänglich sein, wenn sie nicht seitens
der Arbeiter durch die gewissenhafte Erfüllung der ihnen obliegenden
Pflichten persönlicher Gesundheitspflege unterstützt werden. In
Frankreich ist nach Mosny und Laubry (Paris) der Mangel¬
haftigkeit der statistischen Angaben die Unzulänglichkeit der Propby-
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laxe der gewerblichen Bleivergiftung, welche gänzlich auf fakul¬
tativen und daher unwirksamen Massnahmen beruht, zuzuschreiben.
Um hier zu helfen, schlagen sie eine Reihe von Massnahmen vor,
die zu einer wirksamen Bekämpfung führen könnten. Toth
(Selmeczbanya) macht auf die Bleikaehexie aufmerksam, welche
den Organismus derartig untergräbt, dass der vom Blei geschwächte
Arbeiter zu allen anderen vorkommenden Krankheiten leicht neigt.
Der Erzhüttenarbeiter z. B. erreicht kaum ein höheres Lebensalter,
stirbt in der Regel vor seinem 50. Jahre, häufig iufolge von Tuber¬
kulose, Lungenentzündung, Herz- und Nierenleiden oder anderen
Krankheiten. Als Industrie-Inspektoren sollten in Hüttenwerken,
Bleifabriken und bei anderweitigen Beschäftigungen mit Blei sach¬
kundige Ärzte angestellt werden, die verpflichtet sind, die Hütten¬
werke, Fabriken und andere sich mit Blei beschäftigende Industrie¬
zweige, wie auch die Arbeiter jährlich zu wiederholten Malen zu
besichtigen und die Einhaltung des Gesetzes oder der ministeriellen
Verordnungen zu kontrollieren.
Bei dem Thema: Neuere Erfahrungen betreffend die
Staubverhütung im Gewerbebetriebe verlangt Czimatis
(Solingen), dass zur Staubbeseitigung grundsätzlich nur Einrichtungen
dienen sollen, durch welche der Staub am Orte der Entstehung auf-
gefaugen und so abgeführt wird, dass er nicht an anderen Stellen
zu Belästigungen Anlass gibt. Die Mittel der Raumventilation und
der Verwendung von Respiratoren u. dergl. sind nicht als Ersatz
solcher Einrichtungen anzusehen, sondern nur Not- uud Ergänznngs-
behelfe. Die der persönlichen Hygiene des Arbeiters im übrigen
dienenden Einrichtungen und Veranstaltungen, wie Bereitstellung von
Schutzkleidern, Umkleide-, Wasch- und Badeeinrichtungen, behalten
auch rationellen Entstaubungsanlagen gegenüber vollen Wert. Nach
Jehle (Wien) hängt die Schädlichkeit des Staubes mit der Form
seiner kleinsten Teilchen und mit seiner Quantität zusammen. Es
wäre auzuregen, dass die mikroskopischen Staubuntersuchungen fort¬
gesetzt und Gewichtsbestimmungen des Staubes in der Raumluft
vorgenommen werden. In den Krankenkassenberichten wäre darauf
Rücksicht zu nehmen, dass die der Staubeinatmung ausgesetzten
Arbeiter von den nicht belästigten Arbeitern getrennt geführt, und
bei solchen Gewerben, bei welchen verschiedene Stoffe verarbeitet
werden (z. B. bei Drechslern: Horn, Perlmutter, Bernstein), die ein¬
zelnen Kategorien in den Berichten separat behandelt werden.
Die Frage: Wie die gesundheitlichen Gefahren bei
Heimarbeitern herabgesetzt werden können, behandelt
zuerst Jungfer (Berlin). In den Arbeitsstätten der Heimindustriellen
haben sich die gesundheitlichen Verhältnisse in den letzten Jahren
kaum geändert; für die Heimarbeiter in den Grossstädten sind sie
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teilweise sogar ungünstiger geworden. Die Verteuerung der Mieten
und vielfach auch die Verpflichtungen, die den Unternehmern durch
die Arbeiterschutzgesetzgebung auferlegt sind, haben ihr Teil dazu
beigetragen. Eine Herabminderung der gesundheitlichen Gefahren
in den Betrieben der Heimindustrie kann nur durch gesetzliche
Massnahmen erreicht werden. Wirksame Arbeiterschutzbestimmungen
sowie die Ausdehnung der Gewerbeaufsicht, des Kranken-, Invaliden-,
Unfallversicherungs- und Gewerbegerichtsgesetzes auf diese Betriebs¬
stätten bezw. deren Arbeiter sind ein dringendes Bedürfnis. Für
die hygienische Einrichtung der Betriebsstfitten sind die Haus¬
besitzer und die Unternehmer, nicht aber die Hausgewerbetreibenden
oder Heimarbeiter verantwortlich zu machen. Durch Beschluss des
Bundesrates sind solche Arbeiten, durch die das Leben oder die
Gesundheit der Heimindustriellen oder der Konsumenten gefährdet
wird, ganz zu untersagen oder ?on gewissen Bedingungen abhängig
zu machen. Dose (Dresden) hält eine Mitwirkung der Arbeitgeber
in der Form der Selbstkontrolle ihrer Heimarbeiter für eine wich¬
tige Ergänzung der staatlichen Gesetzgebung. Vorbildlich hat nach
dieser Richtung hin in Deutschland bereits die Konservenindustrie
gewirkt, soweit hierbei Braunschweig in Frage kommt. Die dortigen
Arbeitgeber knüpfen die Gewährung von Heimarbeit an die Be¬
obachtung besonderer sanitärer Vorschriften, und wird Nichtbeachtung
derselben durch die Heimarbeiter mit Entziehung der Heimarbeit
bedroht. Der weitere Ausbau einer derartigen Selbstkontrolle durch
die Arbeitgeber müsste denselben allerdings gesetzlich zur Pflicht
gemacht und der staatlichen Oberaufsicht unterworfen werden.
Trauthan (Bielefeld) will die Heimarbeit nach Möglichkeit be¬
schränken und in Fabrikarbeit überführen. Wo Heimarbeit durch
die familiären Verhältnisse oder die wirtschaftliche Lage der Arbeiter
geboten ist und begründet wird, ist sie im einzelnen Fall behördlich
zu genehmigen. Die gesetzliche Regelung der Zustände in der
Heimindustrie hat mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage
der Heimarbeiter zu beginnen. Boulisset (Paris) schlägt eine Ver¬
pflichtung der Arbeitgeber vor, den Gewerbeinspektoren eine Liste
der Namen und Adressen ihrer Heimarbeiter mit Angabe der Menge
und Daten der ausgegebenen Arbeiten zur Verfügung zu halten;
ferner ein Verbot, den Arbeitnehmern Arbeit zur Ausführung nach
Beendigung der Fabrikarbeitsstunden zu übergeben.
Über die Gefahren des elektrischen Betriebes und
Hilfe bei Unglücksfällen durch Starkstrom berichtet Jel-
linek (Wien). Die Gefährlichkeit einer elektrischen Starkstrom¬
anlage findet in der Spannungsgrösse ihren beiläufigen Ausdruck.
Nach den bisherigen Erfahrungen der Unfallpraxis müssen Spannungen
schon von 50 Volt an und auch niedriger als gefährlich bezeichnet
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werden. Der Gleichstrom erscheint vom hygienischen Standpunkt
aus gefährlicher als Wechselstrom. Die durch den elektrischen
Starkstrom verursachten Gesundheitsstörungen bestehen in lokalen
und allgemeinen Erscheinungen. Die Allgemeinsymptome bieten ein
oft wechselvolles Bild, weil Äusserungen bald seitens des Bewusst¬
seins, bald der motorischen Sphäre, ferner auch seitens der Herz-
nnd Lungentätigkeit im Vordergrund stehen. Die Hilfeleistung be¬
steht in Befreiung aus dem Stromkreise, Lagerung mit etwas er¬
höhtem Kopfe, künstlicher Atmung, Venen- oder Lumbalpunktion
und subkutanen Kampfer- und Adrenalininjektionen; eventuell kommt
auch neuerliche Applikation des tödlichen Starkstromes in Betracht.
Behufs Vorbeugung der Gefahr ist strenge Durchführung der be¬
kannten Sicherheitsvorschriften, Belehrung der Schuljugend und
Aufklärung der breiten Volksschichten, und systematische Erforschung
der sich darbietenden Erscheinungen auf dem neuen Grenzgebiete
der Medizin und der Elektrotechnik zu fordern. Kübler (Dresden)
hält die Gefahr, dass irgendwo ein Unfall verursacht werden kann,
für um so geringer, je vollkommener die in Frage kommenden tech¬
nischen Einrichtungen durch die Konstruktion beherrscht werden,
d. h. je besser es dem Konstrukteur gelingt, die Vorbedingungen
für das Eintreten des Unfalls auszuschliessen. Da sich dem Elektro¬
techniker in dieser Hinsicht bessere Vorbedingungen bieten als
dem Konstrukteur der meisten anderen technischen Gebiete, so sind
elektrotechnische Konstruktionen bei sachgemässer Durchführung
mit wesentlich geringerem Gefahrengrade behaftet als andere.
Soweit ein Rest von Gefahr ttbrigbleibt, ist für ihn als charakte¬
ristisch und den Gefabrengrad bedingend anzuerkennen erstens die
Unsichtbarkeit des elektrischen Stromes, sowie die Unmöglichkeit
der unmittelbaren Wahrnehmung mit den Sinnesorganen überhaupt,
und zweitens der beschämende Mangel an Verständnis für die ein¬
fachsten elektrischen Vorgänge bei dem grösseren Teile der Be¬
völkerung mit Einschluss der gebildeten Stände.
Einen Ersatz der Quecksilbersekretage durch un¬
schädliche Prozeduren hältHeucke (Wesel) nicht für möglich,
so lange die Hutfabrikanten glauben, ohne das Quecksilber als Ver¬
edelungsmittel des Filzes nicht auskommen zu können. Man muss
daher durch besonders gute Einrichtungen in den Hutfabriken und
durch Belehrung der Arbeiter über die schädliche Wirkung des
Quecksilbers auf den Gesundheitszustand hinwirken. In erster Linie
ist dafür zu sorgen, dass die Arbeiter selbst auf peinlichste Sauber¬
keit achten, und dass sie die in ihrem Interesse getroffenen Ein¬
richtungen auch benutzen und gebrauchen. Die Arbeitsräume sind
gut sauber zu halten, durch künstliche Ventilation mit frischer Luft
zu versorgen und die Beizkammern so einzurichten, dass sie behufs
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Einhängens und Herausnehmens der Felle nicht betreten zu werden
brauchen. Bei der Beizarbeit müssen die Arbeiter über das Hand¬
gelenk reichende Gummihandschuhe und bei den übrigen Arbeiten
staubschützende Überkleider tragen. Es dürfen nur gesunde Arbeiter
eingestellt werden, und der Gesundheitszustand der Arbeiter ist
dauernd zu überwachen.
Die Berufskrankheit der Caissonarbeiter wurde von
verschiedenen Seiten behandelt, an erster Stelle von Silberstern
(Wien). Die nach der Arbeit auftretende typische Erkrankung der
Caissonarbeiter wie aller anderen Druckluftarbeiter — Taucherkrank¬
heit — ist als Aerämie zu bezeichnen. Sie ist dadurch hervorgerufen,
dass vom Blute und den Gewebsflüssigkeiten unter hohem Drucke
Gase des umgebenden Mediums (vornehmlich Stickstoff) in reichlicher
Menge absorbiert und nach rascher Druckverminderung in Bläschen-
form ausgeschieden werden. Neben der Aerämie sind für die Mor¬
bidität die während eines allzu raschen Druckanstiegs einsetzenden
Trommelfell- und Mittelohraffektionen minder bedeutungsvoll. Die
Rückversetzung erkrankter Caissonarbeiter in Druckluft, Rekompres-
sion, vermag die Invaliditäts- und Todesfälle an Aerämie zu verhindern.
Unerlässliche Voraussetzung ist die rechtzeitige Anwendung dieses
Heilmittels, somit die Kasernierung der Druckluftarbeiter in nächster
Nähe des Arbeitsplatzes und die Bereitstellung einer mit Sauerstoff¬
inhalationsapparaten versehenen Rekompressionskammer. Langlois
(Paris) legt folgenden Verordnungsentwurf vor: 1. Gleichmässige
Festsetzung der Geschwindigkeit der Kompression auf 4 Minuten
pro Atmosphäre Überdruck. 2. Allmähliche Verminderung der De¬
kompression mit der Anzahl von Atmosphären, nämlich 10 Minuten
pro Atmosphäre bei weniger als zwei Atmosphären Überdruck, 15 Mi¬
nuten zwischen drei und zwei, 20 Minuten über drei Atmosphären.
3. Veränderlichkeit der Schichtdauer zwischen acht und vier Stunden,
je nach Höhe des Drucks. 4. Rekompressionsapparat für Arbeiten bei
mehr als zwei Atmosphären. 5. Ruheraum an der Arbeitsstelle und
Behausung der Arbeiter in der Nähe der Arbeitsstelle für Arbeiten
bei mehr als 2,5 Atmosphären Überdruck. H. von Schrötter
(Wien) stellt dieselben Zeiten der Rekompressionsdauer auf wie
Langlois. Besondere Sorgfalt sei auch der Luftbeschaffenheit der
Arbeitskaramer zuzuwenden, indem durch Schädlichkeiten in dieser
Richtung (Kohlensäuregehalt, schädliche Gase wie Schwefelwasser¬
stoff, Kohlenoxyd, hohe Temperatur, Wassergehalt) dem Eintritte
pathologischer Vorgänge während der Dekompression Vorschub ge¬
leistet wird. Es ist daher genügende Ventilation mittelst gekühlter,
wasserarmer Pressluft, und pro Stunde und pro Kopf ca. 50 cbm,
sowie die Anwendung von elektrischem Lichte zu verlangen.
DieAnkylostoraafrage wurde zuerst von Br uns-Gelsenkirchen
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behandelt. Nicht nnr die Wnrmkranken, sondern vielmehr die an
Zahl weit überwiegenden gesunden Wurmträger kommen für die
Verbreitung der Krankheit in Betracht. Aufsuchung möglichst
aller Wurmträger und Fernhaltung derselben von der Arbeit unter
Tage ist das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Ankylosto-
miasis. Das wird ermöglicht durch eine periodisch immer sich
wiederholende mikroskopische Untersuchung der Gesamtbeleg¬
schaft sowie auch aller neu anzulegenden bzw. die Arbeitsstelle
wechselnden Bergleute. Die in Deutschland eingeführte Kohlen¬
staubbefeuchtung allgemein aufzuheben kann nicht empfohlen werden,
da die Erfahrungen, die im Oberbergamtsbezirk Dortmund bei der
Bekämpfung der Wurmkrankheit gemacht sind, beweisen, dass auch
bei Beibehaltung der Berieselung selbst in den sehr stark verseuchten
Zechen die Krankheit in verhältnismässig kurzer Zeit entscheidend
zurückgedrängt werden kann. Löbker (Bochum) hält als mass¬
gebend für die Entstehung und den Grad der Krankheit: (a) die
Anzahl der im Darm vorhandenen Würmer, (b) die Dauer der
Infektion, (c) die Widerstandsfähigkeit des einzelnen Menschen und
in den tropischen Ländern das Lebensalter. Eine Immunität ganzer
Völkerschaften besteht gegen die Ankylostomiasis nicht. Selbst¬
heilung kann durch allmähliches Absterben der Würmer erfolgen,
wenn der W T urinträger weiteren Nachschüben von Infektionsstoffen
nicht ausgesetzt wird. Durch eine erfolgreiche Abtreibungskur wird
selbst in schweren Krankheitsfällen die Gesundheit völlig wieder¬
hergestellt, durch frühzeitige Anwendung dieser Behandlung der
Ausbruch von Krankheitserscheinungen sicher verhütet. Als zuver¬
lässige Abtreibungsmittel haben sich bisher nur das Extractum
filicis mar. aether. und das Thymol bewährt. Beide Mittel sind
aber nicht ungefährlich für die Gesundheit des Menschen, sie sind
daher nur mit Vorsicht anzuwenden. Malvoz (Lüttich) berichtet
über die Erfolge der Bekämpfung der Wurmkrankheit im Kohlen¬
revier in Lüttich. 1902 schätzte die offizielle Untersuchungs¬
kommission die mittlere Anzahl der Träger von Würmern auf 26°/ 0
der gesamten unterirdischen Belegschaften, bestehend aus 26000
Mann; das Kohlenrevier in Lüttich war also eines der verseuchtesten
von Europa — das rheinisch-westfälische Kohlenrevier hatte zur
gleichen Zeit nur 9 °/ 0 von mit Würmern behafteten Grubenarbeitern —.
1903 setzte die Bekämpfung nach einem Gesamtplan ein; die
Bestrebungen richteten sich besonders auf die Heilung der Behaf¬
teten, indem alle bei den Volluntersucbungen und gelegentlich der
Neueinstellungen bekannt gewordenen Träger von Würmern — die
Grubenverwaltungen verlangen eine Bescheinigung über die mikro¬
skopische Untersuchung von jedem Grubenarbeiter, der sich um Arbeit
bewarb — in Behandlung genommen wurden. Ende Dezember 1906
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wurde das bisher niedrigste mittlere Verhältnis von 5*/*°/o festge¬
stellt, also eine Verminderung von über drei Vierteln. In den an¬
deren Grubenrevieren in Belgien, Mons und Cbarleroi sind die
Bestrebungen nicht intensiv genug gewesen, als dass sieb die Er¬
gebnisse der Bekämpfung der Wurmkrankheit der Erdarbeiter mit
den in Lüttich erzielten vergleichen könnten. In Italien gründet
sich nach Conti-Cremona die Prophylaxe der Ankylostomiasis bei
Erdarbeitern auf die neuen Feststellungen bezüglich der Biologie des
Parasiten, welcher ausser dem Verdanungswege auch hauptsächlich
die Haut benutzt, um in den Organismus zu gelangen. Die Schwierig¬
keit der Desinfektion von infizierten Orten mit antiseptischen Lö¬
sungen und der Umstand, dass die Erdarbeiter auf grossen Flächen
zerstreut leben, verhindern alle prophylaktischen Massregeln nach
dieser Richtung bin. Die Vorstände von Krankenhäusern müssten
gesetzlich ermächtigt sein, Personen, welche an Ankylostomiasis er¬
krankt sind, bis zur vollständigen Heilung in der Anstalt zu halten.
Zur Bekämpfung der Raucbplage in Grossstädten
schlägt Rubner (Berlin) vor, in den Städteordnungen darauf hin¬
zuwirken, dass neuen Fabrikvierteln eine solche Lage gegeben
werde, welche dem Rauch den geeignetsten Abzug verschafft. Der
Umfang der Verschlechterung der Luftverhältnisse durch Russ nnd
Rauch kann in befriedigender Weise bestimmt werden. Nach Hart¬
mann (Berlin) kann die starke Rauchbildung vermieden oder doch
wenigstens vermindert werden einmal durch Verbesserung der Bau¬
art der Feuerungsanlage und Verwendung von angemessenem oder
rauchsicherem Brennmaterial, ferner durch sachverständige, sorg¬
fältige Wartung und Vermeidung der zu starken Beanspruchung
der Feuerung. Wo Rauchbildung technisch oder wirtschaftlich nicht
vermieden werden kann, ist der Rauch so hoch abzuleiten, dass
die nächste Nachbarschaft von ihm nicht getroffen wird. Ascher
(Königsberg) hat durch Tierversuche die aus der Statistik gezo¬
genen Schlüsse bestätigen können, dass Rauch und Russ eine Prä¬
disposition für akute Lungenkrankheiten und einen schnelleren Ver¬
lauf der Tuberkulose bewirken. Kaninchen, die mehrere Wochen
mässige Mengen Rauch und Russ einatmeten, bekamen auf die Ein¬
atmung von Mikroorganismen eine akute Lungenentzündung, während
Kontrolliere dabei gesund blieben; ebenso verlief bei solchen Tieren
die Tuberkulose schneller, als bei Tieren, welche keinen oder we¬
niger Rauch oder Russ eingeatmet hatten. Auch die Einatmung
von schwefliger Säure, einem wichtigen Bestandteil des Rauches,
beschleunigte den Verlauf der Tuberkulose bei Kaninchen. Bei
Meerschweinchen, welche durch Aufenthalt in einer Grossstadt an-
thrakotisch geworden waren, verlief die Tuberkulose schneller als
bei Kontrollieren. Die Bekämpfung des Kohlenrauches gehört in
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Kulturländern zu den wichtigsten hygienischen Aufgaben der nächsten
Zukunft.
Der Kongress nahm hierzu folgende Resolution an:
Da unter den Ursachen der schlechten Beschaffen¬
heit der Stadtluft die Russ- und Rauchgasentwicklung
die erste Stelle einnimmt, verdient sie eine viel grössere
Berücksichtigung, als ihr bisher in der Regel zuteil
wurde.
Es sind mehr als bisher die Einwirkungen des Rauches
und des Russes auf die menschliche Gesundheit, da»
Leben der Pflanzen, die Zerstörung der Kunstdenkmäler
und Gebäude und die Verschlechterung der Atmosphäre,
Nebelbildung, Liebtabsorption, Benzindämpfe etc. zu
untersuchen.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Kommunal¬
verwaltung ist es, alle Bestrebungen zur Reinhaltung
der Atmosphäre zu fördern, am besten durch Ver¬
billigung des Gases und des elektrischen Stromes.
Es ist Sache der Technik, diese Bestrebungen in
dem gleichen Masse zu unterstützen, wie sie es bei der
Reinhaltung des Bodens und der Gewässer getan hat.
Es ist Sache der öffentlichen Verwaltung, fortlaufende
Luftuntersuchnngen in grösseren und industriellen
Orten und in Privatwobnuugen vorzunehmen.
Hygiene des Verkehrswesens.
Um die Einwirkung der Berufstätigkeit im Ver¬
kehrswesens kennen zu lernen, hält Schwechten (Berlin) eine
genaue Führung der Kranken-, Sterbe- und Invaliditätsstatistik für
notwendig. In Deutschland ist bisher eine bestimmte Berufskrank¬
heit der Eisenbahnbediensteten nicht nachweisbar. Gewisse Dienst¬
vorrichtungen scheinen allerdings auf einzelne Krankheiten Ein¬
fluss zu haben, so auf Tuberkulose, Nervenkrankkeiten, Rheuma¬
tismus, und Verdauungsstörungen. Diesen Krankheiten ist eine be¬
sondere Aufmerksamkeit zu widmen, um zu erfahren, ob allein der
Betrieb oder auch ausserhalb des Betriebes liegende Umstände zu
ihrem häufigen Auftreten Veranlassung geben. Es ist nicht immer
der Dienst an sich, welcher zu Erkrankungen Anlass gibt, sondern
zuweilen nur die Diensteinteilung. Bei besserer Einteilung kann für
denselben Dienst eine günstigere Erkrankungsstatistik erzielt werden,
Eine sorgfältige Auswahl des Personals bei der Anstellung und
Beförderung ist notwendig, um das Auftreten und tiberhandnehmen
vor allem der Tuberkulose und der Nervenkrankheiten zu verhüten.
Auch Csatary (Budapest) verneint die Frage, ob es spezielle
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Krankheiten gibt, welche zufolge der Berufstätigkeit des Bahn-
Personals entstehen. Alle jene Krankheiten, die angeblich durch den
Eisenbahndienst hervorgerufen werden, sind als Folgen unzweck¬
mässiger und den allgemeinen hygienischen Grundsätzen nicht ent¬
sprechender Missbräuche zu betrachten. Zweckmässige Ernährung,
Wohnung, Bekleidung und entsprechende Zeitdauer für den Dienst
sind die hygienischen Erfordernisse der Gesundheit der Bahn¬
bediensteten. Zur Verhütung der Seuchengefahr im Eisen¬
bahnbetriebe verlangt Tbierry (Paris) eine tägliche Reinigung
der Personenwagen in einer für die Gesundheit genügenden Weise,
da die Ansteckungsgefahr meistens von unbekannten Reisenden aus¬
geht, von deren Krankheit man nicht weiss, und die bisweilen
selbst nicht wissen, dass ihre Krankheit ansteckend ist. Die
Reinigung der Wagen muss auch unterwegs regelmässig stattfinden.
Das Wasser aus den Brunnen, Quellen oder Leitungen, welches
dein reisenden Publikum und den Bahnbeamten auf den Bahnhöfen
und in den Speisewagen zur Verfügung gestellt wird, muss mit
besonderer Sorgfalt geprüft und unter Beaufsichtigung gestellt
werden.
Die Gefahren nervenkranker Bahnbediensteter für
den Eisenbahnbetrieb behandelt Placzek (Berlin). Gefahr¬
drohend für den Eisenbahnbetrieb sind nach ihm die Nervenkrank¬
heiten, welche die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Das Vor¬
kommen von Geisteskrankheiten unter Eisenbahnbeamten ist zu
verhüten durch Feststellung ihrer bisher bekannten Ursachen und
durch kritische Verwertung der einzelnen Warnungssignale, welche
den Fachmann den Ausbruch einer geistigen Krankheit fürchten
lassen Menschen mit epileptischen, epileptoiden oder hysterischen
Anfällen gehören nicht in den Eisenbahndienst: ebenso nicht Neur¬
astheniker hohen Grades, d. h. Personen mit unruhigem, zerfahrenem
und nervös aufgeregtem Wesen; Personen mit auffällig leichter
Erschöpfbarkeit, Entschliessungsunfähigkeit, Angstgefühlen, Grübel¬
sucht und Zwangsempfinden sind ebenfalls auszuschliessen. Schlag¬
anfälle sind verhütbar durch rechtzeitige Ausmerzung der Arterio-
sklerotiker, der an Herzfehler Leidenden und durch frühzeitige Fest¬
stellung von Gehirnleiden. NachLetienne (Paris) übersteigt die
Gesamtsumme der nervösen Leiden bei der Französischen Nord-
bahngescllschaft den nicht geringen Teil von 4% der gesamten
Krankheitsfälle. Er verlangt, dass alle nervenkranken Beamten vom
Exekutivdienste, d. h. von aller Verantwortlichkeit ferngehalten
werden. Bei leichteren Formen von Nervenkrankheiten, welche eine
komplizierte Behandlung nicht erfordern, empfiehlt es sich, die er¬
krankten Beamten auf Tosten, welche nicht mit Verantwortlichkeit
verknüpft sind, beizubehalten, wo sie Beschäftigung, Ermutigung
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UNIVERSUM OF IOWA
und Schutz gegen die Fährnisse des Lebens finden; denn das sind
die Hauptbedingungen für eine wirksame Kur.
Über allgemeines Rettungswesen referierte George
Meyer (Berlin). Die Leitung des gesamten Rettungs- und Kranken¬
beförderungswesens muss Aerzten unterstehen. Es ist anzustreben,
dass die Gemeinden das Rettungswesen einrichten und erhalten mit
Unterstützung derjenigen Körperschaften, welche besonders an Ein¬
richtungen für erste Hilfe interessiert sind. Die Unterstützung durch
freiwillige Kräfte ist behufs Forderung zahlreicher mit der ersten
Hilfe in Zusammenhang stehender Leistungen anzustreben. Daa
organisierte Rettungswesen ist ein wichtiger Faktor für die Seuchen¬
bekämpfung, sowohl durch Bereitstellung genügend zahlreichen und
sachverständigen Personals als durch Bereitstellung zweckentsprechen¬
der Krankenbeförderungsmittel. Die gesamten Einrichtungen des
Rettungs- und Krankenbeförderungswesens sind zu zentralisieren
und mit einem möglichst im Mittelpunkte des Wirkungskreises be-
legenen Platze in Verbindung zu setzen, von welchem aus die Aus¬
sendung, die Verteilung der Hilfsmittel usw. an die erforderlichen
Stellen erfolgen kann. Die Meldung der in Krankenhäusern vor¬
handenen freien Betten an die Zentrale ist behufs schleuniger
Unterbringung Verunglückter und ansteckender Kranker in grösseren
Städten notwendig. Der Anschluss eines Nachweises von Pflege¬
personal an die Zentrale ist gleichfalls in. die Wege zu leiten.
Alexander (Berlin) fordert die Einrichtung von Hilfsstationen für
Verletzte. In diesen darf aber nur die erste Hilfe, unter Ausschluss
einer jeden Nachbehandlung, geleistet werden. Die Hilfe soll sich
auf die im Augenblick erforderlichen Massregeln beschränken. Die
prompte Hilfsbereitschaft der Ärzte wird am besten durch ständigen
ärztlichen Wachdienst in den Stationen herbeigeführt. An diesem
soll die Beteiligung allen in dem betreffenden Bezirk wohnenden
Ärzten freistehen, die sich vertraglich hierzu bereit erklärt haben.
Für den Tagesdienst empfiehlt sich ein zwei- bis dreistündiger
Wechsel. Der Vertretung der diensttuenden Ärzte ist ein gebühren¬
der Anteil an der Organisation und Verwaltung des Rettungswesens
zuzugestehen. Der ärztliche Rettungsdienst erfordert theoretische
und praktische Fachkenntnisse, die schon während der Studienzeit
erworben und während des praktischen Jahres vertieft werden
müssen. Durch Vorlesungen und Kurse muss den praktischen
Ärzten Gelegenheit zur Fortbildung iin ärztlichen Rettungswesen
geboten werden.
Charas (Wien) hält die Aufstellung von Tragbahren zum
Gebrauche von jedermann an verkehrsreichen Plätzen grösserer
Städte für zweckmässig; ebenso an Brücken und Flussläufen die
Anbringung von Geräten zur Rettung, und von Belehrungen zur
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Wiederbelebung Ertrinkender. Es entspricht einer dringender Not¬
wendigkeit für die Bereitstellung geeigneter Waggons zur Beför¬
derung von Kranken und Verletzten auf Eisenbahnen vorzusorgen;
die zur Zeit bestehenden Durchgangswagen sind für die Ein- und
Auswaggonierung von Kranken ungeeignet und liesse sich diesem
Übelstande durch Anbringung entsprechender Türen leicht abhelfen.
Hygieneausstellung.
Die Ausstellung, die im einzelnen musterhaft organisiert war,
ging von dein Gesichtspunkt aus, die neuen Errungenschaften der
experimentellen und wissenschaftlichen Forschung und die besten
Erzeugnisse der Technik auf dem Gebiete der Hygiene in mög¬
lichst vollständiger und anschaulicher Weise zur Darstellung zu
bringen. Zu diesem Zweck waren die hygienischen Universit&ts-
institute und die übrigen Anstalten, welche sich mit hygienischen
Fragen befassen, aufgefordert worden, sich an der Ausstellung zu
beteiligen, was auch in reichem Masse geschehen war. Die Aus¬
stellung war in zwölf Gruppen gegliedert, die die verschiedenen Ge¬
biete der Hygiene zur Anschauung brachten, von der Untersuchung
der Luft an bis zur modernen Leicbenbestattung. Daneben waren
Saramelausstellnngen veranstaltet, von denen vor allem die des
Kaiserlichen Gesundheitsamtes und des Institutes für Infektions¬
krankheiten hervorgehoben zu werden verdienen. Von besonderem
Interesse war auch die Ausstellung für Wasserversorgung und Ab¬
wasserbeseitigung, in der von der Königl. Versuchs- und Prüfungs¬
anstalt in Berlin Modelle des biologischen Klärverfahrens mit neueren
Verteilungssystemen für biologische Tropfkörper im Betrieb vor¬
geführt wurden. Bemerkenswert war das System Kremer, wodurch
eine beschleunigte Klärung durch eine eigenartige Stromführung
und Teilung in eine leichtere Schwimmschicht und eine schwerere
Bodenschicht bewirkt wird. Eine Ausstellung des Institutes für
gerichtliche Medizin in Wien zeigte die Schädigungen, welche durch
elektrischen Starkstrom verursacht werden können. Der Verein für
Feuerbestattung hatte Modelle von Krematorien und Urnenhainen
ausgestellt. Die Hygieneausstellung war auf allen Gebieten von
einer solchen Vielseitigkeit, dass es zu weit führen würde, wollte
man auf Einzelheiten eingehen.
Die Mitglieder des Kongresses erhielten mehrere Festschriften
von hohem wissenschaftlichen Wert als Geschenk, so
1. Das Deutsche Reich in gesundheitlicher und de¬
mographischer Beziehung, gewidmet vom Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamt und vom Kaiserlichen Statistischen Amt. Grossoktav*
format, 331 Seiten.
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2. Medizinische Anstalten anf dem Gebiete der
Volksgesundheitspflege in Preussen. Festschrift, dar¬
geboten von dem preussischen Minister der geistlichen, Unterrichts¬
und Medizinalangelegenbeiten. Jena 1907. Verlag von Gustav Fi¬
scher. 445 Seiten.
3. Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchen¬
bekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Be-
rttcksichtigung Preussens, von Geh. Obermedizinalrat Dr.
Martin Kirchner. Festschrift, dargeboten von dem preussischen
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.
Jena 1907. Verlag von Gustav Fischer. 335 Seiten.
4. Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinrichtungen
im Bereiche der vereinigten preussischen und hessi-
schenStaatseisenbahn, bearbeitet im preussischen Ministerium
der öffentlichen Arbeiten. Berlin 1907. Verlag von Julius Springer.
Grossformat, 79 Seiten.
5. Statistik der Heilbehandlung bei den Versiche¬
rungsanstalten und zugelassenen Kasseneinrichtungen
der Invalidenversicherung für die Jahre 1902—1906, be¬
arbeitet im Reichsversicherungsamt. Berlin 1907. Verlag von Beh-
rend & Co. Grossformat, 161 Seiten.
6. Festgabe der Stadt Berlin. Ein Prachtwerk mit
zahlreichen Abbildungen der hygienischen Anstalten Berlins. Gross-
format. 116 Seiten.
7. Hygienischer Führer durch Berlin, bearbeitet im
Königlichen Institut für Infektionskrankheiten und im Hygienischen
Institut der Königlichen Universität. Berlin 1907. Verlag von
August Hirschwald. 470 Seiten.
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Bauhygienische Rundschau.
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Von der Wohnungs-Statistik der Stadt Posen.
Auf Grund der Wohnungszählung vom 1. Dezember 1905 und
einer besondern Wohnungsuntersuchung von 1905/06 hat das
statistische Amt der Stadt Posen einen zusammenfassenden Bericht
erstattet, der als Anlage zum städtischen Verwaltungsbericht für
das Jahr 1906 im Druck erschienen ist. Wir entnehmen daraus
die folgenden Angaben, die über die Wohnungsverhältnisse der
Hauptstadt der Ostmark wichtige Aufschlüsse erteilen. Die militär¬
fiskalischen Grundstücke mit ihren Bewohnern 6ind dabei, um kein
schiefes Bild zu erhalten, durchweg ausser Ansatz geblieben.
Die durchschnittliche Behausungsziffer, auf die bewohnten
Grundstücke verteilt, beträgt 49. Sie folgt auf Berlin mit 77,
Breslau mit 53, und zeigt deutlich die Mietskasernen-Tendeuz des
Ostens. Sie übersteigt bedeutend die Behausungsziffern von München 37,
Magdeburg 36, Hamburg 36, Leipzig 35 oder gar der westlichen
Städte Elberfeld 19, Köln 18 und von Lübeck 10. Im Posener
Luisenviertel erhebt sich die Durchschnittsziffer auf 66, im Neu-
marktviertel auf 63, im Vorortbezirk Wilda auf 56. Der Umstand,
dass auch hier in neuen Stadtvierteln und zum Teil auf Neuland
so hohe Behausungsziffern gezählt worden, dass ferner die Miets¬
kaserne (wenn man unter ihr das Haus mit mehr als 20 Wohnungen
versteht) am häufigsten gerade im Vororte Wilda ist, spricht für die
Eberstadtsche Theorie, dass nicht der teure Boden die Mietskaserne,
sondern dass die letztere die Bodenteuerung veranlasst. 15 °/ 0 der
bewohnten Grundstücke wiesen mehr als 20 Familien-Wohnungen,
nur 32% weniger als 6 Wohnungen auf. Und von der letzt¬
genannten Zahl fällt ein beträchtlicher Teil auf die kleinen Baracken
und Bauernhäuser primitivster Bauart in den zum Teil noch dörf¬
lichen, vor wenigen Jahren eingemeindeten Vororten. Die städtischen
Wohnungsverhältnisse sind also in Wirklichkeit ungünstiger, als
aus den mitgeteilten Ziffern geschlossen werden könnte. Noch ein
andrer Umstand färbt die Ergebnisse etwas günstiger, als sie tat¬
sächlich sind, der Umstand nämlich, dass fast 8 °/ 0 aller bewohnten
(und mitgezählten) Grundstücke in behördlichem Eigentum Btehen
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(gegenüber 5,6 °/ 0 in Berlin, 5,6°/ 0 in München, 3,6 °/ 0 Halle,
2,3 °/ 0 ib Lübeck).
Auf 2680 bewohnten Grundstücken wurden 28370 bewohnte
Wohnungen mit 62723 Wohnrftumen gezählt; es entfielen auf eine
Wohnung durchschnittlich 4,8, auf einen Wohnraum (Küchen sind
nicht mitgezäblt) 2,2 Insassen. Bezeichnet man nach Schott die
Wohnungsräumlicbkeit, wenn auf den Raum höchstens ein Ein¬
wohner entfällt, als reichlich; wenn durchschnittlich ein bis zwei
Bewohner einem Raume entsprechen, als genügend, bei mehr als
zwei Bewohnern jedoch als mangelhaft, so gilt hiernach das letzt¬
genannte Wort für die Wohnungsverhältnisse der Stadt Posen.
Von den 28370 Wohnungen wurden von den Eigentümern
bewohnt nur 1358, d. h. 4,8 °/ 0 ! Die Zahl der Dienst- oder Frei¬
wohnungen betrug 1359. Im Vororte Wilda ist die Quote der
Eigenwohnungen am geringsten. Seit der Zählung von 1900 hat
sich der Anteil der Eigen Wohnungen beträchtlich vermindert, was
ja bei dem Mietskasernensysteme zu erwarten war. Dagegen hat
sich der Anteil der Schlafgänger und Zimmermieter vermehrt; er
beträgt jetzt 3°/ 0 Schlafgänger und 2,4 °/ 0 Zimmermieter und steigt
in einzelnen Polizeibezirken bis auf zusammen fast lO°/ 0 .
Betrachtet man die Wohnungen nach ihrer Höhenlage, so
haben sich die Kellerwohnungen seit 1900 infolge des polizeilichen
Einschreitens erfreulicherweise von 1691 auf 1393 vermindert;
die Vermehrung der Wohnungen vollzog sich vorwiegend im zweiten,
dritten und vierten Stock. Ist die Zahl der Kellerwohnungen immer
noch ungewöhnlich gross (5 °/ 0 aller Wohnungen), so erhalten sie
ihre Kennzeichnung durch die Prüfung ihrer räumlichen Grösse.
Von den 1393 bewohnten Kellerwohnungen bestanden 434 aus
einem Wobnraum mit Küche, 455 nur aus einem Wohnraum ohne
Küche. Leider ist diese Wohnraumheschränkung in Posen über¬
haupt nicht selten, da am 1. Dezember 1905 gezählt wurden: 911
Wohnungen aus zwei Räumen ohne Küche, 7305 aus einem Wohn¬
raum mit Küche, 4195 aus einem Wohnraum ohne Küche! (In
etwa 1000 Fällen wären diese Wohnungen mit Familien von mehr
als fünf Personen belegt.) Solche zweifellos räumlich ungenügende
Wohnungen bilden 44°/ 0 aller Wohnungen überhaupt: mit Königs¬
berg, Chemnitz, Magdeburg und Plauen i. V. steht Posen in dieser
Hinsicht am ungünstigsten in ganz Deutschland. — Nur 32°/ 0 der
Wohnungen verfügen über einen eigenen Abort; wir werden später
auf diesen trüben Punkt zurückkommen. Aborte mit Wasser¬
spülung besitzen nur 8°/ 0 der Wohnungen, eine Folge der rück¬
ständigen Verhältnisse der Posener Kanalisation.
Die Mietpreise stehen mit durchschnittlich 173 M. für den
heizbaren Raum zwar unter Berlin, Charlottenburg, Dresden und
CentnübUtt f. «.Hg. Gesundheitspflege. XXVII. J*brg. 12
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Königsberg. Zieht man jedoch zum Vergleiche den Durchschnitts-
steuerbetrag in Rechnung, so stehen Posen und Königsberg, wo die
durchschnittliche Zimmermiete das 24fache bezw. das 25fache
des Steuersatzes beträgt (gegenüber Berlin mit dem 16fachen, Bres¬
lau mit dem 17 fachen, Altona mit dem 20 fachen), am ungünstigsten.
Die Miete des Wohnraums ist wie anderwärts, so auch in Posen,
im allgemeinen um so höher, aus je weniger Räumen die Wohnung
besteht. — Die leerstehenden Wohnungen betrugen 6,4°/ 0 ; das
Wohnungsangebot war also zur Zeit sehr gross. Für Geschäfts-
lokale betrug der leerstehende Prozentsatz sogar 9,2 °/ 0 .
Einen besonderen Wert erlangt die vorliegende Statistik durch
die Beigabe einer besonderen Erhebung über die Wohnungen der
Stadtarmen. Untersucht wurden 920 derartige Wohnungen;
darunter auch die Wohnungen solcher bessergestellten Familien,
welche alleinstehenden Stadtarmen Unterkunft gewähren. Die Er¬
gebnisse können deshalb als typisch für einen sehr beträchtlichen
Teil der Posener Wohnungen angesehen werden. Von den 920 Woh¬
nungen liegen 491 in Vorderhäusern, 230 in Seitengebäuden, 199 in
Hinterhäusern; das verhältnismässig stärkste Kontingent stellen die
Wohnungen im Kellergeschoss und im vierten Stock; 54 der Armen¬
wohnungen lagen in der Dachschräge. Als Durchschnittsbodenfläche
ergaben sich pro Wohnung 22 qm, pro erwachsenen Bewohner 6 qm,
pro Kind 3 qm. Diesem nicht ungünstigen Durchschnittsmass stehen
aber Abweichungen vom Durchschnitt gegenüber, die fast er¬
schreckend sind: 23 °/ 0 der Wohnungen hatten weniger als 10 qm
Bodenfläche; darunter gibt es einige, die mit sechs bis acht Per¬
sonen belegt sind. Auf den Kopf der Bewohner entfielen in manchen
Fällen nur 9,8 bis 3,8 cbm. Vielleicht noch bedenklicher ist die
Abort-Armut. Nur 135 von 827 untersuchten Wohnungen hatten
einen besonderen Abort: die übrigen zählen 2 bis 17 Familien auf
einen Abort.
Der Verfasser Dr. Otto Most schliesst mit den folgenden
zutreffenden Worten: „Mit unfrober Empfindung verlässt der
Bearbeiter das Material der Wohnungszählung vom 1. Dezember 1905
und der Enquöte von 1905/06. Schweren Herzens muss er ge¬
stehen , dass es wenig geeignet ist, den Ruf der Posener Wohnungs¬
verhältnisse zu heben. Sehr starke Belegungsziffer, ungünstige Ver¬
hältnisse in der Besitzverteilung, Schlafgängerwesen, Stockwerks¬
lage, Wohnungsgrösse und Aborte (= Mangel), geringer Komfort, hohe
Mietpreise sind die Stichworte der vorstehenden Ausführungen. Alle
Versuche zur Abstellung der Mängel können Erfolg nur haben,
wenn sie auf klarer Kenntnis der Sachlage beruhen. Dringend er¬
wünscht ist es daher, dass dieser ersten Posener Wohnungsstatistik,
die eine Bearbeitung erfuhr, weitere regelmässig folgen. Das Pro-
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kusteebett der (inzwischen gefallenen) Umwallang, die mangelnde
Erziehung der Bevölkerung zur Wohnungshygiene und Kurzsichtig¬
keit in der Erstellung des Angebots tragen die Schuld an den
heutigen Verhältnissen. (Der Verfasser hätte noch die früher
.geltende, der Ausbreitung der Mietskaserne günstige Bauordnung
Anfuhren können.) Sie zu beheben, ist eine schöne Aufgabe nicht
nur der öffentlichen, sondern vor allem auch der privaten Wohnungs¬
politik um so mehr, als heute angesichts der andauernd starken Be¬
völkerungsvermehrung der Wohnungsmarkt ein erheblich freund¬
licheres Bild zeigt, als am 1. Dezember 1905.“ J. St.
Literaturbericht.
Räuber, Zusammenstellung der gesetzlichen Bestimmungen, Er¬
lasse und Verfügungen für das Medizinal wesen in Preussen
nebst Kreisarztgesetz und Dienstanweisung für die Kreisärzte.
Der Verfasser hat sich der mühevollen Aufgabe unterzogen,
alle auf dem Gebiete des Medizinalwesens und der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege noch gültigen Bestimmungen zu sammeln und in
übersichtlicher Weise zu ordnen. Ausgehend von dem Standpunkte,
dass der Kreisarzt als Mitarbeiter des Landrats berufen ist, auf
.allen Gebieten des Medizinalwesens und der öffentlichen Gesund¬
heitspflege mitzuwirken, ist der Stoff in Anlehnung an die einzelnen
Abschnitte der Dienstanweisung für die Kreisärzte verarbeitet.
Aber nicht dem Kreisarzt allein wird das Buch dienen, jeder Arzt,
Richter, Rechtsanwälte und Verwaltungsbeamte finden hier auf dem
vielen wenig bekannten Gebiete im Einzelfalle bald die nötigen
Direktiven. Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, Erlasse
und Verordnungen sind aufgeführt mit einer knappen Inhaltsangabe
und dem Hinweis auf die Quelle, Gesetzsammlung, Ministerialblatt
usw. Hier finden sich die Bestimmungen für den Arzt über das
Hebammenwesen, Beaufsichtigung des Kost- und Quartiergänger¬
wesens und des Betriebes der Gastwirtschaften in gesundheitlicher
Beziehung, Stempelwesen, Verhalten beim Auftreten ansteckender
Krankheiten, Prüfungsbestimmungen für die Zulassung zu den ver¬
schiedensten Berufen usw.
Zu wünschen wäre, dass dem beigegebenen Verzeichnisse der
.Schlagworte eine wesentliche Ausdehnung zuteil würde, dass
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namentlich dieselbe Sache nicht nur unter einem Wort im Ver¬
zeichnis zu Anden ist. So würde z. B. das auf Seite 26 behandelte
Studium der Frauen zweckmässig auch unter Frauen aufzuführen
sein. Das Wort Approbation ist trotz der verschiedenen hierüber
abgedruckten Bestimmungen im Inhaltsverzeichnis nicht zu Anden.
Es ist dies ein Fehler, dessen Beseitigung die praktische Brauch¬
barkeit des Buches wesentlich erhöhen und dem Werk jedenfalls-
viele neue Freunde zuführen würde. B.
Neefe, Statistisches Jahrbuch deutscher St&dte. (XIV. Jahrg. Bres¬
lau 1907.)
Es liegen folgende Sonderabzüge vor: Abschnitt III be¬
handelt einen Teil der Volkszählungsergebnisse vom 1. De¬
zember 1905. Von der ortsanwesenden Bevölkerung -des Deutschen
Reiches, deren Zahl am 1. Dezember 1905 60641278 betrug, wurden
in den 58 aufgeführten Städten 12828043 gezählt, d. i. 21,15°/^
der Gesamtheit gegen 20,31 °/ 0 im Jahre 1900. Stärker war die
Konzentration bei den Städten von mehr als 100000 Einwohnern,
deren Quote von 17,36 auf 18,98°/ 0 hinaufgegangen ist. Solcher
Gemeinden gab es 1905 41, während deren bei der ersten Zählung
nach der Gründung des Reichs am 1. Dezember 1871 nur 8
vorhanden waren, mit einem Bevölkerungsanteil von 4,79 °/ 0 .
Dieses starke Wachstum ist jedoch nicht allein durch bedeutende
Zuwanderung und durch den Geburtenüberschuss, sondern auch
zu einem nicht unbeträchtlichen Teile durch die Angliederung
benachbarter Gemeinden hervorgerufen.
Abschnitt IV. Bevölkerungswechsel im Jahre 1905. Die
natürliche Bevölkerungsvermehrung war nach dem Überschuss der
Geborenen über die Gestorbenen, berechnet auf 1000 Einwohner, am
grössten in Gelsenkirchen (34,1), am kleinsten in Königsberg (5,7). Die
Geburtenhäufigkeit weist unter den Grossstädten mit über 100000 Ein¬
wohnern noch in Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen
und Mannheim eine Höhe von 40,0 auf 1000 Einwohner und darüber
auf. Durch eine geringe Geburtenziffer treten Charlottenburg mit
22,2 und Schöneberg mit 23,1 auf 1000 Einwohner hervor. Bei
einer Anzahl von Grossstädten ist der Rückgang in der verhältnis¬
mässig kurzen Zeit seit Beginn oder Mitte der 90 er Jahre ausser¬
ordentlich stark ausgeprägt. Auch die Sterblichkeitsziffer weist
fast allgemein eine Minderung auf, am niedrigsten ist sie in
Sehöneberg mit 10,1 °/ 00 und in Charlottenburg mit 12,8°/ 00 .
Sterblichkeitsziffern bis zu etwa 17,0 °/ 00 sind noch in einer Mehr¬
zahl von Grossstädten, über 20,0 °/ 00 in zehn Städten vorhanden.
Der Prozentsatz der ausserehelichen Geburten in den Grossstädten
zeigt nur geringe Schwankungen, während die Unterschiede
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zwischen den verschiedenen Städten sehr gross sind. Städten mit
zehr erheblichem Anteil, wie München und Nürnberg, stehen
andere, wie Barmen, Bochum, Krefeld, Duisburg und Essen, mit
■einem sehr geringen Prozentsatz gegenüber. Im Hinblick auf die
Bedeutung der Säuglingssterblichkeit für die Höhe der Sterblichkeits¬
ziffer im allgemeinen wird noch besonders das Verhältnis der
Bäuglingssterbefälle zur Zahl der Lebendgeborenen nachgewiesen.
Wenn diese Ziffer auch in einzelnen Städten 25 auf hundert
Lebendgeborene fast erreicht oder überschreitet, so ist bei einigen
dieser Städte doch eine erheblich fortschreitende Minderung der
■Säuglingssterblichkeit festzustellen. Die auf 1000 der Bevölkerung
berechnete Ziffer der an Lungenschwindsucht verstorbenen Per¬
sonen zeigt in der grossen Mehrheit der Städte eine sehr erfreu¬
liche Abnahme. Und wenn auch manche Einflüsse, wie Änderung
der Altersverteilung, diese Ziffer beeinflussen mögen, so ergibt sich
doch zweifelsohne ein sehr erfreuliches Bild von den Erfolgen, die
im Kampf gegen die Tuberkulose erzielt worden sind.
Abschnitt VI, Strassenreinigung und Besprengung,
berichtet für das Jahr 1903/04 resp. 1903 in der Hauptsache über
die Grösse der zu reinigenden Strassenfläche und über die Kosten,
welche den Stadtverwaltungen daraus erwachsen. Dabei ist natür¬
lich zu unterscheiden, wer für die Reinigung zu sorgen hat: die
Stadt oder die Grundstücksbesitzer oder beide gemeinschaftlich.
Von 56 an der Statistik beteiligten Städten haben 31 die Reinigung
selbst übernommen, nur in 7 Städten liegt die Reinigung noch
den Grundstücksbesitzern ob, in den übrigen 18 Städten besteht
ein gemischtes Verfahren.
Abschnitt VII, Abfuhr und Kanalisation, stellt die
Länge der Kanäle in den einzelnen Städten zusammen, soweit
Rieselfelder vorhanden sind, die Grösse der berieselten Fläche, die
Ausgaben für Unterhaltung und Betrieb der Kanäle und Riesel¬
felder und enthält Angaben über die Zahl der öffentlichen Pissoirs
und Bedürfnisanstalten.
Abschnitt XI behandelt die Vieh- und Schlachthöfe
von 50 Städten im Jahre 1903/04 resp. 1903. In dreien von
•diesen Städten, nämlich in Chemnitz, Dresden und Stuttgart, ge¬
hören di« Vieh- und Schlachthöfe Innungen, in den übrigen sind
sie städtisches Eigentum. In Cassel und Crefeld bestanden neben
den städtischen noch je zwei private Viehhöfe. Der Durchschnitt
aller Städte ergab, dass 70,9°/ 0 des Rindviehs als völlig gesund
die Fleischschau passierte, und dass von den 29,1 °/o kranken
20,1 °/ 0 wegen Tuberkulose beanstandet waren. Bei allen anderen
'Tiergruppen betrug der Prozentsatz der gesunden Tiere mehr
als 90°/ 0 .
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Abschnitt XVIII, öffentliche Bäder im Jahre 1904/05-
oder 1904. An dieser Statistik beteiligten sich 53 Städte. Von
diesen hatten 11, darunter Grossstädte wie Halle, Schöneberg,
Stettin und Stuttgart, noch keine eigenen Warmbadeanstalten, eine
Lücke, die jedoch zumeist durch das Bestehen von Privatbade*
anstalten grösseren Umfangs ausgefüllt wird. In den 53 Städten
gab es 137 Badeanstalten, von denen 16 allein mit Badewannen
ausgestattet waren, 27 waren ausschliesslich Brausebäder, 51 hatten
Wannen- und Brausebäder, 20 Schwimm- und Wannenbäder und
23 Schwimm-, Wannen- und Brausebäder. Von den Anstalten mit
Schwimmbassins verfügten 27 über je 1, 14 über je zwei und 2"
Anstalten über je 3 Bassins, deren cbm-Inhalt zwischen 95 und
700 (Frankfurt a. M.) variierte. Einen besonders erfreulichen
Fortschritt hat die Errichtung von Schulbrausebädern gemacht.
Während im Jahre 1899 erst in 11 Städten 70 Schulgebäude mit
Badeeinrichtung versehen waren, sind es im Jahre 1904 bereits
in 44 Städten 332 Schulgebäude. In den 11 Städten des Jahres
1899 hat sich die Zahl der mit Badeeinrichtungen ausgestatteten
Schulgebäude verdoppelt (142). Rosenberg (Kiel).
Roesle, Die Gesundheitsverh<nisae der deutschen Kolonien in
statistischer Betrachtung. (Münch, med. Woch. 1907, Nr. 28, S. 1386 >
Auf Grund der „Medizinalberichte über die deutschen Schutz¬
gebiete, herausgegeben von der Kolonialabteilung des Auswärtigen
Amtes, Berlin, Mittler & Sohn“, gibt Roesle für das Berichtsjahr
1903/04 über die Morbidität und Mortalität der Europäer in unseren
Kolonien einen trotz der Kleinheit der Zahlen und Beschränkung
auf ein einziges Jahr recht interessanten Überblick.
In Deutsch-Ostafrika nehmen von den 1200 ansässigen Euro¬
päern 915 = 76,3 °/ 0 ärztliche Hülfe in Anspruch. Gegen die In¬
fektionskrankheiten, welche */ 5 aller Erkrankungen ausmachen,
treten die übrigen Krankheiten weit zurück. Von den Infektions¬
krankheiten fallen 93 °/ 0 auf die spezifischen Tropenkrankheiten,
und allein 89 % auf Malaria und Schwarzwasserfieber.
Nicht ungünstig sind in Deutsch-Ostafrika die Sterblichkeits¬
verhältnisse: bei Europäern und Farbigen kommen auf je 100
Krankheitsfälle 1,75 Mortalität. Auf 100 infektiöse Kranke treffen
bei den Europäern 3, bei den Eingeborenen 5 Todesfälle.
Relativ die meisten Sterbefälle hat Kamerun zu verzeichnen.
Die hauptsächlichste Todesursache bilden auch hier wie in den
übrigen Kolonien die Tropenkrankheiten. Die Mortalitätszahlen
werden aber weiter dadurch besonders ungünstig, dass die Mehr¬
zahl der Gestorbenen der mittleren Altersklasse von ca. 20—40
Jahren angehört.
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Was die Gesamtsterblichkeit der Europäer angeht, so ist die¬
selbe am grössten in Kamerun, es folgt Togo und Deutsch-Neu¬
guinea und schliesslich Deutsch-Ostafrika mit den niedrigsten Ziffern.
Laspeyres (Bonn).
Lion, Tropenhygienische Ratschläge. (München 1907. Ärztl. Rund¬
schau.)
Der Zweck des Büchleins ist der, unsern Landsleuten in den
Kolonien für ihre Gesundhaltung praktische Ratschläge zu er¬
teilen. Von vornherein für das Laienpublikum geschrieben, ist
das Buch doch nicht so populär gehalten, um für den Arzt den
Reiz der Wissenschaftlichkeit zu verlieren. Mehr als farben¬
prächtige Schilderungen von Jagdausflügen oder Entdeckungs¬
fahrten, vermag uns Lions Werkelten ein Bild von unsern afrika¬
nischen Kolonien und dem Leben der Weissen in ihnen zu geben.
Hat doch Verfasser selbst längere Zeit in Deutsch-Südwestafrika
zugebracht und sich in Windhoek bei der Typhusbekämpfung und
später im Auobgebiete, einer Malariagegend, betätigt. Wenn wir
auch von den dortigen hygienischen Verhältnissen nicht gerade
sehr begeistert sein können, so zeigt uns Verfasser dooh den Weg,
wie wir unsere unter ganz anderen Umständen aufgebaute Und
erprobte Hygiene auch auf die afrikanischen Kolonien verpflanzen
und so dem Europäer das Leben dort erst lobenswert machen
können. Bermbach (Cöln).
Archiv für Volkswohlfahrt.
Das am 15. Oktober 1907 erschienene erste Heft dieser
neuen, anscheinend dem Grenzgebiete zwischen Hygiene und So¬
zialpolitik gewidmeten Zeitschrift enthält an erster Stelle einen
längern Artikel über Volks Wohlfahrtspflege von Wolfstieg. Vom
Standpunkt einer gesunden idealistischen Weltanschauung aus be¬
handelt Wolfstieg zunächst die Ursachen der Gefährdung der Volks¬
gesundheit, den wachsenden Egoismus der einzelnen sozialen
Klassen und den daraus resultierenden allgemeinen Pessimismus.
Die soziale Frage ist in erster Linie eine Bildungsfrage, daher ist
die Aufgabe der Volkswohlfahrtspflege zunächst eine rein päda¬
gogische: Hebung des Bildungsniveaus des gesamten Volkes.
Auf eine Arbeit von Treptow, über Schutzvorrichtungen und
Staubabsaugung bei Schmirgelschleifmaschinen einzugehen, ist wegen
der technischen Intima nicht möglich. Dagegen hat Neves Arbeit
über Krüppelfürsorge, Volkswohlfahrt und Volkswirtschaft ein hohes
hygienisches Interesse. In Deutschland ist in noch höherem Masse
als im Ausland die Krüppelfürsorge auf die private Liebestätigkeit
angewiesen. Unter 34 deutschen Anstalten ist nur eine, München,
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eine staatliche (200 Plätze). Die Verkrüppelung überwiegt beim
männlichen Geschlecht. In Deutschland existieren mehr als 362000
Krüppel. Durch eine systematisch ausgebildete Krüppelfürsorge
würde die Produktivkraft von 90000 Personen der deutschen
Volkswirtschaft nutzbar gemacht werden können. Setzt man das
für einen Krüppel erreichbare Jahreseinkommen auf nur 500 M.
im Durchschnitt, die Kosten seines Unterhaltes auf die gleiche
Höhe, so ergibt sich für rund 100000 Erwachsene eine Erhöhung
des Nationalvermögens um 100Mill. M. Bermbach (Cöln).
Berberich, Bau- und Wohnungshygiene. (Stuttgart 1907. E. H. Moritz.)
Das kleine Heft bietet in knapper, Fachleuten wie Laien
gleich gut verständlicher Darstellung die wissenswertesten Regeln
eines gesundheitsgemässen Wohnhausbaues mit Rücksicht auf die
Wahl des Bauplatzes, den Baugrund, die Plangestaltung, die Bau¬
materialien u. a. Es ist nicht zu leugnen, dass manche dieser
Grundsätze über allen den anderen Rücksichten, welche den Wohn¬
hausbau sonst noch beherrschen, auch von den Technikern nicht
selten hintangesetzt und vergessen werden. Die volkstümliche und
eindringliche Abhandlung dieses Stoffes durch den Verfasser ist da¬
her verdienstlich und beachtenswert. Sein Vorschlag der staat¬
lichen Enteignung aller zur Bebauung gelangenden Grundstücke
in der Umgebung der Städte wird allerdings nicht die allgemeine
Zustimmung finden. Schnitze (Bonn).
Rubner, Der Verkehr und die Verkehrsschftden. (Hyg. Rundschau
1907, Nr. 18.)
Das berufsmässige Reisen hat eine ganze Anzahl von Berufs¬
krankheiten im Gefolge. Das Zugpersonal erkrankt z. B. häufiger
als die Stationsbeamten. Die Zugbeförderungsbeamten werden mit
46—50 Jahren, die Zugbegleitung mit 51 —55, die Stationsbeamten
mit 56—60, die Bahnbewachung mit 61—65 Jahren pensioniert.
Die Beförderungsbeamten erkranken hauptsächlich an Krankheiten
des Nervensystems, der Verdauungs- und Zirkulationsorgane. Die
Anzahl der Fahrten, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, ist
in stetigem Ansteigen begriffen. 1894/95 kamen auf sämtlichen
deutschen Bahnen 260 km Strecke auf eine Person jährlich. Der
Stadtbahnverkebr in Berlin wächst ganz enorm von Tag zu Tag,
ebenso wie der Sonntagsverkehr in allen Städten überhaupt.
Die Nachteile des Verkehrs sind: Unfälle, namentlich auf den
Strassen der Städte, Beeinträchtigung der freien Bewegung der
Kinder, Belästigungen durch Rauch, Gestank (Motorfahrzeuge) und
Lärm. Bei langen Fahrten können die Stösse und Bewegungen
zu einer Art Seekrankheit führen und durch ihre Arythmie einen
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steten unbequemen Reiz für den Organismus abgeben. Schon im
Jahre 1895 bat Verfasser einen Apparat konstruiert, welcher die
Erschütterungen, die ein Verkehrsmittel erfahrt, registriert. Der
Stossmesser besteht aus einer durch ein Uhrwerk bewegten rotieren¬
den, mit endlosem Papier bespannten Trommel und drei scbnell-
schwingenden Pendeln, von denen das erste in der Querrichtung
zur Fahrt, das zweite in der Längsrichtung, das dritte vertikal
schwingt. Bei einem Kilometer Weg zeichnet dieser Apparat auf:
in der Eisenbahn 180 Querstüsse
„ „ Pferdebahn 7800 „
im Omnibus . . 11520 „
Bermbach (Cöln).
Zur Frage der 'Beheizung von Strassen- und Kleinbahnwagen.
(Ges.-Ing. 1907, Nr. 6.)
Eingangs dieser Abhandlung wird hervorgehobeu, wie an¬
genehm und für die Gesundheit eigentlich notwendig die Beheizung
von Strassenbahnwagen ist. Nachdem auf Grund geschehener Ver¬
suche hauptsächlich wegen der Betriebskosten nur wenige Gesell¬
schaften dazu übergegangen sind, die Wagen mit Heizung zu ver¬
sehen, hat die deutsche Wagenheizungs- und Glühstoffgesellscbaft
Werner & Co. zu Charlotten bürg einen Heizapparat in den Handel
gebracht, mit dem die Betriebskosten für die Erwärmung eines
Wagens mit 20 Sitzplätzen auf 30 Pfennig pro Tag reduziert
werden können. Der Apparat besteht aus einem vollständig luft¬
dicht verschliessbaren gusseisernen Kasten, der unter der Sitzbank
eines Wagens angebracht und bei Längs- wie Quersitzen leicht
unterzubringen ist. In diesem erfolgt die Verbrennung von Bri¬
ketts, die von aussen eingelegt und mit Frischluft versehen werden,
wohin auch die Rauchgase abziehen, so dass das Innere des Wagens
von Rauchgasen ganz frei bleibt.
Der neue Apparat scheint der Konstruktion nach allen An¬
sprüchen gerecht zu werden und dürfte daher diese Heizvorrich¬
tung seitens der betreffenden Strassen- und Kleinbahngesellschaften
Beachtung finden. Herbst (Cöln).
Stetefeld, Kühlung ganzer Eisenbahnzüge. (Ges.-Ing. 1906, Nr. 16.)
Stetefeld bringt hier eine Neuerung, die in Europa noch
nicht besteht. Hier werden die auf Eisenbahnen zu transportieren¬
den Lebensmittel auf dem ganzen Wege durch Kunsteis oder in
neuerer Zeit versuchsweise durch Eismascbinenbetrieb kalt ge¬
halten, während man in Amerika dazu übergegangen ist, die be¬
ladenen Eisenbahnwagen vor Antritt des Transportes künstlich zu
kühlen, und zwar in dem Masse, dass in der beissesten Jahreszeit
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die für Früchte und dergl. zulässige Höchsttemperatur auf zwei-
bis dreitägigen Reisen nicht überschritten wird.
Die Idee, auf diese Art zu kühlen, hatte die United Fruit
Company of Boston, die in Springfield Mr. in Nordamerika eine
Halle von 122 m Länge und 20 m Breite mit vier Geleisen für
diesen Zweck baute. In dieser Halle können 40 beladene Eisen¬
bahnwagen gleichzeitig gekühlt werden. Die Umfassungswände
sowie Decke und Fussboden sind in geeigneter Weise isoliert, da¬
mit man den Raum vor dem Einfahren der Züge vorkühlen kann.
An der Decke der Halle sind Zu- und Abluftkanäle den vier Ge¬
leisen entlang vorgesehen, an die mittels Leinwandschläuche der
Innenraum der Eisenbahnwagen angeschlossen werden kann. In
den Zuluftkanälen wird mittels Sirocco-Ventilator abgekühlte Luft
zugeführt, deren Abkühlung durch eine maschinell angetriebene
Eismaschine erfolgt.
Das neue und sinnreiche an dieser Kühleinrichtung ist, dass
man die Früchte und dergl. in dem Wagen durch zirkulierende
kalte Luft direkt kühlt ohne jegliche Umladung am Orte der Kühl¬
anlage oder während des Transportes. Fortgesetzte Beobachtungen
über die Rentabilität dieser neuen Einrichtungen werden ergeben,
ob sie in Verbindung mit tadellos isolierten Transport-Eisenbahn¬
wagen geeignet sind, die jetzt in Europa auftauchenden Bestre¬
bungen, mit Maschinen gekühlte Eisenbahnzüge ins Leben zu rufen,
zu ersetzen bezw. zu verdrängen; es dürfte dies für wahrschein¬
lich gelten. Herbst (Cöln).
Klinger, Kalender für Heizungs-, Lüftungs- und Badetechniker.
(Halle a/S., Carl Marhold.)
In praktischer Übersichtlichkeit dargestellt bringt Klinger
in einem alljährlich erscheinenden Kalender das für den Techniker
Wissenswerte aus dem Gebiete der Heizungs-, Lüftungs und Bade-
technik. Der Kalender enthüllt viele Tabellen und ist für den
Konstruktionstisch sehr geeignet. Besonders hervorzuheben sind
die Unterlagen für Koch- und Waschküchen, Desinfektionsanlagen,
elektrische Heizungen, medizinische Bäder und Kälteanlagen.
Der Kalender hat sich mit der dreizehnten Auflage sehr gut
eingeführt und kann als Nachschlagebuch jedermann empfohlen
werden. Herbst (Cöln).
Mehl, Die lokalen Luftbefeuchtungsapparate. (Ges.-Ing. 1906, Nr. 19.)
Seit Einführung der Zentralheizungen werden in bewohnten
Räumen Klagen über Lufttrockenheit laut und dies führte zu ver¬
schiedenartigen Luftbefeuchtungsarten, die bei Dampfheizungen
zum Teil auf dem Prinzipe beruhen, dass man Dampf düsenartig
im Raume austreten und verdunsten lässt. Mehl schildert den
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Richterschen Apparat, der nach gleichem Prinzipc funktioniert,,
und geht dann auf die Frage über, ob Luftbefeuchter überhaupt
nötig sind. Wenn letzteres in einzelnen Fällen auch nicht in Ab¬
rede gestellt wird, so ist es meistens doch nur Einbildung, , wenn
man die Luft für zu trocken hält. Es sind meistens andere Ur¬
sachen, die dieses Gefühl liervorrufen. Wenn auch kalte Aussen-
luft selbst bei hohem relativen Feuchtigkeitsgehalt nach der Er¬
wärmung auf Zimmertemperatur nur einen geringen relativen
Feuchtigkeitsgehalt besitzt und man hieraus schliessen könnte,,
dass die Luft zu trocken und für die Atmungsorgane schädlich
sei, so hat Dr. Rubner nachgewiesen, dass der menschliche Körper
sich hinsichtlich der Wasserentziehung wesentlich anders verhält
als eine tote, feuchte Fläche. Ersterer verliert unter sonst gleichen
Verhältnissen weit geringere Wassennengen als die leblose Materie*
Die Lufttemperatur und die relative Feuchtigkeit bilden gemeinsam
die Basis für die Wasserabgabe des Körpers. Weiter hat Dr. K abrhel
gezeigt, dass der Unterschied der Wasserabgabe des Menschen bei
■+■ 15° bis + 20° C und 6°/o bis 85°/ 0 Feuchtigkeit gering, und dass
diese Differenz in Hinsicht auf die praktisch viel enger zu ziehen¬
den Feuchtigkeitsgrenzeu und mithin auch für das Wohlbefinden
des Menschen bedeutungslos ist. Hieraus erklärt sich auch, dass
die einen bei 60°/ 0 Feuchtigkeit über Trockenheit der Luft klagen,
während Luft mit 40°/ o Feuchtigkeit von anderen als genügend
feucht empfunden wird. Es kommt hier noch die Temperaturhöhe
in Betracht, weil unter +20°C bedeutend weniger Wasser dem
Körper entzogen wird als bei + über 20° C. Neben Überwärmung
der Raumluft ist noch an die Vergasung der auf den Heizkörpern
liegenden Staubteilchen zu erinnern, durch welchen Vorgang die
Schleimhäute bei der Atmung gereizt werden.
Als Schlussfolgerung geht hervor, dass bei der normalen
Zimmertemperatur von +17° bis +20° C und einigermassen staub¬
freien Heizkörpern Klagen über Lufttrockenheit berechtigter Weise
nicht auftreten können, und deshalb Luftbefeuchter entbehrlich
sind. Letztere können sogar gesundheitliche und technische Nach¬
teile bieten, und zwar gesundheitsschädliche, weil zu starke Luft¬
befeuchtung bei über + 20° C Raumwärme Wärmestauung im
Körper, die zur Schlaffheit, Benommenheit, unter Umständen bis
zu Ohnmachtsanfällen führt, hervorruft, während das Gegenteil bei
relativ trockener Luft besteht, und technische für den Fall, dass
man bei Dampfheizungen den Dampf, wie bei Beginn des Referats,
bemerkt, im Raum frei austreten lässt, weil insbesondere die guss T
eisernen Kessel durch den infolge des vielen Zuspeisens von
neuem Wasser entstehenden Kesselstein sehr leiden.
Herbst (Cöln).
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Kabrhel, Studien Ober den Filtrationseffekt der Grundw&sser.
II. Teil. (Arch. f. Hy g., Bd 64, 1908.)
Nachdem der Verfasser im ersten Teile seiner Stadien über
den Filtrationseffekt der Grundwässer gezeigt hat, dass die wasser¬
führenden Schichten selbst in dem reinsten Terrain eine reiche
Bakterienflora besitzen, trotzdem aber steriles Wasser liefern, be¬
fasst er sich im zweiten mit der Sicherung einer neuen Basis für
die Wasserbeurteilung. Als diese wird vom Verfasser der wirk¬
liche Filtrationseffekt bezeichnet. Nach der bisher geltenden Theorie
der Trinkwasserbeurteilung wurde die Prophylaxe auf die Relation
E : i = oo {Eii der Filtrationseffekt zwischen zwei Punkten des Fil¬
ters) begründet und der Beweis derselben eben in der Sterilität
der wasserführenden Schichten gesehen. Wie aber der Verfasser
bewiesen hat, gibt es solche sterile Schichten nicht, doch wird
allen hygienischen Anforderungen Genüge geleistet, wenn die obige
Formel so abgeändert wird, dass E > e (e der wirkliche Filtrations¬
effekt bei einer gut geleiteten Sandfiltration).
Der Filtrationseffekt innerhalb einer bestimmten Bodenstrecke
wird nun nach dem Verfasser durch Vergleichung der Mikroben¬
zahl an den Anfangs- und Endpunkten der Filtrationskomponenten,
d. h. der vertikalen und horizontalen Filtration, bestimmt. Es er-
M ui
gibt sich dabei die Formel E = — • - , wenn nur auf die mecha-
m p
nische Seite der Mikrobenzurückbaltung Rücksicht genommen wird.
Aber nach der vom Verfasser vorgenommenen Analyse des
Vorganges der natürlichen Bodenfiltration sind die Triebfedern der
letzteren ausser in dem mechanischen Forttragen der Mikroben
durch den Flüssigkeitsstrom, das durch die Bodenbescbaffenheit
reguliert wird, auch in den biologischen Faktoren zu suchen, welche
das Vegetieren der Mikroben an den betreffenden Fundstellen er¬
möglichen. Das gegenseitige Verhältnis der mechanischen und
biologischen Faktoren bei der Boden filtration präzisiert der Ver¬
fasser dahin, dass die mechanische Wirkung die primäre, die bio¬
logische aber die sekundäre sei, indem durch die erstere die Keime
an die betreffenden Stellen gebracht, durch die letztere jedoch da¬
selbst erhalten werden.
Zieht man nun die biologischen Faktoren in Betracht, so wird
dadurch die Formel der Filtrationseffektsbestimmung endgültig in
M m
der Weise modifiziert, dass E > — • —, d. h. wenn die Mikrobenzahl
m p
M
des Bodens mit M, m und u festgestellt wird, ist der Wert —
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kleiner als der Filtrationseffekt der vertikalen und der Wert —
kleiner als der Filtrationseffekt der horizontalen Komponente.
Unter Anwendung dieser Formel und eines in vegetationslosem
Terrain ausgeführten Bodenversuches kommt der Verfasser zu dem
Schlüsse, dass in einem durchlässigen, sandigen Terrain der Fil¬
trationseffekt in 1,5 m Tiefe > = 14461 :1.
24
Bei Voraussetzung derselben Bodenzusammensetzung erschien
der Filtrationseffekt in 3 m Tiefe grösser als 14461 X 14461 : 1,
d. h. grösser als 209120521.
In bezug auf die Feststellung des horizontalen Filtrations¬
effektes nimmt der Verfasser eine Reihe von ausnehmend zweck¬
mässig gewählten und sehr instruktiven Versuchen in Anspruch,
die jedoch im Original nachgelesen werden müssen. Rüiißka.
Peters, Oie Wasserversorgungsfrage der Stadt Magdeburg. (Zeit-
sehr. f. Hyg. u. Inf., 56. Bd., 8. Heft, S. 400—425.)
Die Frage der Magdeburger Wasserversorgung hat sich im
Laufe der Jahre zu einer so ausserordentlich verwickelten gestaltet,
es sind eine so grosse Anzahl von Vorschlägen und Gegenvor¬
schlägen zur Verbesserung der Wasserverhältnisse gemacht, so viel
mehr oder weniger gerechtfertigte Einwände sowohl gegen die be¬
stehende Versorgung, wie gegen die anderen in Frage kommenden
Projekte gemacht worden, dass es selbst bei genauester Abwägung
aller springenden Punkte eine schwere Aufgabe ist, sich zu ent¬
scheiden, was soll geschehen?
Seit Hunderten von Jahren bezieht Magdeburg seinen Bedarf
an Trinkwasser aus der Elbe, ohne dass es bis gegen Ende der
80er Jahre zu grösseren Missständen geführt hätte. Seitdem aber
haben sich die Abwässer der industriellen Werke und Bergwerke
derartig vermehrt, dass selbst durch Filtration das Trinkwasser
als hygienisch einwandfrei nicht mehr betrachtet werden kann.
Verfasser hat nun alle in Frage kommenden Projekte ein¬
gehend studiert und berichtet das Wesentliche in der vorliegenden
Arbeit. Mastbaum (Cöln).
Peters, Über Torfltpissoirs. (Hyg. Rundschau 1907, Nr. 20.)
Die porösen, rotem Sandstein ähnlichen, nach Phenol riechen¬
den Torfitplatten werden ab und zu mit dem öligen Torfltextrakt
bestrichen. Letzterer dringt in die Platten ein und kann vom
Urinstrahl nicht weggeschwemmt werden. Die Torfltpissoirs zeichnen
sich durch Sauberkeit, Fehlen üblen Geruchs und Frostsicherheit
aus. Zur Feststellung der desinfizierenden Eigenschaften wurden
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sterile Fliesspapierstreifen mit Aufschwemmungen frischer Agar¬
kulturen von Typhus-, Coli-, Milzbrandbazillen, Staphylokokken
und Prodigiosus getränkt, verschieden lange Zeit in Torfitextrakt
getaucht, dann in sterilen Bouillonröhrchen ausgespiilt und in
andere Bouillonröhrchen gelegt. Nach einer Minute langer Ein¬
wirkung des Torfitextraktes blieben sämtliche Bouillonröhrchen für
Typhus- und Colibazillen steril; Stephylokokken und Prodigiosus
wurden nach zwei, Milzbrandbazillen nach fünf Minuten abgetötet.
Es wurde ferner eine 1 ra hohe, 30 cm breite, 2 cm dicke Torfit¬
platte aufgestellt, mit Torfitextrakt mehrfach bestrichen und, nach¬
dem dieser eingezogen war, je eine dünne Aufschwemmung der
genannten Bakterienarten von oben her in dünnem Strahl über
die Platte geleitet, unten in Drigalskischen Agar Gelatineplatten
aufgefangen und verrieben. Auf allen Stellen trat rechtzeitiges
Wachstum ein. Dies spricht gegen eine Desinfektion des Urins
in den Torfitpissoirs.
Wurden die genannten Bakterienaufschw’emmungen auf die
wagerecht gelegten Torfitplatten, in die der Torfitextrakt ein¬
gezogen war, gegossen, so war der desinfektorische Effekt noch
energischer als bei den Versuchen mit den Fliesspapierstreifen.
Wurden die Platten mit Wasser berieselt, so Hess durch das Ab¬
schlämmen des Torfitextraktes die desinfizierende Wirkung in
kurzer Zeit nach.
Vor andern Pissoirs hat das Torfitpissoir also nichts voraus.
Bermbach (Cöln).
Merckel, Mitteilungen über neuere Aufgaben des Hamburgischen
Sielwesens. (Teehn. Gemeindebl 1907, Nr. 4—7.)
Verfasser bespricht in erster Linie die Frage nach dem Ver¬
bleib der Abwässer und begrüsst es vom Standpunkte der In¬
genieure als eine erfreuliche Wendung, dass seitens der Hygieniker
allmählich wieder eine gemässigte, den praktischen und tatsäch¬
lichen Verhältnissen wirklich Rechnung tragende Anschauung ver¬
treten wird, nachdem auf diesem Gebiete sehr extreme Anschau¬
ungen die Oberhand gewonnen hatten. Er erläutert dieses aus¬
führlich an dem Werdegang, welchen die Klärfrage in den Städten
Frankfurt, Magdeburg und Cöln genommen hat. Es seien durch
die Fehlgriffe der Hygieniker durch die Auflagen, welche den
Städten gemacht wurden, vielfach unnützer Geldaufwand verursacht
worden. Nur durch den hartnäckigen Widerstand der Techniker
und der Städte seien grössere unnütze Ausgaben verhindert worden.
Angesichts dieses bedauert der Verfasser, dass der Einfluss
der Ingenieure in diesen Fragen nicht grösser ist, und dass
namentlich die Vertretung derselben in den massgebenden In-
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stanzen, insbesondere im Reichsgesundheitsrate, wo unter 55 Mit¬
gliedern nur 2 Bauingenieure sind, eine ganz ungenügende sei.
Dieser Standpunkt ist in den technischen Blättern in letzterer
Zeit mehrfach, bis jetzt aber leider ohne jeglichen Erfolg, ver¬
treten worden.
Verfasser teilt sodann mit, dass „Hamburg“ erfreulicherweise
von derartigen Missgriffen bewahrt worden sei, weil rechtzeitig
eine Verständigung der Hamburger Hygieniker und Techniker er¬
folgt sei, und gedenkt dabei des verstorbenen, verdienstvollen Me¬
dizinalrats Dr. Reineke. Es sei bei den günstigen Stromverhält¬
nissen als genügend erachtet worden, wenn eine Entfernung der
ganz schweren Sinkstoffe sowie der Schwimm- und Schwebestoffe
erfolge. Der zur Untersuchung eingesetzte Ausschuss empfahl eine
mechanische Klärung mittelst Absieben der gröberen Verunrei¬
nigungen. Ferner sollte eine gute Verteilung der Schmutzwässer
auf die ganze Breite des Stromes angestrebt werden. Es wird so¬
dann die Hamburger Kläranlage, die Ausmündung der Kanalisation
und die Pumpanlage näher beschrieben.
Eine vergleichende Übersicht der alten Hamburger Kanal¬
profile mit den Lindleyschen und den neuesten Anordnungen zeigt
die Vervollkommnung der Entwässerungstechnik. Beachtenswert
sind die Mitteilungen Über die Verhinderung der Einleitung schäd¬
licher Abwässer in die Kanäle.
Schliesslich kommt der Verfasser zu den baulichen Aufgaben,
welche dem Hamburger Sielwesen in den letzten Jahren zugefallen
sind und bespricht dabei die Anlage bei Besiedlung von Hamm
und Horn Nord. Von vielem Interesse ist dabei die Anlage der
grossen Siele im Tunnelbetrieb unter Verwendung eines Brust¬
schildes.
Man darf wohl aussprechen, dass der Aufsatz vielerlei Inter¬
essantes bietet, und dass die dem Sielwesen in Hamburg gestellten
grossen Aufgaben im Geiste der neuesten Fortschritte der Hygiene
und der Technik gelöst worden sind. Steuernagel (Cöln).
Stier, Der Militärdienst der geistig Minderwertigen und die Hilfs¬
schulen. (Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung, Heft XLII.)
Der Ersatz unseres Heeres ist nicht nur nach seiner körper¬
lichen Leistungsfähigkeit, son lern auch unter dem Gesichtspunkt
zu beurteilen, ob er in seiner geistigen Verfassung geeignet und
fähig ist, zu brauchbaren Soldaten erzogen zu werden. So leicht
es im allgemeinen ist, zweifellos geistig Kranke herauszufinden und
von der Armee fernzuhalten (die Entdeckung gelingt in der Regel
vor, spätestens kurze Zeit nach der Einstellung und führt dann
schnell zur Entlassung), so schwer ist es oft, die Leute mit geistig
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abnormen Zuständen festzustellen, die im praktischen Leben, be¬
sonders im strafrechtlichen Verfahren und in der Pädagogik, als
geistig Minderwertige bezeichnet werden, das ist „die Gesamt¬
summe derjenigen Menschen, welche nicht geisteskrank im engen
Sinne des Wortes sind, aber doch in ihrer geistigen Verfassung
von dem Durchschnitt der übrigen Menschen soweit abweichen,
dass sie mit ihren geistigen Kräften weniger leisten können als
eben der Durchschnitt der Menschen. Das Wort minderwertig be-,
zeichnet also nicht den geringeren moralischen, sondern den ge¬
ringeren sozialen Wert dieser Menschen.“ Diese Leute sollen, solange
sie Kinder sind, der Gegenstand der Hilfsschulerziehung sein.
Die grosse Zahl der Minderwertigen wird durch den Militär¬
dienst ungünstig beeinflusst und bringt der Armee einen mehr oder
minder erheblichen Schaden, welcher sich nicht nur als unnützer
Verlust an Zeit, Geld und Kraft, sondern auch in der Störung zeigt,
den die geistig Minderwertigen für die moralische Erziehung der
Truppe bedeuten. Die Aufgabe der Hilfsschulen muss nun sein,
— und darin liegt ihre Bedeutung für die Armee — die geistig
Minderwertigen so zeitig herauszufinden, dass sie von dem Eintritt
in das Heer ferngehalten werden können. Eine auf Anregung des
Wissenschaftlichen Senats der Kaiser Wilhelms-Akademie erlassene
Verfügung des Kultusministeriums vom 7. 11. 06 weist die Hilfs¬
schulleiter an, über die entlassenen Schüler den Ersatzkommissionen
Berichte einzuwenden. Verfasser verlangt, damit der Armee ein
wirklicher Vorteil erwächst, die sorgfältigste Ausführung der er¬
wähnten Verfügung, und beweist an der Hand der Statistik, dass
die bisherigen Bemühungen zur Beseitigung und Fernhaltung geistig
Minderwertiger schon einigen Erfolg (Zunahme der Entlassung
solcher Leute, Abnahme der Selbstmordziffern und der Fälle von
Misshandlungen) gehabt haben. Graessner (Cöln).
Schmalfuss, Stellung und Aufgaben des Ammen-Untersuchungs-
arztes. (Jena, G. Fischer.)
Aus der sachverständigen Besprechung dieses zeitgemässen
Themas durch den Hamburger Ammenarzt ist viel Wissenswertes
zu entnehmen.
Die amtliche Ammenuntersuchung in Hamburg erfährt eine
eingehende Schilderung an der Hand der Dienstanweisung und
beigefügter Schemata. Die Brauchbarkeit derselben findet eine
kritische Beleuchtung unter Anschluss eventueller Verbesserungs¬
vorschläge. Im letzten Teil der 34 Seiten umfassenden Broschüre
wird die Organisation der Ammenuntersuchung in Frankreich und
Russland abgehandelt unter Beifügung der dort vorgeschriebenen
Formulare. Siegert (Cöln).
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Heim-Voegtlin, Die Pflege des Kindes im ersten Lebensjahr.
[Zehn Briefe an eine jnnge Freundin.] (Leipzig, Verlag von R. Gerhard.)
Auch dies Büchlein gehört leider in die Reihe derer, wo der
sonst recht gute Inhalt über Kinderpflege bedenkliche Lehren ent¬
hält, sobald es sich um die Technik der natürlichen und künst¬
lichen Ernährung handelt, die man allerdings von einer Ärztin
nicht für möglich halten sollte.
Für den Arzt ist es nicht geschrieben, aber für die junge
Mutter eine Anleitung, welche zu schreiben dem sachverstän¬
digen Arzt allein überlassen bleiben sollte.
Die Verfasserin ist auf Grund ungenügender Erfahrung mit
dem Durchschnittssäugling, mehr gestützt auf die Beobachtung
ihrer eigenen sämtlich stark überfütterten, aber offenbar mit un¬
verwüstlichen Verdauungsorganen ausgestatteten Kinder eine prin¬
zipielle Anhängerin der Mehlverftttterung vom ersten Tag an und
von Vollmilch sobald als möglich. Sie empfiehlt dies mit Zeug¬
nissen aus Laienkreisen, welche schon in der ersten Woche Voll¬
milch geben. Der Vollmilch soll sogar noch Zucker zugesetzt
werden. Die Kalkseifen der Mörtelstühle hält Frau Dr. med. H.
für „unverdaute Käsestoffgerinnsel“, die nach ihrer Angabe auch
„in den Entleerungen gedeihlichster Brustkinder in den ersten
Lebenswochen“ oft reichlich Vorkommen! Trockenfütterungsmilch
wird als zuträglichste, gleichmässigste bezeichnet, und stets soll
dem Kinde mehr angeboten werden, als es voraussicht¬
lich trinken wird, und dazu muss es geweckt werden, wenn
drei Stunden nach der Mahlzeit vergangen sind, um genau alle
drei Stunden zu trinken! Eine Überfütterung gesunder Flaschen¬
kinder gibt es nicht!! „Vom dritten Monat an können all die
Kindermehle neben Vollmilch als Brei ein- bis zweimal täglich
gegeben werden!“
Die natürliche Ernährung wird aufs wärmste empfohlen, aber
so, dass jeder Mutter die Lust zum Stillen vergehen dürfte.
Sie muss „eine rechte Portion Hafermehlbrei zwei- bis drei¬
mal täglich“ essen, und tags und nacht6 abgekochte Milch, Milch¬
kakao und dünnen Hafermehlbrei trinken! Anfangs muss sie alle
2 1 /* Stunden stillen, später alle drei Stunden bei Tag, event. das
Kind dazu wecken. Auch darf sie keinen Alkohol geniessen. Es
wird ihr „im Gegenteil eine Wonne sein, zu wissen, dass das Kind
die Alkobolabstinenz mit der Muttermilch angesogen hat“! In der
Schweiz muss sie „als Regel“ vom 7. Monat an abstillen, sonst
„wird sie meist körperlich und gemütlich erschöpft und das Ge¬
deihen der Kinder nimmt ein Ende“.
Als Beweis für die Zuträglichkeit ihrer Lehren glaubt Frau Dr. H.
die Verdoppelung des Gewichtes in drei Monaten anführen zu können.
Cantralblatt f. all#. Gesundbeltsptiefrs. XXVII. Jahrg. 13
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Das jeder zurechnungsfähige Arzt bei den Milchverdünnungen
den entsprechenden Zusatz von Kohlehydrat in Form von Zucker
und Hafermehl allgemein vorschreibt, entgeht der Verfasserin; sie
behauptet dagegen: heutzutage würden Millionen Kinder „in ent¬
setzlicher Unterernährung“ ernährt auf die Lehren der Ärzte hin,
aus Furcht vor etwas zu viel Käsestoff und Stärkemehl!
Ich kenne überhaupt keine Schrift über Kinderernährung,
welche die von der Verfasserin den Ärzten in den Mund gelegte,
unsinnige Vorschrift: Milch mit Wasser ohne Zucker 1:3 gibt.
Und diese Behauptung wird mit keinem Material belegt!
Alle Folgen der Überfütterung aber werden hier als normal
angesehen: hartnäckige Mörtelstühle sollen monatelang klystiert
werden, statt einfach die Milchmenge resp. das Milchfett zu redu¬
zieren, was sogar hier direkt verboten wird. Unruhiger Schlaf,
gestörte Esslust und Zunahme, verminderte Widerstandskraft „gegen
jede Schädlichkeit“, Nervosität sind bei der Verfasserin normale
Erscheinungen des Zahnens! Dass sie beim überfütterten Mehlkind
ebenso selbstverständlich sind wie die „Abnahme bis zu einem
Kilo“ beim „Anfall von Magenkatarrh“ in 2—3 Tagen, entgeht
ihr ebenfalls.
Bei so wenig Rücksichtnahme auf den heutigen Stand der
Kinderheilkunde ist es begreiflich, dass hier eine Ärztin sogar dem
Laienpublikum empfiehlt, fieberhafte Erkrankungen bei Temperaturen
von 38,5°—39° bis 40° in der Achselhöhle (!) des Kindes erst dann
dem Arzt zu unterbreiten, wenn die von ihr empfohlene Hydro¬
therapie erfolglos verlief „auch nach wiederholten Wickeln“! Nur
für genau angegebene Symptome „müsstest du das sofort tun“!
Dies Büchlein füllt leider keine „Lücke da und dort aus, die
bisher offen geblieben,“ sondern es bedarf dringend der Verbesserung
an Haupt und Gliedern!
Nur die schweren Mängel desselben veranlassten diese ein¬
gehende Besprechung. Es muss in der Hand vieler Mütter schaden!
Bedauerlicherweise wird es sogar von verschiedener Seite, selbst
Ärzten (!), als „vorzüglicher Leitfaden“ usw. empfohlen.
Siegert (Cöln).
Marö, Des Kindes Ernährung und Pflege von der Geburt bis zum
Schulbeginn. (Leipzig, Krüger & Co.)
Ein im allgemeinen ganz brauchbares Büchlein, abgesehen
von bedenklichen Schwächen auf dem Gebiet der Säuglingspflege.
Leider wird hier das Mundauswaschen, besonders unter der Zunge,
vor und nach jedem Trinken empfohlen, statt energisch verboten.
Ebenfalls zu argen Irrtümern muss der Rat verleiten: sobald das
Kind an einer Brust nicht genug zu haben scheint, versäume man
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nicht, es auch noch an die andre zu legen. Auch dass eintretende
Schwangerschaft in jedem Falle das Stillen verbiete, ist nicht zu¬
zugeben, noch weniger aber gar der Rat, bei Soor alle Falten und
"Taschen des Mundes kräftig auszureiben! Aber neben diesen
Schatten bietet das Werkchen auch Licht genug und kann von
mancher Mutter mit Vorteil gelesen werden. Siegert (Cöln).
Saltet u. Falkenburg, Kindersterblichkeit, besonders in den Nieder¬
landen (Nr. 19 der statistischen Mitteilungen, veröffentlicht vom sta¬
tistischen Amt der Stadt Amsterdam. Amsterdam 1907. J. Müller.)
Eine ganz ausgezeichnete Studie, welche leider zu kurzem
Referat ungeeignet ist. Untersucht wird der Einfluss der Stärke
der Familie, der Ernährung, des Wohlstandes, der Jahreszeit auf
die Kindersterblichkeit ira allgemeinen mit besonderer Berücksich¬
tigung der Niederlande. Die Arbeit gehört zu den besten auf die¬
sem Gebiete und spricht aufs neue für die Zusammenarbeit des
Hygienikers mit dem städtischen Statistiker. Sie verdient bei dem
bescheidenen Preis von 1 Gulden einen zahlreichen Leserkreis.
Siegert (Cöln).
Esser, Die Ätiologie der Rachitis. (Münch, med. Woch. 1907, Nr. 17.)
E. glaubt die Ursache der Rachitis in der Überfütterung der
Kinder nachgewiesen zu haben! Dass dies für eine Anzahl von
Fällen, besonders bei hereditärer Disposition zutrifft, steht fest.
Aber E. hält letztere für nicht bewiesen. Stoeltzner, auf den
er sich dabei beruft, hat diese Ansicht allerdings im Handbuch der
Kinderkrankheiten gründlich revidiert und die Anschauung Sie-
gerts angenommen, den er früher bekämpfte. Dass die hyper¬
plastische Form der kräftigen, fetten Rachitiker von der Über¬
fütterung gezüchtet wird, muss E. durchaus zugegeben werden.
(Ebenso sicher aber entsteht ausgesprochene Rachitis bei früherer
Rachitis beider Eltern ohne jede Überfütterung, selbst bei knapper
Ernährung oft genug bei allen ihren Kindern. Sie findet sich so¬
gar häufig bei elenden, unterernährten Proletarierkindern ohne vor¬
herige Überfütterung. D. R.) Siegert (Cöln).
Muskat, Die Verhütung des Plattfusses mit besonderer Berück¬
sichtigung der Wehrfähigkeit. (Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1907,
Heft 16.)
Die Zahl der plattfusskranken preussischen Soldaten ist eine
verhältnismässig grosse. Im Jahre 1902/03 z. B. wurden 788 Mann
an Plattfussleiden behandelt. 5% aller Mannschaften und 26°/ 0
der Ersatzreservisten sind plattfüssig. In Preussen müssen 25 •/so.
in Österreich 33,4 °/ 00 — in Innsbruck 57,4 °/ 00 — dauernd wegen
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dieses Leidens zurückgestellt werden, sind dauernd unbrauchbar-
zum Militärdienst. Diese Tatsachen haben bereits bei der preussi-
schen Armee Berücksichtigung erfahren, und geht hier, allgemein
gesagt, die Zahl der Fusskranken von Jahr zu Jahr zurück. Man
soll vor der Dienstzeit diesen Verhältnissen mehr Aufmerksamkeit
zollen, die Ftisse durch geeignete Massnahmen so bilden und prä¬
parieren, dass die Anstrengungen der Dienstzeit ertragen werden.
Cramer (Cöln).
Riebold, Ober die Wechselbeziehungen zwischen dem Ovulations¬
vorgang inkl. der Menstruation und inneren Eirankheiten. (Münch,
med. Wochenschrift Nr. 38 u. 39. 1907.)
Verfasser, der sich schon durch mehrere Arbeiten auf diesem
Gebiet hervorgetan hat, hat sich allmählich folgenden physiologi¬
schen Standpunkt geschaffen: Mit der streng periodisch sich voll¬
ziehenden Ovulation gelangen gewisse Sekrete in den Kreislauf,,
die unter normalen Verhältnissen einmal eine Steigerung der ner¬
vösen und psychischen Reizbarkeit und dann eine Steigerung des
Blutdrucks und der vitalen Energie, eine allgemeine Erhöhung der
Stoffwechselvorgänge, eine damit einhergebende stärkere Hvperämi-
sierung der inneren Organe und einen regeren Säfteaustausch be¬
dingen; meist folgt die Menstruation jenen mit der Ovulation ein¬
hergehenden Vorgängen um einen oder mehrere Tage nach; alle
jene Vorgänge aber, die mit der Uterusblutung als solcher gar
nichts zu tun haben, können auch gänzlich unabhängig von ihr
auftreten.
Die pathologischen Erscheinungen einer ganz normal sich
vollziehenden Ovulation können folgende sein: am Zirkulations¬
apparat bei nervösen Personen eine enorm leichte Erregbarkeit
und Labilität der Herztätigkeit, bei Herzkranken quälendes Herz¬
klopfen, Kompensationsstörungen und Embolien; Neigung zu be¬
gleitenden und vikariierenden Blutungen am häufigsten aus er¬
krankten Organen (Lunge, Magen, Darm), aber auch aus gesunden
(Nase, Zahnfleisch, Lunge); sekretorische Störungen (Speichel,
Schweiss, Schnupfen); Hautaffektionen, rheumatoide Schmerzen ^
Ikterus, Koliken, Verdauungsstörungen; Depressionszustände (Selbst¬
mord), Psychosen, prämenstruelles Irresein, Chorea, Epilepsie, Mi¬
gräne; gesteigerter Basedow. Dann kommt das prämenstruelle
oder Ovulationsfieber vor: bei tuberkulösen und gynäkologisch
kranken Frauen war es schon bekannt; Verfasser hat nachgewiesen,
dass es auch nach akuten Infektionskrankheiten und überhaupt bei
Frauen vorkommt, die irgend einen Krankheitsherd, von dem au»,
toxische Substanzen resorbiert werden können, in ihrem Körper
bergen, dass es aber niemals bei vollkommen gesunden Frauen
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auftritt. Beim Fortbestehen des Krankheitsherdes kann das Ovulations-
fieber mehrmals vor jeder Menstruation rezidivieren und kann auch
~bei amenorrhoischen Frauen an den bekannten Ovulationsterminen
auftreten. In Ermangelung eines Herdnachweises kann es als ein
in sich abgeschlossenes Krankheitsbild auftreten, das Verfasser als
„rekurrierendes rheumatoides Ovulationsfleber“ beschreibt.
Alle erwähnten Störungen finden sich nur bei kranken In¬
dividuen, die demnach zur Zeit der Ovulation, d. h. meist in der
Prämenstrualzeit besonders gefährdet und deshalb schonungs¬
bedürftig sind.
Auch der Menstruation, d. h. der Uterusblutung selbst
kommt eine gewisse Bedeutung in der Pathogenese innerer Krank¬
heiten zu: einmal können durch Resorption von toxischem bezw.
infektiösem Material aus den menstruierenden Genitalien krank-
lind fieberhafte Zustände hervorgerufen werden, und dann ist,
besonders durch den Blutverlust in den letzten Tagen der Men¬
struation die Widerstandsfähigkeit herabgesetzt, so dass die Frauen
zu verschiedenen Erkrankungen infektiöser Natur (Angina, In¬
fluenza usw.) mehr disponiert sind als sonst.
Über den Einfluss, den innere Krankheiten auf die Ovulation
und Menstruation ausüben, ist nicht viel zu sagen. Die strenge
Periodizität der funktionstüchtigen Ovarien geschlechtsreifer In¬
dividuen scheint durch Gesundheitsstörungen nicht beeinflusst zu
werden. Die Menstruation dagegen kann kürzer oder länger dauern,
schwächer oder stärker, früher oder später auftreten oder ganz aus-
bleiben. Mühlschlegel (Stuttgart).
Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬
wesen über die Zulässigkeit eines Zusatzes von Formaldehyd zur
Handelsmilch. Vierteljahrschr. f. gerichtl. Med. u. öffentl. Sanitäts¬
wesen. H. 3, 1907.
Die Wissenschaftliche Deputation setzte sich zusammen aus
den Professoren Heubner, Rubner und Förster. Den unmittel¬
baren Anlass zu diesem Auftrag des Ministeriums bildete eine An¬
regung des Polizeipräsidenten von Berlin, der auf ein Gutachten
von Prof. v. Behring binwies, das in einem wegen Formaldehyd¬
zusatzes zur Milch eingeleiteten Ermittelungsverfahren erstattet wurde,
und das ihm in hohem Grade geeignet erschien, die sanitätspoli¬
zeilichen Massnahmen zwecks Versorgung der Bevölkerung mit
•einwandfreier Kuhmilch nachteilig zu beeinflussen.
Die Deputation erwähnte in dem Gutachten zunächst die bis¬
her gewonnenen experimentellen Unterlagen für die schädigenden
Wirkungen auf den tierischen und menschlichen Organismus, und
•bespricht ausführlich die Beobachtungen, die in der Universitäts-
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klinik für Kinderkrankheiten zu Berlin von 14 schwächlichen und 1
leicht erkrankten Säuglingen angestellt worden sind; drei davon,
haben geringe Ausscheidungen von Eiweiss gezeigt. Sodann unter¬
zog sie die in dem v. Behringschen Gutachten dargelegten Gründe
einer Erörterung, um auch zu dem etwaigen Nutzen eines Formal¬
dehydzusatzes Stellung zu nehmen.
Das Ergebnis ihrer Betrachtungen fasst die Deputation in fol¬
genden Schlusssätzen zusammen:
1. Es ist weder durch die Versuche an menschlichen Säug¬
lingen noch auch durch die bisher veröffentlichten Versuche von.
Behrings an Tieren dargetan, dass die Formaldehydmilch in be¬
zug auf ihre Verdaulichkeit und Ausnützbarkeit einer in gewöhn¬
licher Weise reinlich gewonnenen Kuhmilch überlegen ist.
2. Es ist, wenn auch nicht sicher erwiesen, doch auch nicht
sicher auszuschliessen, dass ein auch nur in dem Verhältnis von
1 :25 000 erfolgender Zusatz von Formaldehyd zur Säuglingsmilcb
bei wochen- und monatelangem Genuss eine Schädigung des Nieren¬
epithels beim jungen Kind herbeizuführen vermag.
3. Die Freigabe eines Formaldehydzusatzes zur Handelsmilch
würde mit Sicherheit dazu führen, dass zersetzte, die Gesundheit
schädigende Milch unter der Maske frischer Milch an das Publikum
verkauft und von diesem, insbesondere von Säuglingen, konsumiert
würde. Selbst der Deklarationszwang würde dagegen nicht helfen,,
da das Publikum erfahrungsgemäss derartige Deklarationen nicht zu
beachten pflegt. Eine Kontrolle aller Kuhställe, Molkereien, Mileh-
läden usw., die Tag für Tag ausgeübt werden müsste, würde sich
der Kosten wegen verbieten.
Aus diesen Gründen muss der Zusatz von Formaldehyd zur
Handelsmilch schlechthin als unzulässig bezeichnet werden.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Die Zentralstelle für Volkswohlfahrt und Deutscher Verein,
für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege wenden sich in einer
Eingabe betreffend die Unterernährung auf dem Lande und deren.
Folgeerscheinungen an die Regierungen sämtlicher Bundesstaaten.
In eingehender Begründung ist darauf bingewiesen, wie durch die
starke Abfuhr der besten Erzeugnisse des Bodens und der Vieh¬
zucht die Ernährung auf dem Lande immer schlechter geworden
und an die Stelle gesunder natürlicher vielfach minderwertige
Nahrungsmittel und künstliche Fabrikate getreten seien. Das
Stillungsvermögen der Frauen auf dem Lande sei gesunken und
damit die Säuglingssterblichkeit ganz rapide gestiegen. Diese
Schilderungen, welche für einige Landesteile mit reichlichem Zahlen¬
material belegt sind, müssen jedem Sozial Politiker zu denken geben.
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Die Kraft unseres Volkes beruht doch eben in einem gesunden
Volksstamm und die Stadtbevölkerung hat sich bisher noch immer
wieder vom platten Lande ergänzt.
Die Eingabe fordert zunächst von den Regierungen Er¬
hebungen und die Aufstellung einer Statistik über den Wandel in
der Ernährung, der Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge, sowie
der Scbulkindernot auf dem Lande, um Klarheit zu schaffen und
eine Unterlage für entsprechende Abhilfemassnahmen zu gewinnen.
Solche Erhebungen erfordern eine lange und kostbare Zeit, und
bei der grundsätzlichen Ablehnung der Militärverwaltung, das
Material der Aushebungen zu statistischen Zwecken verarbeiten
zu lassen, werden einer solchen Statistik immer grosse Mängel an¬
haften. Dass die geschilderte Unterernährung namentlich in Be¬
zirken mit einer niederen Kulturstufe besteht, ist sehr wohl mög¬
lich, besonders wenn schlechte Bodenverhältnisse den Landbe¬
wohner nötigen, sich der gut bezahlten Erträgnisse seinerwirtschaft
zu entäussern um die Mittel zur Deckung seiner sonstigen Bedürf¬
nisse zu beschaffen. Der einmal vielleicht aus Not beschrittene
Weg lockt zur Wiederholung; denn bares Geld ist es, was den
Bauersmann reizt-. Er weiss nicht, dass er damit gegen seine und
seiner Familie Gesundheit sündigt. Diesem Zustande abzuhelfcn,
wird der Weg der Gesetzgebung wohl niemals beschritten werden
können. Aussicht auf erfolgreiche Abhilfe bietet nur derselbe
Weg, der den gegenwärtigen Zustand herbeigeftihrt hat. Unter
dem Druck einer intensiv betriebenen Aufklärung hat die Bevöl¬
kerung in den Städten den wirklichen Wert der natürlichen Nahrungs¬
mittel kennen und schätzen gelernt. Die lebhafte Nachfrage brachte
eine grosse Abfuhr nach der Stadt. Der Landmann gibt etwas
her, dessen wahren Wert er nicht zu schätzen weiss, aber auch
ihm ist wohl, wie jedem Lebewesen, das eigne Leben, seine Ge¬
sundheit am liebsten, so dass Aufklärung durch Flugschriften und
Vorträge auch hier sehr bald den gewünschten Erfolg zeitigen
würden. R.
Lehmann, Vorläufige Mitteilungen über Tabakstudien. (Hyg. Rund¬
schau 1907, Nr. 18.)
Lässt man eine Zigarre oder Zigarette durch eine Säugpumpe
vollständig aufraueben, so findet man im Rauch der Zigarette
80—92°/ 0 des Nikotins; in dem der Zigarre sogar 90—95°/ 0 . Die
erheblichen Mengen von Pyridin sind nicht aus dem Nikotin ent¬
standen. Aus 10 Zigaretten werden vom Raucher etwa 14—10mg
Nikotin absorbiert. Von dem grossen Ammoniakgehalt des Rauches
wird nur ein kleiner Prozentsatz absorbiert; es ist im Rauch ein
Körper vorhanden, der die Absorption von Nikotin und Ammoniak
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stört: vermutlich Teer. Die Stärke einer Zigarre geht nicht ohne
weiteres dem Nikotingehalt parallel. Bermbach (Cöln).
Schröder, Über chronische Alkoholpsychosen.
Verfasser stellt in der vorliegenden Schrift eine Untersuchung
an über die ätiologische Bedeutung des Alkohols bei chronischen
Psychosen. Während im allgemeinen Übereinstimmung darüber
herrscht, dass bestimmte akute Störungen, besonders Delirium
tremens und Alkoholhalluzinose, in ursächlichem Zusammenhang
mit dem A^koholgenuss stehen, gehen die Meinungen in bezug auf
die ursächliche Bedeutung des Alkohols bei chronischen Psychosen
sehr auseinander.
Die Durchmusterung der in der Literatur niedergelegten Fälle
ergibt zunächst als erschwerendes Moment für die nachträgliche
Beurteilung eine grosse Verschiedenheit der Symptomenbilder, die
von den einzelnen Forschern unter der Bezeichnung einer chro¬
nischen Alkoholpsychose beschrieben werden. Indem Verfasser nach
drei Gruppen die sämtlichen Krankheitsformen sondert, kommt er
zu folgenden Schlüssen:
1. Allgemein anerkannt ist die ätiologische Bedeutung des
Alkohols bei Entstehung der psychischen Störungen, die unter dem
Namen des chronischen Alkoholismus zusammengefasst werden und
die nach erzwungener Abstinenz mehr oder weniger rasch ver¬
schwinden.
2. Paralyse ähnliche Krankheitsbilder, die durch Alkohol
hervorgerufen werden, sind klinisch in einzelnen Fällen im Beginn
nur schwer von echter Paralysis progressiva zu unterscheiden, der
weitere Verlauf sichert aber immer die Diagnose. Die histopatbo-
logischen Veränderungen des Gehirns sind dagegen bei echter
Paralyse immer ganz andere wie bei den durch Alkohol bedingten
Psychosen.
3. Den Paranoia ähnlichen Krankheitsbildern gegenüber nehmen
die verschiedenen Forscher eine verschiedene Stellung ein. Während
die Mehrzahl hervorhebt, dass es wohl charakterisierte Krankheits¬
prozesse gebe, bei denen der Alkohol die alleinige oder wenigstens
die hauptsächlichste Ursache bilde, vertritt Bonhoeffer die Mei¬
nung, dass nur Delirium und akute Halluzinose spezifisch alkoholi¬
schen Ursprungs seien, alle andern Psychosen aber in letzter
Instanz auf andere Ursachen zurückzuführen seien.
Die vom Verfasser selbst beobachteten und näher beschriebenen
Krankheitsfälle dokumentieren nur die zahllosen Schwierigkeiten,
die sich zurzeit noch der Beantwortung der Frage, ob es chronische
Psychosen spezifisch alkoholischen Ursprungs gibt, entgegenstellen.
Zurzeit ist weder durch diese Krankengeschichten noch durch die
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sonst in der Literatur niedergelegten der Beweis erbracht, dass
es chronische Psychosen gibt, die nur durch den Alkohol bedingt
sind. Fuchs (Cöln).
Bieling, Der Alkohol und der Alkoholismus. (Der Arzt als Erzieher
Heft 25.)
Da der Alkohol neben Tuberkulose und Lues die haupt¬
sächlichste Ursache der Erkrankungen ist, so hat der „Arzt als
Erzieher“ vor allem andern die Pflicht,. der Gesamtheit gegenüber
für Aufklärung in der Aikoholfrage zu sorgen.
Verfasser erörtert in vorliegendem Vortrag in gemeinverständ¬
licher Weise zunächst die Entstehung des Alkohols in den alkoholi¬
schen Getränken, um dann die Wirkung desselben auf die Zellen
des Organismus zu zeigen, die im wesentlichen als eine zellschä¬
digende anzusprechen ist. Dabei ist noch von Wichtigkeit die
experimentell nachgewiesene Tatsache, dass diese Giftwirkung um
so schneller und intensiver auftritt, je feiner organisiert die Zelle
ist, je höhern Funktionen sie dient. Dadurch erklärt sich, dass
das Zentralnervensystem und speziell das Gehirn zunächst und am
tiefsten geschädigt wird. Die geistigen Vorgänge werden auch
durch die kleinste Menge Alkohol erschwert, die anscheinende An¬
regung und Erleichterung des Gedankenablaufs ist eine Täuschung
und als Lähmungserscheinung aufzufassen.
Ebenso verhält es sich mit der Wirkung auf das Muskel¬
gewebe; jeder Sportsmann weiss heute, dass er zur Erzielung von
Höchstleistungen des Alkohols sich enthalten muss.
Im weitern schildert Verfasser dann den Einfluss des Alkohols
auf die übrigen Organe, wobei er betont, dass nicht nur die
notorischen Trinker und Trunkenbolde es sind, welche den schäd¬
lichen Wirkungen des Alkohols verfallen und zu Alkoholisten
werden, sondern grade zahlreiche Personen, welche die Bezeichnung
als „Trinker“ mit Entrüstung zurückweisen würden.
Ein besonderes Kapitel ist der Rolle gewidmet, die der Alkohol
bei Unfällen spielt, sei es, dass der Alkoholisierte selbst zu Schaden
kommt, oder zu Unfällen Veranlassung gibt. Nachweislich sind
eine grosse Menge Unfälle in Fabriken, auf Eisenbahnen und
Schiffen auf Alkoholgenuss als Ursache zurückzuführen.
Nach einer kurzen Erörterung des Zusammenhanges von
Alkohol und Verbrechen sowie von Alkohol und Rasse (keim¬
schädigende Wirkung des Alkohols) wird ausführlicher über die
Bekämpfung des Alkoholismus gesprochen, ln dem Streit, ob Mässig-
keit oder Enthaltsamkeit zu fordern sei, entscheidet Verfasser sich
für letztere, da nur diese Dauererfolge aufzuweisen habe. Es folgt
dann eine Übersicht über die verschiedenen Vereinigungen, die
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sich die Bekämpfung des Alkoholismus zur Aufgabe gemacht
haben.
Im letzten Kapitel (Arzt und Alkohol) bekämpft Verfasser mit
Recht die früher und vielfach auch wohl jetzt noch verbreitete
Unsitte, jedem Kranken zur Stärkung Alkohol zu verordnen. Die
Forderung aber, den Alkohol vollständig aus allen Sanatorien, Heil¬
stätten und Krankenhäusern zu verbannen, geht mir doch etwas
zu weit, warum soll man ihn als Genussmittel, selbstverständlich
in bekömmlichen Grenzen, nicht zulassen? Der Ansicht, dass er
sicht in Irrenanstalten und solche Sanatorien, die Alkobolisten zur
Heilung aufnehmen, hineingehört, stimme ich gerne bei.
Ira allgemeinen ist die vorliegende Schrift allen denen, die an
der Gesunderhaltung unseres Volkes mitzuarbeiten berufen sind, zur
Aufklärung über den Alkohol und seine Gefahren warm zu emp¬
fehlen. Fuchs (Cöln).
Berghaus, Über die Verbreitung von Infektionsstoffen. (Arch. für
Hyg., Bd. Hl, S. 164, 1907.)
Beim Urinieren können Keime auf dem Wege der Tröpfchen¬
infektion auf weitere Strecken (bis 1 m) verstäubt werden. Noch
mehr ist dies der Fall bei Defäkation in Wash-out-Closete. Hier
werden die Keime durch die Spülflüssigkeit verspritzt. Ebenso
können durch Springbrunnen und Badebrausen Keime auf weitere
Entfernung in Tröpfchen form verspritzt und durch Luftströmungen
fortgerissen werden. An Trichterklosetts ist die Gefahr der Keim-
verstreuung geringer. Liebermeister.
v. Esmarch, Verwendung aller Ätzkalkpräparate zu Desinfektions -
zwecken. (Hyg. Rundschau 1907, Nr. 18.)
Die schnelle Abnahme der Desinfektionswirkung nicht sorg¬
fältig von der Luft abgeschlossener Kalkpräparate ist schon von
verschiedenen Seiten betont worden. Der gewöhnliche Grubenkalk
ist dem viel inkonstantem Chlorkalk bei weitem vorzuziehen. Noch
nach vierjährigem Aufbewahren in einem mit Brettern zugedeckten
Erdloch hatte derselbe nichts von seiner Desinfektionskraft ein-
gebüsst. Auch Ätzkalk in Pulverform eignet sich zu Desinfektions¬
zwecken und lässt sich viele Jahre aufbewahren, wenn er nur
gegen die Luft gut abgeschlossen wird. Bermbach (Cöln).
Doerr und Raubitscbek, Über ein neues Desinfektionsverfahren
mit Formalin auf kaltem Wege. (Wiener kiin. Wochenschr. Nr. 24.
1907.)
Nach vielen Vorversuchen schlagen die Verfasser vor, auf
100 cbm 2 kg Kaliumpermanganat, 2 kg Formalin und 2 kg
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Wasser zu verwenden. In ein oder besser mehrere recht grosse
Gefässe aus Metall (Bleeheimer, Waschzuber, Kochkessel, Bade¬
wanne, alte Fässer) wird zunächst das Kaliumpermanganat hinein¬
geschüttet, sodann das Formalin-Wassergemisch. Man hat dann
einige Sekunden Zeit, den Raum zu verlassen, die Türe zu schliessen
und, wenn nötig, von aussen abzudichten. Da die Masse sehr
heftig aufschäumt, darf man in ein Gefäss, das ca. 25 Liter fasst,
nicht mehr als je 1 kg von jedem Reagens (Kaliumpermanganat,
Formalin, Wasser) einftillen. Um die Entstehung von Flecken des
Fussbodens durch Überlaufen zu verhüten, was übrigens bei Ein¬
haltung der vorstehenden Massregel nicht vorkommt, kann man
die Gefässe auf Bretter, alte Tische oder Tücher stellen. Nach
sechsstündiger Einwirkung ist die Desinfektion beendet. Die Türen
werden geöffnet und der Formalindampf durch Lösung oder durch
Ammoniakneutralisation mit dem Ammoniakentwicklcr entfernt.
Die Kosten einer Desinfektion nach diesem amerikanischen, von
den Verfassern modifizierten Verfahren betragen etwa 3*/, M. auf
100 cbm, sind also mehrfach geringer als beim Autanverfahren.
Demnach wäre es jetzt auch dem Landarzte, ja jedem intelli¬
genten Laien möglich, ohne Apparat eine Desinfektion vorzunehmen.
Da sich flüssiges Formalin durch minimalen Seifenzusatz in
feste, haltbare, durch Wasser wieder lösliche Form bringen und
dann in Blechbüchsen verpacken lässt, erscheint diese Methode
auch für Kriegs- und Manöverzwecke verwendbar.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Bartel und Spieler, Experimentaluntersuchungen über natürliche
Infektionsgelegenheit mit Tuberkulose. (Aus d. patholomat. Inst,
in Wien). (Wien. klin. Wochenschr. Nr. 38. 1907.)
Nach den Ergebnissen der bisherigen Untersuchungen des
Wiener Instituts mag nur eine ganz besonders reichliche und
längere Zeit währende Infektionsgelcgenlicit geeignet sein, auch
auf dem Inhalationswege in die Lungen genügend Keime zur Ent¬
wicklung einer Tuberkulose gelangen zu lassen. Bei kurzdauernder
gleichreichlicher Infektionsgelegenheit hat es wenigstens für das
jugendliche Alter (Schmutz- und Schmierinfektion) allen Anschein,
als ob die ausschlaggebende Zahl von Keimen den Weg in den
Verdauungskanal und von da in die übrigen Organe und nament¬
lich in die Lungen findet. Mag dabei auch bei dem widerstands¬
fähigeren Menschen zunächst keine manifeste Tuberkulose im
Bereich des Darmtraktus entstehen, so kann doch ein solches Vor¬
kommnis keineswegs als eine harmlose, ■ ohne schädigende Folgen
für den Gesamtorganismus nebenhergehende Infektion zu be¬
trachten sein.
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Die Verfasser haben nunmehr weiter experimentiert, indem
sie in die reinlich gehaltene Wohnung einer Familie, von der ein
Mitglied an kavernöser Lungentuberkulose litt, 8 Meerschweinchen
brachten und dort bei voller Bewegungsfreiheit 23 Tage lang
umherlaufen Hessen. Der kranke, 20jährige Sohn pflegte sein
tuberkelbazillenreiches Sputum in eine Spuckflasche, die er bei sich
trug, zu werfen; die andern Personen zeigten keine offene Tuber¬
kulose. Die Ergebnisse waren unter diesen Verhältnissen wesentlich
anders, als bei den einer kräftigeren Infektion ausgesetzten Tiere
4er früheren Versuchsreihen: nur 1 Tier starb nach 6*/t Monaten
au erworbener Tuberkulose, 1 hatte eine abgeheilte Pleuritis und
2 Marasmus, was mitunter bei Tieren, die einer Tuberkuloseinfek¬
tion ausgesetzt waren, ohne manifeste tuberkulöse Veränderungen
beobachtet wird.
Die Untersuchungen zeigen, dass die Reinlichkeit der Wohnung
und die Behandlung des Sputums das empfindliche Meerschweinchen
nicht gegen die Tuberkulose schützen konnte, somit auch, dass
eine rein antibazilläre Prophylaxis selbst dort, wo Intelligenz und
verständnisvolles Entgegenkommen von seiten eines Kranken vor¬
handen sind, nicht immer in idealer Weise durchführbar ist. Es
mag dabei sicherlich die Zahl der Keime eine sehr starke Ver¬
minderung erfahren, aber mit der Zeit doch noch gross genug sein,
einen kindlichen Organismus oder speziell disponierte ältere Indi¬
viduen mit Erfolg zu infizieren.
Mit der antibazillären Prophylaxis allein können somit die
Aufgaben der Hygiene nicht erschöpft sein, sondern auch die
Lösung von Fragen der Disposition speziell zur Tuberkulose ist mit
dazu berufen, einen erfolgreicheren Kampf gegen die Ausbreitung
dieser Krankheit zu ermöglichen. Mühlschlegel (Stuttgart).
Weigert, Über den Einfluss der Ernährung auf die Tuberkulose
(Berl. klin. Wochenschrift Nr. 38. 1907.)
W.s Untersuchungen sind von der aus der klinischen Beob¬
achtung hergeleiteten Überzeugung ausgegangen, dass die chemische
Zusammensetzung des Organismus der wichtigste Faktor in der
Bestimmung der natürlichen Immunität sei. Hieran hatte sich die
Überlegung geschlossen, dass man auf die Widerstandskraft des
Organismus Einfluss gewinnen könnte, wenn es gelänge, seine
chemische Zusammensetzung — Konstitution — durch eine ziel¬
bewusst geleitete Ernährung zu modifizieren.
Den Beweis für diese Bedingung erbrachte er an Hunden:
die überwiegend mit Kohlehydraten gefütterten Tiere hatten einen
viel grösseren Wassergehalt als die mit fettreichem Futter ernährten
Tiere, diese dagegen einen grösseren Trockensubstanzgehalt als jene.
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Nunmehr galt es zu untersuchen, wie sich Tiere mit Fett-
ftttterung und Tiere mit Kohlehydratfütterung Infektionen gegen¬
über verhalten. W. nahm hierzu 10 Schweine und impfte sie,
nachdem sie in 3 Monaten ihr Gewicht mehr als verdoppelt hatten,
mit je 5 ccm einer Aufschwemmung zerriebenen, perlsüchtigen
Gewebes unter die Rückenhaut. Das Ergebnis war, dass die
tuberkulöse Infektion bei denjenigen Schweinen, welche durch
die reichliche Fettzufuhr gemästet waren, durchweg einen bei
weitem günstigeren Verlauf genommen hat, als bei den¬
jenigen Tieren, die bei fettarmer Kost mit grossen Mengen von
Zucker und Mehl gefüttert wurden.
Hiermit ist zum erstenmal der Beweis geglückt, dass bei
einer bestimmten Säugetierspezies der Verlauf der tuberkulösen
Infektion sich auch nach dem Ernährungsregime richtet, unter dem
die Tiere vor und während der Erkrankung stehen.
W. will die Ergebnisse keineswegs ohne weiteres auf den
Menschen übertragen wissen; sie sollen aber zeigen, dass der heute
fast allgemein angenommene Grundsatz — Überernährung de»
Tuberkulösen in jedem Falle — nicht rundweg anzunehmen ist,
und dass es mindestens nicht gleichgültig ist, womit diese Mästung
ausgeführt wird. Er stellt daher für etwaige Versuche an tuber¬
kulösen Menschen folgende Leitsätze auf:
1. Mästung jeder Art ist an sich nicht imstande, den Verlauf
der Tuberkulose aufzuhalten.
2. Der im Proletariat aus wirtschaftlichen Gründen geübte
Modus, den täglichen Kalorienbedarf neben eben genügender Eiweiss¬
zufuhr überwiegend durch Kohlehydrate zu decken, schafft für die
Ausbreitung der Tuberkulose einen günstigeren Boden als der in
den besser situierten Klassen mögliche, relativ grosse Verbrauch
von Fetten.
3. Bei der Ernährung Tuberkulöser ist diesen Gesichtspunkten
Rechnung zu tragen, indem die Kohlehydrate der Nahrung durch
Fett so weit ersetzt werden, als es möglich ist, ohne in den Fehler
einer einseitigen Ernährung zu fallen.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Scherer, Die Gefährdung eines gesunden Ehegatten durch einen
Tuberkulösen. (Wien. med. Presse Nr. 38. 1907.)
Tuberkulöse Frauen sollten unter keinen Umständen heiraten,
weil die Ehe für sie beträchtliche Gefahren mit sich bringt. Nament¬
lich Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Laktation beein¬
flussen erfahrungsgemfiss die latente oder manifeste Tuberkulose
in der Regel ungünstig.
Tuberkulösen Männern kann man die Ehe nur dann gestatten.
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■wenn bei ihnen mindestens einige Jahre hindurch keine Tuberkel¬
bazillen im Auswurf nachweisbar waren und auch sonst keinerlei
Anzeichen dafür vorhanden sind, dass die Tuberkulose noch als
„aktiv“ angesehen werden muss, und wenn die wirtschaftlichen
Verhältnisse derart sind, dass auch im Falle einer Verschlimmerung
genügende Pflege, ausreichende Ernährung und Beachtung der
erforderlichen Vorsichtsmassregeln den Gesunden gegenüber ge¬
sichert sind.
Kommt eine tuberkulöse Erkrankung in einer Familie vor,
so muss der Kranke alles vermeiden, was eine Infektion seiner
Angehörigen zu befördern imstande ist. Er muss auf die unschäd¬
liche Beseitigung seines Auswurfcs und auch sonst auf peinlichste
Reinlichkeit bedacht sein. Leichtkranke, deren Leiden noch be¬
hoben werden kann, sind möglichst bald in Heilanstalten unter¬
zubringen. Die Isolierung der Sch werkranken ist unbedingt an¬
zustreben, um eine Infektion der Gesunden zu verhüten. Nach
dem Tode des Kranken sind die Wohnung, das Bett und die von
siem Verstorbenen getragenen Kleidungs- und Wäschestücke einer
gründlichen Desinfektion zu unterziehen.
Der Erlass eines Gesetzes, welches Personen mit aktiver
Tuberkulose das Eingehen einer Ehe verbietet und das Heiraten
Tuberkulöser ohne Gesundheitsattest mit schwerer Strafe bedroht,
ist anzustreben. Mühlschlegel (Stuttgart).
v. Schrötter, Über Anzeigepflicht bei der Tuberkulose. (Referat
auf d. 6. internst. Tuberkulose-Konferenz. Wien. klin. Wochenschrift
Nr. 38. 1907.
Alle erkannten Fälle von Tuberkulose, meint v. Schrötter,
müssen zur Anzeige kommen. Die Anzeige muss der Arzt erstatten.
Die Sanitätsorgane, besonders die Fürsorgestellen, können ihm dabei
behilflich sein; doch wird immer der Arzt Bericht zu erstatten
haben, ob im einzelnen Falle eine weitere Massregel, z. B. Unter¬
bringung in einer Krankenanstalt oder Sanatorium zu treffen ist.
Die Anzeige darf nicht zur allgemeinen Kenntnis gelangen.
Als eine natürliche Folge der Anzeigepflicht muss die Behörde
auf gesetzlich geregelte Weise das Recht haben, alle zum Schutze
der Allgemeinheit nötigen Schritte ebenso durchzuführen, wie dies
für andere Infektionskrankheiten gilt, so hinsichtlich des Berufs,
des Verkehrs, des Wohnungswechsels usw. Bei der volksvernichtenden
Gefährlichkeit der Tuberkulose und der Notwendigkeit, alle Mittel
au ihrer Abwehr anzuwenden, ist für sie die allgemeine Anzeige¬
pflicht unentbehrlich und wie andere Länder, besonders Norwegen,
zeigen, auch durchführbar. Mühlschlegel (Stuttgart).
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Bade, Über die Rolle des Typhus in der Ätiologie der Gallen¬
steine. (Media. Klinik 1907, Nr. 47.)
Schlüsse: 1. Die bakteriologische Untersuchung der Galle bei
Cholelitbiasis und der Gallensteine selbst ergibt in einem grossen
Prozentsatz der Fälle die Anwesenheit von Vertretern der Koli-
gruppe.
2. Jedoch ist die Annahme einer so frühzeitigen postmortalen
Aufwanderung der Kolibazillen aus dem Darm, wie sie bisher an¬
genommen wurde, nicht haltbar.
3. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass in vielen Fällen
die Kolibazillen der Gallenblase nicht mehr ihre volle Eigenschaften
besitzen, was dafür spricht, dass sie sie innerhalb der Gallenblase
verloren haben müssen.
4. Typhusbazillen wurden in 25 wahllos untersuchten Gallen¬
steinfällen kein einziges Mal in der Galle oder in Steinen gefunden.
Dieser negative Befund widerspricht den neuerdings von verschie¬
denen Seiten gemachten Bemühungen, dem Typhus in der Ätiologie
der Gallensteine eine erhebliche Rolle zuzuschreiben.
5. Auch statistische Erhebungen in Orten wie München, in
denen seit 20 Jahren der Typhus stark zurückgedrängt ist, ohne
dass die Zahl der Gallensteinerkrankungen nachgelassen hat, spre¬
chen gegen den Zusammenhang von Typhus und Gallensteinen.
Jedoch werden solche Zählungen erst dann von Wert sein, wenn
die ganzen Generationen aus der Typhuszeit gestorben sein werden.
6. Die Bedeutung der Fälle, in denen neuerdings Typhus¬
bazillen in der Galle bei chronischer Cholezystitis und bei Choleli-
thiasis gefunden wurden, darf also nicht überschätzt werden. Zum
mindesten muss anderen Infektionserregern dieselbe Bedeutung zu-
ge8cbrieben werden, da sie alle auf hämatogenem Wege in die
Leber gelangen und von da in die Gallenblase ausgeschieden wer¬
den können, wo sie durch Erregung von Entzündung zu Sekretions¬
anomalien und zur Konkrementbildung Veranlassung zu geben ver¬
mögen. Boas jr. (Berlin).
Abe, Über den Nachweis von Typhusbazillen an den Läusen
Typhuskranker. (Münch, med. Wochenschrift Nr. 39. 1907.)
Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Stechmücke der
direkte Vermittler der Malaria ist und dass Fliegen die pathogenen
Keime aus dem Unrat der Cholera- und Dysenteriekrauken auf
Nahrungsmittel übertragen und dadurch die Krankheit weiter¬
verbreiten. Da die Typhusbazillen auch im Blut Vorkommen, ist es
leicht denkbar, das sie in den Körper von Hautparasiten (Läuse
und Flöhe) und Stechmücken übergehen, wenn diese Blut saugen.
Der Japaner Nakao Abe fand nun tatsächlich in den Kleider-
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UNIVERSUM OF IOWA
194
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und Kopfläusen, welche an vier typhuskranken Japanerinnen schma¬
rotzten , zu 75 °l o Typhusbazillen. In Flöhen, die auf Pflegerinnen Typhus¬
kranker schmarotzten, waren sie nicht nachzuweisen. Jedenfalls
ist aus den Befunden zu entnehmen, dass das Ungeziefer am
menschlichen Körper bei der Verbreitung der kontagiösen Infektions¬
krankheiten, insbesondere bei Typhus, wahrscheinlich eine wichtige
Bolle spielt. Mühlschlegel (Stuttgart).
Chantemesse, L’Ophthalmo-diagnostic de la Fiövre typhoide.
(Deutsche med. Wochenschrift Nr. 39. 1907.
Ch. hat die Augenbindebaut auf ihre Empfindlichkeit gegen¬
über dem Typhustoxin geprüft, in ähnlicher Weise wie es v. Pirquet
und Wolff-Eisner mit Tuberkulin getan haben, und ist zu sehr
beachtenswerten Ergebnissen gelangt. Nachdem er auf ziemlich
umständliche Weise von Typhuskulturen ein pulveriges Toxin
erhalten hatte, bereitete er sich daraus eine Lösung, von der ein
Tropfen x /*—1 Toxin enthielt. Brachte er nun mit einem
Tropfglas von dieser Lösung einen Tropfen in den Bindehautsack,
so entstand bei Typhuskranken und -rekonvaleszenten nach 2 bis
3 Stunden eine Rötung der Bindehaut und der Tränendrüse, etwas
Tränenträufeln und etwas fibrinöses Exsudat, — kurz eine gelinde
Entzündung, die nach weiteren 4 bis 7 Stunden den Höhepunkt
erreichte und 2 bis 6 Tage anhielt; bei typhusfreien Personen waren
die Erscheinungen geringer und verschwanden schon am 1. Tag
wieder.
Ch. bat diese diagnostische Methode in mehr als 200 Fällen
angewandt und keinen Misserfolg gesehen. Er hat sogar mehrmals
eine positive Reaktion beobachtet, während die sero-diagnostische
Methode negativ ausfiel und erst einige Tage später positiv wurde.
Mühlscblegel (Stuttgart).
Brummund, Erfahrungen bei einer grösseren Typhusepidemie.
(Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., 56. Bd., 3. Heft, S. 425—435.)
Bericht über eine Typhusepidemie, welche Ende Juni 1905
in Mulsum, einem Dorfe von 784 Einwohnern im Kreise Stade,
ausgebrochen war. Es liess sich deutlich nachweisen, dass sowohl
diese als auch eine im Jahre 1902 herrschende Epidemie ihren
Ausgangspunkt von einer bestimmten Molkerei, die nicht nach
streng hygienischen Vorschriften arbeitete, genommen hatten.
Mastbaum (Cöln).
Erb, Anti kr itisches zu meiner Tripperstatistik. (Münch, med. Woch.
1907, Nr. 31.)
Eine Erwiderung auf die Einwände gegen die früher referierte
Erbsche Tripperstatistik. Erb tritt nochmals für die Richtigkeit
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
195
seiner Zahlen und seiner Methode ein, er betont, dass Blaschko
jeden einzelnen Tripper zählt, während es doch nicht so sehr auf
die Einzelkrankheiten als auf die Zahl der tripperkranken Indi¬
viduen ankommt. Er hebt auch hervor, dass seine Statistik durch¬
aus nicht aus einer besonders begünstigten Menschenklasse ent¬
nommen ist, da sie 80 °/ 0 der am meisten gefährdeten Bevölkerungs¬
schichten, Kaufleute, frühere Studenten und Offiziere, enthält.
Zinsser.
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Altschul, Lehrbuch der Körper- und Gesundheitslehre für Mädchenlyzeen.
Leipzig u. Wien 1908. F. Tempsky.
Bericht über den XIV. Internationalen Kongress für Hygiene und Demo¬
graphie. Bd. I. Berlin 1908. A. Hirschwald.
Bofinger, Dr. med. A., Die andauernde gewohnheitsmässige Stuhl¬
verstopfung. München 1908. Ärztl. Rundschau. Preis gbd. 1.50, br. 1.20M.
Burwinkel, Dr. O., Die Herzleiden, ihre Ursachen und Bekämpfung.
10. bis 12. verm. u. verb. Aufl. München, Ärztl. Rundschau.
Gr über, Prof. Dr. M., Kolonisation in der Heimat. München u. Berlin
1908. R. Oldenbourg. Preis 30 Pf.
Gudden, Prof. Dr. H., Über Massensuggestion und psychische Massen¬
epidemien. München 1908. Ärztl. Rundschau.
Häberlin, Dr. med. H., Die Ethik des Geschlechtslebens. Berlin 1908.
F. Wunder. Preis 50 Pf.
Hovorka, Dr. O. v., und Kronfeld, Dr. A., Vergleichende Volksmedizin.
1. Lief. Stuttgart 1908 Strecker & Schröder. Preis 80 Pf.
Kirchner, Prof. Dr. M., Die Bekämpfung der Tuberkulose und die Für¬
sorge für die Phthisiker. Jena 1908. G. Fischer.
Lischnewska, M., Die geschlechtliche Belehrung der Kinder. 4. erweit.
Aufl. Frankfurt a. M. J. D. Sauerländer.
Nassauer, Dr. M , Der Arzt der grossen und der kleinen Welt. München
1908. Ärztl. Rundschau. Preis 2 M.
Schlossmann, Prof. Dr. A., Die Pflege des Kindes in den zwei ersten
Lebensjahren. 2. Aufl. München u. Berlin 1908. R. Oldenbourg.
Rapport Annuel de Vilie de Bruxelles, 4. Division Administrative.
Annee 1906.
VI. Internationale Tuberkulose-K onferenz Wien vom 19. bis 21. Sept.
1907. Bericht von Prof. Dr. Pannwitz. Berlin 1907. Kommissionsverlag
Rudolf Mosse.
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UNIVERSITY OF IOWA
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Die Verteilung der Unglücksfälle der Arbeiter
auf die Wochentage und die Tagesstunden.
Von
H. Bille-Top, Kopenhagen.
Im folgenden werde ich eine Statistik Uber 300 Unglücksfälle
ans meiner Privatpraxis mitteilen. Seit 1898 habe ich über alle
Unglücksfälle an Versicherten, zu denen ich teils zufällig, teils
als Hausarzt, teils als Krankenkassenarzt zugezogen wurde, regel¬
mässig Aufzeichnungen gemacht, darunter auch solche über den Tag
und die Stunde des Unfalls. Die hier mitgeteilten Unfälle betreffen
bloss Männer und Weiber der Arbeiterklasse und nur Verletzungen
bei der Arbeit. Es sind also nur die schlimmeren und schlimmsten
mitgenommen, weil alle leichten Fälle nicht entschädigt werden.
Die Zahlen sind absolut.
Die Unglücksfälle der Männer (Tabelle 1) nehmen von Montag
bis Freitag ab, um danach zu steigen, mit Ausnahme des Sonntags.
Die Abnahme ist besonders gross an den ersten Tagen der Woche.
Von Mittwoch bis Donnerstag und von Donnerstag bis Freitag ist
sie unbedeutend. Des Sonntags finden die wenigsten Unfälle statt,
natürlich weil an diesem Tage sehr wenig gearbeitet wird. Die
Unfälle der Frauen (Tabelle 1) nehmen von Montag bis Dienstag
zu und scheinen sich danach ziemlich unverändert bis zum Sonn¬
abend zu halten, wo wieder eine kleine Steigerung stattfindet.
Tabelle 1.
i
Mon-
; tag
Diens¬
tag
Mitt¬
woch
Don¬
ners¬
tag
Frei¬
tag
! Sonn¬
abend
Sonn¬
tag
Zu¬
sammen
Männer 1898—1907
50
46
34
34
1
83
43
7
247
Frauen 1898—1907
4
10
12
10
■
9
13
—
58
Das Verhältnis der Unglücksfälle bei Frauen zeigt die
Bedeutung des Ruhetages, wenn er auf rechteWeise zugebracbt
wird, zugleich aber die kurze Dauer dieser Wirkung, denn schon
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jabrg. 14
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UNIVERSITÄT OF IOWA
198
am Dienstag sind die Arbeiterinnen wieder ebenso müde, als sie
am Freitag vorher waren. Die Steigerung des Sonnabends beruht
— meinen Aufzeichnungen nach — auf der grossen Geschäftigkeit
am Sonnabend und besonders darauf, dass die Maschinen, um Zeit
zu gewinnen, während des Betriebes gereinigt werden. Die Unglücks¬
fälle der Männer verlaufen entsprechend dem Inhalt des Geld¬
beutels. Das Minimum fällt auf den Tag, der abends die Löhnung
bringt. Schon am Dienstag abend ist der Beutel wieder bedenklich
geleert; die Anzahl der Unfälle nimmt dann am Mittwoch beinahe
bis zum Minimum ah. Die Kurve der Männer zeigt also die
Bedeutung des Trunkes. — Die Zahl der Unglücksfiille der
Männer (Tabelle 2) steigt von morgens um 6 bis 12 Uhr, sinkt danu
am Mittag plötzlich und stark, steigt dann wieder von 1 bis 5 Uhr,
um aufs neue abzusinken. Es gibt also 2 Maxima, das eine zwischen
11—12 Uhr, und das andere zwischen 4—5 Uhr. Die Unglücks¬
fälle der Frauen (Tabelle 2) verhalten sich anscheinend ähnlich.
Tabelle 2.
Tageszeit
1898—1907
u
7-
8-
9—
10-
11-
112—
1—
2—
3—
4—
5-
6—
!7-
8—
nachts
Männer ....
2
11
12
16
20 :
84
5
9
14
26
29
20
7
1 2
2
7
Frauen.
2
2
3
8
8
6
1 _
1
5
^ 8
2
5
3
1
1
1
M.+F. des
Sonnabends
_
_
5
6
5 1
1 '
2
l_3 i
9_
10
5
-
1
_
_
1
Männer .... j
25
70
28
75
—
—
| -
—
M.+F. des
Sonnabends;
5
16
6
|
24
1 —
1 _
—
Die Ursache des bei den Männern von 6—8 Uhr morgens
beobachteten Steigens ist die, dass die Arbeiter allmählich in diesen
Stunden mit der Arbeit anfangen. Von 8 Uhr an sind gewiss die
allermeisten mit Arbeit beschäftigt, und die darauffolgende Steigerung
hat mau also der zunehmenden Müdigkeit zu verdanken. Die Ab¬
nahme zwischen 12—1 Uhr hat natürlich ihren Grund iu der
Mittagspause, wo die Arbeit meistens überall ruht. Die Steigerung
von 1—2 Uhr rührt davon her, dass die Arbeit allmählich wieder
aufgenommen wird, die Steigerung zwischen 2—5 Uhr beruht wieder
auf der zunehmenden Abgespanntheit, und die Abnahme nach 5 Uhr
auf den Umstand, dass allmählich jetzt Feierabend gemacht. Die Ver¬
hältnisse zwischen 2—3 Uhr zeigen die sehr grosse Bedeutung
der Mittagsruhe, indem die Unfälle von 34 zwischen 11—12 Uhr
bis 14 zwischen 2—3 Uhr abnehmen. Es gibt nur ein wenig mehr
Unglücksfälle am Nachmittage zwischen 12—6 Uhr als am Vor-
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UNIVERSUM OF IOWA
199
mittage zwischen 6— 12 Uhr, und nur ein wenig mehr nachmittags
zwischen 12 — 3 und 3 —6 Uhr als vormittags zwischen 6— 9 und
9— 12 Uhr. Das bedeutet aber nicht viel, weil von 5—6 Uhr
weniger gearbeitet wird als von 11 — 12 Uhr. Wenn die gleiche
Anzahl arbeitete, würden die Unfälle zwischen 5—6 Uhr gewiss
weit zahlreicher sein als zwischen 11 — 12 Uhr, da sie zwischen
4—5 Uhr zahlreicher sind als zwischen 10—11 Uhr, und die Un-
glQcksfälle des Nachmittags würden also im ganzen weit zahlreicher
«ein als die des Vormittags.
Zwischen 9—12 und 3—6 Uhr finden fast dreimal so viele
Unglücksfälle bei Männern statt als zwischen 6—9 und 12—3 Uhr.
Des Sonnabends gibt es unter den Männern und den Weibern zu¬
sammen dreimal so viele Unfälle zwischen 9—12 als zwischen
6—9 Uhr und viermal so viele Unfälle zwischen 3—6 als zwischen
12-3 übr.
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UNIVERSUM OF IOWA
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Ergebnisse der Waldschule.
Aus den Heilanstalten der Stadt M.-Gladbach
(Direktor Dr. Schäfer).
Von
Dr. H. Grau, früherem II. Arzt.
Die Waldschulbewegung steht noch in ihren Anfängen. Von
endgültigen Resultaten kann einstweilen keine Rede sein. Aber
das Interesse wendet sich ihr in Deutschland in immer weiteren
Kreisen zu, nicht minder im Auslande. So hat der bekannte jüngst
verstorbene Grancher (1) für Paris die Forderung der Gründung
von Schulsanatorien erhoben. Wie gross speziell in England die
Aufmerksamkeit ist, die man den modernen Einrichtungen ähnlicher Art
schenkt, davon zeugt ein kürzlich von der englischen Unterrichts¬
behörde dem Parlament vorgelegter Bericht (2), der die gesamten
Bestrebungen dieser Art, auch die deutsche Waldschulbewegung
eingeschlossen, einer kritischen Würdigung unterzieht. Noch ist
das Ganze ja ein Experiment. Aber grade bei einem Gegenstände,
der sich noch so im Stadium des Versuches befindet, und andrerseits
so vielversprechende Anfänge gezeigt hat, darf es berechtigt er¬
scheinen, einiges aus der Fülle der neuen Beobachtungen und
Eindrücke mitzuteilen, die die Waldschule liefert.
Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass eine Anstalt steht
und fällt mit der Persönlichkeit des Leiters. Die Persönlichkeit
des Waldschullehrers ist für die Schule von ausschlaggebender
Bedeutung. Es soll hier von der scbultecbnischen Seite ganz ab¬
gesehen werden. Aber die Frage berührt auch aufs stärkste den
wirtschaftlichen Betrieb und beeinflusst die gesundheitlichen Erfolge.
Vom Waldschullehrer muss verlangt werden, dass er den Arzt in
der Beobachtung des Gesundheitszustandes der Kinder unterstützt, —
er kann ihm darin sehr wertvolle Fingerzeige liefern, — dass er vor
allem dem Arzte in den hygienischen Bestrebungen, von denen
später die Rede sein wird, zur Hand geht. Die Stellung |des
Waldschullehrers ist durch all diese Verhältnisse keineswegs eine
leichte und gross ist die Summe von minuziöser Beobachtung und
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
201
Sorgfalt, die grade hier in der individualisierenden Behandlung der
Kinder von ihm gefordert wird.
Anch die ärztliche Aufsicht muss eine intensive sein. In der
hiesigen Waldschule wurde täglich ärztlicher Besuch ausgeführt.
Die erstmalige Untersuchung bei der Aufnahme des Kindes soll
Ungeeignete ausschalten, sie soll über den Einzelfall orientieren,
soll vor allem die Kinder auswählen und vormerken, die in erster
Linie einer fortgesetzten gesundheitlichen Überwachung bedürftig
erscheinen. Endlich soll sie eine vorläufige Entscheidung liefern,
ob und ev. in welchem Umfange das Kind am Turnunterricht
und an den Spielen teilnehmen darf *). Der weitere ärztliche Dienst
setzt sich ans Kleinarbeit zusammen, die darum nicht geringer zu
achten ist, dass sie hier und da die Linie der rein ärztlichen
Tätigkeit vielleicht überschreitet. Der Arzt muss hier vor allem
als Hygieniker wirken. Worauf soll sich die hygienische Erziehung
<ler Kinder erstrecken, wie soll sie geübt werden? Plakate mit
schönen und zahlreichen Lebensregeln, wie sie in den Schulen auf¬
gehängt werden, nützen nicht viel — man sieht niemals ein Kind
■davor stehen. Will man Kinder zur Hygiene erziehen, so muss,
was man ihnen bietet, sachlich beschränkt, einfach und einleuchtend
sein. Ich habe mich daher mit Rücksicht auf Alter und Fassungs¬
vermögen der Kinder begnügt, zwei Punkte hervorzuheben, diese
-allerdings immer wiederholt und eindringlich: Reinlichkeit und
Körperhaltung. Der erste, als Händewaschen vor Tisch und Nägel¬
reinigen, in der Waldschule praktisch geübt, dürfte von grosser
Wichtigkeit für die Bekämpfung der Schmutz- und Schmierinfektion
besonders mit Tuberkulose sein. Es gilt, den Kindern einen ge¬
wissen unwillkürlichen Abscheu vor dem Essen mit schmutzigen
Händen einzuimpfen. Das gelingt in der Tat, wenn auch nur bei
einem Teil, freilich nur durch unablässig erneute Bemühung.
Das zweite, die Körperhaltung, ist ein Moment, dessen gesund¬
heitliche Bedeutung ebenso gross ist, wie — in vielen Fällen
wenigstens — seine Vernachlässigung in der Schule. Es bedarf ja
keines Wortes, dass der Körperhaltung für die Funktion und —
beim Kinde — demnach für die Entwicklung der Respirations- und
Zirkulationsorgane eine ganz wesentliche Wichtigkeit zukommt, ganz
abgesehen von ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Wirbel¬
säulenverbiegungen. Es hat sich hier bewährt, die Kinder, deren
Haltung ganz besonders zu Besorgnissen Anlass bot, täglich bei der
Visite einzeln beim Arzte sich vorstellen zu lassen, um ihre Haltung
zu zeigen oder verbessern zu lassen.
Eine wichtige Frage ist die Verteilung von Ruhe und Be-
1) Eine Anweisung darüber erhält der Lehrer.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
202
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wegung. Die Waldschule bietet uns die Möglichkeit, die Vorteile
der Freiluft-Liegekur den Kindern zugänglich zu machen, daneben
aber auch durch Turnen, Bewegungsspiele und Spazierengehen
den Organismus des Kindes zu kräftigen. Es gilt, aus der Kom¬
bination beider Faktoren den grösstmöglichen Nutzen zu ziehen.
Den Wert der körperlichen Ausbildung des Kindes beginnt
man jetzt überall zu würdigen. So berichtet kürzlich Herbst-
Barmen (3) über die Erfolge eines versuchsweise eingeführten
orthopädischen Spielkursus für kranke und zurückgebliebene Schul¬
kinder jüngeren Alters, und seine Erfolge dürfen als äusserst er¬
freuliche bezeichnet werden. In der hiesigen Waldschule wurde in
diesem zweiten Betriebsjahre auch für die Mädchen Turnunterricht
von einer Turnlehrerin erteilt.
Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass für das Turnen
wie für die Bewegungsspiele alles auf richtige Auswahl der Kinder
und der Übungen, individualisierende Überwachung und systematisches
Vorgehen ankommt. Eine Reihe von Kindern musste aus gesund¬
heitlichen Rücksichten ausgeschlossen werden. Es wurde nach un-
sern Erfahrungen im Laufe der Zeit dieser Kreis weiter gezogen
als früher. Wir konnten z. B. die Beobachtung machen, dass grade
zarte, lebhafte, erethische Kinder sich bei den Laufspielen förmlich
abbetzten. So war es notwendig, den Rundlauf nur zu ganz be¬
schränkten Stunden den Kindern zugänglich zu machen. — Die Zeit
zwischen Mittagessen und Nachmittagsmilch — von l‘/i—3 1 /« Uhr —
wurde als Liegezeit verwendet. Während der Ferien, wo auch
morgens die Kinder hinreichend in Bewegung waren, wurde noch
eine morgendliche Liegestunde (10—11 Uhr) eingelegt. Auch dann
bleibt noch die Anzahl der Stunden für die Bewegung eine hin¬
reichend grosse.
Eine-Reibe von Kindern, im ganzen 44, erhielten eine Sool-
badekur. Die Bäder wurden in einer kleinen Badeanstalt verab¬
folgt, die zu diesem Zwecke im Laufe des Berichtsjahres im An¬
schlüsse an die Räumlichkeiten der nahen Walderhoiungsstätte er¬
richtet wurde. Über die Erfolge kann bei der geringen Erfahrung
ein Urteil nicht abgegeben werden.
Für die Beurteilung der erzielten Erfolge war die Grösse
der Gewichtszunahme weniger massgebend als der klinische Gesamt¬
eindruck. Es ist das ja ein vager Begriff, und man könnte meinen,
dass die unten gegebene Erfolgsstatistik einer wissenschaftlichen
Kritik nicht standhält. Indes will es fast scheinen, als ob wir in
unserer Zeit der exakten Methoden immer mehr geneigt wären, den
Gesamteindruck für das ärztliche Auge, das klinische Bild, gegen¬
über der Reagenzglasdiagnose in den Hintergrund treten zu lassen.
Es seien einige Worte über die Zusammensetzung des Krankheits-
Gck igle
Original fru-m
UNIVERSUM OF IOWA
203
materials vorausgeschickt. Der weitaus grösste Teil waren jene
Kinder von anämischem Aussehen, in mehr oder weniger dürftigem
Ernährungszustände, bei denen man oft die Reste alter Rachitis
neben Residnen durchgemachter Erkrankungen, z. B. Katarrhe der
Atmungsorgane, feststellen konnte. Bei vielen Kindern fand sich
eine Mikropolyademie, die, wenn sie mit ekzematösen Erkrankungen
vergesellschaftet war, die Diagnose Skrophnlose gestattete, die in
andern Fällen auf Grund der nachgewiesenen häuslichen Infektions¬
gelegenheit eine versteckte Tuberkulose vermuten liess, die endlich
in Verbindung mit anämischem Aussehen, Unterernährung nsw. oft
den Untersucher in Verlegenheit setzte, in welches klinische Fach
sie einzuordnen seien. Unter diesen Reserven sei folgende Einteilung
des Kindermaterials der hiesigen Waldschule gegeben:
Anämie 78. Skrophulose 92. Tuberkulose und Tuberkulose¬
verdacht 49. Herzfehler 11. Der Rest setzte sich aus anderweitigen
Erkrankungen verschiedener Art zusammen. Die Gesamtzahl der
Kinder betrug 253.
Die Erfolge waren
I in 147 Fällen
n in 39 „
III in 14 „
Unter I sind die mit „sehr gutem“, „gutem“ und „ziemlich
gutem“ Erfolge entlassenen Kinder vermerkt.
Gruppe II umfasst die als „mässig“ erholt, Gruppe III die
als „wenig oder nicht erholt“ entlassenen Kinder.
(Nicht aufgenommen in die Statistik sind die Kinder, die als
ungeeignet entlassen wurden, ferner alle, die weniger als 4 Wochen
in der Waldschule waren [hierher gehört ein Teil der nur in den
Ferien aufgenommenen Kinder] und endlich alle jene Kinder, die
aus irgend einem Grunde am Tage der Schlussuntersuchung fehlten.)
Wie die Dauerresultate sein werden, ist eine besondere Frage.
Es ist sicher zu erwarten, dass bei einer ganzen Reihe von Kindern
das Resultat nicht standhalten wird, besonders wo es sich um Tuber¬
kulose und Skrophulose bandelt. Vollends ist gegen elende häus¬
liche Verhältnisse der beste Kurerfolg machtlos.
Die Kurdauer betrug in der Norm etwa 2 Monate. Bei einer
ganzen Reihe von Kindern gelang es, besonders wo die Armen¬
verwaltung der Stadt M.-Gladbach die Kosten trug, die Kur auf
3, 4, ja 5 Monate, je nach Bedürfnis, zu verlängern. Dass für das
Gros auch unserer leichtkranken Kinder eine längere Kurzeit als
durchschnittlich 2 Monate wünschenswert ist, bedarf keines Wortes.
Aber wo, wie hier, die Zahl der in Betracht kommenden Kinder
gross ist, wo die Kosten von der Armenverwaltung und einem
Wohltätigkeitsverein getragen werden, da hat man die Wahl, weniger
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Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
204
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Kinder für längere Zeit aufzunehmen, oder die Vorteile der Wald-
scbnle einem grosseren Kreise, wenn anch für kürzere Zeit, zu¬
gänglich zn machen. Das eine ist rationeller, das andere mehr
durch die Verhältnisse geboten.
Aber noch etwas anderes drängt sich dem Beobachter anf:
Eine Reihe von Kindern erreicht trotz anf Monate hinaus verlängerter
Kur nicht den gewünschten Grad von Kräftigung. Da kommen
zwei Abhilfsmittel in Frage: Wiederholungskuren (bis jetzt schon
in einzelnen Fällen mit erfreulichem Erfolge durchgeführt) und
stationärer Betrieb. Grade die Wohlfahrtseinrichtungen der Stadt
M.-Gladbach, die nebeneinander Waldschule, Walderholungsstätte
und Heilstätte enthalten, geben zu einem Vergleich der Wirksam¬
keit der einzelnen Anstaltsprinzipien gute Gelegenheit. Es springt
da in die Augen, dass Frauen und Kinder sich in der Heilstätte
rascher erholen als in der Walderholungsstätte, während bei den
Männern die Verhältnisse günstiger liegen. Damit ist nichts gegen
die Wälderholungsstätteu gesagt. Sie leisten, was sie leisten können,
für viele Fälle völlig Ausreichendes und wirken dabei nicht so
schädigend auf die Arbeitslust und das psychische Moment der
Arbeitsfähigkeit, wie das bei den Heilstätten leider in manchen
Fällen eintritt. — Aber die raschere Erholung ist eben ein Vorteil
der geschlossenen Anstalt. Ich meine: es drängt alles auf eine
Verwendung des geschlossenen Anstaltsbetriebes auch für die Wald¬
schule hin. In Praxi würden sich die Verhältnisse so gestalten,
dass in einfachen, festen Bauten (am besten Fachwerk) eine Anzahl
von Kindern während des Waldschulaufenthaltes dauernd untergebracht
wird. Das Charakteristische würde sein eine Verbindung von
Internat und Externat. Das Gros der Kinder käme nur tagsüber
in den Wald, während die schwächlichsten, aus der grossen Zahl
der andern ausgelesen, in den stationären Teil der Anstalt auf¬
genommen würden. Es brauchte sich da nur um einen kleinen
Teil, vielleicht schätzungsweise um ein bis zwei Zehntel der Gesamt¬
zahl, je nach Bedürfnis, zu handeln. Stellt sich bei der Beobachtung
heraus, dass ein Kind im „Externat“ schlecht vorwärts kommt, so
wird es in das „Internat“ übernommen. Fraglos würde das den
Betrieb einer Waldschule erheblich verteuern, aber wenn man mit
einfachen Mitteln arbeitet, doch nicht in unerschwinglichem Masse.
Hier wäre der stiftenden, privaten Wohltätigkeit ein dankbares,
weites Feld geöffnet.
Solche eigentlichen Schulsanatorien sind ja schon anderwärts
vorhanden. In Kolberg wurde ein Schulsanatorinm eröffnet (4), ein
weiteres ist in Mühlhausen im Eisass (5) in Betrieb. Auch in
Charlottenburg scheint man auf Grund der dortigen Erfahrungen
zu ähnlichen Schlüssen gekommen zu sein. (Vergl. Neuffert (6).
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Ein kurzes Wort sei noch der Verbindung von Walderholungs¬
stätte und Waldschule gewidmet. Wenn nach den Berichten in
einzelnen Kindererholungsstätten (7) schwertuberkulöse Kinder neben
anderweitig Erkrankten aufgenommen werden, so haben wir, wie
erwähnt, streng an dem Grundsätze festhalten zu müssen geglaubt,
dass offene Tuberkulosen ausgeschlossen blieben. Wenn auch nicht
zu leugnen ist, dass für Erwachsene in jedem Wirtshauszimmer, in
jedem Strassenbahnwagen die Tuberkulose-Infektionsgefahr grösser
ist als in einer gutgeleiteten Anstalt, besonders Walderholungs¬
stätte — so können wir für Kinder doch in der Vermeidung der
Infektionsgefahr nicht weit genug gehen und halten den sichersten
Weg für grade gut genug. Da der wirtschaftliche Betrieb der
Waldschule mit dem der hiesigen Walderholungsstätte eng vereint
ist — die Kinder werden zum Essen in die Walderholungsstätte
hinübergeführt —, so musste konsequenterweise bei der unvermeid¬
lichen, wenn auch geringen Berührung mit den Patienten der Wald¬
erholungsstätte und der Gemeinsamkeit des Essgeschirrs auch aus
dieser Anstalt jede auch nur mit Wahrscheinlichkeit offene Tuber¬
kulose ausgeschlossen werden. Übrigens war diese Auslese, die
durch eine sorgfältige Aufnahmeuntersuchung bewirkt wird, auch
vorher schon eingeführt als ein Postulat der hiesigen Ärzte- und
Patientenschaft, dem notgedrungen Folge gegeben werden musste.
Es lässt sich nicht leugnen, dass so ein Teil des geeigneten Materials
von den Walderholungsstätten ausgeschlossen wird. Will man aber,
wie das neuerdings vielfach geschieht, aus wirtschaftlichen Gründen
die Betriebsgemeinschaft durchführen, so wird man diesem Punkte
seine Aufmerksamkeit nicht versagen dürfen.
Es gilt heute nicht mehr als begründet, von einer Schul-
Dberbttrdung zu sprechen. Ad. Czerny (Breslau) (8) spricht sich
dahin aus, dass objektiv feststellbare Störungen durch angebliche
Überarbeitung in der Schule sich nur bei psychopathischen Kindern
(= solchen mit nervöser Veranlagung) vorfinden. Es mag gewagt er¬
scheinen, an der Ansicht eines so erfahrenen Pädiaters Kritik zu
üben. Aber man wird notwendig zugeben müssen, dass in der
grösseren Stadt die Schulanforderungen an Kinder herantreten, die
in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht auf gesundheitlichem Normal¬
niveau stehen. Es muss eben zwischen absoluter und relativer
Schädigung unterschieden werden. Eine Schädigung braucht nicht
zur Erkrankung zu führen. Wenn sie auch nur ein Zurückbleiben
in der Entwicklung, eine Verminderung der Vitalität bewirkt, so
bleibt sie darum doch nicht minder eine Schädigung. Aber auch
abgesehen von der Überbürdungsfrage bleibt Gesundheitswidriges
genug übrig. Eine Aufklärung Über diese und andre scbulhygienische
Fragen werden wir erst durch die Arbeit und Erfahrung der Schul-
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UNIVERSUM OF IOWA
206
ärzte erhalten. Noch steht diese Institution in ihren, wenn ancb
vielversprechenden, Anfängen. Noch ist nicht einmal die Frage, ob
Schularzt im Haupt- oder Nebenamt, Mannheimer oder Wiesbadener
System, das Richtige ist, im Prinzip entschieden. H. Leubuscher (9)
ist der Ansicht, dass ftlr grössere Städte die Anstellung von Berufs¬
schulärzten zweckmässig sein mag, dass im allgemeinen aber der
Schularzt im Nebenamte das richtige und durchführbare System ist.
Dagegen will Stephani (Mannheim) (10) das System nebenamtlicher
Schulärzte auf Landschulen und kleinere Städte mit einer Gesamt¬
schülerzahl von weniger als 1000 Schülern beschränkt wissen. Für
eine grössere Schalbevölkerung kommt nach ihm allein das System
des Schularztes im Hauptamte in Frage, wenigstens wenn neben
der üblichen Anfangsuntersuchung der Hygiene des Schulbetriebes
und der Einzelbeobachtnng genügende Aufmerksamkeit zugewendet
werden soll. Auch H. Selter (11) bezeichnet die Anstellung des
Schularztes im Hauptamte als „das Höchste, was wir vorderhand
erreichen können, da dieser seine ganzen Kräfte der Schule widmen
und sich während seiner Tätigkeit auch mit Leichtigkeit die für
den Schularzt unbedingt erforderlichen pädagogischen und hygienischen
Kenntnisse erwerben kann. u Auch zur Klärung dieser Frage dürften
die Beobachtungen in der Waldschule einiges beitragen. Es handelt
sich ja freilich schon um eine Auslese von pathologischem Material.
Aber doch nur um die Bedürftigsten, neben denen sich noch eine
grosse Zahl mehr oder weniger kranker oder wenigstens nicht voll¬
gesunder Kinder in der Schule findet. Die Mannigfaltigkeit der
pathologischen Befunde, die Verschiedenartigkeit in der Individualität
des Kindes und damit seines Krankheitsfalles und der wünschens¬
werten hygienischen Massnahmen erfordern eine ganze und intensive
Betätigung und spezielle Erfahrung und lassen — die Verhältnisse
ins Grosse übertragen — jedenfalls für mittlere und grössere Städte
die hauptamtliche Tätigkeit eines Schularztes (das „Mannheimer Sy¬
stem“) als das einzig Rationelle erscheinen. Greift man nur die
Tuberkulose der Lunge und der tracheobronchialen Drüsen heraus,
so ist die Diagnose dieser Affektionen im Kindesalter bisher noch
verhältnismässig so wenig bearbeitet und oft so schwierig, dass nur
eine mehrmalige eingehende Untersuchung des suspekten Falles zur
sicheren Ansicht führt. Also allein die Tuberkulose-Auslese wird
eine grosse Menge Zeit absorbieren. Will man daneben auch den
übrigen Krankheitszuständen und prophylaktischen Indikationen
gerecht werden, will man den gradezu unentbehrlichen Konnex
mit den Eltern des Kindes in nutzbringender Weise betätigen, will
man weiter die gesundheitliche Mustergültigkeit der Scbul-
einrichtuDgen und des Schulbetriebes in möglichst hohem Grade
erreichen, so kommt doch wohl in erster Linie die hauptamtliche
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UNIVERSUM OF IOWA
207
Tätigkeit in Frage. Das darf wohl auch aus der Art und dem
Umfange der ärztlichen Tätigkeit in der Waldschule geschlossen
werden, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die Erfahrungen
in der allgemeinen schulärztlichen Tätigkeit dasselbe Resultat er¬
geben werden.
Literatur.
1) Gran eher, La tuberculose ganglio-pulmonaire dans T6cole parisienne.
Bull. m6d. 20, 87.
2) School-Excursions and Vacation-schools. Special reports on educa-
tional subjects. Vol. 21. Presented to both houses of parliament by
command of his Majesty.
3) Herbst, Über die Erfolge eines versuchsweise eingeführten ortho¬
pädisch-gymnastischen Spielkursus für kranke und zurückgebliebene
Schulkinder. Centralbl. f. allg. Gesundheitspfl. 27, 1 u. 2.
4) Deutsche Med. Woch. 06 Nr. 3.
5) Die Waldschule in Mülhausen im Eisass im Schuljahre 1906.
6; Neuffert, Die Waldschulen. VII. Jahresversammlung des Allge¬
meinen deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege. Dresden, 6. und
7. Juni 1906. Bericht Deutsche Med. Woch. 06 Nr. 45.
7) Die Erholungsstätten vom Koten Kreuz bei Berlin. Bericht der Ab¬
teilung IV für Erholungsstätten über das Betriebsjahr 1905.
8) Ad. Czerny, 14. Internat. Kongress für Hygiene und Demographie,
23. bis 29. IX. 07. Bericht Münch. Med. Woch. 07 Nr. 46.
9) G. Leubuscher, Schularzttätigkeit u. Schulgesundheitspflege. Leip¬
zig, B. G. Teubner. Ref. Münch. Med. Woch. 07 Nr. 45.
10) Stepbani-Mannheim, 14. Internat. Kongress für Hygiene und Demo¬
graphie, 23. bis 29. IX. 07. Bericht Münch. Med. Woch. 07 Nr. 46.
11) H. Selter, Die wesentlichsten Fortschritte auf dem Gebiete der Schul¬
hygiene während der letzten Jahre. Deutsche Med. Woch. 06 Nr. 43.
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VI. Jahresbericht der Lungenheilstätte Holster¬
hausen bei Werden-Ruhr für 1907.
Von
Chefarzt Dr. F. Köhler.
Die Heilstätte blieb, abgesehen von einem geringen Rückgang
in der zweiten Hälfte des Januar bis Mitte März, dauernd voll
besetzt. Ungünstig beeinflusst wurden die Betriebsergebnisse, weit
merkbarer wie im Vorjahre, durch die allgemeine Preissteigerung
in allen Lebens- und Gebrauchsmitteln. Nicht nur die Fleisch-,
Mehl-, Gerste-, Hafer-, Butter-Preise stiegen ganz erheblich, sondern
auch die Krankenpflegemittel, die Beleuchtungsmaterialien usw.
brachten durchweg einen Teuerungszuscblag, der sich äusserst un¬
liebsam bemerkbar machte. Der Milchpreis stieg von 14 auf
15 , / 2 Pf. pro Liter. Die Löhne für unsere landwirtschaftlichen
Arbeiter und das Maschinenpersonal sowie für das Dienstpersonal
der Anstalt mussten durchweg gesteigert werden. Diese Verhältnisse
brachten die Notwendigkeit der Erhöhung des Pflegesatzes für
Selbstzahler der II. Klasse sowie für alle anderen überweisenden
Stellen, abgesehen von der Landesversicherungsanstalt Rbeinprovinz,
mit der ein besonderes Abkommen getroffen werden wird, auf
3,70 M. mit sich. Der Pflegesatz für die Kranken der I. Klasse
mit Einzelzimmer beträgt 6 M.
Den Ergänzungen im Haushalt sowie den Reparaturen und
der würdigen Ausgestaltung der ausgedehnten Park- und Wald¬
anlagen der Anstalt wurde die gebührende Aufmerksamkeit zu¬
gewandt.
Die Erträgnisse der Ackerwirtschaft waren durchaus
günstig. Der Kartoffelanbau wird künftig eingeschränkt, dagegen
besondere Pflege dem Hafer- und Gerstenbau zuteil werden. An
Hafer wurden im vergangenen Jahre 99 1 /* Zentner geerntet. Der
Heubedarf für vier Pferde wurde für das Jahr 1908 gesichert, eine
geringere Menge wie im Vorjahre bleibt zum Verkauf übrig. Die
Gemüseernte war ebenfalls im abgelaufenen Jahre zufriedenstellend.
Im Herbst hatten wir einen erfreulichen Vorrat an Kohlarten,
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UNIVERSUM OF IOWA
J
Anstaltsansicht.
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Rüben usw., der auch noch weit in den Winter hinein verwendet
werden kann. Der Preis für angekanfte Konserven stellte sich er¬
heblich höher gegenüber den Vorjahren.
Die Schweinemast, zu der 10 Tiere dreimal im Jahre an¬
gekauft wurden, ergab ein zufriedenstellendes Resultat heim Verkauf
der gutgenährten Sehweine. Die Entleerung des grossen Fisch¬
teiches im November hatte ein so reichhaltiges Erträgnis an
Ruhr- und Weissfischen, dass zwei Mittag- und zwei Abendmahl¬
zeiten gegeben werden konnten. Die Obsternte war, was Birnen
und Pflaumen betrifft, recht erfreulich. Die Leitung der Heilstätten-
ökonomie lag, wie bisher, in der Hand des Obergärtners Für-
bringer, dem zwei Gehilfen und 8—10 landwirtschaftliche
Arbeiter zur Seite stehen.
Im Maschinenbetrieb sind keine Störungen zu verzeichnen.
Als Maschinenmeister blieb Herr Frohn tätig.
In der Anstalt erforderte die Kühlanlage einen wesentlichen
Umbau durch Erniedrigung der Decke und Anlage eines zweck¬
mässigen Eiskastens sowie durch Isolierung der Wände. — Für
die notwendig werdende Ergänzung unserer Bibliothek spreche ich
unseren Freunden und Gönnern gegenüber die Bitte aus, geeignete
Bücher und Zeitschriften uns gelegentlich gütigst überweisen zu
wollen. Wir bitten die Sendungen unfrankiert zu lassen.
An mehreren Winterabenden fanden belehrende Vorträge,
z. T. mit Lichtbildern statt, um die sich in dankenswerter Weise
Herr Lehrer Mablmann aus Heid hausen verdient machte. In den
Sommermonaten wurden zwei grössere Ausflüge nach Krummenweg
bei Hösel und nach Nierenhof bei Langenberg unternommen. An
mehreren Sonntagen fanden Gesangvorträge von Vereinen und
Konzerte statt.
Am 28. Mai beehrte Se. Hochwttrden der Herr Weihbischof
Dr. Müller aus Cöln die Anstalt mit seinem Besuche. — Das
Weibnachts- und Sylvesterfest wurde in üblicher Weise gefeiert.
Herr Assistenzarzt Dr. A. Lissaucr wirkte auch im ver¬
gangenen Jahre mit Gewissenhaftigkeit und Umsicht an der Anstalt.
Als Oberin blieb Frl. B. Nötel, als Schwestern drei Angehörige
des Mutterhauses vom Roten Kreuz in Elberfeld tätig. In den
Wärterstellen trat keine Änderung ein, was in Rücksicht auf die
Erhaltung der Einheit und die bei allen drei Wärtern zu rühmende
Zuverlässigkeit mit Befriedigung zu begrüssen ist.
An wissenschaftlichen Arbeiten wurden aus der Heil¬
stätte veröffentlicht:
1. F. Köhler, Ein Fall von Lungentuberkulose in der Unfall¬
begutachtung nach Unterleibstrauraa mit psychischem Choc.
Ärztl. Sachverstdg. Ztg. 1907, Nr. 10.
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UNIVERSITÄT OF IOWA
2. F. Köhler, Die Serumforschungen der Neuzeit (Vortrag im
Verein f. ärztl. Fortbildung, Düsseldorf), Ztschr. für ärztliche
Fortbildung 1907, Nr. 12.
3. F. Köhler, Volksheilstätten und Heilstättenvolk (Vortrag im
Verein f. ärztl. Fortbildung, Düsseldorf), Tuberculosis Vol. VI.
Nr. 5, 1907.
4. F. Köhler, Kritische Nachlese zur IV. Tuberkuloseärzte¬
versammlung zu Berlin. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose.
Bd. VI, 1907.
5. F. Köhler, Die psychophysische Gleichgewichtsstörung nebst
Beobachtungen an Phthisikern. Beiträge znr Klinik der Tuber¬
kulose. Bd. VI, 1907.
6. F. Köhler, Tuberkulin per os. Ztschr. für Tuberkulose.
Bd. X, Heft 4. 1907.
7. F. Köhler, Krankheit und Tod in kulturgeschichtlicher und
naturwissenschaftlicher Beleuchtung. -(Vortrag im Verein für
Volksgesundheitspflege zu Düsseldorf.) Naturwissenschaftliche
Wochenschrift Nr. 17 u. 18, 1907.
8. F. Köhler, Nekrolog auf Theobald Kerner. Münchener
mediz. Wochenschr. Nr. 35, 1907.
9. F. Köhler, Über Ophthalmoreaktion. Deutsche medizinische
Wochenschr. Nr. 50, 1907.
10. F. K ö h 1 e r, Über Lungentuberkulose nach Chlorgasvergiftung.
Ztschr. f. Tuberkulose. Bd. XI, Heft 6.
11. A. Lissauer, Tnberkulinsuppositorien. Deutsche mediz.
Wochenschr. Nr. 33, 1907.
12. A. Lissauer, Versuche mit Thom8 Ptyophagon als Beitrag
zur Sputumhygiene. Deutsche mediz. Wchschr. Nr. 34, 1907.
13. A. Lissauer, Über Rentenneurasthenie und ihre Bedeutung
für das Versicherungswesen. Ärztliche Sachverständg.-Ztg.
Nr. 18, 1907.
14. A. Lissauer, Gewechselte Aufschläge, ein Beitrag zur Hydro¬
therapie, nebst Bemerkungen über Fieber. Ztschr. f. physikal.
und diätetische Therapie, Bd. XI.
Es wurden in die Heilstätte 1907 aufgenommen: 561
(1906: 550), vom Jahre 1906 übernommen 113, demnach ver¬
pflegt: 674 (1906: 670). Entlassen wurden: 554 (1906: 557),
es blieb demnach ein Bestand von 120 Patienten am 31. Dez. 1907.
Das fortlaufende Krankenjournal schloss mit Nr. 2744 (1906
mit 2183).
Die Zahl der Verpflegungstage betrug 1907: 43304; (1906:
42471), was einer Durchscbnittsbelegung von 118,6 entspricht pro
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Freiübungen.
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Centralblatt f. all«*. Gesundheitspflege. XXVII. Jalirjr. 15
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Waldpaitie.
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Tag. Die Zahl der Verpflegungstage der von der Landesver-
sicberungsanstalt Rheinprovinz überwiesenen Kranken betrug: 32808.
Kurdauer: Es verblieben in der Anstalt:
unter 6 Wochen . .
.86 Kranke,
bis zu 60 Tagen:
.... 64
bis zu 75
71
.... 56
77
bis zu 90
77
. . . . 69
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bis zu 105
11
.... 220
77
bis zu 120
77 •
.... 21
17
bis zu 135
77
.... 28
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bis zu 150
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.... 3
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bis zu 180
77 "
.... 5
17
darüber .
.... 2
77
Summa 554 Kranke.
Disziplinarisch entlassen wurden 14 Kranke.
Vorzeitig auf eignen Wunsch wegen Heimweh, mangelhafter
Familienunterstützung, unzureichender eigener Mittel oder sonstiger
Familienverbältnisse wurden entlassen: 45 Kranke.
Auf Ersuchen der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz
mussten 28 vorzeitig entlassen werden.
Als ungeeignet wurden bald nach der Aufnahme entlassen:
36 Kranke.
Zur Beobachtung (bei bestehender Tuberkulose) wurden
6 Kranke aufgenommen.
Stadieneinteilung: Bei 6 Kranken konnte keine Tuberkulose
festgestellt werden.
Bei einer grossen Anzahl wurde die Wolff-Eisner-Cal-
mettesche Konjunktivalreaktion in Anwendung gezogen.
Bei den übrigen 548 lag vor: I. Stadium R-seitig 68 mal,
I.
77
L „
17
7?
I.
77
beider- „
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II.
77
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31
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II.
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II.
77
beider- „
102
77
III.
77
17
7?
gleichzeitig I auf der einen und
II auf der anderen Seite: 102 „
Summa: 548 Kranke.
Erfolge: Für die Beurteilung des Erfolges kommen unter
Berücksichtigung der Kurdauer 462 Tuberkulöse in Betracht.
Erfolg I, sehr guter Erfolg,
1 bei 90 Kranken = 19,5°/ 0 (1906: 18, ; 8°/ 0 )
Erfolg II, guter Erfolg,
bei 262 Kranken = 56,7°/ 0 (1906: 54,9°/ 0 )
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215
Erfolg UI, geringer Erfolg,
bei 81 Kranken = 17,5°/ 0 (1906: 18,9°/ 0 )
Erfolg IV, kein Erfolg nnd Verschlimmerung
bei 29 Kranken = 6,3°/ 0 (1906: 7,2°/ 0 )
Tod bei 0 Kranken = 0°/ 0 (1906: 0,7 °/„)
Summa: 462 Kranke = 100°/ 0 .
Demnach standen 76,2°/ 0 (1906: 73,2°/ 0 ) gute Erfolge
23,8°/ 0 (1906: 26,8°/ 0 ) geringen oder ausgebliebenen Er¬
folgen gegenüber.
In einer Anzahl von Fällen wurde das Tuberkuloseserum
Marmorek und Alttuberkulin Koch therapeutisch angewandt,
-ohne dass eine besonders hervorragende Wirkung festzustellen ge¬
wesen wäre.
Gewichtszunahme: 92 Kranke scheiden aus, so dass 462
Kranke beurteilt werden konnten.
Es nahmen zu: über 18 kg . . . 1 Kranker,
bis 18 kg. . . . 2 Kranke,
bis 16 kg. . . . 2 „
11 bis 14 kg . . 33 .,
9 und 10 kg . . 55 „
7 und 8 kg . . 94 „
4 bis 6 kg . . 174 „
1 bis 3 kg . . 80 ,,
ohne Zunahme blieben 6 „
Abnahme zeigten .15 „
Summa: 462 Kranke.
Auswarf und Tuberkelbazillen:
Von den insgesamt 548 Tuberkulösen hatten 58 = 10,6 °/ 0 keinen
Auswurf; von den Testierenden 490 hatten im ganzen 171 Tuber¬
kelbazillen = 35 °/ 0 . Von diesen verloren 30 den Auswurf voll¬
ständig, bei 30 war bei der Entlassung kein Tuberkelbazillen¬
befund zu erheben, bei 107 waren bei der Entlassung (die Fälle
mit kürzester Kurdauer eingerechnet) noch Tuberkelbazillen vor¬
handen. Im ganzen verloren bis zur Entlassung 147 den Auswurf.
Drei batten bei der Aufnahme keine, wohl bei der Entlassung
Tubcrkelbazillen im Auswurf, einer war bei der Aufnahme ohne
Auswurf, zeigte aber bei der Entlassung Tuberkelbazillen.
Alter der Kranken: Es standen im Alter
von
10—20 Jahren .
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Konfession der Kranken:
Es gehörten der katholischen Religion: 305 an,
der evangelischen Religion: 243 „
der mosaischen Religion: 4 „
zu den Dissidenten: 2.
Bernf der Kranken: 12 Kaufleute, 4 Lehrer, 2 Gymnasiasten,.
4 Schüler, 1 Ingenieur, 5 Architekten, 1 Privatier, 1 Brennerei¬
besitzer, 4 Postassistenten, 9 Postbeamte, 1 Geflügelhändler, 2 Vieh¬
händler, 8 Landwirte, 4 Kontrollbeamte, 32 Bureaubeamte, 16 Hand¬
lungsgehilfen, 1 Möbelfabrikant, 13 Werkmeister, 3 Polizeisergeanten,
1 Flaschenbierhändler, 1 Förster, 2 Aufseher, 2 Uhrmacher, 5 An¬
streicher, 3 Klempner, 1 Metzger, 5 Schriftsetzer, 2 Buchbinder,
1 Drogist, 1 Bäcker, 3 Schuhmacher, 12 Zimmerleute, 1 Stell¬
macher, 3 Sattler, 2 Kaffeebrenner, 3 Schneider, 2 Bierbrauer,
6 Schiffer, 3 Gas- und chemische Arbeiter, 1 Chauffeur, 10 Haus¬
burschen und Diener, 3 Bahnbeamte, 8 Mechaniker, 59 Schlosser,
20 Schreiner, 40 Dreher, 13 Weber, 14 Maurer, 7 Kranenführer,
17 Fräser und Hobler, 10 Schmiede, 8 Vorarbeiter, 20 Maschinisten
und Monteure, 11 Former und Presser, 6 Bandwirker, 6 Bohrer
und Hebeier, 13 Handlanger, 7 Zuschläger und Schleifer, 18 Berg¬
leute, 3 Tabakarbeiter, 5 Packer, 2 Feuerwehrleute, 21 Hilfs¬
arbeiter, 37 Eisenarbeiter, 2 Kutscher, 1 Ziegeleiarbeiter, 3 Gerber,
4 Waldarbeiter, 2 Färber, 1 Krankenpfleger.
Herkunftsorte: 154 aus Essen Ruhr, 89 aus Duisburg, 34
aus Mühlheim Ruhr, 8 aus Oberhausen, 10 aus Aachen, 21 aus
Düsseldorf, 11 aus Barmen, 16 aus Elberfeld, 1 aus Cöln, 5 aus
Solingen, 4 aus Emmerich, 1 aus Berlin, die übrigen aus kleinereu
Orten, vorwiegend der Rheinprovinz.
Kostenfibernahme: 70 Selbstzahler, 395 durch die Landes¬
versicherungsanstalt Rheinprovinz, ferner beteiligten sich die Fabrik-
krankeukasse der Gewerkschaft Deutscher Kaiser (24), der Rekon¬
valeszentenverein Elberfeld, der Bergische Verein für Gemeinwohl 1
in den Ortsgruppen Solingen, Heiligenhaus, Barmen, Mettmann, dio
Armenverwaitungen von Aachen, Mühlheim Ruhr, Hamborn, Ober¬
hausen, die Stadtkasse Essen, Aachen, Duisburg, Duisburg-Meiderich,
der Landeshauptmann der Rheinprovinz, die Oberpräsident-Nasse-
Stiftung zu Koblenz, der Verein zur Fürsorge für kranke Arbeiter
in Remscheid, eine Anzahl rheinischer Berufsgenossenscbaften in
Cöln, Düsseldorf, Oberhausen, Remscheid, die Knappschaftsberufs¬
genossenschaften Saarbrücken und Bochum, das Arbeiterschieds¬
gericht Düsseldorf und Arnsberg, eine Anzahl Fabrikkrankenkassen
im Rheinischen Gebiet und vereinzelte Ortskrankenkassen.
An sonstigen Erkrankungen wurde beobachtet: Pleuritis
zirka 13, schweres Asthma 2, Darmtuberkulose 2, Amyloidniere 2 r
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Neurasthenie 13, Mastdarmabszess 2, Ischias 1, Influenza 4, Syphilis 2,
Vorderarmluxation 1, beginnende Psychose 1, Chlorvergiftung 1,
Emphysem 5, eitrige Tonsillitis 1, Unterkieferkarzinom 1, Epiglottis¬
tuberkulose 3, Knochentuberkulose 1, multiple Abszesse 1, Knie¬
gelenktuberkulose 1, Mesenterialdrüsentuberkulose 1, Hodentuber¬
kulose 1, Rhachitis 1, schweres Ulcus cruris 1, chron. Bronchitis 5,
■chron. Ikterus 1, Ulcus ventriculi 2, traumatische Neurose 1,
Vitium cordis 3, Bronchiektasien 1, Appendicitis 1, Nasenlupus 1,
Pleuritis exsudativa 5, Potatorium 5, chron. Rheumatismus 2,
spastische Spinalparalyse 1, Helminthiasis 1, Myocarditis 2, Carci¬
noma ventriculi et hepatis 1, kongenitale Hüftgelenkluxation 1.
Für die Begutachtung der von der Landesversicherungs-
anstalt Rbeinprovinz gesandten Kranken kamen hinsichtlich des
wirtschaftlichen Erfolges folgende Noten zur Anwendung:
Krankenzahl: 392; 48 scheiden aus wegen vorzeitiger Ent¬
lassung, Ungeeignetheit oder nicht vorhandener Tuberkulose;
bleiben 344.
A (voller Erfolg mit Aussicht auf Dauer 122 = 35,5 °/ 0 1
____ . . . I m pm ä i
(1906:38,9%) =70,7%
A-B .121 = 35,2% | (1906: 73,3%)
(1906: 34,4«/,,)
B-A.44 = 12,8 °/ 0
(1906: 10,6%)
B (teilweiser Erfolg).33= 9,5 °/ 0 =26,1 °/ 0
(1906: 12,6°/ 0 ) J (1906:24,1%)
B-C ..13= 3,8 %
(1906: 0,9%)
C (kein Erfolg).11= 3,2%} =3,2%
(1906: 2,6%)) (1906: 2,6%)
Die Berechnung der Ausgaben der Betriebskasse ergab
•eine Gesamtausgabe pro Kopf und Tag für 4,01 M., eine Einnahme
pro Kopf und Tag von 4,91 M.
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UMIVERSITY OF IOWA
219
3. Jahrgang 1904. Tuberkulosefälle: 482. Keine Nach¬
richten erhalten von 11; folglich Statistik über 471 Fälle.
E8 haben bis 1906
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°'o
8=1,7
°/o
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mit kurz. Unterbrech,
ständig gearbeitet .
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mit mehrfachen Unter¬
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arbeitsunfähig, nicht
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25
nicht mehr gelebt ...
3= 0,6:15= 3,1
33=7 15=3,2
4=0,8
27=5,7, 97
4. Jahrgang 1905. Tuberkulosefälle: 505. Keine Nachrichten
erhalten von 22; folglich Statistik über 483 Fälle.
Es haben bis 1907
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mit mehrfachen Unter¬
brechungen gearb. .
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59=12,2
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gearbeitet.
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3=0,6
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nicht mehr gelebt ...
—
15= 3,1
28=6
15=3,1
6=1,2
13=2,7
77
5. Zusammenfassung: 1396 Tuberkulosefälle im Status nach
2 Jahren:
Es haben nach
2 Jahren
A. Durchgeführte Heilverfahren: 1232
B. Abgebrochene
Heilverfahren: 164
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11:664,
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mit kurz. Unterbr.
ständig gearbeitet
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137
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brech. gearbeitet.
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15
14
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Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
220
Es sind somitbei dnrchgeführtem Heil verfahren nach
2 Jahren
noeh voll arbeitsfähig: 537 -f 204 = 741 = 60,1 %.
teilweise arbeitsfähig: 218 = 17,7°/ 0 .
arbeitsunfähig: 89= 7,2%.
gestorben: 184 = 15%.
Es sind bei dnrchgeffihrtem Heilverfahren nach 4 Jahren
noch voll arbeitsfähig: 196 = 53,6%.
teilweise arbeitsfähig: 49 = 13,4%.
arbeitsunfähig: 27= 7,7%.
gestorben: 93 = 25,3 %.
Die Dauererfolgresnltate sind als recht günstige zu be¬
zeichnen und vollauf geeignet, ein aufrichtiges Vertrauen zu der
Heilstättenbehandlung der Lungentuberkulose zu rechtfertigen.
Wir können mit den besten Hoffnungen dem neuen Jahre
entgegengehen und weitgehende Erwartungen an die fernere Tätigkeit
unserer Heilstätte knüpfen im Hinblick auf ihre sozialpolitische
Leistung und im Gefühle einer echt humanen Betätigung!
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Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Fünfter Jahresbericht
über die Tätigkeit der Amtlichen Desinfektorenschule
an der Desinfektions-Anstalt der Stadt Oöln
in dem Kalenderjahre 1907.
Berichterstatter E. Czaplewski, Cöln.
Im Kalenderjahre 1907 fanden wie in den Vorjahren bei der
Desinfektorenschule an der Desinfektionsanstalt der Stadt Cöln einige
Kurse zur Ansbildung staatlich geprüfter Desinfektoren statt.
Die Zahl der Kurse betrug 3 (1903: 8, 1904: 5, 1905: 7,
1906: 7).
Zur Ausbildung kamen 32 Teilnehmer. In den Vorjahren
wurden 1903: 38, 1904: 38, 1905: 47, 1906: 65 Desinfektoren
ausgebildet.
Die Zahl der Teilnehmer ist also so gering geworden, wie nie
zuvor. Dies dürfte einerseits darauf zurückzuführen sein, dass
viele Gemeinden jetzt schon mit staatlich geprüften Desinfektoren
versehen sind, und ferner auf den Umstand, dass sich jetzt das
auszubildende Leutematerial auf eine erheblich grössere Zahl von
Desinfektorenschnlen verteilt. Noch viel bedeutsamer als diese
beiden Gründe erscheint der Umstand, dass der Herr Minister selbst
jetzt die fortlaufende Desinfektion in den Vordergrund gestellt hat,
so dass dementsprechend mehr Wert auf eine Ausbildung von Per¬
sonen in der fortlaufenden Desinfektion gelegt wurde. So sind
auch in der Cölner Desinfektorenschule im Berichtsjahre vorwiegend
Kurse für laufende Desinfektion abgehalten worden.
Die praktische Ausbildung der Desinfektoren lag wie früher
in den Händen des Verwalters Hombach. Die theoretische Aus¬
bildung wurde nach dem in den Vorjahren bewährten Lehrplane
zuerst von dem Genannten, danach vom Berichterstatter erteilt.
Die amtliche Prüfung wurde von Herrn Regierungs- und Ge¬
heimem Medizinal-Rat Dr. Rusak als Vorsitzenden, dem Bericht¬
erstatter und Verwalter Hombach abgehalten.
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Gck igle
Original fru-m
UNIVERSUM OF IOWA
222
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Die Kurse fanden statt:
Tabelle I.
Ij
iDauer
Ij Tage
Teil¬
nehmer
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I
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1. Kurs vom 24./4. bis 4./5. 07
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11
15
6
—
—
Die Zensuren bedeuten:
Ia mit Auszeichnung*.
I sehr gut.
II gut.
III genügend.
0 zurückgetreten.
00 zurückgewiesen.
Die Verteilung der ausgebildeten Personen auf die Regierungs¬
bezirke, Kreise und Ortschaften ist aus der folgenden Tabelle II
zu ersehen.
Tabelle II.
Reg.-Bez. Aachen.
Kreis Aachen (Stadt) ... 1 1
Kreis Aachen (Land) ... 1
Richterich.1
Kreis Jülich. 3
Jülich.1
Ameln.1
Linnich.1
Kreis Heinsberg. 3
Dremmen.1
Kempen.1
Wassenberg.1
Reg.-Bez. Cöln.
Kreis Cöln (Stadt) .... 9 9
Kreis Cöln (Land) .... 2
Sinthern.I
Kalk.1
Kreis Mülheim a./Rh. (Stadt) 2 2
Kreis Mülheim a./Rh. (Land) 5
B.-Gladbach.2
Beyenburg.1
Overath.2
Kreis Sieg. 3
Aggerhof.1
Much.1
Rheydt.1
Kreis Rheinbach. 1
Meckenheim.1
Kreis Waldbroel. 2
Morsbach.1
Rosbach . 1
Aus der Tabelle II ergibt sich, dass die Teilnehmer sich nur
noch aus den Regierungs-Bezirken Cöln und Aachen rekrutieren,
während die früher mitbeteiligten Regierungsbezirke Koblenz und
Düsseldorf, welche eigene Desinfektorenschulen besitzen, ganz in
Wegfall gekommen sind.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
223
Aus der folgenden Tabelle III ist zu ersehen, welchem Stande
die einzelnen Desinfektoren angeboren.
Tabelle III.
Beruf
Zahl
I
Beruf
Zahl
Ackerer.
1
Maurermeister ....
1
Desinfektionsaufseher
1
Polizeidiener . . * . . .
4
Desinfektor.
4
Polizeisergeant ....
7
Fabrikarbeiter ....
1 i
Stellmacher.
1
Feldhüter.
1 '
Schuhmacher.
1
Friseur.
1 |
Schneidermeister . . .
1
Hilfsdesinfektor ....
3 if
Schutzmann.
2
Krankenpfleger ....
2
j Schreinermeister . . .
1
Von den 32 Teilnehmern erhielten 1907:
11 = 34,87°/ 0 1906 = 26,1% 1905=49% das Prädikat sehr gut.
15 = 47% 1906 = 63.8% 1905 = 23 % , „ gut.
6=18.76% 1906= 17% 1905 = 27% . „ genügend.
Das Prädikat mit Auszeichnung wurde keinem Prüfling zu¬
erkannt, doch beherrschten einige Teilnehmer den Lehrstoff ganz
besonders sicher, so dass ihre Kenntnisse und Gewandtheit in Be¬
antwortung schwieriger unerwarteter Fragen hervorgehoben werden
muss. Sonst ist das Leutematerial als ein gutes Durchschnitts¬
material zu bezeichnen.
Auch jetzt muss wieder hervorgeboben werden, dass bei der
Auswahl der auszubildenden Leute nicht vorsichtig genug verfahren
werden kann, und dass es im Interesse der Gemeinden selbst liegt,
nur intelligente zuverlässige und nüchterne Leute mit guter elemen¬
tarer Schulbildung zur Ausbildung zu schicken. Dieselben sollten
nicht über 40 Jahre alt sein, da erfahrungsgemäss die älteren Leute
den Lehrstoff schwerer bewältigen. •
Wie im Vorjahre betrug die Ausbildungszeit zehn Arbeitstage.
Die theoretische Ausbildung war auch diesmal schwieriger als die
praktische, welche letztere sich die Leute durchweg gut aneigneten.
Es wurde auch diesmal besonderer Wert darauf gelegt, dass die
einzelnen Teilnehmer möglichst viele Wohnungsdesinfektionen prak¬
tisch mitmachten. Die Zahl der von den Teilnehmern auf diese
Weise mit ausgeführten Wohnungsdesinfektionen ist bei den einzelnen
Teilnehmern in der namentlichen Liste angegeben.
Es haben von den Teilnehmern ausgeführt:
Tabelle IV.
1906 1905
7 Desinfektionen.0 Teilnehmer 2 0
8 „ . 0 0 2
9 , . 0 0 0
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Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
224
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10 Desinfektionen . . .
. . 6 Teilnehmer
1906
4
1905
5
11
. 6
w
3
8
12 „ ...
. 4
15
12
13 „ ...
. 3
9
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14 „ . . . .
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2
0
00
a
. 0
*
0
1
Vier Desinfektoren sind hier nicht mitaufgeführt, da es sich
um ständige Desinfektoren bezw. Hilfsdesinfektoren der Cölner
Anstalt selbst handelte.
Diese starke praktische Ausbildung der einzelnen Leute lässt
sich nur bei dem reichen Desinfektionsmaterial einer Grossstadt
ermöglichen und ist natürlich stets von den zur Zeit eingehenden
Anmeldungen abhängig, deren Zahl auch erheblichen Schwankungen
unterliegt.
Die Ausbildung in der Dampfdesinfektion wurde darüber nicht
vernachlässigt. Auch wurde entsprechend dem Wunsche des Herrn
Ministers den Leuten die Entnahme von bakteriologischen Unter¬
suchungsmaterial gezeigt.
Die Sammlung der Formalinapparate wurde durch den Torrens-
apparat und den neuesten Lingnerdampfspray vervollständigt. Die
Firma Lingner hat in liebenswürdigster Weise ausserdem noch einen
durchschnittenen Lingnerschen Apparat neuester Konstruktion als
Sammlungsmodell gestiftet, welcher den Mechanismus deutlich zeigt.
Der Firma sei auch an dieser Stelle dafür verbindlichster Dank
ausgesprochen. Die Sammlung der Kontrollapparate für Dampf¬
infektion wurde vermehrt. Die Einrichtungen zur laufenden Des¬
infektion nach Hamburger Muster wurden beschafft. Desgleichen
wurde die Sammlung der Tafeln für den Anschauungsunterricht
vermehrt. Das bis jetzt noch immer nicht sichere Autanverfahren
wurde gezeigt.
Versuche mit einem billigen Formalinapparat für Landgemeinden
sind fortgesetzt. Versuche zur Formalin-Wasserdampfdesinfektion
bei erhöhter Temperatur sind im Gange.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Bericht über die Ausbildung von
Krankenschwestern und Krankenpflegepersonal
in der fortlaufenden Desinfektion an der amt¬
lichen Desinfektorenschule der Städtischen
Desinfektionsanstalt zu Cöln.
Berichterstatter E. Czaplewski.
Auf Anregung des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts¬
und Medizinal-Angelegenheiten vom 22. Juli 1904 wurde auch in
Cöln durch den Herrn Regierungspräsidenten bezw. den Herrn Ober¬
bürgermeister die Ausbildung von Gemeindeschwestern in der fort¬
laufenden Desinfektion in besonderen Kursen in die Wege geleitet.
Durch die im Sinne der Verfügung des Herrn Regierungs¬
präsidenten vom 18. April 1906 erfolgte Anfrage des Herrn Ober¬
bürgermeisters an die Mutterhäuser hiesiger Stadt von 23. Juni 1906
kam die Sache in Fluss, worauf bereits zum 18. Juli 1906 28 Mel¬
dungen Vorlagen.
Dieselben mussten wegen der grossen Zahl auf mehrere Kurse
verteilt werden, und konnten die Kurse wegen Erkrankung und
Erholungsurlaub des Berichterstatters und danach Urlaub des Herrn
Vorsitzenden, nach mehrfachen Rückfragen über die Details der
Ausbildung erst im Oktober 1906 beginnen.
Es haben bis jetzt im ganzen 14 Kurse für Krankenschwestern
stattgefunden, davon Oktober bis Dezember 1906 drei und 1907
(Kalenderjahr) elf. In denselben wurden im ganzen 225 Schwestern
bezw. Krankenpflegerinnen ausgebildet, und zwar 1906: 43, 1907:
182. Ausserdem sind 1907 drei zurückgetreten, und einer Teil¬
nehmerin konnte das Zeugnis nicht zuerkannt werden.
Die amtliche Prüfung wurde von Herrn Regierungs- und Geh.
Med.-Rat Dr. Rusak oder dessen Stellvertreter Herrn Kreisarzt,
Cöln-Süd, Med.-Rat Dr. Schubert als Vorsitzenden, dem Bericht¬
erstatter und dem Verwalter der Desinfektionsanstalt Herrn Hombach
abgehalten.
Zur Ausbildung kamen:
1. in der Hauptzahl kathol. Schwestern (1906: 42, 1907: 150);
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Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
226
2. kathol. Krankenpflegerinneu und Krankenpfleger (1907:
20 Krankenpflegerinnen, 1 Krankenpfleger);
3. evangelische Schwestern (1907: 6);
4. evangelische Krankenpflegerinnen (1907: 5).
Die Verteilung auf die einzelnen Orden und Vereine ist aas
Tabelle I ersichtlich.
Tabelle I.
L K*tk*Kaehe SehWestern: 1906 1907
1. Augustinerinnen.5 14
2. Ccllittinnen, Antonsgasse ... 9 8
3. Cellittinnen, Kupfergasse ... 5 3S
4. Dienstmägde Christi .... 11 12
5. Dominikanerinnen.1 4
6. Elisabethinerinnen.1 7
7. Franziskanerinnen.1 17
8. vom heil. Franziskus, Aachen . 5 14
9. zum guten Hirten.0 1
10. St. Vincenz.4 35
42 42 150 150
H. Katholische Krankenpflegerinnen:
1. kath. Krankenfürsorgeverein .0 18
2. Charitas.0 1
3. zum guten Hirten.0 1
4. Krankenpfleger.0 1
0 0 21 21
III. Evangelische Schwestern:
Evangel. Diakonissen .... 1 6
116 6
IV. Evangelische Krankenpflegerinnen:
1. Rheinische Frauenhilfe ... 0 3
2. Vaterländischer Frauenverein . 0 2
0 0 b~ 5
Sa. 43 "l82
Nähere Angaben über die einzelnen Kurse, bezw. Zahl der
Teilnehmerinnen und Zensuren sind aus Tabelle II ersichtlich.
Tabelle II.
Die Kurse fanden statt:
|Dauer
Teil*
Zensur
1 1
|j Tare
oehmer
la
1
II
III
0
00
l.Eurs vom 10./1Ö. bis 13./10.06 4
12
1
,
3
7
2
—
_
2. „ „ 15./10. „ 38./10.06| 4
15
—
8
6
1
—
—
3. , „ 22./10. „ 25/10.06i! 4
16
16
1
—
—
—
—
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Original from
UNIVERSUM OF IOWA
227
Dauer
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bislO./l. 07 1
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—
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14
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—
—
—
10.
ff
ff
15./5.
ff
18/5. 07
4
12
1
8
3
—
—
—
11.
ff
ff
1./10.
ff
4./10.07
4
24
1
23
—
—
i —
—
12.
ff
r
ll./ll.
ff
14./11.07
4
14
—
12
2
—
— |
—
13.
ff
ff
15./11.
ff
19./11.07
4
25
1
21
i 1
2
—
—
14.
ff
ff
25./11.
ff
28./11.07
4
15
1
—
15
—
—
—
il
186
15 j
148
16
3
3
1
Die Zensuren bedeuten:
Ia mit Auszeichnung.
I sehr gut.
II gut.
III genügend.
0 zurückgetreten.
00 nicht bestanden.
Zumeist konnten den Teilnehmerinnen bei der Prüfung sehr
gute Zensuren erteilt werden.
Tabelle III.
Es bestanden: 1906 1907
mit Auszeichnung .... 0 = 0 °/ 0 15= 8,2 %
mit sehr gut. 27 = 62,8 % 148 = 81,3 %
mit gut.13 = 30,2 °/ 0 16= 8,7%
mit genügend.3 = 6,9 % 3 = 6,9 %
zurückgetreten.0= 0 % 3= 1,6 0 / 0
nicht bestanden.0=0 % 1 = 0,6 %
Wie die Zensuren beweisen, welche den Teilnehmern in voller
Übereinstimmung von der Prüfungskommission zuerkannt werden
konnten, bandelte es sich fast durchweg um ein weit über dem
Durchschnitt unserer an den Desinfektionskursen gemachten An¬
sprüche stehendes Ausbildungsmaterial.
Es muss rühmend hervorgehoben werden, mit welchem Wett¬
eifer und Wissensdrang sich die Teilnehmerinnen in diese ihnen
doch wohl zum grossen Teil recht fremden Anschauungen ein¬
arbeiteten. Das Resultat ist um so zufriedenstellender, als die Aus¬
bildungszeit auf nur 4 Tage inkl. des Prüfungstages beschränkt
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Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
228
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wurde. Die mit „sehr gut“ zensierten blieben keine Frage schuldig.
Die mit „Auszeichnung“ bervorgehobenen zeigten eine so sichere
und gewandte Beherrschung des Stoffes, dass sie sich von den mit
„sehr gut“ zensierten noch wesentlich abhoben.
Naturgemäss musste bei der kurzen Ausbildungszeit der Unter¬
richt den ganzen Tag vormittags und nachmittags abwechselnd prak¬
tisch und theoretisch um so intensiver durchgeführt werden.
Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die Teilnehmerinnen
nicht bloss auswendig gelernt, sondern durchdachte wohlverstandene
Kenntnisse erwarben. Durch Tafeln und Demonstrationen wurde
der Unterricht wesentlich unterstützt.
Trotzdem die Desinfektionsanstalt im Berichtsjahre durch die
immer steigende Zahl der Desinfektionen sehr stark in Anspruch
genommen war, hat der Berichterstatter doch geglaubt im allgemeinen
öffentlichen Interesse und um dem Wunsche der Regierung und der
Orden selbst entgegenzukomraen, diese Ausbildung von Schwestern usw.
in der laufenden Desinfektion beschleunigen zu müssen, um möglichst
schnell ein zuverlässig ausgebildetes Pflegepersonal zur Bekämpfung
der Infektionskrankheiten bereitzustellen. Dass diese Arbeit bereits
Erfolge gezeigt hat, hob Herr Regierungs- und Geh. Med.-Rat Dr.
Rusak auf der Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege in Bremen im September des Jahres 1907 aus¬
drücklich hervor. Er betonte in der Diskussion, dass es nur mit
Hilfe der bei uns bereits ausgebildeten Schwestern möglich gewesen
sei, eine Typhusepidemie im Siegkreise zu beherrschen.
So dürfen wir hoffen, mit den in der fortlaufenden Desinfektion
ausgebildeten Schwestern eine neue wirksame Waffe im Kampf
gegen die Infektionskrankheiten gewonnen zu haben.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Aerztlicher Jahresbericht
über das „Barmer Säuglingsheim mit Krippe“
für die Zeit vom 1. Mai 1907 bis 31. März 1908.
Von
Dr. Th. Hoffa, leitendem Arzt.
Der folgende Jahresbericht umfasst die Zeit vom 1. Mai 1907 — an
diesem Tage wurde das neue Säuglingsheim bezogen — bis 31. März
1908, also 11 Monate. Über den Bau, die innere Einrichtung, die
Organisation und den Betrieb der Anstalt habe ich ausführlich
berichtet in der Zeitschrift für Säuglingsfürsorge, Jahrg. 1908,
Heft 5 und 6, S. 172. Indem ich bezüglich aller Einzelheiten auf
diese Darstellung verweise, möchte ich zum Verständnis des Jahres¬
berichtes nur erwähnen, dass die Anstalt ausser dem eigentlichen
Säuglingsheim (30 Betten für stationäre Pflege von Säuglingen)
eine Krippe enthält, in der 15 Säuglinge und etwa 20—30 grössere,
1—3 Jahre alte Kinder verpflegt werden können. Die Tagespflege
von Säuglingen ist aber immer mehr und mehr zurückgetreten
gegenüber der stationären Tag- und Nachtpflege, so dass wir in
letzter Zeit nur noch sehr wenige Krippensäuglinge und um so mehr
dauernd untergebrachte Säuglinge hatten. Auch von den grösseren
Kindern mussten wir stets eine Anzahl Tag und Nacht verpflegen,
da die häuslichen Notstände dazu zwangen. Wir hatten daher im
ganzen 4 Arten von Kindern zu verpflegen:
1. stationäre Säuglinge (eigentliches „Säuglingsheim“),
2. Krippensäuglinge,
3. stationäre Kinder von 1—3 Jahren (sog. „Kinderheim“),
4. Krippenkinder von 1—3 Jahren.
Unter „Säuglingen“ sind stets Kinder des 1. Lebensjahres zu
verstehen; doch wurden eine Anzahl kranker und debiler Kinder
(16) im Alter von über 1 Jahr auf der Abteilung „Säuglingsheim“
verpflegt, da sie ihres Zustandes wegen der dort geübten, besonders
sorgfältigen Pflege bedurften.
Während des Berichtsjahres (1. V. 07 bis 31. III. 08) wurden
im ganzen 205 Kinder verpflegt, ihre Verteilung auf die eben
charakterisierten 4 Gruppen ergibt sich aus Tabelle I.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 16
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Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
230
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Tabelle I.
Säug¬
lings¬
heim
Kinder¬
heim
Krippen¬
säug¬
linge
Krippe
Ins¬
ge¬
samt
Bestand am 1. V. 07.
8
2
'7
17
Zugang vom 1. Y. 07 bis 31. III. 08
112
36
40
188
Abgang vom 1. V. 07 bis31. III. 08
81
34
36
151
Bestand am 1. IV. 08.
39
4
11
54
Die Gesamtzahl der vollen Verpflegungstage (Tag- und
Nachtverpflegung) betrug. 12643
Die Gesamtzahl der Krippenverpflegungstage (Ver¬
pflegung nur tagsüber). 3208
Da die Gesamtzahl der stationär verpflegten Kinder (120 im
Säuglingsheim und 38 im Kinderheim) sich auf 158 belief, so be¬
rechnet sich die durchschnittliche Verpflegungsdauer dieser Kinder
auf 80 Tage. Die 47 Krippenkinder wurden durchschnittlich je
68,3 Tage verpflegt.
Die Anstalt war durchschnittlich täglich belegt mit
37,6 stationären
und mit 9,5 Krippen¬
in Sa. also mit 47,1 Kindern.
Kindern,
Die stärkste Belegung wurde erreicht am 26. September 1907
mit 66 Kindern (34 Säuglingsheim, 10 Kinderheim, 17 Krippe,
5 Krippen-Säuglinge).
Die Gesamtausgaben betrugen: 42 113.14 M.
Wenn wir die Kosten eines Krippenverpflegungstages mit 1 M.—
annehmen, so würden sich die Kosten für einen vollen Verpflegungs¬
tag stellen auf
42113.14—3208
12643
3.07 M.
Die Kosten sind also recht beträchtlich. Ihre Höhe erklärt
sich aus den grossen Anforderungen an die Pflege der kranken
und schwächlichen Säuglinge, worüber ich alles Nähere in der
Beschreibung der Anstalt (1. c.) mitgeteilt habe. Unser Pflege¬
personal bestand durchschnittlich aus 12—14 Schwestern, Schüle¬
rinnen und Pensionärinnen. Im einzelnen waren tätig:
Tabelle II.
Ausgebildete Schwestern 10, davon traten im Laufe des Jahres aus 4
Schülerinnen 10, „ „ „ „ „ „ „ 4
Pensionärinnen 5, „ „ „ „ „ „ „ 5
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
231
Die Gesundheitsverhältnisse der Pflegerinnen waren im all¬
gemeinen günstig, doch kamen zahlreiche Fälle von Angina vor.
Eine Schülerin erkrankte an Diphtherie mit nachfolgender Gaumen¬
segel- nnd Akkommodationsläbmung sowie Myocarditis.
Die nicht geringen Anstrengungen der Pflegetätigkeit nnd der
Nachtwachen worden im allgemeinen gut ertragen. Wir üben eine
Kontrolle des Gesundheitszustandes u. a. durch regelmässige wöchent¬
liche Wägungen des gesamten Personals.
Unsere der Schlossmannschen nacbgebildete Diensteintei¬
lung hat sich gut bewährt: Tagesdienst von früh l /,7 bis abends
7 Uhr mit täglich l 1 /* Stunden Freizeit nnd wöchentlich einem
freien Nachmittag. Zwei Schwestern versehen von abends 7 bis
früh 7 den Nachtwach dienst, und zwar je 14 Tage lang, während
welcher Zfcit sie tagsüber schlafen.
An Dienstpersonal waren in der Anstalt tätig:
3 Personen in der Küche,
3-4 „ „ „ Waschküche,
3 Dienstmädchen,
1 Heizer (ausserhalb des Hauses wohnend).
Der enorme Wäsche verbrauch (bis zu 100U Windeln und Kinder-
tücbern pro Tag) bedeutet eine grosse Belastung auch in finanzieller
Hinsicht. Wir werden weiterhin bemüht sein, Mittel und Wege zu
Ersparnissen in dieser Beziehung zu finden, ohne dass natürlich der
Bebandlungserfolg leiden darf.
Die Resultate unserer Pflege müssen als sehr gute be¬
zeichnet werden.
In der Krippe und dem Kinderheim gediehen die Kinder
recht gut. Die Ernährung war, wie schon seit Jahren im alten
Haus, eine lactovegetabile ohne Fleisch und mit seltener Darreichung
von Eiern. Dabei wurden recht befriedigende Zunahmen erzielt,
namentlich wurden durch die rationelle Pflege und Ernährung sowie
durch den möglichst ausgedehnten Genuss frischer Luft im Garten
und auf der Veranda die zahlreichen mit Rachitis behafteten Kinder
wesentlich gebessert.
Ich lege so grossen Wert auf die lactovegetabile Diät, da es
mit ihr am leichtesten gelingt, die den Kindern so schädliche Über¬
fütterung zu vermeiden, die sicherlich doch das Entstehen der Ra¬
chitis begünstigt und die entstandene Krankheit schwerer macht.
Ich beschränke auch die Milchmenge auf höchstens s / 4 Liter im Tag.
Kinder mit exsudativer Diathese bekommen natürlich noch weniger
bzw. Magermilch.
Diese Grundsätze sind ja von allen massgebenden Pädiatern
längst anerkannt, leider spuken aber in der Literatur noch vielfach
andere höchst unzweckmässige Diätverordnungen. So wird in dem
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Original fru-m
UNIVERSITÄT OF IOWA
232
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Pfeiffer’schen Taschenbuch der Krankenpflege, Weimar
1:907, pag. 226, vor der vegetabilischen Kost förmlich gewarnt, und
für das 2. Lebensjahr werden neben Milch, die die Hauptnahrung
bilden soll, als erforderlich bezeichnet: „andere leicht verdauliche
tierische Nahrungsmittel, wie Eier, Fleischbrühe und Fleisch.“ Dann
heisst es: „Ausschliessliche Pflanzenkost ist im Kindesalter von
grösstem Schaden, indem sie die Entstehung der englischen Krank¬
heit begünstigt.“ — Und auf S. 227 wird folgender Speisezettel für
ein mehr als 3 Jahre altes Kind entworfen:
„Frühmorgens: einige Tassen Milch oder Malzkaffee mit viel
Milch und Weissbrot.
„Zum Frühstück: Butterbrot, Fettbrot, etwas kaltes Fleisch,
magere Wurst, ein Ei, etwas reifes Obst.
„Zum Mittagessen: Fleischsuppe, gekochtes oder gebratenes
Fleisch, Gemüse, Kartoffeln. Bei Durstgefühl gebe man ruhig
Wasser während des Essens zu trinken.
„Nachmittags: eine Tasse Milch, Kakao, event. Butterbrot.
„Abends: kalte oder warme Küche mit Brot und Kartoffeln.
„Beim Zubettgehen kann man ausserdem nochmals eine Tasse
Milch reichen.“
Derartige Mästungsanweisungen sollten doch in von Ärzten ver¬
fassten Büchern nicht mehr Vorkommen. Ich bemerke übrigens,
dass an anderer Stelle ('S. 253 u. 259) des gleichen Taschenbuches
vor der Überfütterung als Hilfsursache der Rachitis eindringlich ge¬
warnt und eine durchaus rationelle Diät angegeben wird.
Hoffentlich berücksichtigen spätere Auflagen des sonst so vor¬
züglichen Taschenbuchs etwas mehr die Errungenschaften der
modernen Kinderheilkunde.
An Infektionskrankheiten kamen mehrmals Fälle von Masern
und Stickhusten vor. Die daran erkrankten Kinder wurden alsbald
nach Hause bzw. ins Krankenhaus entlassen.
Epidemien traten glücklicherweise nicht auf; ebenso gelang
es, die Einschleppung dieser Krankheiten auf die stationäre Ab¬
teilung zu verhüten. Gegen Ende des Berichtsjahres kamen einige
äusserst milde verlaufende Fälle von Windpocken (Varicellen) vor;
an dieser Krankheit erkrankten auch einige Säuglinge im Säuglings¬
heim, ohne dass übrigens ein Kind ernstlich in seinem Gesundheits¬
zustand dadurch geschädigt wäre.
Ein eineinhalbjähriges Krippenkind erkrankte an Lungen¬
entzündung, wurde mangels häuslicher Pflege ins Säuglingsheim
verlegt und starb dort. (Näh. siehe unter „Säuglingsheim“ S. 239.)
Die Ergebnisse der Pflege bei den Krippensäuglingen
waren ebenfalls gute. Die Kinder erhielten teils rein künstliche
Ernährung, teils Zwiemilchernährung, d. h. sie wurden dreimal täg-
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
233
lieh (morgens, mittags und abends) von ihren Müttern gestillt, im
übrigen künstlich ernährt. Eine derartige „Stillkrippe“ ist eine sehr
empfehlenswerte Einrichtung, namentlich für grössere industrielle
Unternehmungen. Wir erleichtern den stillenden Müttern ihre Pflicht
durch Gewährung von Mittagessen und durch Ermässigung des
Pflegesatzes. Einzelne dieser Frauen legten auch noch fremde
Kinder im Säuglingsheim an („Stillfrauen“) und wurden dafür
entsprechend bezahlt.
Leider wurden unsere Erfolge oft gemindert durch unver¬
nünftige Fütterung der Kinder im Hause. Namentlich Montags
konnten wir häufig die Spuren dieser elterlichen Unvernunft in Ge¬
stalt von Korinthen, Obstkernen u. dgl. in den Entleerungen der
Säuglinge nach weisen.
Diejenigen Säuglinge, die nur zeitweilig in der Krippe, da¬
gegen längere Zeit im Säuglingsheim verpflegt wurden, sind in un¬
serer Statistik an letzterer Stelle aufgeführt.
Im eigentlichen
Säuglingsheim
wurden (s. Tabelle I) im ganzen 120 Kinder verpflegt, von denen
81 zur Entlassung kamen und 39 am 1. IV. 08 im Bestand blieben.
Von diesen 120 kamen zur Aufnahme:
1. wegen Krankheit 50,
2. zur Pflege 61,
3. als Ammenkinder 9.
Hierbei ist zu bemerken, dass auch von den zur Pflege aufgenom¬
menen Kindern nur wenige als gesund im ärztlichen Sinne anzu¬
sprechen waren. Die meisten hatten durch die häuslichen Notstände
schon erheblich gelitten, waren mit Ernährungsstörungen, Haut¬
krankheiten, Rachitis u. dgl. behaftet.
Um ein ungefähres Bild von dem Zustand der Kinder bei
ihrer Aufnahme ins Säuglingsheim zu geben, habe ich in Tabelle III
(S. 234) sämtliche im Berichtsjahr auf dieser Abteilung des Hauses
verpflegten Kinder, nach Altersstufen geordnet, zusammengestellt
und für jede Gruppe das Mindestgewicht, Höchstgewicht und Durch¬
schnittsgewicht bei der Aufnahme sowie zum Vergleich das normale
Durchschnittsgewicht gleichalteriger (künstlich genährter) Kinder
hinzugefügt. Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, dass fast
die Hälfte, nämlich 45,7 °/ 0 , bei der Aufnahme noch nicht 3 Monate
alt war und dass die Durchschnittsgewichte recht erheblich hinter
den normalen zurückblieben.
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UNIVERSUM OF IOWA
234
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Tabelle III.
Alter
Zahl
der Kinder
Mindest¬
gewicht
Höchst¬
gewicht
Durch¬
schnitts¬
gewicht
Normaler
Durch¬
schnitt
0— 7 Tage
6
2350
3820
3103
3390
8-14
n
7
2900
3300
3090
3500
15-31
n
12
2100
4450
3074
3700
1— 2 Monate
12
1660
4440
3381
4000
2- 3
n
18
2575
6200
3869
5000
3- 4
5
3800
6880
5282
5330
4- 5
V
10
2200
6270
5016
6000
5— 6
n
8
2980
6320
5177
7000
6- 7
n
7
2760
7650
5335
7500
7- 8
n
5
5070
7250
6214
7750
8- 9
V
1
—
—
7860
8200
9-10
n
4
1 4450
10260
6982
8400
10-11
7t
5
5570
7530
6728
8800
11—12
7»
4
| 4840
9280
7132
9980
über 1
Jahr
16
i
1
Gesamtsumme 120
Von den 120 Kindern gingen ab:
als gesand bzw. geheilt entlassen .... 50
„ gebessert entlassen.20
„ ungeheilt entlassen.5
gestorben.6
Summa 81
Mithin Bestand am 1. IV. 08.39
Von den vorwiegend wegen Krankheit aufgenommenen bzw.
verpflegten Kindern 1 ) litten bei der Aufnahme an:
Akuter Ernährungsstörung.12
Chronischer Ernährungsstörung (Atrophie) . 17
Schwäche (Debilitas bzw. Frühgeburt) . . 3
Darmverscbluss (Invagination).1
Leistenbruch.2
Angeb. Missbildung (Atresia ani perinealis) 1
Wasserkopf (Hydrocephalus acquisitus) . . 1
Rachitis.4
1) Es sind hierbei auch die aus dem Vorjahr mitübernommenen
berücksichtigt.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
235
Krämpfen (Spasmosphilie, Laryngospasmus,
Eklampsie, Tetanie).3
Furunkel, Zellgewebsentzündung, Ekzem . 4
Lungenentzündung.1
Brustfelleiterung (Empyem) ..1
Sa. 50
Die Mehrzahl aller wegen Krankheit aufgenommenen Kinder litt
also an Störungen der Ernährung, und zwar von den leichtern Graden
an bis zu den allerschwersten Formen (höchstgradige Abmagerung,
Intoxikation etc.). Wie schon oben erwähnt, waren auch die meisten
der nicht wegen Krankheit, sondern zur Pflege aufgenommenen
Säuglinge mehr oder weniger in ihrer Ernährung geschädigt. Es
stand also im Vordergrund der Behandlung bei fast allen Kindern
die diätetische Beeinflussung, und diese wurde ausgeübt vor
allem durch die Darreichung von Ammenmilch.
Von den neun Ammen — sämtlich uneheliche Erstgebärende —,
die wir nebst ihren eigenen Kindern im Berichtsjahr aufnahmen, blieben
zwei nur kurze Zeit (5 bezw. 3 Wochen) im Haus, zwei waren über
5 Monate bei uns, die übrigen fünf blieben über den 31. März 1908
hinaus. Von ihnen ist eine seit 28. Mai 1907, eine seit 18. Sept.
1907 und eine seit 5. Okt. 1907 im Säuglingsheim, die letzte seit
14. März d. J.
Sämtliche Ammen konnten ausser ihrem eigenen Kinde noch
mehrere andere Säuglinge ganz oder teilweise stillen. Durch die
vermehrte Inanspruchnahme liess sich die Ergiebigkeit der Brust¬
drüsen sehr erheblich steigern. Im Interesse der Ammen selbst
trieben wir die tägliche Milchproduktion im allgemeinen nicht über
2000 g. An einzelnen Tagen wurden allerdings höhere Zahlen —
bis ca. 2500 g — erreicht.
Ich gebe nachstehend die monatlichen Milchproduktionszahlen
zweier unserer Ammen an als typische Beispiele für die schnell stei¬
gende und lange Zeit konstant bleibende Ergiebigkeit der Brustdrüsen.
1. Klara M., 19 Jahre alt, I para. Entbunden am 6.IX. 1907.
Ins Säuglingsheim aufgenommen 18. IX. 1907.
Es betrag die Milchproduktion:
im September 1907 . 12 520 g
77
Oktober
77
. . .
. 47193
'7
November
77
*
55100
7*
Dezember
77
• • •
64 223
n
Januar
1908 .
• • •
. 67 555
77
Februar
77
• •
. 63 915
77
März
77
• • •
. 68990
Höchste Tagesmenge: 2470 g.
NB- Kräftige Person von ca 70 kg Körpergewicht.
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UMIVERSITY OF IOWA
236
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2. Bertha D., 33 Jahre alt, I para. Entbunden am 7. IX. 1907.
Ins Säuglingsheim aufgenommen am 5. X. 1907.
Es betrug die Milchproduktion:
im
Oktober
1907 . .
. 34 831
8
71
November
71
. 39 915
71
n
Dezember
7)
. 59 705
71
71
Januar
1908 . .
.61580
r>
n
Februar
71
. 57 350
71
n
März
7)
. 65 680
71
NB. Blasse, grazile Person von ca. 55 kg Körpergewicht!
Im ganzen wurden während der Berichtszeit geliefert:
von den Hausammen. 1775,555 kg Milch
„ „ Stillfrauen (s. o. S. 233) . . . 419,985 „ „
Es standen uns also zur Verfügung insges. 2195,540 kg,
d. i. durchschnittlich pro Tag 6,534 kg.
Wenn auch diese Frauenmilchmenge keine übermässig reich¬
liche war, so konnten wir doch bei ökonomischer Verteilung —
das ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Ober¬
schwester — alle Ansprüche befriedigen. Wir konnten im ganzen
65 Säuglinge ganz oder teilweise mit Muttermilch bzw. Ammen¬
milch ernähren.
Das Betragen unserer Ammen war durchgehende ein recht
gesittetes und ordentliches. Der erziehliche Einfluss der strengen
Anstaltsdisziplin machte sich meist schon nach kurzer Zeit wohltuend
geltend, und die unehelichen Mütter, die oft in recht deprimiertem
Gemütszustand und körperlich reduziert eintraten, verlassen das Haus
körperlich und sittlich gestärkt und — zudem im Besitz eines Spar¬
kassenbuches, das ihnen beim Wiedereintritt ins Leben gut zu¬
statten kommt.
Wenn wir nun versuchen uns Rechenschaft zu geben von den
erzielten Behandlungsresultaten, so wäre etwa folgendes zu sagen:
Von der Geissei des Hospitalismus, die früher alle Säuglings¬
anstalten heimsuchte, blieben wir vollständig verschont. Alle Kinder,
die uns gesund überliefert wurden, blieben gesund und entwickelten
sich im allgemeinen ebenso ungestört und normal wie in der Pflege
des Elternhauses. Nur eines Übelstandes konnten wir nicht Herr
werden, nämlich des endemischen Schnupfenfiebers (Grippe). Während
der Wintermonate hatten wir fast beständig unter dieser Grippe
zu leiden; sie trat meist in leichter Form auf als kurzdauerndes
Fieber ohne sonstige Symptome oder als Schnupfen mit geringer
Tracheobronchitis, Angina retronasalis, Schwellung der Nacken¬
drüsen, Mittelohrentzündung etc., bei einigen schwächlichen Kindern
kam es aber auch zu Pneumonien, hei einigen zu lange Zeit (nt
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
237
natelang!) anhaltenden Fieberzuständen, durch die die Kinder in
ihrer Entwicklung recht zurückgebracht wurden.
Das langdauernde, übrigens mässige Fieber erregte in mehreren
dieser Fälle denVerdacht auf die Entwicklung einer Tuberkulose.—
Der negative Ausfall der Tuberkulinprobe und die schliessliche
Genesung widerlegten aber diesen Verdacht. In einem Falle stellte
sich im Anschluss an eine Grippe ein etwa drei Wochen dauerndes,
hohes remittierendes Fieber von pyämischem Charakter ein, für das
eine Lokalisation nicht zu finden war und das schliesslich, ohne be¬
sondere Schädigung des Kindes zu hinterlassen, verschwand.
Glücklicherweise gingen schliesslich alle diese Grippefälle in
Heilung über, und mit Beginn des Frühjahrs, als wir sämtliche Kin¬
der (von Ende Februar an) täglich auf 1 — 1 */* Stunde auf den
Veranden der frischen Luft aussetzen konnten, erlosch die Endemie
allmählich.
Über sonstige interkurrente Krankheiten ist kaum etwas zu be¬
richten, speziell blieben wir von Ernährungsstörungen gesunder Kin¬
der völlig verschont, trotzdem unsere Kuhmilch noch lange nicht
allen berechtigten Anforderungen entspricht. Es ist eine einfache
Bauernmilch aus relativ reinlichem Betriebe; sie wird an Ort und
Stelle filtriert, auf Wasserleitungstemperatur gekühlt und kommt
nach etwa V* ständigem Wagentransport gegen 7 ühr früh bei uns
an. Ihre Temperatur bei der Ankunft stieg im Hochsommer bis
auf 14—15° C.
Unsere Erfolge in der Behandlung kranker Kinder konnten
auch allen billigen Ansprüchen genügen. Es gelang uns, eine Reibe
schwerer akuter und chronischer Ernährungsstörungen zur Heilung
zu bringen.
Einige kurze Auszüge aus unsern Krankengeschichten mögen
zur Erläuterung dienen.
1. Wi., Luise, geb. 27. X. 07, aufg. 19. XII. 07 mit schwerer
akuter Ernährungsstörung infolge Überfütterung mit Kuhmilch
(12 Mahlzeiten!). Nie gestillt. Schwere Colicystitis und -Pyelitis.
Gew. 2640 g. Auf Wunsch der Eltern gebessert entlassen am
12. III. 08 in gutem Ernährungszustand; 3520 g. Durchschnittliche
Gewichtszunahme 10,4 g pro Tag. (Vgl. hierzu Abb. 1 u. 2.)
2. Eck., Erika, geb. 4. VIII. 07, aufg. 14. X. 07 im Zu¬
stand schwerster Intoxikation (Bewusstlosigkeit, cboleriformer Zu¬
stand, Glykosurie etc.), einige Tage gestillt. Körpergewicht 3210 g.
Gebessert entlassen am 10. XII. 07 mit 3740 g. Hat sich weiterhin
gut entwickelt.
3. Ei., Willi, geb. 11. VI. 07, aufg. 10. VIII. 07, fast mo¬
ribund, mit schwerer akuter Ernährungsstörung, 2930 g; künstlich
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UNIVERSUM OF IOWA
238
genährt. Geheilt entlassen am 21. XII. 07 mit 4910 g. Durch¬
schnittliche tägliche Zunahme 14,7 g.
Die Behandlung von Fall 1 — 3 bestand vorwiegend in der
Darreichung von Frauenmilch.
4. v. B., Hedwig, geb. 28. VIII. 06, aufg. 18. VI. 07, fast
10 Monate alt, mit 4450 g, hochgradige Atrophie. Geheilt entlassen
in blühendem Gesundheitszustand am 16. III. 08 mit 8960 g. Durch¬
schnittliche tägliche Zunahme 20,2 g.
Abb. 1. Wi., Luise, geb. 27. X. 07, aufg. 19. XII. 07.
Photogr. Aufnahme 2. I. 08.
Abb. 2. Dieselbe am 29. II. 08, also 8 Wochen später.
5. Schtn., Helene, geb. 17. II. 07, aufg. 3. IX. 07, also fast
7 Monate alt, mit 2760 g, schwerste Atrophie, Ulcera corneae. Ge¬
heilt entlassen am 13. XII. 07 mit 4390 g. Durchschnittliche täg¬
liche Zunahme 16,1 g.
6. Li., Laura, geb. 22. V. 07, aufg. 13. VII. 07, nie gestillt,
2700 g, skelettartig abgemagert, diffuse Entzündung der gesamten
Körperhaut, doppelseitige Ohreiterung. Daran anschliessend zwei Mo¬
nate lang (bis 12. IX. 07) Pyätnie. Fieber wochenlang jeden Abend
bis 40 und 41°, abwechselnd mit Untertemperatur bis 34°. Meh¬
rere grosse Phlegmonen an Brust, Rücken und Kopf. Wiederholte
Inzisionen. Schliesslich glatte Heilung und langsame, aber stetige
Entwicklung.— Auch in diesem Falle ist die Erhaltung des Lebens
nur durch die Ammenernährung möglich gewesen.
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Bei 29 Säuglingen war ausgeprägte Rachitis vorhanden.
Die meisten dieser Fälle besserten sich unter Freiluftbehandlung,
vegetabiler Kost, knapper Ernährung und event. Phosphorlebertraa
recht gut.
An Operationen wurden ausser einer Anzahl kleinerer Ein¬
griffe (Punktion der Hydrocele, Spaltung von Abszessen und Phleg¬
monen, Lumbalpunktionen und Schädelpunktion bei Hydrocephalus}
folgende ausgeführt:
Zweimal Radikaloperation des Leistenbruchs (1 rechts¬
seitig, 1 doppelseitig). In beiden Fällen trat primäre Heilung ein.
Einmal Rippenresektion wegen Empyem; gebessert
entlassen.
Einmal Laparotomie wegen irreponibler, seit 3 Tagen
bestehender Invaginatio ileo colica bei 8 Monate altem Säugling.
Anastoroose zwischen Ileum und Colon transversum. Tod 4 Stunden
nach der Operation im Kollaps.
Einmal plastische Operation wegen Atresia ani peri-
nealis bei einem viermonatlichen weiblichen Säugling. Mit gutem
funktionellen Resultat geheilt entlassen.
Es kamen in der Berichtszeit folgende 6 Todesfälle vor:
1. Bo., Joseph, geb. 10. VI. 07, aufg. 29. VIII. 07 im
Zustand schwerster alimentärer Intoxikation, 3520 g, nie gestillt.
Trotz aller Bemühungen trat keine Erholung ein; Tod am 5. Tag,
3. IX. 08.
2. Po., Maria, geb. 9. V. 06, aufg. 30. 5. 07 mit 4840 g,
also hochgradiger A trophie, daneben schwerste Rachitis. Plötz
lieber Tod am 9. VI. 07. Obduktion klärt die Todesursache nicht.
(Schädelsektion aus äussern Gründen unterlassen.)
3. Pü., Paul, geb. 16.11.06, aufg. aus der Krippe 8. X. 07
wegen croupöser Lungenentzündung. Tod am 24. X. 07
durch Erstickung infolge übermässiger Ausbreitung des pneumonischen
Prozesses (Wanderpneumonie, Pleuritis).
4. Kl., Willi, geb. 26. IX. 07, aufg. 1. XI. 07 mit 1660 g,
akute Ernährungsstörung; moribund. Tod nach 3 Stunden.
5. A., Kurt., geb. 30. VI. 07, aufg. 20. II. 08, 8 Monate alt.
Intussuszeption (s. o. unter Operationen S. 238).
6. Ke., Anna, geb. 15. III. 07, aufg. 28. V. 07 mit 2575 g,
Atrophie, Verdacht auf Tuberkulose. Gest. 13. XII. 07. Obduktion
ergibt ausgebreitete Tuberkulose der Lungen, des Darms etc.
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Es treffen also nnr 4 Todesfälle auf das eigentliche Säuglings¬
alter, zwei auf das 2. Lebensjahr, und es handelte sich bei all
diesen Kindern, abgesehen von Fall 1 und 5, um Erkrankungsfälle,
in denen nach Lage der Dinge jede ärztliche Kunst versagen musste.
Auch bei Fall 1 und 5 war von vornherein die Hoffnung auf Er¬
haltung des Lebens eine äusserst geringe. Die günstigen Sterblich¬
keitsverhältnisse kommen natürlich auch auf Rechnung des kühlen
Sommers 1907, durch den die Säuglinge vor den gefürchteten sommer¬
lichen Ernährungsstörungen verschont blieben.
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Ohruntersuchving bei Schulkindern 1 ).
Von
Dr. Hermann Preysing,
Prof. f. Ohrenheilkunde a. d. Akademie f. prakt. Med. zu C'Oln.
Durch gegenseitig sich fördernde Arbeit von Pädagogen und
Ärzten ist in den letzten Jahrzehnten manches Gute für die Jugend¬
erziehung geschaffen worden. Die notwendigsten sanitären Ein¬
richtungen für die Schulen sind eingeführt, — bei der Auswahl der
Kinder für bestimmte Erziehungsmethoden wird nach den Er¬
gebnissen der medizinischen Forschungen verfahren: ich erinnere
nur an die Hebung des Taubstummenunterrichts und an die neu¬
geschaffenen Schulen für Minderbegabte. Die grösseren Gemeinden
in Deutschland sind wohl in den letzten Jahren ajle dazu über¬
gegangen, durch Schulärzte die Kinder der Volksschulen regel¬
mässig auf ihren Gesundheitszustand untersuchen und überwachen
zu lassen. Waren dabei zunächst auch rein gesundheitlich-soziale
Rücksichten massgebend, so ist doch der Einfluss der Gesundheits¬
lehre auf die Schule als solche nicht ausgeblieben.
Es scheint nun fast, als ob dieser Einfluss kein ganz gleich-
mässiger geblieben ist; auf keinen Fall ist er ein genügender. Jeder
Laie und selbstverständlich erst recht jeder Lehrer legt den grössten
Wert darauf, dass das Sehorgan gut funktioniert. Kleine Schäden
am Auge fallen jedem auf und erscheinen jedermann verbesserungs¬
bedürftig. Um so mehr ist es zu verwundern, dass in der Schule¬
trotz der Fortschritte der Wissenschaft auf diesem Gebiete ver¬
hältnismässig so wenig Wert auf eine .regelmässige und gründliche
Untersuchung der Ohren gelegt wird, obgleich doch das Ohr für
die Schule entschieden das wichtigste Sinnesorgan ist: es kann ein
Kind mit nicht gesunden Augen viel leichter dem Unterricht folgen,
als der Schüler mit schlechten Ohren. Der Grund für die immer
noch bestehende Vernachlässigung liegt vielleicht zu nicht geringem
Teile auf rein medizinischem Gebiete. War doch bis vor kurzem
1) Nach einem Vortrage, gehalten auf einer Konferenz von Schul¬
ärzten der Stadt Cöln am 22. April 1908.
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kein Medizin Studierender verpflichtet, anf der Universität Ohren¬
heilkunde zu hören, ja, gab es doch Universitäten, an welchen die
-Obrkrankheiten Oberhaupt nicht gelehrt wurden.
Unter diesen Verhältnissen erscheint es nicht unangebracht,
■dahin zu wirken, dass die Einsicht an massgebenden Stellen, besonders
bei deu kommunalen Behörden gefördert wird, wie notwendig
■eine Ohr Untersuchung der Volksschulkinder ist, und in
welcher' Weise sic am zweckmässigsten in die sonstige
ärztliche Untersuchung eingeordnet wird.
Dass vom rein gesundheitlichen Standpunkte aus das Ohr
mindestens dieselbe ärztliche Aufmerksamkeit erfordert, wie jedes
andere Organ, das geht schon aus der wichtigen Tatsache hervor,
dass nach den Statistiken verschiedener Länder (Deutschland-England)
-5—7°/o aller Todesfälle in dem Alter von 10 bis 20 Jahren auf
Obrerkrankungen zurückzuführen sind.
Ist das auch ein recht hoher Prozentsatz, und würde er allein
-schon eine regelmässige ärztliche Ohruntersuchung der Volksschnl-
kinder rechtfertigen, so wiegt die funktionelle und damit die
^pädagogische Bedeutung doch noch höher. Das mögen folgende
Zahlen zeigen:
Nach ohrenärztlichen Untersuchungen fanden sich in den Volks¬
schulen von
Luzern (Nager) 40 ,S°I 0 schwerhörige Kinder
Stuttgart (Weil) 32,6°/ 0 „ „
Marburg (Ostmann) 28,4 °/ 0 „ „
München (Bezold) 25,8°/ 0 „ „
Hagen (Denker) 23,3°/ 0 „ „
3Ü8o durchschnittlich um 30°/ 0 herum, d. h. fast ein Drittel aller
Volksschulkinder ist unter den heutigen Verhältnissen mehr oder
weniger schwerhörig.
Auffallend mutet es an, dass gegenüber einem so hohen
Prozentsatz kranker Ohren in den Volksschulen eine Statistik
Allerdings aus dem Jahre 1885) über die höheren Schulen
Preussens die niedrige Ziffer 2,18 °/ 0 Schwerhörige ergibt. Es ist
zu bedauern, dass wir nicht neuere Gegenüberstellungen dieser ver¬
schiedenartigen Befunde besitzen, möglichst von demselben Unter¬
sucher herrührend; denn ihre Bestätigung wäre der beste Beweis
dafür, wie gute ärztliche Versorgung — welche man bei den
Schülern höherer Anstalten wohl ohne weiteres voraussetzen darf —
den Prozentsatz der Schwerhörigkeit in der Schule ausserordentlich
herabdrücken kann 1 ).
1) Doch müssten auch wirkliche Untersuchungen an den höheren
Schulen vorgenommen werden, nicht bloss Zählungen der Schüler, welche
sich als schwerhörig melden!
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Id den erwähnten Gesamtprozentgat/ von durchschnittlich 30 °/ 0
schwerhörigen Volksschulkindern sind inbegriffen schwerste Mittel-
ohr-Eiterungen mit Knochenzerstörungen und Fälle allerleichtester
Art mit blossen funktionellen Störungen. Das Verhältnis der schweren
zu den leichten Ohrerkrankungen stellte sich in Stuttgart und
München so, dass nur 2°/ 0 der Zahl der Gesunden schwere Ohr¬
leiden hatten, und damit wären wir ja hei dem für die höheren
Schulen angegebenen Prozentsatz angelangt.
Nicht uninteressant und in praktischer Beziehung nicht un¬
wichtig ist es nun, die vorliegenden Statistiken zu zergliedern: sie
enthalten manchen Wink, besonders für den Schularzt. Nehmen
wir als Grundlage für Einzeldaten die Statistik Ostmanns (Marburg) *),
welche mit ihrem Ergebnis von 28 1 l t °l 0 Schwerhörigen dem Durch¬
schnitt aller vorliegenden Statistiken am nächsten kommt, so fallen
zunächst anf: ganz bedeutende Schwankungen je nach den
verschiedenen Schulen, und zwar finden sich neben Schulen mit
einem Schwerhörigenverhältnis von nur 6,5 °/ 0 solche mit 55,2 °/ 0 ,
ja, wenn nur die Knabenklassen berücksichtigt werden, sogar bis
zu 67,6°/ 0 . Dazu muss ausdrücklich bemerkt werden, dass diese
Ergebnisse alle durch einheitliche Untersuchungen gewonnen sind
und nicht etwa auf verschiedenartige Methoden zurückgeführt
werden können. Dass auch an diesen Unterschieden die bessere
oder schlechtere ärztliche Versorgung die Hauptschuld trägt, das
konnte Ostmann klar beweisen, indem er die Beziehungen der
einzelnen Landorte zu dem ärztlichen Zentrum Marburg mit ihrer
Schwerhörigenziffer verglich. Es zeigte sich da, dass die Ort¬
schaften in der nächsten Nähe Marburgs
a) die wenigsten Schwerhörigen hatten und
b) doch die grösste poliklinische Besuchsziffer;
die entferntesten Landgemeinden hatten
a) die grösste Zahl Schwerhörige und
b) die niedrigste poliklinische Besuchsziffer.
Besser, als es damit von Prof. Ostmann geschehen ist, konnte die
Notwendigkeit einer obrenärztlicben Versorgung der Schulen der
unbemittelten Stadt- und Landbevölkerung gar nicht beleuchtet werden.
Es war oben schon angedeutet, dass die Statistiken auch eine
Ungleicbmässigkeit bemerken lassen nach dem Geschlecht der
untersuchten Schulkinder. Der Unterschied ist zwar kein so greller,
wie der eben angeführte; aber er scheint doch konstant zu sein.
Die Zahl der schwerhörigen Knaben überwiegt nämlich etwas die
Zahl der ohrkranken Mädchen. Bei Ostmann stellt sich dies
Verhältnis so, dass von den Knaben 30°/ 0 schwerhörig waren, von
1) Archiv f. Ohrenheilkunde.
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den Mädchen 26,8 °/ 0 , so dass also auf 100 schwerhörige Knaben
etwa 90 schwerhörige Mädchen kommen. Wo der Grand für diese,
wie es scheint' regelmässige, Abweichung liegt, ist auf Grund der
vorliegenden Statistiken nicht zu sagen.
Ein flüchtiger Blick auf die Art der Ohrerkrankungen
zeigt bei allen Statistiken übereinstimmend, dass die schwereren
Leiden stark zurücktretengegen die leichteren. Greifen|wir der
Einheitlichkeit wegen wieder auf die Statistik Ostmanns'zurück,
so fanden sich neben 5—6°/ 0 zweiffellos schweren Ohrleiden
(Eiterungen, Trommelfellzerstörungen usw.) und einem gewissen
Prozentsatz der Schwere nach zweifelhafter Fälle
etwa lü°/ 0 Fälle mit Ohrschmalzpfröpfen und
„ 44°/ 0 „ „ sog. „Trommelfelleinziehung“
(letzteres Leiden die Folge von Nasenerkrankungen, besonders
Racheninandel-Vergrösserang). Diese beiden Gruppen, welche zu¬
sammen über die Hälfte aller schwerhörigen Kinder in sich begreifen,
stellen Erkrankungen dar, welche nach unseren Erfahrungen mit
unseren jetzigen Mitteln so ziemlich ohne Ausnahme zu heilen oder
wenigstens bedeutend zu bessern sind. Das ist für Eltern, Lehrer
und Behörden wohl ein sehr wichtiger Punkt. Neben der Tatsache,
dass durchschnittlich ein Drittel aller Volksschulkinder schwerhörig
ist, steht doch sofort die tröstende Möglichkeit, die Hälfte aller
dieser Kinder durch ärztliche Behandlung zu heilen und
zu bessern.
Ein auffallender Zug der Statistiken muss noch erwähnt werden,
dass nämlich nach fast allen Untersuchungen die Schwerhörigkeit
nach dem Beginn des Schulbesuches etwa bis zu den ersten drei
Schuljahren verhältnismässig stark zunimmt, um dann für die übrige
Schulzeit wieder mehr abzufallen. Die stärkste Zahl der
Schwerhörigen findet sich um das 8. Lebensjahr herum 1 )
Man bat diese Tatsache vielfach so verwertet, als sei der Schul¬
besuch an sich für diese Steigerung verantwortlich zu machen, und
zwar in der Weise, dass die Kinder durch den Schulbesuch in
diesem zarteren Alter grösseren Witterungsschädlichkeiten ausgesetzt
würden, dass die Ansteckungsmöglichkeiten in der Schule grössere
seien als zu Hause usw. Ganz von der Hand zu weisen sind diese
Möglichkeiten nicht, sie spielen sicher eine Rolle. Die Hauptschuld
scheint aber doch daran zu liegen, dass in die kritische Zeit der
ersten Schuljahre auch die meisten Erkrankungen an Masern, Schar-
1) Das wäre neben der oben erwähnten Hauptursache ein weiterer
wichtiger Grund, warum die Statistiken der höheren Schulen besser sind:
sie beginnen erst nach dem kritischen 8. Lebensjahre und reichen dann
bis zum 20. Jahre, während die Volksschulstatistiken mit 14 Lebensjahren
abschliessen.
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lach usw. fallen, welche mit Vorliebe Ohrerkranknngen nach sich
ziehen.
Was die pädagogische Seite der uns beschäftigenden
Frage angeht, den Nachteil der Schwerhörigkeit für den
Unterricht, so liegen anch dafür statistische Beweise vor.
Bezold hat seine ohrenärztlichen Untersuchungen auch ausgedehnt
auf die Leistungen der schwerhörigen Schüler. Er benützte dazu
die Schulen und Klassen, in welchen die Schüler nach ihren
Leistungen den Klassenplatz erhalten. Wenn in einer Durchschnitts¬
klasse von 100 Schülern der 50. Platz als Mittelplatz angenommen
wurde und als normale Hörfähigkeit eine solche auf 20 Meter, so
hatten die Kinder, welche weniger als 8 Meter hörten (mässige
Schwerhörigkeit), einen Durchscbnittsplatz von 54, solche, welche
weniger als 4 Meter hörten (stärkere Schwerhörigkeit), einen
Durchscbnittsplatz von 64 1 /,, und solche, welche weniger als 2
Meter hörten (sehr starke Schwerhörigkeit), einen Durchschnittsplatz
von 67 */*.
Kinder mit sehr starker Schwerhörigkeit machen oft den Ein¬
druck geistiger Minderwertigkeit und scheinen nicht ganz selten
den Klassen für Minderbegabte oder Schwachsinnige zu-
geführt worden zu sein. Wenigstens scheint ein Befund von
W a n n e r (München) dafür zu sprechen, welcher an einer solchen
Schule 69 °/ 0 der Kinder als Schwerhörige bezeichnen konnte. Leider
ist das nnr eine einzelne Untersuchung, und die Zahl der Unter¬
suchten ist zu gering, so dass man noch keine verallgemeinernden
Schlüsse daraus ziehen darf. Immerhin scheint es aber doch nach
dem Untersuchungsergebnis von W a n n e r notwendig, dass gerade
auch die Sonderklassen und Sonderabteilongen ohrenärztlich
genauer geprüft und behandelt würden.
Einen interessanten Seitenblick lässt uns Ostmann tun auf
das Verhältnis der bei den Schulkindern gefundenen Schwerhörig¬
keit zu schweren Allgemeinerkrankungen. Er fand, dass in den
Familien mit verhältnismässig viel schwerhörigen Kindern auch die
Tuberkulose besonders häufig vertreten war. Der Zusammen¬
hang scheint nicht ohne weiteres klar, da nach unseren Erfahrungen
die Tuberkulose gerade nicht zu den Krankheiten gehört, welche
häufig zu Ohrerkrankungen führen. Das Verbindungsglied sucht
0 s t m a n n wohl richtig in dem Umstande, dass Kinder aus
tuberkulösen Familien schwächlicher sind und mehr zu Erkrankungen
der oberen Luftwege neigen als andre, und gerade solche „Er¬
kältungen“ sind ja oft der erste Anlass zu Schädigungen der Ohren.
Man könnte die Tatsache, dass die Schwerhörigkeit unter den
Volksscbulkindern so verbreitet ist, noch nach den verschiedensten
Seiten hin verwenden und vergleichen, doch würde das hier, in
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahr*. 17
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einer rein schulärztlichen Sitzung zu weit führen. Ich darf aber
doch vielleicht nebenbei daran erinnern, dass auch auf sozialem
und staatswirtschaftlichem Gebiet die Ohrleiden eine nicht
zu unterschätzende Rolle spielen. So werden z. B. nach den Aus¬
weisen der Militärverwaltung von 1903 durchschnittlich 1,07°/„
der Gestellungspflichtigen militärdienstuntauglich gefunden wegen
Erkrankung der Ohren. Dabei ist zu bedenken, dass diese Dienst¬
untauglichen schon schwere Ohrleiden haben müssen; denn Leute
mit mässigen Hörschäden werden nach den geltenden Bestimmungen
ruhig eingestellt. Es ist nach unserer Kenntnis von der Entstehung
und Entwicklung der Ohrkrankbeiten anzunehmen, dass wenigstens
ein Teil der erwähnten Dienstuntauglichen vor den schwereren Ohr¬
erkrankungen hätte geschützt werden können, wenn sie während der
Schulzeit ärztlich behandelt und beaufsichtigt worden wären.
Der Beweiskraft der im vorstehenden angeführten Hauptzahlen
kann sich wohl so leicht niemand entziehen, am allerwenigsten
unsere Gemeindebehörden. Und doch ist bisher herzlich wenig ge¬
schehen, um diesen Schäden abzuhelfen. In massgebenden ärztlichen
Körperschaften (wie auf den jährlichen Kongressender deutschen Ohren¬
ärzte) kommt die Frage der regelmässigen obrärztlichen Untersuchung
der Volksscbulkinder seit Jahren nicht mehr zur Ruhe. Eingaben an
Ministerien und andere Behörden sind gemacht; aber wir sind noch
recht weit entfernt von einer befriedigenden Regelung dieser Dinge
und stecken erst kaum in den Anfängen der Lösung. Es stehen
ja allerdings einer glatten Erledigung auch reichliche Schwierig¬
keiten entgegen. Auf keinen Fall ist es getan mit einfachen all¬
gemeinen behördlichen Verordnungen, sondern es muss erst durch
praktische Arbeit herausgefunden werden, welche Form der regel¬
mässigen Obruntersuchung der Eigenart der lokalen Verhältnisse
am besten entspricht.
Dass man heutzutage eine solche Untersuchung nicht mehr
dem Lehrer überlässt, ist wohl selbstverständlich. Wo aber doch
Neigung dazu bestehen sollte, wolle man bedenken, dass z. B. in
Zürich bei früheren Untersuchungen durch Lehrer nur die Hälfte
der Zahl von schwerhörigen Kindern herausgefunden werden konnte,
welche bei Nachuntersuchungen der Arzt feststellen konnte.
Also muss der Arzt die Untersuchung vornehmen. Ganz
recht; aber da erheben sich schon Schwierigkeiten. Soll das der
Schularzt tun, oder der Ohrenarzt, oder beide zusammen? Für
die Gemeinden wäre ja die einfachste Lösung die: sie stellten für
eine bestimmte Schul- und Kinderzahl einen oder mehrere beamtete
Schul-Obrenärzte an. Danach geht auch das Streben mancher
Ohrenärzte an einzelnen Orten, und hier und da scheint man auch
diesen Ausweg schon beschritten zu haben. Wenn ich nicht sehr
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irre, hat z. B. in Berlin der um die Schulsache sehr verdiente
Prof. A. Hartmann für einen Bezirk von einigen 20000 Schul¬
kindern die regelmässige Ohruntersucbung unter Leitung eines die
Aufsicht führenden, angestellten Ohrenarztes durchgesetzt.
Die Einheitlichkeit und Zentralisation einer solchen
Ordnung hat ja für die grösseren Gemeinden etwas sehr Ver¬
lockendes: die notwendigen statistischen Unterlagen für eine gute
Weiterentwicklung bleiben einheitlicher, die hygienischen Massregeln
können mehr aus einem Guss geraten, und auch die Anwendung der
gewonnenen Erfahrungen auf die pädagogische Praxis kann einheit¬
licher und dadurch für die Gemeinden zweckmässiger geschehen.
Lauter Empfehlungen für ein derartiges System; aber es wird
sich auf keinen Fall überall durchführen lassen, vielleicht sogar
überhaupt nur an wenigen Orten. Es herrscht in ärztlichen Kreisen
eine gewisse Abneigung und Misstrauen, weitere Beamtenstellungen
für Ärzte zu schaffen. Liegen derartige Schwierigkeiten vor, so
wird es sich empfehlen, einem anderen System den Vorzug zu
geben, welches 1 2 ) in Elberfeld eingeführt ist. Dort ist gewisscr-
massen bei der ohrenärztlichen Untersuchung der Volksschulkinder
das Prinzip der freien Arztwahl durchgeführt worden. Die Ohren¬
ärzte der Stadt, so viele sich au den Untersuchungen beteiligen
wollen, sind alle zugelassen, und die Schulen werden gleichmässig
unter alle Untersuchcr verteilt. Für jede Einzeluntersuchung erhält
der Ohrenarzt von der Stadt eine bestimmte Bezahlung, welche so
bemessen ist, dass die Gemeinde keine höheren Kosten aufznwenden
bat, als wenn sie beamtete Ärzte anstellt *).
Dieses System hat für die Ärzte den Vorzug der grösseren
Gerechtigkeit; es kann niemand bevorzugt werden, wie es doch
■wohl bei Anstellung einzelner Ärztebeamte Vorkommen könnte.
Eine Einheitlichkeit der Systeme für grössere Verwaltungs
bezirke, Provinzen usw. wird sich nach meinen Erfahrungen und
Eindrücken wohl nicht erreichen lassen. Dazu sind die Interessen
grosser Stadtgemeinden viel zu verschieden von Vereinigungen
kleinster Landgemeinden. Eine starre Einheitlichkeit ist aber auch
.gar nieht notwendig. Im Interesse der diesmal wirklich „guten
-Sache“ stände es vielmehr, wenn Gemeindebehörden sowohl wie
Ärzte sich nicht theoretisch von vornherein auf ein bestimmtes
Prinzip festlegen würden, — wenn vielmehr die Behörden die Ant¬
wort auf das „Wie“ der Ausführung zunächst der Allgemeinheit der
Ärzte oder Ohrenärzte an den einzelnen Orten überliessen, und wenn
1) Nach mündlichen Mitteilungen von Dr.Loewenstein in Elberfeld.
2) Auf Einzelheiten in der Ausführung gehe ich hier nicht ein, sie
würden zu weit führen und decken sich z. T. mit dem weiter unten Ge¬
sagten.
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von beiden Seiten wohlgemeinte Verhandlungen und Vereinbarungen
zu der Möglichkeit baldiger praktischer Arbeit führten. Um Gottes¬
willen nur keine behördlichen Verordnungen, uniform etwa für da»
grosse Cöln und für das kleine Schievelbein. Insofern ist es ein
wahres Glück, dass die bisherigen Eingaben der Deutschen Otolog.
Gesellschaft und anderer Körperschaften im hohen Ministerium still
begraben liegen. Wir dürfen fest überzengt sein, dass hier bürger¬
liche Tatkraft rühriger Gemeinden, auf die Übelstände aufmerksam
gemacht, schneller eingreifen wird und eingreifen kann als hohe
Zentralbehörden.
Darum nur überall frisch an die Arbeit: es wird schon werdent
Die technische Ausführung, die einfache Untersuchung des
Gehörs, mag sie vorgenommen werden von wem sie will, vom.
Schularzt oder vom Ohrenarzt, d i e müsste natürlich ganz gleich-
mässig und einheitlich sein. Das ist auch schliesslich durchzuführen-
unter jedem System. Die Deutsche Otolog. Gesellschaft hat
dafür eine kleine Schrift herausgegeben: „Methode der Obr-
untersucbung bei Schulkindern 1 ), enthaltend eine kurze Be¬
gründung der Wichtigkeit von Ohruntersuchungen in den Volks¬
schulen — enthaltend weiter eine knappe Schilderung der Unter-
suchungsmetboden, wie sie von der 'Deutschen Otolog. Gesellschaft,
gebilligt sind — und schliesslich angeheftet das Schema eines
Personalbogens, wie er über jedes Kind geführt werden soll. Nach
dieser Methode kann zunächst jeder Schularzt die Voruntersuchung:
ausftthren. Es genügt die bloBse Hörprüfung mit Flüstersprache.
Wer unter 8 Meter Flüstersprache hört, ist leicht schwerhörig, unter
4 Meter mittelstark schwerhörig, unter 2 Meter sehr stark schwer¬
hörig. Die so als schlecht hörend berausgefundenen Kinder wären*
nun ohrenärztlich nachzuuntersuchen, hauptsächlich, um fest¬
zustellen, bei welchen Kindern den Eltern eine ärztliche Behandlung
angeraten werden soll, um zweitens festzustellen, wie die Kinder
schultechnisch, pädagogisch zu behandeln sind.
Die ärztliche Behandlung selbst kann und darf natürlich
die Gemeinde nicht ohne weiteres übernehmen. Die Kinder mit
kranken und behandlungsbedürftigen Obren erhalten also nur Mit¬
teilungen an die Eltern, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis,
ob ein gesundheitsgefährliches Ohrleiden (Eiterung) vorliegt, oder
ob eine einfache Schwerhörigkeit aus Rücksicht auf den Unterricht
der Behandlung bedarf.
Diese offiziellen Mitteilungen unterschreibt der Schulleiter,
Rektor usw., nicht der Schularzt oder der nachuntersuchende
Ohrenarzt. Deren Person bleibt ungenannt, damit jeder Verdacht
1) Kommissions-Bericht von Prof. A. Hart mann. Jena, 6. Fischer..
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und jede Möglichkeit eines Praxisvorteiles vermieden wird. Aus
demselben Grunde halte ich es nicht für empfehlenswert, wie in der
■oben angeführten kleinen Schrift (s. S. 248 Anm.) angeraten wird, die
.Nachuntersuchungen im Hause des Ohrenarztes vornehmen zu lassen.
Für den Arzt ist es ja bequemer, aber der Charakter der Schul-
untersuchung bleibt dabei nicht gewahrt.
Den Eltern ist es dann überlassen, entweder ihren eigenen
Ohrenarzt zur Behandlung aufzusuchen oder, wenn sie Anspruch
auf Kassenbehandlung haben, den Kassen-Ohrenarzt. Kinder aus
der Armenpraxis können vom Armenarzt, von Polikliniken usw. in
Behandlung genommen werden. Ich übergebe mit diesem blossen
Hinweise alles, was die wirkliche, auch ohrenärztliche, Behandlung
angeht, als nicht hierher gehörig 1 ).
Wichtig wäre es, mag die Angelegenheit der ärztlichen
Untersuchung selbst geordnet werden, wie sie will, die Lehrer,
welchen eine,, grosse Last Mitarbeit zufallen würde, in der rich¬
tigen Weise zu interessieren. Ihnen würde ein gut Teil besonderer
Sehreibarbeit zugemutet, und wenn Gemeindebehörden und Ärzte dafür
sorgten, dass die Lehrerschaft in der richtigen Weise über die vor¬
liegende Materie durch Vorträge aufgeklärt würde, dann würde
uns die notwendige Hilfe von dieser Seite wahrscheinlich bereit¬
williger geleistet, als es jetzt leider manchmal geschieht.
Manche weitere Frage kann der Arzt nur Hand in Hand mit
dem Lehrer beantworten. Hat der Arzt, oder Ohrenarzt festgestellt,
welche von den schwerhörigen Kindern besserungsfähig sind oder nicht
und ist durch die ärztliche Behandlung weiter ausgewählt worden,
so bestimmen Arzt und Lehrer, ob und welche Kinder nach dem
Grade ihrer Schwerhörigkeit
1. dauernd im Unterricht in der Nähe des Lehrers sitzen.
2. welche einer Schwerhörigen-K lasse oder
3. der Hörklasse einer Taubstummen-Anstalt oder
4. einer Klasse für Zurückgebliebene oder
5. einem Idiotenheim
überwiesen werden sollen.
Als bekannt darf ich dabei wohl alle die genannten Einrichtungen
voraussetzen, ausgenommen vielleicht die Schwerhörigen-Klasse.
Diese Einrichtung ist von Bezold in München und von Hartmann
in Berlin probeweise geschaffen worden und soll sich dort bewährt
haben. Hartmann gibt dafür etwa folgende Gesichtspunkte an:
Nach Sichtung aller schwerhörigen Kinder, nach ärztlicher Behand-
1) Zweckmässig ist es, nicht gleich beim Schuleintritt die Kinder zu
prüfen: sie sind da noch zu befangen und sollten sich wenigstens erst
an den Lehrer gewöhnen, welcher dann bei den Prüfungen vermitteln kann.
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lung, nach Auswahl eines möglichst günstigen Sitzplatzes für unheil¬
bar Schwerhörige stärkeren Grades bleiben doch noch eine Reihe
unheilbarer Kinder so schwerhörig, dass für sie der gewöhnliche
Unterricht in der Normalklasse einfach verloren sein würde. Dem
Lehrer und den Mitschülern sind sie eiue Last und ein schweres Hemm¬
nis. Diese Kinder in der Normalklasse zu lassen ist dazu oft grausam t
die Kameraden haben keinen Begriff für das Leiden, und die
Leidenden werden zum Gespött. Auf der anderen Seite sind diese
stark schwerhörigen Kinder nicht so taub, dass sie in eine Taub¬
stummenanstalt gehörtem Sie verstehen einen Lehrer, welchem es
möglich ist, in einer ganz kleinen Klasse sich mit ihnen zu be¬
schäftigen, ganz gut und können unter solchen Verhältnissen ganz
regelrecht unterrichtet werden und machen gute Fortschritte. Um
einen gewissen Anhalt i u geben, bringe ich die Zahlen Hartmanns:
Nach H. soll sich die Einrichtung von Schwerhörigen-Klassen lohnen
für grössere Gemeinden mit einer Einwohnerzahl voq_ 150000 an
aufwärts. Er fand unter 23000 Schulkindern nach ärztlicher Be¬
handlung noch 30 Kinder, für welche das oben Gesagte zutraf. Für
diese 30 Kinder wurden 6 Unterrichtsabteilungen zu je 5 geschaffen
und dafür im ganzen drei besondere Lehrer angestellt, so dass auf
jeden Lehrer 2 Abteilungen oder 10 Kinder kamen.
Die Lehrer für die Schwerhörigen-Klassen sollen keine Taub¬
stummenlehrer sein, sondern tüchtige Allgemein-Lehrer, gute und
freudige Pädagogen. Ich persönlich möchte es für wünschenswert
halten, dass diese Lehrer sich die Fähigkeit erwerben,- Abseb-
unterricht zu geben, welchen wir Ohrenärzte für Schwerhörige
jetzt so gern empfehlen. Es ist das nicht der Absehunterricht für
Taubstummen-Anstalten, sondern ein besonderer Unterricht, welcher
darauf Rücksicht nimmt, dass die uns hier beschäftigenden Kinder
ja nicht erst sprechen lernen sollen, wie die Taubstummen, sondern
dass ihnen die Sprache geläufig ist. Der sonstige Lehrstoff einer
solchen Schwerbörigen-Sehule soll sich mit dem der Normal¬
schule decken.
Die Erfahrungen mit diesen Klassen sollen, wie gesagt, gute
sein, doch wird es nicht überall leicht sein, sie einzuführen. Es
würde das ja aber gegenüber dem ganzen Thema der Scbul-
Obrenuntersuchungen eine Sorge späterer Zeit sein. Ruhen sollte
aber deswegen die ärztliche Agitation auch an diesem Punkte
doch nicht. Gerade uns Ärzten wird ja tagtäglich vor Augen ge¬
führt, wie wichtig der Allgemeinheit jeder geringste Prozentsatz
von Erwerbsfähigkeit eines Mitmenschen ist. Und hier scheint doch
ein Feld zu sein, auf welchem manches Kind zu einem tüchtigen
und vollerwerbsfähigen Menschen gebildet werden könnte, welches
sonst einfach verblöden müsste, und welches sonst später der All-
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gemeinbeit mehr kosten würde, als die Aufwendungen für die
empfohlenen Erziehungseinrichtungen ausmachen würden.
Bedenken wir doch, dass es ja auch eine Zeit gab, in welcher
der Taubstumme, am MassBtab der Erwerbsfähigkeit gemessen, im
allgemeinen für minderwertig galt. Dass dagegen, seit die ärzt¬
liche Wissenschaft sich auch der Taubstummenanstalten angenommen
hat, unsere Erfahrungen mit der Arbeitsfähigkeit der Taubstummen
andere geworden sind. Die statistischen Ergebnisse der Erfolge auf
diesem Gebiete ermutigen doch sehr, auch die Versuche mit- den
Schwerhörigen-Sehulen durchzuführen.
Während noch im Jahre 1880 in Deutschland nur 42,6 °/ 0 der
Taubstummen erwerbsfähig wurden, waren im Jahre 1900 = 70,2 %
vollerwerbsfähig, und zwar meistens in sog. „besseren“ Berufen.
Ja, in München, wo die ohrenärztliche Versorgung der Schulen dank
der regen Arbeit Bezolds vielleicht die beste von Deutschland ist,
betrug die Zahl der erwerbsfähigen aus den Anstalten entlassenen
taubstummen Zöglinge sogar 86%
Das sind ermutigende Zahlen, und sie mögen uns einen Teil
von dem Optimismus geben, welchen wir Ärzte zu jeder Zeit als
die beste Medizin „ad usum proprium“ bereithalten müssen.
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Kleine Mitteilung.
Die Stadt Solingen veranstaltet vom 12. bis 26. September
d. J. eine Ausstellung für Sftuglings- und Kinderpflege.
Die Ausstellung soll alle Klassen der Bevölkerung über die
Säuglings-Ernährung, Pflege, Wartung und Haltung in Privathäusern
und öffentlichen Anstalten aufklären und die Mittel zeigen, wie zur
Herabminderung der Säuglingssterblichkeit beigetragen werden kann.
Sie soll ferner über die wichtigsten Fragen der körperlichen und
seelischen Aufzucht des Kindes aufklären und so helfen, alle
Kreise zu gewinnen, ihre geistigen und materiellen Kräfte in den
Dienst der Säuglings- und Kinder-Fürsorge und damit des Volks¬
nachwuchses zu stellen.
Nachdem man sich in den letzten Jahren vielfach bemüht hat,
die weitesten Schichten der Bevölkerung über die Notwendigkeit
der Verbesserung der Kinderpflege und Erziehung zu unterrichten,
glauben wir mit einer solchen Ausstellung den Eifer aller Stände
um so mehr an regen zu können, als alle Bevölkerungskreise der
hiesigen Gegend für Aufklärung im weitesten Masse zugänglich
sind, so dass ein Erfolg für uns ausser Frage steht.
Zur Ausstellung gelangen alle Gegenstände und Produkte,
die der Säuglings- und Kinderpflege und Ernährung dienen.
Von Ihrer Majestät der Kaiserin sind Portraits-Medaillen zur
Prämiierung hervorragender Leistungen gestiftet worden; ferner stellte
die Königliche Staatsregierung eine Anzahl goldene und silberne
Medaillen zur Auszeichnung von Ausstellern zur Verfügung.
Im Arbeits-Ausschüsse der Ausstellung sitzen der Oberbürger¬
meister Dicke, der Stadtverordnete Schwarz und der Kinder¬
arzt Dr. Selter.
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Literaturbericht.
Borntr&ger, Das Öffentliche Gesundheitswesen in Lissabon. Ein
Reisebericht im Anschluss an den 15. internationalen medizinischen Kon*
gress 1906. (Vieteljahrschrift f. gerichtl. Med. u. öffentl. Sanitätswesen.
1907, 34. Bd., Suppl.)
Es herrscht in Portugal ein reges medizinisches und hygie¬
nisches Interesse. Man verfolgt, wenn auch wichtiges Selbständiges
zunächst nicht geschaffen ist, die Fortschritte in anderen Ländern,
darunter wesentlich auch in Deutschland, und sucht mit Energie
und Geschick sich diese Fortschritte nutzbar zu machen. So ist
namentlich auch die Seuchenbekämpfung in durchaus moderner
Weise vorgesehen. Diese Bestrebungen wurden durch den medizi¬
nischen Kongress in Lissabon deutlich gefördert.
Die Kostspieligkeit mancher sanitärer Einrichtungen muss
um so mehr auffallen, als Portugal ein armes Land ist. So gehen
z. B. das aus Stein und Eisen erbaute Seehospiz Santa Anna zu
Parede (100 Betten zu je 16000 M.), das Zentraldispensaire für
Tuberkulöse und die See-Desinfektionsanstalt entschieden über das
Nötige weit hinaus. Die reichliche staatliche Unterstützung der
Bestrebungen gegen die Tuberkulose ist sehr lobenswert: jährlich
80000 M. und andere Unterstützungen.
Die Verwaltung einschliesslich der begutachtenden Körper¬
schaften wie die Gesetzgebung erscheinen in Portugal bezüglich
der Zahl und Art der Beamten sehr detailliert; die Gesetze wer¬
den, wahrscheinlich da sie manchmal selbst zu strenge sind, nicht
immer streng durchgeführt. Andrerseits fehlen wichtige Organisa¬
tionen, z. B. Gewerbefreiheit, Fürsorge für kranke Arbeiter, Impfung
und Wiederimpfung. In der Sanitätsverwaltung erscheinen die
Medizinalbeamten als selbständige Einzelbeamte und mit eigener
Rangordnung in sich, etwa wie in unserer Armee. Die Meldungen
über ansteckende Krankheiten gehen an den Kreizarzt, der nach
mancher Richtung selbständig Vorgehen kann, was im Interesse
der Medizinal beamten wie besonders in dem der Allgemeinheit und
der Vereinfachung des Geschäftsverkehrs liegt.
Von sonstigen Portugal eigentümlichen beachtenswerten sani¬
tären Eigenschaften und Bestimmungen sind hervorzuheben:
1. Die Ausbildung und Anstellung besonderer Sanitätsingenieure.
2. Das fortlaufende Führen von Besichtigungsbüchern für von den
Kreisärzten zu kontrollierende Anlagen.
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3. Manche Bestimmungen gegen die Tuberkulose, z. B. über die
Anzeigepflicht, Absonderung und Desinfektion (nach Umzug
und Tod), auch besonders in Hotels und Privatpensionen; das
Verbot derVerwendung Tuberkulöser im Esswarenverkauf usw.,
kurz die völlige Behandlung der Tuberkulose als übertragbare
Erankheit in sanitärer Hinsicht; das tatkräftige und ziel¬
bewusste praktische Vorgehen der Tuberkulosegesellschaft in
Lissabon, das Einschreiten gegen das unerzogene wahllose
Auswerfen, die Heilungsversuche an den Skrofulösen in Sana¬
torien mit langer Behandlungsdauer, in gewissem Grade auch
die gesetzliche, staatliche, kommunale und sonstige Subvention
im Kampfe gegen die Tuberkulose.
4. Die systematische Vertilgung der Ratten in Lissabon durch
Leute mit Katzen auf kommunale Kosten.
5. Die Durchbildung des Desinfektionswesens und der Desinfek¬
tionsanstalten, dabei die Verwendung der schwefligen Säure
und drehbare Aufhängewerke bei Formalin.
6. Die im ganzen vortreffliche Anlage des Hospitals do Rego für
ansteckende Kranke, der Automobilbetrieb für die Speisen.
7. Die Zentralisierung der Diphtheriebehandlung im bakteriolo¬
gischen Institut zu Lissabon.
8. Gewisse allgemeine Verordnungen gegen die Verbreitung über¬
tragbarer Krankheiten, z. B. Beibringung ärztlicher Atteste
über das Freisein davon seitens der Dienstboten, Esswaren¬
verkäufer, Kuhhälter.
9. Einrichtung und Betrieb von Kuhställen in der Stadt, die den
Transport und damit die Sterilisation der Milch leichter ent¬
behrlich machen.
10. Verpflichtung gewerblicher Anlagen, sobald sie mehr als 50
Frauen beschäftigen, eine Krippe einzurichten.
11. Die hochentwickelte Waisenpflege in der Casa pia mit ihrem
weitgehenden Lehrplan und ihrer Sorge in der Körperpflege.
12. Die Prinzipien, Strafgelder in demjenigen Verwaltungsgebiete,
in dem sie entstanden sind, zugunsten der öffentlichen Gesund¬
heitspflege zu verwenden.
Soviel steht fest, dass in Portugal auf hygienischem Gebiete
mancherlei Originelles, Gutes und der Verpflanzung in andere Län¬
der wohl Wertes zu Anden ist. Verf. hat aus seiner Reise erneut
die Überzeugung heimgebracht, wie nützlich es doch für unser
Vaterland wäre, wenn zum eingehenden örtlichen Studium des
Eigenartigen auf hygienischem und medizinischem Gebiete in frem¬
den Ländern zu unseren diplomatischen Vertretern im Auslande
gleich anderen schon vorhandenen technischen Vertretern, z. B.
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der Landwirtschaft, des Militärs und der Marine, sich recht bald
auch hygienische oder medizinische Attaches gesellen möchten.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Vogel, Entwässerung und Reinigung der Gebäude mit Einschluss
der Spül-, Wasch- und Badeeinrichtungen, Aborte und Pissoire.
Leipzig 1908. A. Krouer)
Das als Teil des Handbuchs der Architektur in dritter Auf¬
lage erscheinende Werk stellt den Höhepunkt der Erfahrungen
dar, welche die Technik zur Zeit auf dem genannten Gebiete der
öffentlichen Gesundheitspflege erreicht hat und erläutert die voll¬
kommensten Einrichtungen, welche diesem Zwecke dienen, mit
umfassendster Gründlichkeit. Mustergültige Vorbilder dieser An¬
lagen liefern heut besonders die Amerikaner; mit Recht regen die
Verfasser eine grössere Vertiefung und Fürsorge für den Gegen¬
stand auch bei den deutschen Baumeistern und Ingenieuren an,
namentlich auch unter den einfachen Verhältnissen ländlicher Be¬
bauung und kleiner Städte.
Aus den Hauptgrundsätzen der Hausentwässerung:
1. möglichst schnelle Abführung aller Auswurfstoffe auf dem
kürzesten und schnellsten Wege,
2) möglichste Unschädlichmachung der Kanalgase,
3) Verhindern jeglichen Ausströmens von Kanalgasen in be¬
wohnte Räume,
sollen sich alle dem Zweck der Entwässerung und Reinigung der
Gebäude entsprechenden Einrichtungen entwickeln. Ihre überaus
mannigfaltige Gestaltung, Vorzüge und Fehler behandeln die Ver¬
fasser — auch unter Berücksichtigung der geschichtlichen Ent¬
wicklung — in der eingehendsten W’eise, sowohl in allen Einzelheiten
wie an durchgeführten Beispielen der Gesamtanlagen.
Die besondern Einrichtungen zum Reinigen der Geräte und
der Haushaltungen sowie der Wäsche, die Waschbadeeinrichtungen
und Abortanlagen finden eine erschöpfende Darstellung, so dass
das Werk als ein vollkommenes und unentbehrliches Hilfsmittel,
das dem Techniker zeigt, was er leisten, dem Hygieniker, was
er fordern kann, nur warm und dringend zu einer recht all¬
gemeinen Verbreitung uud Beachtung empfohlen werden kann.
Schnitze (Bonn).
1. Metzger, Verwertung und Beseitigung des Klärschlammes aus
Reinigungsanlagen städtischer Abwässer. [Referat, erstattet Auf
dem 14. Internationalen Kongress für Hygiene und Demographie zu
Berlin am 26. September 1907.) — 2. Haack, Dasselbe Thema. [Kor¬
referat, erstattet auf demselben Kongress.] (Ges.-Ing. 1908, Nr. 4.)
In beiden Aufsätzen wird summarisch die Frage der Schlamm-
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reinigung und eingehend auf Grund der Ergebnisse älterer und
neuerer Schlamtnverwertungsversuche die der rationellen Beseitigung
des Schlammes behandelt.
Es werden von Metzger folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Die Schlammrückstände aller bekannten Reinigungsmetho¬
den sind niemals so wertvoll, um etwa derjenigen Reinigungsart
-den Vorzug zu geben, bei der die grösste Schlammmenge gewonnen
wird. Es gilt dies vorläufig auch für die Fälle, in denen mit einer
Verwertung des Schlammes durch Fettgewinnung oder durch
Vergasung gerechnet wird.
2. Die Entschlammung der Abwässer ist, um die Erzeugung un¬
nötig grosser Schlammmengen zu vermeiden, nur so weit zu treiben,
*ls es die Beschaffenheit der Vorflut oder die auf die Entschlammung
folgende Reinigungsart bedingen.
3. Das Riesel verfahren ist hinsichtlich der Schlammverwertung
und Beseitigung allen anderen Reinigungsraethoden überlegen.
Das Mass der Entschlammung richtet sich bei der Rieselung nach
•der Wassermenge, die pro Hektar unterzubringen ist; je kleiner
diese ist, um so geringer darf die Entschlammung sein.
4. Die einfachste und mit geringster Belästigung verbundene
Methode der Schlammbeseitigung ist die Unterbringung des dünn¬
flüssigen Schlammes auf genügend grossen Ländereien. Der Schlamm¬
berieselung sollte daher mehr, als es bisher geschehen ist, der
Vorzug gegeben werden, und zwar auch dann, wenn das Schlamm-
wasser durch maschinelle Anlagen nach entfernt gelegenen
Ländereien befördert werden muss.
5. Die Aufsammlung des Schlammes in der Umgebung der
Kläranlage ist, sofern diese in der Nähe der Stadt liegt, zu ver¬
meiden, da Belästigung durch Geruch, massenhafte Ansammlung von
Fliegen und andern Insekten und durch die spätere Abfuhr nicht
.zu vermeiden ist. Auch wird der Wert des Schlammes durch die
hohen Unkosten der Abfuhr auf ein Minimum reduziert, wenn nicht
ganz aufgehoben.
6. Die Verwertung und Beseitigung des Schlammes ist von
so grosser Bedeutung, dass eine Kläranlage nicht eher zur Aus¬
führung kommen sollte, bis nicht alle die spätere Behandlung des
Schlammes betreffenden Fragen endgültig und unter Vermeidung
der bekannten Übelstände im Prinzip entschieden sind.
Zusammenfassend stellt Haack folgende Grundsätze für die
Verwertung von Klärschlamm auf:
1. Der Schlamm wird vor allen Dingen als Dünger verwendet.
2. Eine Fettgewinnung ist praktisch möglich und kann unter
Umständen nötig werden, wenn z. B. eine schnelle Beseitigung der
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Klärschlämme erwünscht ist. Die Rückstände gewinnen durch
Entfernung des Fettes grössere Verwendbarkeit als Düngmittel.
3. Rückstände der Kohlebreiverfahren können verbrannt oder
vergast werden.
4. Rentabilität kann zur Zeit noch bei keinem Verfahren
gewährleistet werden. Lohmer (Cöln).
Fischer, Rasche spontane Entbräunung und Enteisenung bei einem
Grundwasser. (Hyg. Rundschau 1907, Nr. 18.)
In eisenhaltigen Wässern geht durch die Einwirkung der
Luft unter Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe das ursprüng¬
lich in Form von kohlensaurem Eisenoxydul gelöste Eisen nllmäblich-
in das unlösliche Eisenoxydhydrat über, wodurch Trübung und
Bodensatz entstehen. Erst nach 5—14 Tagen verschwindet beim
Stehen an der Luft die Trübung wieder ganz. Die künstliche
Enteisenung geschieht demnach durch Lüftung und nachfolgende
Filtration. Diese Methode versagt aber oft bei Grundwasser, in
dem das Eisen nicht ausschliesslich als Eisenoxydulkarbonat gelöst
ist. Auch Buminverbindungen können dem Wasser eine gelbbraune-
Färbung geben, die selbst nach langem Stehen an der Luft sich
nicht verändert. Verfasser beobachtete im Schwentinetal (bei Kiel)
Brunnenwasser mit einer raschen und freiwilligen Enteisenung und
Entbräunung. Die Huminverbindungen stammten aus den mittlem
durch einen besonders hohen Kochsalzgehalt ausgezeichneten Partien
des Grundwasserstromes. Die die Braunfärbung bewirkende Hu-
minverbindung wird durch das Wasser aus Braunkohle ausgelaugt,
der braune Farbstoff begünstigt und beschleunigt die Eisenaus-
fällung, das Eisen aber die Farbstoffausfällung: „beide Substanzen
begünstigen sich gegenseitig bei der Ausflockung“.
Bermbach (Cöln).
Kisskalt, Beobachtungen an einer Wasserleitung. (Hvg. Rundschau
1907, Nr. 18.)
Die Wasserleitung war 2 Stunden lang abgesperrt; l 1 /* und
3 Stunden nachher ergab sich keine Veränderung in der Keimzahl,
ebensowenig 1, 2 und 3 Tage später. Am 5. Tage trat eine
ausserordentliche Vermehrung der Keimzahl auf, die bis zum
10. Tage anhielt, erst am 13. Tage war sie wieder normal. Es
ist anzunehmen, dass sich Keime an in die Leitung eingebrachtem
Material zunächst vermehrt haben, und dann, als der Belag dicht
war, so dass sie nicht mehr fest haften konnten, in das strömende
Wasser übergingen. Die Verspätung der Zunahme der Keime war
nicht durch langsames Fliessen des Wassers bedingt.
Bermbach (Cöln).
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Hygieos, Einige Vorschläge bezüglich der Einrichtung von Bade¬
anstalten. (Gesellig-. 1907, Nr. 52, und 1908, Nr. 2.)
Die wichtigsten Ausgaben einer Badeanstalt entstehen durch
Kohlenverbrauch, Wasserverbrauch und Arbeitslöhne. Um . diese
zu verringern schlägt der Verfasser vor, bei dem Betriebe von
Badeanstalten Maschinenabdampf zu verwerten. Am vorteilhaftesten
geschieht dies durch Verbindung der Badeanstalten mit elektrischen
Zentralen oder mit Holzbearbeitungswerken mit elektrischem Be¬
trieb. Die Ausführung dieser Idee wird eingehend besprochen.
Ferner wird vorgcschlagen, das Ablaufwasser der Wannwasser¬
brausen in Schwimmbadeanstalten durch einen Vorwärmer oder
Gegenstromapparat zu führen, um durch letzteren — fast ohne
weitere Wärmezufuhr — die verlangte Temperatur des Schwimm¬
badfrischwassers zu erhalten. Endlich verspricht sich Verfasser
von einer „Umwälzung* 4 des Bassinwassers mit Passieren einer
Filtrieranlage neben einer Verminderung des Frischwasserverbrauches
und des Wärmeverbrauclies eine Verbesserung des Reinheits¬
zustandes des Schwimmbadwassers und des Bassins und eine Er¬
höhung der Ergiebigkeit der Kaskaden ohne Täuschung des
Publikums. Lohnt er (Cöln).
Roth, Gewerbehygiene. (Leipzig 1907. J. Göschen.)
In dem kleinen handlichen Format der Sammlung Göschen
gibt der auf dem Gebiete der Gewerbehygiene rilhralichst bekannte
Verfasser einen kurzen Überblick über die allgemeine und spezielle
Gewerbehygiene. Details und Zeichnungen kann man natürlich in
dem Rahmen des Büchleins nicht erwarten Die Hauptpunkte sind
aber sämtlich knapp und klar dargestellt, so dass das Buch zur
Einführung in die Gewerbehygiene durchaus ausreicht; es sollte in
der Bibliothek des Kreisarztes und jedes Arztes, der in industriellem
Bezirke tätig ist, nicht fehlen, der äusserst geringe Preis von
80 Pfennigen ermöglicht jedem die Anschaffung. Von besonderem
Werte ist es, dass das Büchlein aus einem Gusse ist und überall
dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft entspricht, was bei
den grossen Sammelwerken meist nicht der Fall ist.
Meder (Cöln).
Olouston, Die Gesundheitspflege des Geistes. [Mit Vorwort, Anmer¬
kungen und einem neuen Kapitel versehen von A. Forel.] (München
1908. J. Reinhardt.)
Es ist ein durch und durch praktisches und vor allem ein
gesundes Buch, das uns hier durch Forels Vermittelung vorgelegt
wird, eines von jenen Büchern, deren versöhnender Optimismus
in uns den Wunsch laut werden lässt, sie in der Hand unserer
Kranken zu wissen, damit sie sich daran erfreuen und gesunden.
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Der Verfasser geht davon aus, dass ein gesunder und starker
Geist entschieden das grösste und reichste Erbe sei, das der
Mensch auf seinem Lebenswege mitbekommen könne. Die Pflege
des Geistes, das Bemühen, ihn vor drohenden Gefahren zu schützen,
müsse eine Hauptaufgabe der heutigen Wissenschaft sein. Die
Hygiene des Geistes aber habe "von der Grundlage auszugehen,
dass der Geist in allen seinen Fähigkeiten durch die Gehirntätig¬
keit bedingt sei, ohne Gehirn kein Geist. Wollen wir den einen
pflegen und schützen, dann müssen wir mit der Kenntnis des anderen
beginnen, wir müssen das geistige Getriebe im Gehirn und die
Beziehungen des Gehirnmechanismus zu den seelischen Vorgängen
kennen lernen.
Clouston bespricht diese und eine ganze Reihe von anderen
Verhältnissen, wie Erblichkeit, Temperament, Gemütsbewegungen
u. a. m., und überall tritt uns der praktische Engländer entgegen,
der uns u. a. den Rat gibt, wie ein guter Teil der Hygiene des
Geistes beim Magen einzusetzen habe. Die Grundlage aller Gesetze
und den Kult alles gesellschaftlichen Lebens sieht er in der Selbst¬
beherrschung, und ohne sie sei ein Zusammenhalt unmöglich. Wehe
dem Menschen, der seinen reichen Vorrat an Gehirnhemmung zu
rasch verbraucht.
Es ist an dieser Stelle und in einem Auszuge überhaupt nicht
möglich, die ganze Menge ernster Mahnungen und beherzigens¬
werter Vorschriften wiederzugeben, und wir können nur mit dem
Rate schliessen, das Buch selbst zu lesen. Wer diesen Rat befolgt,
wird es, wie ich, gerne wieder zur Hand nehmen, um stets aufs
neue Anregung und Belehrung daraus zu schöpfen.
Pelm an (Bonn).
v. Lindheim, Saluti juventutis. [Eine sozial-statistische Untersuchung.]
(Wien-Leipzig 1907. Deutike.)
Reiches Material für alle Vertreter der Kinderforschung und
-fürsorge bringt hier v. Lindheim, welcher durch sein Werk
Saluti aequorum über die Aufgaben und die Bedeutung der
Krankenpflege bereits vielseitig bekannt geworden ist.
Lindheim hat mit einem Stabe tüchtiger Spezial forscher zu¬
sammen eine ganze Reihe von Studien über alle Fragen der Ent¬
wickelung des Kindes in gesunden und kranken Tagen, über den
Zusammenhang der körperlichen und geistigen Entwickelung, über
Jugendfürsorge usw. in diesem stattlichen Band vereinigt.
Im ersten Kapitel spricht Joseph über Vererbung, speziell
ihre Bedeutung für körperliche und geistige Eigenschaften, und
kommt, wie später Alt, zur Ablehnung consanguiner Eben. (Die
von Prof. Feer-Heidelberg in Stuttgart, Naturforscher-Ver-
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sammlang 1906, entwickelten Anschauungen dürften mehr das
tatsächlich Erwiesene wiedergeben. Ref.) Hochsinger, der be¬
kannte Kenner der hereditären Syphilis, behandelt das spätere
Schicksal hereditär Luetischer, betr. ihrer körperlichen und
geistigen Entwickelung, die Ernährung der luetischen Säuglinge.
Seiffert bespricht ausführlich die Wichtigkeit und Notwendig¬
keit der natürlichen Ernährung, während Lindbeim die
Säuglingssterblichkeit und ihre Ursachen in der Einleitung dieses
Kapitels erörtert. Dass dabei, wie leider fust überall, der Bedeutung
der Wohnung kaum gedacht wird, die Untersuchungen von Vir chow,
Meinert, Prausnitz, Flügge usw. unerwähnt bleiben, ist in diesem
Werk eine direkte Lücke. L.s Tabellen über die Bedeutung der
unehelichen Abstammung für die Sterblichkeit, körperliche und
geistige Entwickelung, Militärtauglichkeit, Kriminalität sind von
allgemeinstem Interesse.
Das dritte Kapitel betont die Notwendigkeit bester Erziehung
und bester Erzieher im neutralen Kindesalter bis zur Ein¬
schulung und erörtert deren heutige Mängel und Vorschläge zur
Abhilfe. Es schliesst mit Zappert’s jedem Arzt und Pädagogen
willkommenen Untersuchungen und Ausführungen über die geistige
Entwickelung, die Charakterentwickelung im neutralen Kindes¬
alter, über Prophylaxe und Hygiene, Pflege in gesunden und
kranken Tagen. Hier wird auch die Forderung einer exakten
Wohnungshygiene erhoben.
Das vierte Kapitel bringt drei ärztliche Abhandlungen über
Krüppel und Krüppel-Fürsorge von Hovorka, über die
Augenerkrankungen im neutralen Kindesalter von Hamburger,
über die Fürsorge bei schwerhörigen und taubstummen
Kindern von Alt. Was bei ihm über die Häufigkeit taubstummer
Kinder aus consanguinen Ehen gesagt ist, kann nicht unwider¬
sprochen bleiben, da Alt es für wünschenswert hält, dass der
Staat „zum Schutze einer gesunden Nachkommenschaft“ die Ehen
zwischen Blutverwandten, selbst zwischen Geschwisterkindern (! Ref.)
beschränken sollte! Uchermann, von Alt zitiert, hat gerade
darauf hingewiesen, dass Consanguinität als solche durchaus
nicht zu taubstummen Nachkommen führt, so fand er z. B. in
Trondhjem nur einen Fall von Taubstummheit auf 903 consanguine
Ehen. Nur wo Taubstummheit oder Anlage zu Ohrleiden in den
Familien vorhanden ist, besonders aber in der nächsten Familie
beider consanguinen Eltern, da ist Taubstummheit der Kinder
ungemein häufig. Als erbliche Degenerationserscheinung,
nicht als Folge consanguiner Ehegatten aus gesunder
Familie, bezeichnet Feer mit Recht die Taubstummheit.
Im nächsten Kapitel finden vor allem die Beziehungen
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zwischen Körper und Geist während der Schulzeit des
Kindes durch Bargerstein eine vielseitige, sachverständige, an¬
regende Erörterung. Die Hygiene des Schulkindes zu Hause wie
im Schulzimmer, die Hygiene seiner Erziehung bei normaler wie
anormaler Intelligenz, die Erziehung mit Trennung, wie Vereinigung
der beiden Geschlechter wird in kritischer Weise besprochen. Dass
die modernen Fragen betr. des Schularztes und aller ihm heute
erwachsenden Aufgaben, auch die der sexuellen Aufklärung der
Jugend dabei nicht fehlen, ist selbstverständlich. Auch die Unter*
suchungen B.s über die bürgerliche und Schul-Tagesein-
teilnng sind so lesenswert, wie dies ganze Kapitel aus der Feder
eines unserer ersten Fachmänner auf dem Gebiet der Hygiene
der Schulzeit des Kindes; Lindheim selbst bespricht in richtigem
Ton and überzeugender Weise den Geschlechtstrieb zur Zeit
der Beife, die durch ihn bedingte Notwendigkeit der Auf¬
klärung des Kindes, die Verirrungen des Geschlechts¬
triebes und die Folgen der Geschlechtskrankheiten für
die körperliche und geistige Entwickelung. Allerdings wird die von
ihm unbedingt geforderte Aufklärung der Schüler immer eine der
schwierigsten, ungemein von der Person des Aufklärers im Erfolg
abhängende Frage bleiben, die vielleicht mehr dem Elternhaus als
der Schule zukommt. Es folgt ein Gutachten über psychische
Störungen des Kindesalters und des der Entwickelungs¬
höhe vorausgehenden Alters von Berze. Die Aetiologie der¬
selben wird eingehend erörtert; es folgt eine Besprechung der
verschiedenen Formen und ihrer Bedeutung für das Verbrechen
im Kindesalter, ihre Prophylaxe. Dem über die verheerenden
Wirkungen des Alkoholgenusses im Kindesalter Ge¬
sagten möchten wir die weiteste Verbreitung wünschen.
Sicher spielen Ernährung, Erziehung, Hygiene der ganzen Lebens¬
weise des Kindes die von Berze entwickelte Rolle in der Ge¬
schichte des geistig minderwertigen oder geisteskranken Kindes,
ohne dass Eltern und Erzieher das genügend wüssten.
Lindheim darf auf allseitige Zustimmung rechnen, wenn er
unter Hinweis auf die schwere Schädigung des Kindes an Körper
und Geist durch falsche Prüderie, Schmutzliteratur und Porno¬
graphie in Wort, Bild und Theater zum Schluss kommt, dass über
den sittlichen Verfall des Menschen meist die Zeit der Pubertät
entscheidet, dass Verwahrlosung des Körpers die des Geistes bedingt,
und dass die wichtigsten Aufgaben der Familie, der Schule und
des Staates: die Sorgen für das Heil der Jugend dem wachsenden
Kinde biB zur Pupertät gelten müssen.
So betont im achten Kapitel Altmann, der Jurist, mit Recht,
dass zum Zweck der allein wirksamen Prophylaxe, der Jugend-
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jshrg. 18
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fürsorge, kein Kind in einer die Verwahrlosung an Körper und
Geist begünstigenden Umgebung gelassen werden darf. (Möchte
das doch auch in Preussen so laut erklingen, dass nicht die „Für¬
sorge als gänzlich nutzlose „Nach“sorge erst einsetzt, wenn die
Verwahrlosung bereits als vorliegend nachgewiesen ist.) Was A.
über das Haltekinderwesen, die Beteiligung der Frauen und Aerzte
an der Waisenpflege, über eine Reform der Gerichtsbarkeit Jugend¬
licher ausftibrt, steht heute erfreulicherweise im Vordergrund der
Bestrebungen aller Gebildeten, welche sich mit derartigen Fragen
beschäftigen.
Im neunten Kapitel wird die Berufswahl des Kindes ab¬
gehandelt mit Rücksicht auf seine körperliche und geistige Leistungs¬
fähigkeit einerseits, die Aussichten des Berufes andererseits. Lind¬
heims Ausführungen über Frauenstudium und Frauen¬
bewegung sind sehr beachtenswerte und auch sicher zum grossen
Teil zutreffende. (Referent hätte ein beredteres Eingehen auf die
Bedeutung einer möglichst hohen Bildung der Frauen für ihre
Aufgabe als Erzieherin der Kinder in diesem Werke gewünscht.
Wenn L. resümiert: „Die Frauenbewegung wird durch Bevor¬
zugung der häuslichen Arbeit jeder Art noch die allergrössten
Erfolge erreichen“, so muss man dem hinzusetzen: wenn der
Frau die gleiche Bildungsmöglichkeit und gleiche Bildungsberech¬
tigung wie dem Manne als selbstverständlich zuerkannt wird.
Sicher bringt L. der Frauenfrage das grösste Wohlwollen ent¬
gegen, wenn auch seine Lebensanschauung und seine anscheinend
mehr ungünstigen eigenen Erfahrungen betr. „studierter“ Frauen
ihn zu einem sehr skeptischen Standpunkt geführt haben.)
Im zehnten Kapitel wird das Resultat der vorgehenden Unter¬
suchungen in 18 Leitsätzen vereinigt, und von Heller werden die
Ergebnisse über den Zusammenhang körperlicher und geistiger
Entwickelung übersichtlich geordnet, wozu die schwierige Auf¬
gabe zu lösen war, die so verschiedenen Untersuchungen zu einem
mehr einheitlichen Ganzen zu verschmelzen. Im Schlusskapitel
stellt der Verfasser alle die Forderungen an den Staat und
die Gesellschaft auf, "welche aus dem Vorausgegangenen sich
ergeben.
Wer immer sich mit der Entwickelung des Körpers und Geistes
des wachsenden Menschen eingehender beschäftigen will, wer ihre
Wechselwirkung in Gesundheit und Krankheit studieren, wer mit-
arbeiten will zum Heil der Jugend, er kann an diesem nach An¬
lage, Umfang, Durchführung wie der Bedeutung der Mitarbeiter
gleich hervorragenden Werk nicht vorübergehen.
Möge es in den Kreisen aller Gebildeten, bei Schulmännern
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und Aerzten, Städteverwaltungen und Wohlfahrtsvereinen, in Volks¬
bibliotheken usw. die weiteste Verbreitung finden.
Siegert '(Cöln).
Boas jr., Entwurf eines Alkoholmerkblattes für die wandernde
Jugend. (Zeitschr. f. Krankenpflege 1908, Nr. 1.)
Das Alkoholmerkblatt hat folgenden Wortlaut: „Obgleich nach
den Satzungen unseres Vereins die Frage des Alkoholgenusses der
Mitglieder dabin geregelt ist, dass der Genuss geistiger Getränke
auf den Wanderungen und Ausflügen allen Teilnehmern, Führern
wie Schülern, untersagt ist, kommt man doch bei genauer Prüfung
zu der Einsicht, dass damit im Grande herzlich wenig erreicht
ist. Der Wandervogel vergisst an dem Ausflugstage und nur an
diesem den sog. ,Genuss* geistiger Getränke über den Schönheiten
der Natur, die ihm auf seiner Wanderung begegnen, und dem
anregenden Gespräch der Kameraden. Er lernt ihn für einige
Stunden entbehren, aber sich ganz davon loszuiuachen, vermag er
nur selten. Zu Hause angekommen, setzt die besorgte Mutter, um
einer Erschöpfung des geliebten Sohnes vorzubeugen, ihm ein G^as
Bier oder Wein zur ,Stärkung* vor. Nun kennt ihr aber schon
aus dem guten alten Homer das Wesen dieser Stärkung. Ich
brauche euch nur an die Stelle aus Ilias IX zu erinnern, wo
Hekuba, Hektors Mutter, dem Sohn einen Humpen Wein zur
Stärkung reicht, und wo ihr Hektor erwidert, er bedürfe dessen
nicht; der Wein entnerve ihn und mache ihn seiner Stärke ver¬
gessen. Und sein Urteil ist durchaus zutreffend. Erst jüngst hat
Dr. Hoppe in einem lesenswerten Aufsatze die ungünstigen Er¬
fahrungen bekannter Bergsteiger und Touristen, die sie bei ihren
Partien mit dem Alkohol gemacht haben, mitgeteilt, und in ähn¬
lichem Sinne hat sich jüngst Geheimrat Prof. Hoffa (f) geäussert.“
„Bei der Grösse der körperlichen, sittlichen und sozialen
Schädigungen des Alkoholgenusses ist es klar, dass man sich am
besten der geistigen Getränke ganz enthält. Es bedeutet das keines¬
wegs ein Aufgeben besonderer Lebensgenüsse, im Gegenteil, wohl
keiner von euch, der einmal ein Glas Bier oder Wein zu sich
genommen, hat den Eindruck eines sonderlichen Genusses gehabt.
Doch wäre es falsch, euch sofort zur Umkehr zu raten; jedes Ding
hat seine Zeit. Befleissigt euch zunächst einmal einer Massigkeit
im Genuss geistiger Getränke und leitet dann ganz allmählich zur
völligen Enthaltsamkeit über. Ihr sollt sehen, das Aufgeben wird
euch nachher leichter erscheinen, als ihr zunächst glauben möget.
Dazu tritt das für den Jüngling erhebende Bewusstsein, einen Sieg
über sich selbst davongetragen zu haben, das nicht hoch genug
angeschlagen werden kann.“
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„Doch ihr sollt euch nicht nur selber der Massigkeit befleissigen,
sondern auch Schulkameraden für euere Ideen zu gewinnen suchen,
nicht etwa durch kategorische Forderungen wie etwa diese: Du
sollst das Trinken lassen!, auch nicht durch einen Appell an das
Ehrgefühl des Betreffenden, sondern sagt ihnen: Lasst es lediglich
auf einen Versuch ankommen. Schaltet diese Woche den Genuss
geistiger Getränke einmal völlig aus und urteilt dann selber, ob
ihr euch nicht dabei geistig und körperlich wohler fühlet. Der
Antwort sind wir sicher.“ Autorreferat.
Cohn, Jugendwanderungen. (Berl. klin. Woch. 1908, Nr. 6, p. 836—338.)
Verfasser bespricht die Bedeutung der Jugendwanderungen
für die Entwickelung des jugendlichen Organismus vom medizi¬
nischen und pädagogischen Standpunkte auf Grund der neueren
und neuesten Literatur mit besonderer Berücksichtigung der Ziele
und Bestrebungen des Vereins „Wandervogel“.
Boa8 jr. (Berlin).
Pffiffer, Untersuchungsergebnisse an Wettgehern und Wettrad¬
fahrern. (Berl. klin. Wocb. 1907, Nr. 3, p. 93—97.)
Albu, Untersuohungeergebnisee an Wettgehern und Wettrad¬
fahrern. (Ebenda Nr. 7, p. 386- 387.)
Pfeiffer hatte Gelegenheit, 30 Wettgeher körperlich zu unter¬
suchen. Es bandelte sich um eine Strecke von 187 km. Es star¬
teten 51 Wettgeher, von denen 37 das Ziel erreichten, meist ohne
Unterbrechung, nur einige gönnten sich an Erfrischungsstellen
einen Augenblick Rast. Das Alter der Wettgeher schwankte zwischen
17 und 64 Jahren. Fast alle gehörten einem Sportverein, Vege¬
tarier- oder Alkoholgegnerbund an; neun waren Vegetarianer, zehn
Abstinenten. Die Hälfte der Leute war trainiert, ein Drittel gab
täglichen Alkoholgenuss zu. Der Sieger legte den Weg in ll 1 /*.
Stunden zurück, d. h. er brauchte für den Kilometer ca. sieben
Minuten und legte 8,5 km in der Stunde zurück; der letzte
gebrauchte 15 8 / 4 Stunden, d. h. 9,5 Minuten pro km und 6,3 km
pro Stunde. Verfasser untersuchte nun 30 von den 35, die ans
Ziel gelangt waren, und zwar die ersten 11 und die letzten 19.
Vor dem Abmarsch hatte er nicht Gelegenheit, sie zu untersuchen.
Grösse und Gewicht der Leute war normal, Körperbau
und Muskulatur bei der Mehrzahl kräftig und gut; nur bei
fünf Leuten fiel die schlechte Muskulatur auf. Der Allgemein¬
eindruck war bei neun Mann gut, bei sieben schlecht, drei davon
hatten Kollaps, der durch Kaffeegenuss behoben wurde. Die
Temperatur schwankte zwischen 36,9° und 39,0°. Die Herz¬
töne waren meist rein, jedoch leise. Der Blutdruck schwankte
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zwischen 80 und 130mm Hg, die Pulszahl zwischen 80 und
150 Schlägen in der Minute (bei der Mehrzahl ca. 100 Schläge).
Der Urin wurde bei 27 Individuen untersucht. Bei einigen war er
hell- bis dunkelgelb und klar. Sein spezifisches Gewicht schwankte
zwischen 1020 und 1035. Die übrigen Untersuchungen des Urins
waren klinischer Art und mögen im Original nachgelesen werden.
Ferner hat Pfeiffer an sieben Wettfahrern Untersuchungen
angestellt. Im ganzen starteten 11 Leute und legten die 187 km
lange Strecke in ca. V/ t Stunden einschliesslich kurzen Aufenthaltes
auf drei Eontrollstationen zurück. Das Alter der Leute schwankte
zwischen 18 und 35 Jahren. Alle waren trainiert und gehörten
einem Badfabrklub an, einer war abstinent. Der Eindruck beim
Eintreffen war bei allen gut und frisch. Die Temperatur
betrug nur bei zweien 38,1°. Herz normal. Blutdruck niedrig.
Pulszahl zwischen 80 und 116, meist um 100 herum.
Ein Vergleich der gewonnenen Ergebnisse fällt zugunsten
der Fahrer aus. Bei ihnen wurde in keinem Fall Eiweis im Urin
gefunden, die Temperatur war nicht so hoch wie bei den Gehern.
Puls und Herz ergab Übereinstimmung.
Die praktischen Lehren aus seinen Untersuchungen formuliert
Pfeiffer so: „Wenn auch eine bleibende, ernstere Gesundheits¬
schädigung in keinem Falle zurückgeblieben ist, so ist doch allen
denen, die Sport treiben, zu empfehlen, diesem mit Mass und
Ziel, vor allem mit den nötigen Ruhepausen zu obliegen. Mit
Unma88 betriebener Sport kann leicht zu Störungen des Herzens
(Angina pectoris) und der Nieren (Nephritis) führen.“ Was den
Sport der Jugend betrifft, so will Verfasser die Wettkämpfe Jugend¬
licher möglichst eingeschränkt oder wenigstens sachgemäss geleitet
wissen. Hier soll man sich ganz besonders hüten, falschen Ehr¬
geiz in den Jünglingen zu wecken und sie zu Kraftleistungen
anzustacheln, denen ihr unentwickelter Organismus nicht gewachsen
ist. Verfasser scbliesst: „So sehr wir Ärzte freudigst jeden mit
Mass und Ziel getriebenen Sport unterstützen, so sehr sind wir
auch berufen und verpflichtet, gegebenenfalls unsere warnende
Stimme zu erheben. Es ist dies nötig genug; denn von Laienseite,
besonders von Vegetarianer- und Alkoholgegnervereinen wird stark
Propaganda für derartige Veranstaltungen gemacht. Obwohl auch
sie berechtigte Einwände anerkennen, wird die Konsequenz nur
selten gezogen, anscheinend, weil derartige Veranstaltungen zur
Hebung und Förderung des Vereins wesentlich beitragen.“ Wir
können diesen sachlichen Äusserungen nur beistimmen, obgleich
sie sich mit den Ausführungen Hoffas (Medizinische Klinik 1907,
Nr. 17) anlässlich des vierten Kursus zum Studium der Alkohol¬
frage nicht recht reimen.
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Albrt weist in seiner Polemik darauf hin, dass er mit Cas-
pari sowohl die ersten Untersuchungen an Wettgehern 1 2 ) — es
handelte sich um den 202 km langen Distanzmarsch Dresden-
Berlin — angestellt hat, wie auch die ersten systematischen Unter¬
suchungen an Radwettfahrern*). Die Schlussfolgerungen Albus
und Pfeiffers decken sich fast vollkommen.
Boas jr. (Berlin).
du Bois-Reymond, Arzt und Sport. (Berl. klin. Woch. 1908, Nr. 1,
p. 37-39.)
Die interessante feuilletonistische Betrachtung des Verfassers
gipfelt in folgenden Sätzen: Wie bei der Behandlung von Kranken
die Aufgabe des Arztes vorwiegend nur darin besteht, die „Vis
medicatrix naturae“ zu unterstützen, muss es zu den Pflichten
des Arztes im weitesten Sinne gerechnet werden, auch dem natür¬
lichen Selbstschutz die Wege zu ebnen, d. h. den Bewegungstrieb
zu unterstützen, die Leibesübungen in jeder Weise zu fördern.
Diese Pflicht wird dem Arzt um so deutlicher bewusst werden,
je strenger er bei der Beurteilung von Leibesübungen zwischen
wissenschaftlich sachlicher und äusserlicher praktischer Erwägung
unterscheidet. Er wird dann finden, dass alle Gründe, die gegen
die möglichst weit getriebene Ausbildung des Körpers sprechen,
aus anderen Gesichtspunkten als rein medizinischen hervorgehen.
Selbst die Auswüchse, die jede mit Eifer betriebene Sache mit
sich bringt, in unserem Falle die einseitige oder gar gewerbs¬
mässige Beschäftigung mit den sonderbarsten Spielereien, muss in
den Kauf genommen werden. Ja selbst wenn die Leibesübungen
in vielen einzelnen Fällen zu Schädigungen führen, darf dies das
allgemeine Urteil nicht erschüttern. Vertreten doch auch zahl¬
reiche hervorragende Ärzte die Ansicht, dass der Alkoholgenuss
nicht zu verwerfen sei, obschon die Trunksucht alljährlich zahllose
Opfer fordert.
Int übrigen sei das Studium dieses geistreichen physiologischen
Apercus im Original empfohlen. Boas jr. (Berlin).
Beck, Bemerkungen zum Aufsatze Prof. R. du Bois-Reymond: „Arzt
und Sport“. (Berl. klin. Woch. 1908, Nr. 6, p. 289-290.)
Im ersten Teil seiner Polemik wendet sich Verfasser gegen
einige physiologische Ausführungen du Bois-Reymond s, im zweiten
meint er, dass der Sport, im Übermass betrieben, für die Jugend
1) Albu und Caspari, Deutsche med. Wochenschrift 1903, Nr. 14.
Caspari, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie Bd. 109. Vege¬
tarische Studien. Bonn 1905.
2) Albu, Berliner klin. Wochenschrift 1897, Nr. 10.
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ebenso schädlich sei wie un massiger Alkoholgenass, and fordert
eine Belehrung der Jagend über die Schädigungen, die über¬
mässiger Sport mit sich bringen kann. Boas jr. (Berlin).
Förster, Zur Frage des kleinsten Eiweissbedarfes. (Münch, med.
Woch., Nr. 49, 1907.)
Verfasser, dem wir schon manche wertvolle Arbeit auf dem
Gebiete der Ernährung verdanken, hat neuerdings Untersuchungen
über die Verwertung freier Aschenbestandteile im Tierkörper und
über die Beeinflussung der Schutzstofferzeugung durch die Grösse
des Eiweissumsatzes angestellt. Die Ergebnisse fasst er in folgen¬
den Sätzen zusammen:
1. Neben Eiweiss, Fett und Kohlehydraten bedarf der Mensch
zum Aufbau und Erhaltung seiner Organe noch in ausreichender
Menge anderer Stoffe, wie z. B. Aschebestandteile. In den Nah¬
rungsmitteln befinden sich diese in Verbindung mit eiweissartigen
Substanzen, oder sie stehen wenigstens in Beziehungen zum Eiweisse.
Es ist daher zu befürchten, dass bei niedriger Eiweisszufuhr die
Ernährung auch durch Mangel an Aschebestandteilen leidet.
2. Bei der Zersetzung des Eiweisses im Körper werden ge¬
wisse unentbehrliche Stoffe, Verdauungsfermente, Stoffe der „inneren
Sekretion“, Scbutzstoffe usw., die Abkömmlinge des Eiweisses sind,
gebildet. Für einzelne davon ist nacbgewiesen, für die anderen
ist es wahrscheinlich, dass die Produktion im Verhältnis zu dem
Eiweisszerfall im Körper steht. Es ist daher zu erwarten, dass
bei niedrigem Eiweissumsatze leicht Störungen im Wohlbefinden
und Erkrankungen infolge Mangels an den genannten Stoffen ein-
treten.
3. Solange die Verhältnisse nach beiden Richtungen hin und
qualitativ und quantitativ nicht mehr als jetzt aufgeklärt sind, ist
es von allgemein physiologischen und hygienischen Gesichtspunkten
aus für die Zwecke der praktischen Ernährung ratsam, einen
kräftigen Eiweissumsatz zu unterhalten und sich nicht auf das
physiologische Mindestmass zu beschränken, mit dem in einem ge¬
gebenen Falle das sogen. Stickstoffgleichgewicht erhalten werden
kann. Mühlschlegel (Stuttgart).
Peiper, Säuglingssterblichkeit und Militärtaugliohkeit. (Deutsche
militärärztliche Zeitschrift 1907, Jahrg. 36, Heft 14, S. 605.)
P. bestätigt an dem kleinen Material des Kreises Greifswald
die Resultate der allgemeinen Untersuchungen von Prinzing und
A. v. Vogl, dass die Höhe der Säuglingssterblichkeit sich um¬
gekehrt verhält zur Höhe der Militärtauglichkeit.
Siegert (Cöln).
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Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit in Bayern. Amtliches. (Münch,
med. Woch. Nr. 52, 1907.)
Das Staatsministeriam des Innern hat an die Kreisregierungen
eine „ Entschliessnng“ erlassen, worin es darauf hin weist, dass die
Säuglingssterblichkeit in Bayern sich seit 1901 mit geringen
Schwankungen auf ziemlich gleicher Höhe hält, nämlich auf 24 °/ 0 ,
und dass die Hauptursache dieser hohen Sterblichkeit in mangel¬
hafter Ernährung und Pflege, vor allem in dem Ersatz der natür¬
lichen Ernährung an der Mutterbrust durch künstliche Ernährung
liegt. Indem das Ministerium die hauptsächlichsten zur Bekämpfung
geeigneten und zum Teil schon mit Erfolg beschrittenen Wege
zusammenstellt, gibt es den Auftrag, nach den hiermit gegebenen
Richtpunkten die Distriktsverwaltungsbehörden, Amtsärzte und Ge¬
meindebehörden zu tatkräftiger Mitwirkung, insbesondere zu einem
zielbewussten Zusammenarbeiten mit den sich der Säuglingsfürsorge
widmenden Vereinen anzuregen und zugleich eine unmittelbare
Tätigkeit zu entfalten.
Da werden zunächst Beratungsstellen für stillende
Mütter (Mutterschulen, Säuglingsfürsorgestellen) empfohlen. Die
Einrichtung erfordert die zeitweise Bereitstellung eines Warte- und
eines Untersuchungsraumes, einen Arzt, der hierin ein- oder mehrere-
mal in der Woche Sprechstunden für die Mütter hält und die Säug¬
linge sowie die Mütter (besonders auf ihre Stillfähigkeit) unter¬
sucht, endlich eine Person zur Bedienung während der Sprech¬
stunden. Sie kann am besten an die Krankenanstalten, Krippen
und sonstige Wohlfahrtsveranstaltungen angegliedert werden und
soll grundsätzlich nur für Unbemittelte bestimmt sein. Die Tätig¬
keit der Beratungsstellen wird ausserordentlich gefördert durch
Stillprämien, deren Aufbringung, soweit sie nicht durch örtliche
Stiftungen zur Verfügung stehen, den Gemeinden unter Beihilfe
von gemeinnützigen Vereinen und Versicherungsanstalten, sowie
den Kreisen und Distrikten nahegelegt wird. Mit den Beratungs¬
stellen werden passenderweise Auskunftstellen verbunden. Die
Auskunfterteiiung kann auf Grund einer Zusammenstellung der
einschlägigen Einrichtungen von dem Arzte, von der Bedienung
oder von Mitgliedern örtlicher Frauenvereine übernommen werden.
Den Säuglingsmilchküchen und Kindcrmilchanstalten kommt
nur die Bedeutung eines Aushilfmittels zu; ihre Nahrungsabgabe
soll sich nur auf Mütter beschränken, deren Unfähigkeit zum Stillen
aus körperlichen oder sonstigen Gründen festgestellt ist. Die
Küchen haben zugleich den allgemeinen Vorteil, für den Milch-
verkehr Kontrollstellen zu sein. Für die Aufsicht über die
Kostkinder haben die Polizeibehörden die Mitarbeit der Frauen¬
vereine zu gewinnen, die sich bereits als sehr wertvoll erwiesen
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hat, da sie mit der Aufsicht eine sachkundige Belehrung verbindet.
Beichsgesetzliche Massnahmen zur Unterstützung von
Wöchnerinnen und Schwangeren, sowie zum Schutze
von Wöchnerinnen sind durch das Kranken Versicherungsgesetz
und durch die Gewerbeordnung bereits gegeben. Schützen diese
Bestimmungen zunächst auch nur die Mutter, so sind sie doch bei
dem wesentlichen Einflüsse, welcher der Lebenshaltung der Mutter
für die Entwickelung des Kindes im Mutterleibe zukommt, auch
für die Säuglingsfürsorge von Bedeutung. Leistungsfähige Kassen
sollen, ev. zwangsweise, derartige Unterstützungen in den Kreis
ihrer Leistungen aufnehmen. Weitere Massnahmen, wie die Ein¬
richtung eigener Säuglings- und Wöchnerinnenheime, die Anstellung
einer Lehrerin für Säuglingspflege und die Abhaltung von Kursen
zur Ausbildung von Kinderpflegerinnen kommen wegen der Höbe
der Kosten und der Schwierigkeiten ihrer Einrichtung vorerst nur
für grosse Gemeinden und Vereinsorganisationen in Betracht.
Müblschlegel (Stuttgart).
Doerf ler, Bericht über das erste Jahr der Tätigkeit der Säuglings-
fürsorgestelle in Weissenburg i. B. (Münch, med. Woch. Nr. 2 u. 3,
19000
Der Bericht beansprucht insofern ein besonderes Interesse,
als er zeigt, dass und wie in einer Stadt von etwas über 6000
Einwohnern die Säuglingsfürsorge in nahezu vollkommener Weise
durebgeführt werden kann.
Von dem Verein für freiwillige Krankenpflege und mit dessen
Mitteln sind Einrichtungen getroffen worden: erstens zu dem vor¬
nehmsten Zwecke, das 8elbststillen der Mütter wieder allgemein
einzubürgern, ferner für einwandfreie Kindermilch Sorge zu tragen
und drittens eine kontinuierliche Überwachung aller Säuglinge
der Stadt zu ermöglichen.
Das Selbststillen wurde zu fördern gesucht: erstens durch
Belehrung der Frischentbundenen über den Wert des Stillens für
Mutter und Kind (Überreichung eines Merkblattes an jede Frisch¬
entbundene durch die Säuglingsfürsorgeschwester), zweitens durch
Verteilung von Stillprämien und drittens durch kleine Hebammen¬
prämien (ä 50 Pf. für den Nachweis vierwöchentlichen Stillens
seitens der Mutter). Demselben Zwecke diente die allwöchentlich
einmal von sämtlichen Ärzten in wechselndem Turnus abzuhaltende
Säuglingsberatungsstunde in den Räumen der Säuglingsfürsorge¬
stelle (Schwesternhaus); von dem alle 14 Tage zu betätigenden Vor¬
führen der Säuglinge zu dieser Beratungs- und Kontrollstunde war
das Recht auf eine Stillprämie abhängig gemacht worden.
Einwandfreie Kindermilch in den verschiedensten
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Mischungsverhältnissen lieferte die Säuglingsfürsorgestelle (Milch-
küche) in Form von 10 Minuten laüg im Soxhletapparat gekochter
Milch, die aus einem möglichst reinen Stalle eines dortigen Gross¬
landwirts gewonnen wurde. Mochten die Kühe mit Grünfutter,
Trockenfutter oder frischen Biertrebern gefüttert worden sein, es
liess sich aus dem Befinden der Kinder keine Veränderung der
Milch erkennen.
Die Kontrolle sämtlicher Säuglinge bis zu deren neun-
monatlichem Lebensalter wurde von den eigens zu diesem Zwecke
aufgestellten Kontrolldamen und der Säuglingsfürsorgeschwester
durchgefübrt.
Das Ergebnis des ersten Jahres ist:
dass die Mortalität der im ersten Lebensjahre gestorbenen
Kinder von einem 10jährigen Durchschnitt von 27 °/ 0 auf 12 °/ 0
zurückgegangen ist;
dass im Berichtsjahre statt wie früher 29 °/ 0 jetzt 60 °/ 0 der
Mütter ihre Kinder in einem für das Gedeihen der Kinder in Be¬
tracht kommenden Zeitraum gestillt haben;
dass in 52 Beratungsstunden insgesamt 589 Kinder zur Be¬
ratung gebracht worden sind;
dass in einem Zeitraum von 1 Jahr 69861 Fläschchen Kinder¬
milch abgegeben worden sind.
Dieses schöne Ergebnis wäre indes nicht möglich gewesen,
meint Verf., wenn nicht die ganze Organisation und Tätigkeit auf
dem einmütigen Zusammenwirken sämtlicher dortigen Ärzte ruhen
würde.
Dem Bericht ist eine Betriebsabrechnung angeschlossen.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Groth, Amtsarzt und Säuglingssterblichkeit. (Münch, med. Woch.
Nr. 2, 1908.)
Wie es vorher schon in München geschah, so haben 1905 auf
des Verfassers Anregung die bayerischen Amtsärzte auch in anderen
Landesteilen auf den öffentlichen Impfterminen statistische Belege
zur Säuglingsernährung gesammelt. Die Nachforschungen erstreckten
sich auf 79133 Erstimpflinge und die Ergebnisse werden nunmehr
vom Verfasser auf drei Tafeln schematisch zur Anschauung gebracht
und besprochen.
Die erste Tafel zeigt uns das Verhältnis der Säuglingssterb¬
lichkeit zur Geburtenhäufigkeit: während bei den Bezirksämtern die
Sterbeziffern in völliger Übereinstimmung mit den Geburtenzahlen
verlaufen, d. h. sich die Mortalität der Kinder im ersten Lebens¬
jahre in gleicher Weise wie die Geburtenhäufigkeit erhöht, ist bei
den unmittelbaren Städten im Gegenteil nicht nur keine Steigerung, son-
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dern vielmehr ein, wenn auch nur kleiner, Rückgang der Sterblich«
keit zu beobachten.
Eine ähnliche Erscheinung finden wir bei der nächsten Tafel,
die uns den Einfluss der Ariuut auf die Gestaltung der Säuglings¬
sterblichkeit darstellen soll. Bei den Bezirksämtern steigt ganz
deutlich die Mortalität mit der Zahl der aus öffentlichen Mitteln
unterstützten Armen; bei den Städten hingegen, die dazu noch
eine viel grössere Armenzahl haben, zeigt die Mortalität eine kaum
wahrnehmbare Steigerung. Verfasser erklärt sich diese auffallende
Tatsache so, dass in den Städten die grössere allgemein-hygienische
Fürsorge und das grössere Verständnis auch der ärmsten Schichten
der Bevölkerung für vernunftgemässe Säuglingspflege und Er¬
nährung die ungünstigeren wirtschaftlichen Verhältnisse paralysiert.
Um so interessanter ist nach dem Gesagten ein Blick auf die
dritte Tafel, die den Einfluss der Ernährung auf die Säuglings¬
sterblichkeit darstellt: in der Stadt wie auf dem Lande, entsprechend
der Steigerung der nichtgestillteu Kinder, eine Steigerung der
Sterblichkeit.
Was kann der Amtsarzt tun, um eine Minderung der Säuglings¬
mortalität zu erzielen? In erster Linie muss er danach trachten,
dass da, wo die Säuglinge in relativ günstigen Verhältnissen leben,
also in Gegenden mit vorwiegender Brusternährung und intelli¬
genter Bevölkerung, diese günstigen Verhältnisse erhalten bleiben,
und darüber hinaus noch gefördert werden. Droht hier etwa Ge¬
fahr durch Industrialisierung des Landes, so muss durch die Er¬
richtung von Fabrikkrippen der Kontakt zwischen Mutter und Kind
solang als möglich aufrecht gehalten werden. Sodann ist notwen¬
dig die Durchdringung des flachen Landes mit hygienischen Mass¬
nahmen, Belehrung und Aufklärung der Bevölkerung über Metho¬
den und Ziele rationeller Lebenshaltung, Verbesserung der künst¬
lichen Ernährung vor allem durch die natürliche; die dringende
Aufforderung zur Mitarbeit an die Ärzte ihres Bezirksamts, immer
wiederkehrende Ermahnungen der Hebammen, unter Umständen die
Interessierung der Geistlichkeit. Mühlschlegel (Stuttgart).
Esoherich, Zur Organisation der Säuglingsfürsorge mit spezieller
Berücksichtigung der Wiener Schutzstelle. (Beri. klin. Wochschr.
Nr. 48, 1907.)
Verfasser setzt hier die Unterschiede zwischen der Wiener
Säuglingsschutzstelle und den deutschen Fürsorgestellen auseinander.
Finanzielle, ethische und soziale Bedenken waren es, die den Wiener
Verein Säuglingsschutz veranlassten, zwar die Förderung der Brust¬
ernährung als sein oberstes Ziel zu betrachten, auf eine Stillprämie
aber in Form von Geld von vornherein zu verzichten und der
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«tillenden Matter 1 Liter ausgezeichneter Vollmilch im Werte von
28 Hellern als Zngabe zu ihrer Ernährung zur Verfügung zu stellen.
Aus Ersparnisrücksichten hat er dann zu dem Ausweg gegriffen,
den Müttern die kleine Summe von 70 Hellern wöchentlich für
■den Bezug von bestimmten Waren in einem Konsumverein zu bieten.
Eine wesentliche Verschiedenheit besteht darin, dass in Wien die
Aufnahme der Kinder in die Überwachung der Schutzstelle von einer
■direkten Zuweisung seitens der städtischen Armenbebörde abhängig
gemacht wird und eine Abgabe der Milch gegen Bezahlung nicht
■eingeführt ist. Der wichtigste Unterschied ist aber der, dass die
Wiener mit allen Mitteln dahin streben, die Kinder möglichst bald
nach der Geburt, zur Zeit, in der sie noch gesund und an der Mutter¬
brust sind, in ihre Überwachung zu bekommen. Nur in einer kleinen
Zahl von Fällen, in welchen sie sich von der Unabweisbarkeit und
von der Unfähigkeit der Mutter zum Stillen überzeugt haben,
werden von Anfang an künstlich genährte Säuglinge in die Über¬
wachung aufgenommen. Die Milchzuweisung nach dem Versagen
der Brust bis zum Ende des ersten Lebensjahres stellt gleichsam
■die Stillprämie, die Belohnung für die nach den Intentionen des
Vereins durchgeführte Pflege und Ernährung des Kindes dar. Ver¬
fasser plädiert endlich für die Errichtung besonderer Säuglings-
milchküchen im Anschluss an Ambulatorien, welche die Durch¬
führung der für darmkranke Kinder so notwendigen diätetischen
Behandlung ermöglichen, hält aber dafür, dass zwischen diesen
und den Schutz- resp. Fürsorgestellen, die im Sinne der Prophy¬
laxe arbeiten, eine reinliche Scheidung durebgefübrt werde.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Sohuppius, Die Milchleukocythenprobe nach Trommsdorf. (Archiv
f. Hyg., 62. Bd., 2. Heft, S. 137.)
Im Jahre 1906 hat Trommsdorf eine Arbeit veröffentlicht, in
■der er angab, ein Verfahren gefunden zu haben, nach dem es möglich
sein sollte, den Leukocythengehalt der Milch ganz exakt fest¬
zustellen. Das grundlegende Prinzip der Methode bestand darin,
dass er eine genau gemessene, relativ kleine Menge Milch mit einer
guten Zentrifuge in einem Gläschen ausscbleuderte, das unten in
•eine geaichte Kapillare auslänft.
Die Resultate, die Verfasser erzielte, sind folgende:
1. Die Graduierung der von Trommsdorf angegebenen, im
Handel erhältlichen Zentrifugierungsröhrchen ist nicht genau, der
Inhalt ihres Kapillarteils erreicht statt 0,02 im besten Falle
0,0148 ccm.
2. Ein durch Zentrifugieren von Milch in Trommsdorfs Kapil¬
laren erhaltener Bodensatz besteht zum grossen Teile — manchmal
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bis über 50 °/ 0 — aus Fett. Ausserdem finden sich darin Kuhkot r
Haare, rote Blutkörperchen u. a., dagegen relativ wenig Leukocythen,
die aber nicht von einer Eiterung herrühren, da sie zum grössten
Teile solche mit eosinophilen Granulationen sind.
3. Aus der Menge der Leukocythen im Bodensatz lässt sich
nicht auf die Menge des der Milch beigemengten Eiters schliessen,
da der Leukocythengehalt verschiedener Eiterarten verschieden ist.
Mastbaum (Cöln).
Manaud, Recherohes nouvelles nur les rapports de l'alcoolisme et
de la tuberculose. (Thfese de Bordeaux 1907.)
In der Einleitung bespricht der Verfasser die Gründe des¬
ständig wachsenden Alkobolkonsums: In erster Linie sind daran
die gebildeten Kreise schuld, die durch ihren fleissigen Gebrauch
der „apäritifs“ den ärmeren Schichten mit schlechtem Beispiel
vorangeben und obgleich sie nicht weniger Alkohol gemessen wie
der Arbeiter, doch einen Abscheu gegen den Besoffenen an den.
Tag legen. Nach alledem kann Verfasser nur Senekas Ausspruch
bestätigen: Der Mensch stirbt nicht, er tötet sich selber.
Verfasser zeigt dann zunächst den Zusammenhang zwischen-
Alkoholismus und Tuberkulose, wie er sich aus der Statistik (mit
besonderer Berücksichtigung der französischen Literatur) ergibt;
Hand in Hand mit dem steigenden Alkoholkonsum geht in den
Kulturstaaten die Zunahme der Tuberkulose. Nur für zwei Länder,.
Grossbritannien und Belgien, scheint dies nicht zu gelten. Denn
dort ist trotz des wachsenden Alkoholkonsums die Tuberkulose¬
sterblichkeit zurückgegangen. Allein man darf hier nicht ausser
Acht lassen, dass in diesen Ländern der Hygiene und der öffent¬
lichen Gesundheitspflege eine ganz andere Beachtung geschenkt
wird wie in Frankreich und auch bei uns. Eine weitere Bestäti¬
gung für den ursächlichen Zusammenhang des Alkoholismus und
der Tuberkulose liefert uns die Tatsache, dass die Verbreitung"
der Tuberkulose jetzt bei den Männern eine weit höhere ist als
bei den Frauen, während früher das Verhältnis gerade umgekehrt
war. Noch um 1830 herum entfielen von 13 668 Todesfällen an
Tuberkulose 5033 auf Männer und 7793 auf Weiber. Und heute?
Unter 1229 von Lancereaux beobachteten Fällen von Tuberkulose-
bei Trinkern waren 889 Männer und 330 Weiber. Übereinstimmend,
mit dieser Tatsache ist die weitere, dass in den Rekrutierungs¬
gegenden, wo dem Alkoholgenuss reichlich zugesproeben wird, die
Zahl der wegen Disposition zur Tuberkulose Stellungsunfähigen
von Jahr zu Jahr wächst und dass die Zahl der tuberkulösen
Soldaten in den Armeekorps eine auffallend hohe ist, die sich aus
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Leuten aus der Normandie und Bretagne rekrutieren, wo bekannt¬
lich ein geradezu unglaublicher Alkoholmissbrauch getrieben wird.
Ferner haben experimentelle Untersuchungen (Achard, F6r6
usw.) dargetan, dass der Alkohol den letalen Verlauf der Tuber¬
kulose beschleunigt.
Der folgende klinische Teil ist nichts weiter als eine Re¬
produktion der Erfahrungen französischer Kliniker.
Verfasser kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. In mehr als der Hälfte der Fälle von Lungenschwindsucht,
■die von uns untersucht wurden (51,5 °/ 0 ), findet man in der Anam¬
nese oder in der Krankengeschichte der Kranken gewohnheits-
mässigen Alkoholgenuss.
2. In allen Fällen gingen ausnahmslos Trinkexzesse der
Tuberkulose voran.
3. Der Mann ist von der Tuberkulose häufiger betroffen als
die Frau, weil er, neben anderen vielleicht weniger wichtigen Ur¬
sachen, sich leichter dem gewohnheitsmässigen Alkoholgenuss er¬
gibt als die Frau.
4. Die Tuberkulose des Mannesalters oder des Beginns des
Greisenalters kann oft die Folge einer Alkoholvergiftung sein,
manchmal reichen dazu schon geringe, aber anhaltende Dosen hin.
5. Der junge Mann, der Alkohol zu sich zu nehmen pflegt,
kann leicht tuberkulös werden, manche widerstehen der Tuber¬
kulose bis zum Jünglingsalter. Der reife Mann, der Alkohol zu
sich nimmt, verteidigt sich stets gegen die Tuberkulose.
6. Der Alkoholiker, der von tuberkulösen Eltern oder von
Alkoholikern abstammt, widersteht der Tuberkulose weniger als
der Alkoholiker ohne Heredität.
7. Die Söhne Tuberkulöser scheinen dazu disponiert zu sein,
sich von ihrem Jünglingsalter an den Alkoholgenuss anzugewöhnen:
sie werden sehr leicht tuberkulös.
8. Die Söhne von Alkoholikern scheinen für Tuberkulose
von ihrem Jünglingsalter an disponiert zu sein.
9. Die Trinksitten des Mannes haben einen gewissen Einfluss
auf die Tuberkelbildung bei der Frau, sei es, dass der alkoholische
Gatte sich selbst mit Tuberkulose ansteckt und so zum Herd tuber:
kulöser Ansteckung wird, sei es, dass das Laster des Gatten den
Ruin des Hausstandes, die Überbürdung und die Entbehrungen
der Frau zur Folge hat und so in zweiter Linie die Tuberkulose
derselben hervorruft. Boas jr. (Berlin).
Croissant, Zur Frage der Dauererfolge der Lungenheilstätten.
(Münch, med. Woch., Nr. 47, 1907,)
Verfasser machte es sich zur Aufgabe, in Heilstätten Behan-
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delte und Nichtbehandelte auf ihren gegenwärtigen Zustand zu
prüfen und sie nach Erfolg oder Nichterfolg zahlenmässig neben¬
einanderzustellen, um so Vergleichs werte zur Beurteilung der Heil¬
stättenkuren zu bekommen. Zur Untersuchung dienten ihm fast
ausschliesslich Angehörige der Heidelberger Ortskrankenkassen,
407 Behandelte und 166 Nichtbehandelte, aus einem Zeitraum von
9 Jahren. Fast die Hälfte hat Verfasser persönlich kontrolliert;
für die übrigen verwandte er Fragebogen. Massgebend war ihm
nicht der Lungenbefund, sondern der Zustand der Erwerbsfähigkeit.
Seine Zusammenstellung gibt zunächst für die Heilstätten ein
günstiges Resultat, insofern z. B. bei den Behandelten in 63,2°/ 0
volle Arbeitsfähigkeit vorliegt gegenüber 47,7 °/ 0 bei den Nicbt-
behandelten, ein Erfolg überhaupt bei den Behandelten in 73,8 %
der Fälle gefunden wird gegenüber 53,6 ®/ 0 bei den Nichtbehan-
delten. Es ist jedoch zu bedenken, dass unter den Nichtbehandelte»
die schweren Fälle stärker vertreten sind, und dass von den voll
erwerbsfähig befundenen Heilstättenpfleglingen sich schon vor der
Kur nahezu ein Drittel sich der vollen ErwerbsfÄhigkeit erfreute
— beides Erscheinungen, die mit der Aufnahmetaktik der Heil¬
stätten Zusammenhängen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass von
den Nichtbehandelten des I. Turbanschen Stadiums 82,5°/ 0 arbeits¬
fähig sind, von den Behandelten desselben Stadiums 79,6°/ 0 . Bei
gerechter Würdigung dieser Momente lässt sich nicht leugnen, dass
die Dauererfolge der Heilstätten nicht allzusehr von
den Resultaten der ambulatorischen Behandlung ab¬
stechen. Diese Beobachtung deckt sich auch grossenteils mit
den Ergebnissen, die in früheren Arbeiten niedergelegt sind.
Darum soll aber den Lungenheilstätten nicht jeglicher Wert
abgesprochen werden. Allerdings erscheint es mit der Zeit immer
unwahrscheinlicher, dass sie je dazu kommen werden, mit grossen
Zahlen einwandsfreier Erfolge zu imponieren; dafür werden sie
ihr Bestreben hauptsächlich darauf richten müssen, im einzelnen
gute Erfolge zu erzielen. Gerade bei einzelnen Fällen, die in
grossen Statistiken ganz verschwinden, werden oft überraschend
gute Erfolge erzielt. Solche Kranke, meint Verfasser, die ver¬
nünftig genug sind, ihre wiedergewonnene Gesundheit durch eine
zweckentsprechende Lebensweise festzuhalten, sind unter der grossen
Masse mehr geeignet, durch ihr Beispiel über Prophylaxe und
Heilbarkeit der Tuberkulose belehrend zu wirken, als eine Summe
populärer Flugschriften und polizeilicher Anordnungen. Derartige
Erfolge könnten die Heilstätten namentlich durch eine erweiterte
Aufnahme von Kranken des zweiten und dritten Stadiums erzielen.
Eine sichere Garantie für den Bestand dessen, was die Heilstätten
erreichen, besteht aber erst dann, wenn durch eine Verbesserung
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der allgemeinen hygienischen Verhältnisse, vor allem durch eine
zielbewusste Wohnungsreform die notwendigen Vorbedingungen
erfüllt sind. Mühlschlegel (Stuttgart).
▼.Herff, Der Begriff ,.Kwdbeltfleber“ und über die damit zusammen¬
hängende Anzeigepflicht. (Münch, ined. Woch. Nr. 49, 1907.)
In der „Vereinigung zur Förderung des deutschen Hebammen¬
wesens“ (Dresden 1907) kam auch die Frage: „Was soll unter Kind¬
bettfieber verstanden werden?“ zur Beratung. Poten wollte unter
Kindbettfieber im Sinne des preussischen Landesseuchengesetzes,
entsprechend den medizinischen Traditionen und dem herrschenden
Sprachgebrauch, nur die schweren Erkrankungsformen bei Wöch¬
nerinnen verstanden wissen, v. Herff hingegen stellt sich auf
einen wissenschaftlichen Standpunkt und sieht im Kindbettfieber
eine Wundentzündung, eine Wundvergiftung, die örtlich begrenzt
sein kann, die aber auch durch Übertritt der Spaltpilze und deren
Gifte in die Lymph- oder Blutbahnen zu schweren und schwersten
Allgemeinerkrankungen führt, d. h. zur Blutentzündung-Bakteriämie,
oder zur Blutvergiftung-Toxinämie; an diese können sich wiederum
sehr mannigfache Gewebs- und Organentzündungen anschliessen.
So gelangt er zu der Begriffsbestimmung: Kindbettfieber werden
die Keimerkrankungen aller jener Wunden, die unter
den Geburtsvorgängen vom Damm bis in die Gebär¬
mutterhöhle hinein entstanden sind, genannt.
Diese Erklärung deckt sich zwar nicht mit den Bedürfnissen
der staatlichen Gesundheitsfürsorge; sie ist für diese zu weit.
Für die Zwecke der Gesundheitsbehörden genügt es, nur das Vor.
kommen schwerer Erkrankungen kennen zu lernen. Der Staat
muss aber angeben, was er unter schweren Fällen verstanden
wissen will, um Klarheit in die Anzeigepflicht zu bringen. In
Basel z. B. besteht auch die Verordnung, „Wochenbettfieber“ an¬
zuzeigen, und doch werden nur die schweren Fälle verlangt, vor
allem Bakteriämien und Toxinämien aller Art und schwerere ört¬
liche Erkrankungen mit Allgemeinerscheinungen. Es fällt daher
die Anzeige aller Wundfieber (Resorptionsfieber), Wochenbett¬
geschwüre, örtlicher Entzündungen ohne Allgemeinerscheinungen
weg. Derartige Unterscheidungen kann selbstverständlich nur ein
Arzt machen; Hebammen sind dazu nicht befähigt und werden
auch nicht dazu ausgebildet. Man kann ihnen nur die Pflicht
aufbürden, bei jeder Fiebersteigerung unbedingt auf die Zuziehung
eines Arztes zu dringen, gleichzeitig aber auch der Gesundheits¬
behörde eine Anzeige zu machen. Wird kein Arzt zugezogen und
hält das Fieber an, so müsste die Hebamme dieses in einer zweiten
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Anzeige melden. Auf diese Weise ist der Behörde die Möglichkeit
gegeben, den Fall im Auge zu behalten.
Mlihlschlegel (Stuttgart).
Sofer, Die Bekämpfung der Malaria in Österreich. (Zentralblatt für
innere Medizin 1907, Nr. 45.)
Die Malaria ist in Österreich in den Küstenländern (Istrien
und Dalmatien) endemisch. Die Regierung ging daher daran, diese
Volkskrankheit zu bekämpfen. Die erste systematische Bekämpfung
der Malaria in Österreich wurde 1892 von Battara veranlasst.
Als besonders geeignetes Objekt wurde die Stadt Nona in der Nähe
von Zara ausersehen. Die Behandlung erfolgte nach der Methode
Grassi mit den Bislerischen Chinin-Eisen-Arsen-Pillen. Die Erfolge
erregten im ganzen Lande einen grossen Enthusiasmus, und mit
Rücksicht darauf, dass im Jahre 1902 die Malaria in Dalmatien
besonders heftig grassierte, wurde sowohl in Dalmatien als auch
im Küstenlande eine antimalarische Aktion für 1903 beschlossen.
In Dalmatien war der Erfolg unleugbar: in allen 12 Orten
sind zusammen um die Hälfte weniger Leute gestorben, als im
jährlichen Durchschnitt der vergangenen 3 Jahre. Im Jahre 1904
wurde die Aktion auf 44 Ortschaften ausgedehnt, im Jahre 1905
sogar auf 97. Letztere wurden in 13 Malariagebiete geteilt und
jedes davon einem eigenen Endemiearzt unterstellt; die Leitung
lag in der Hand von 3 Amtsärzten. Die chronischen Fälle wurden
mit Bislerischen Pillen, die frischen mit den einfachen Chinin¬
präparaten behandelt. Nach 15 tägiger Dauer der Intensivkur wur¬
den die auf die Hälfte reduzierten Dosen noch weitere 15 Tage lang
gegeben (Nachkur). Mit der Verteilung der Medikamente an die
Kranken in den Häusern und auf den Feldern und mit der Regi¬
strierung der verteilten Dosen waren 257 Gehilfen betraut. Nach
der Kur verblieben die Einwohner noch bis zum Schluss der
4*/, Monate währenden Aktion unter Beobachtung, um die noch
nachträglich festgestellten Malariafleberkranken der Kur unterziehen
zu können. Unter 27 219 Behandelten traten 235 Anfälle während
und 4352 nach der Behandlung auf, was, wenn sämtliche Fälle als
Rezidive aufgefasst werden, einem Prozentsätze von 16,9 ent¬
spräche. Doch sind die echten Rezidive von Neuinfektionen nicht
sicher abzugrenzen. Der hauptsächliche Nutzen ist ein wirt¬
schaftlich-ökonomischer, weil die Morbidität der Bevölkerung herab¬
gesetzt und die Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung gehoben wird,
deren wirtschaftliche Lage durch die gerade zur Zeit der dringend¬
sten Feldarbeiten massenhaft auftretenden Fiebererkrankungen eine
sehr traurige war. Die Kosten der Aktion beliefen sich im Jahre
1905 auf etwa 94 000 Kr. Das Rosssche Verfahren wurde nicht ausser
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 19
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acht gelassen: soweit es ging, wurden die Tümpel und Pfützen an
Strassen und bei bewohnten Ansiedlungen vernichtet.
In Istrien wurden 8 Endemiebezirke geschaffen. Das Haupt¬
gewicht wurde auf die möglichste Ausforschung und Ausheilung
der Malariakranken gelegt; womöglich wurde auch die prophy¬
laktische Chininbehandlung der Gesunden eingeleitet. Die Ein¬
führung des mechanischen Schutzes wurde mit Ausnahme der Bahn¬
linien nicht versucht, weil ein Erfolg dieser kostspieligen Methode
nicht zu erwarten war. Die versuchsweise in einigen Gemeinden
eingeführte und den Gemeindeärzten übertragene ambulatorische
Behandlung der sich freiwillig meldenden Malariakranken hatte
geringen Erfolg. Selbst sehr lange fortgesetzter Gebrauch von
Chinin zog keinerlei Störungen nach sich; dagegen sind mehrere,
oft plötzlich auftretende Arsenintoxikationen zu verzeichnen. Eine
dauernd wirksame Bekämpfung der Malaria in Istrien ist nicht gut
möglich ohne Talsperre, ohne die Anzeigepflicht der Arzte auch
bei Verdacht und ohne hygienische Untersuchungsstellen; letztere
könnten sich zugleich der Erforschung und Bekämpfung des eben¬
falls endemischen Typhus und der Dyseuterie widmen.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Fermi und Repetjto, Über die Filtrierbarkeit des Trachom-Erregers
und Qber den pathogenetischen Wert der kultivier baren Flora
der trachomatösen Konjunktive. (Aus d. hygien. Inst. d. Univers.
Lassari.) (Berl. klin. Wochenschr. Nr. 38, 1907.)
Die Untersuchungen stellten die Verff. an zwei Affen, an sich
selbst und an 23 Personen an. Das Material wurde von 50 Kranken,
die an frischem, unkompliziertem Trachom litten, gesammelt. Es
ergab sich, dass trachomatöses Material, das nachweisbar infektiös
war, nach der Filtration durch ein Berkefeld-Filter V Bindehäute
nicht mehr infizierte; ferner, dass keiner der verschiedenen auf
Agar oder in Glyzerin-Bouillon kultivierbaren Mikroorganismen,
die die ganze Flora der trachomatösen Konjunktivitis bilden, weder
einzeln noch zusammen die Kraft besass, das Trachom beim Menschen
wieder hervorzurufen; und schliesslich dass es bisher nicht gelang,
mit irgend einer der bekannten Färbemethoden eine konstante Form,
die man als den spezifischen Erreger des Trachomes ansehen
könnte, zu unterscheiden. Mühlschlegel (Stuttgart).
Konstannsow, Die epidemiologische Bedeutung der Quarantäne-
Stationen für die mohammedanischen Pilger. (Russ. med. Rund¬
schau 1907, Nr. 12, p. 756-759.)
Bis jetzt ist für die hygienische Durchführung einer Quaran¬
täne in Russland noch so gut wie nichts geschehen. Es gibt wohl
eine Quarantänestation (Feodossia am Schwarzen Meer), durch
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welche die Pilger passieren müssen, aber die Untersuchung ist
doch nur eine sehr dürftige. Man begnügt sich, die Namen der
Pilger in ein Buch einzutragen und eine oberflächliche Körper¬
untersuchung vorzunehmen; dann lässt man sie wieder ziehen.
Bei einer gründlichen Untersuchung muss vor allem auf die Lymph-
drüsen geachtet werden, daneben hat der Arzt sein Augenmerk
auf etwaige Hautaffektionen, Augenaffektionen, Paralyse, Geistes¬
krankheiten und Pestkaehexie zu lenken, Krankheitserscheinungen,
die einen Rückschluss auf etwaiges Vorhandensein der Pest zulassen.
Um die Diagnose der Cholera stellen zu können, muss eine
gründliche Anamnese hinsichtlich etwaiger Magendarmerkrankungen
(Diarrhöen usw.) aufgenommen und alle Einzelheiten auf einem
mit vorgedruckten Fragen und Antworten versehenen Fragebogen
eingetragen werden. Nur so wird es möglich sein, hinter das
Geheimnis der Ursachen der Pest und Cholera zu kommen und eine
rationelle, zielbewusste Therapie dieser Seuchen in die Wege zu
leiten. Boas jr. (Berlin).
Fornet, Über die Babterizidie der Galle. (Archiv f. Hygiene 1907,
B. 60, H. 2.)
Die Resultate der Arbeit sind folgende: Frische Rindergalle
wirkt auf Typhusbazillen entwicklungshemmend. Diese Bakterizidie
wird durch Kochen nur teilweis zerstört. Galle wird zu einem
für Typhusbazillen günstigem Nährboden, wenn ihr bakterizider
Einfluss auf dieselben in der einen oder andren Weise unwirksam
gemacht wird. Die Bakterizidie der Galle wird merkwürdigerweise
durch einen Zusatz von an und für sich ebenfalls bakterizid wirken¬
der Salizylsäure fast vollkommen aufgehoben. Woran dies liegt,
ob diese Hemmung chemisch oder biologisch eintritt, hat der Ver¬
fasser nicht sicher feststellen können. Aus allen seinen Versuchen
zieht er den allgemeinen Schluss, dass bei Prüfung von Desinfek¬
tionsmitteln man beachten müsse, dass zuweilen Bakterien in ihrer
Entwicklung durch ein schon in Lösung befindliches Desinfektions¬
mittel erheblich stärker gehemmt werden, als wenn das Desinfek¬
tionsmittel in gleicher Konzentration erst nachträglich in der Bak¬
terienaufschwemmung gelöst wird. Matth es (Cöln).
Bachrach und Stein, Über das Schicksal per olysma verabreichter
Bakterienaufschwemmungen. [Aus dem pathol.-anat. Inst. d. Univere.
Wien.] (Wiener klin. Wochenschr. Nr. 39, 1907.)
Die Verfasser haben Kaninchen, Kulturen von Prodigiosus- und
Tuberkelbazillen klystiert, nach der Beobachtungszeit getötet
und untersucht. Sie fanden die Tuberkelbazillen in keinem Falle,
die Prodigiosuskeime selten jenseits der Ileocöcalklappe, niemals
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im Magen, Ösophagus und Bachen vor. Finden sich also durch
Klysma verabreichte Keime in den Lungen, so können sie nur
auf dem Blut- oder Lymphwege, nicht aber durch Aspiration
vom Rachen ans in diese Organe gelangt sein. Dass solcherart
verabreichte Keime im Magen und oberen Dünndarm nicht mehr
nachweisbar sind, kann als ein neuer Beweis für die von Kohl-
brugge behauptete Autosterilisation des Magendarmtraktus be¬
trachtet werden. Es erscheint ihnen in hohem Grade unwahrschein¬
lich, dass mit Vermeidung primärer Aspiration beim Schlingakt in
den Magendarmkanal eingebrachte Tuberkelbazillen auf retrogradem
Wege in den Rachen und von hier durch sekundäre Aspiration in
die Lungen gelangen können. Mühlschlegel (Stuttgart).
▼. Klecki, Bericht über die im Institut Angestellten experimentellen
Untersuchungen über den Durchtritt von Bakterien durch die
intakte Darmschleimhaut. [Inst. f. allgem. u. ex per. Pathol. d. Univ.
Krakau.] (Wiener klin. Wochschr. Nr. 87. 1907.)
Rogozinski hatte in diesem Institut an einer grossen Serie
von Tierversuchen (Hunde) das Ergebnis erzielt, dass in den Mesen¬
terialdrüsen gesunder Tiere sich ständig aus dem Darmkanal
stammende Bakterien vorfinden, und zwar hauptsächlich Mikroben,
die zur Coligruppe gehören. Jetzt hat er im Verein mit Wrzosek
die Untersuchungen weiter ausgedehnt durch Verfüttern von
Kulturen solcher Mikroben, welche gewöhnlich in der Luft nicht
Vorkommen. Von 47 gesunden Warmblütern hat er bei 30 die
eingeführten Mikrobenarten aus den inneren Organen reingezüchtet,
am häufigsten aus den Mesenterialdrüsen, aber auch aus der Leber,
der Milz, den Nieren, den Bronchialdrüsen, der Lunge und den
Muskeln. Es dürfte daher behauptet werden, dass die vom Darm
ln die inneren Organe eingewanderten Mikroben, wenn nicht aus¬
schliesslich, so doch grossenteils, auf dem Wege der Chylus-
gefässe in den ductus thoracicus und von da aus durch den
Blutkreislauf in die verschiedenen Gewebe geraten.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Babes und Vasiliu, Die Atoxylbehandlung bei Pellagra. (Berl.
klin. Wochschr. Nr. 38, 1907.)
Die Verff. haben bereits in Nr. 28 derselben Zeitschrift über
gute Erfolge berichtet, die sie mit Atoxyl bei Pellagra erzielten.
Jetzt können sie eine grosse Reihe weiterer Beobachtungen mit-
teilen: die Ergebnisse sind im allgemeinen sehr befrie¬
digend. Besonders bei Kindern und akuten Fällen war die
schnelle Besserung und Heilung auffallend. Fast alle Fälle wurden
zuerst mehrere Tage bis Wochen im Spital beobachtet, bevor sie
mit Atoxyl behandelt wurden, und kaum einer zeigte während
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dieser Zeit eine Besserung, während fast unmittelbar oder 1—2
Tage nach der ersten Atoxylinjektion eine auffallende Besserung
einsetzte, die sich auf alle Pellagrasymptome erstreckte. Schon
geringe Gaben an Atoxyl, wie in Zwischenräumen von 5—7 Tagen
2—3 mal wiederholte Dosen von je 10 cg, ja selbst eine einmalige
Dosis führte zur Heilung, soweit man von einer solchen nach ein¬
monatiger Beobachtung reden kann. Bei den einfachen Fällen
im mittleren Alter wurde die Heilung durchschnittlich in 14 Tagen
erzielt. Bei über 50 Jahre alten Personen setzte die bessernde
Wirkung des Mittels gewöhnlich schnell ein, doch war die völlige
Heilung etwas verzögert. Falls die Krankheit kompliziert war, z. B.
mit Geistesstörung, erreichte Atoxyl oft nur eine Besserung, manch¬
mal auch diese nicht. Während mit Atoxyl von 65 Fällen 35
nach bloss wenigen Wochen langer Behandlung geheilt und die
übrigen mit Ausnahme von 6 Fällen ganz auffallend gebessert
wurden, dauerte die ältere Behandlung ohne Atoxyl gewöhnlich
monatelang und führte kaum in der Hälfte der Fälle zu bedeutender
Besserung oder zur Heilung. Mühlschlegel (Stuttgart).
Kratter, Ober Giftwanderung in Leichen und die Möglichkeit des
Giftnaohweises bei später Enterdigung. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl.
Med. u. öffentl Sanitätswesen, 83. Bd., Sappl., 1907.)
Alle der Fäulnis und chemischen Zersetzung widerstehenden
organischen und. anorganischen Gifte, die im Leben einverleibt
wurden, wandern in den Leichen nach den tiefergelegenen Teilen,
die leichtbeweglichen Pflanzengifte rascher als die schwer beweg¬
lichen Mineralgifte. Die postmortale Giftwanderung ist ausser von
der Art der Giftbindung, die den Grad der Beweglichkeit bedingt,
von dem Gange der Leichenzersetzung abhängig, mit der die Aus¬
laugung der Gifte in gleichem Sinn fortschreitet. Bei späten Aus¬
grabungen sind daher die tiefstgelegenen Teile der Leichenreste
sowie Kleiderreste der Rückenteile, Unterlagen, Sargholz und Grab¬
erde unter der Mitte des Bodenbrettes die wichtigsten, noch erfolg¬
versprechenden Untersuchungsobjekte.
Der Erfolg hängt wesentlich von einer sachkundigen Entnahme
der für die chemische Untersuchung bestimmten Teile ab. Unter
dieser Voraussetzung ist die Möglichkeit des Nachweises fäulnis¬
beständiger Gifte fast unbegrenzt, d. h. sie besteht wenigstens für
Mineralgifte sicher so lange, als überhaupt noch Leichenreste auf¬
findbar sind.
Neben der Auswanderung gibt es auch eine Einwanderung
von Giften in den Leichnam. Diese mögliche Quelle eines verhäng¬
nisvollen Rechtsirrtums ist aber vom sachkundigen Untersucher
unschwer aufzudecken und auszuschalten.
Mühlschlegel (Stuttgart).
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Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Arbeiten a. d. königl. Institut f. experiment. Therapie zu Frankfurt a. M.
Hrsg. v. Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. P. Ehrlich. Heft 4. Jena 1908.
G. Fischer.
— a. d. Kaiserlichen Gesundheitsamte, Bd. XXVIII, Heft 1. Berlin 1908.
Jul. Springer.
Bircher, A., Speisezettel und Kochrezepte für diätet. Ernährung. 2. Aufl.
Berlin 1908. 0. Salle. Preis gbd. 2 M.
Bu rwinkel, Dr. med. 0., Über Arteriosklerose. München 1908. Verl. d.
Ärztl. Rundschau. Preis 75 Pf.
Dornblüth, Dr. med. 0., Gesunde Nerven. 4. Aufl. Würzburg 1908.
K. Kabitzsch. Preis 2 M.
Fehling, Prof. Dr. H., Wundinfektion und Wundbehandlung im Wandel
der Zeiten und Anschauungen. Rede. Strassburg 1908. J. H. Ed. Heitz.
Preis 1.20 M.
Grotjahn, Dr. med. A., Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im
Lichte d. sozialen Hygiene. Leipzig 1908. F. C. W. Vogel. Preis 10 M.
Journal of experimental medicine. vol. X, Nr. 3. Lancester 1908. Single
Nr. $ 1; p. volume $ 5.
Pescatore, Dr. M., Pflege und Ernährung des Säuglings. 2. Aufl. Berlin
1908. Jul. Springer. Preis 1 M.
Pfülf, E., Oberst a. D., Die Panik im Kriege. München 1908. Verl. d.
Ärztl. Rundschau. Preis 1.20 M.
Rubner, M., Volksernährungsfragen. Akad. Verlagsgesellsch. Preis 5 M.
Das Schulzimmer. Vierteljahrsschau. Hrsg, von H: Th. Matth. Meyer.
6. Jahrg., Nr. 2. Charlottenburg 1908. P. J. Müller. Preis p. Jahrg. 4 M.
Die Staubplage und ihre Bekämpfung. München 1908. Selbstverlag d.
deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung d. Strassenstaubs.
Sternberg, Dr. med. W., Die Küche im Krankenhaus. Stuttgart 1908.
F. Enke. Preis 7 M.
Stille, Dr. San.-Rat, Zur Ernährungslehre. München 1908. Verl. d. Ärztl.
Rundschau. Preis 75 Pf.
Tobeitz, Prof. Dr. A., Differential-Diagnose d. Anfangsstadien der aku¬
ten Exantheme. Stuttgart 1908. F. Enke. Preis 2.80 M.
Weyl, Th., Die Assanierung von Düsseldorf. Leipzig 1908. W. Engel¬
mann. Preis 14 M.
Winsch, Dr. med W., Wie ich Naturarzt wurde! Berlin 1908. Verlag
Lebenskunst-Heilkunst. Preis 60 Pf.
Wolff, Dr. C., Öffentliche Bade- und Schwimmanstalten. Leipzig 1908.
G. J. Göschen’sche Verlagshandlung. Preis 80 Pf.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. Die Verlagshandlung.
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Bericht über die schulärztliche Tätigkeit an den
Volksschulen der Stadt Dortmund
für das Schuljahr 1906/1907.
Von
Dr. med. F. Steinhaus, Stadtschalarzt.
A. Einleitung.
Der schulärztliche Dienst an den Volksschalen der Stadt
Dortmund hat mit Ausgang des Jahres 1905 insofern eine wesent¬
liche und zugleich bedeutungsvolle Änderung erfahren, als Verfasser
gemäss dem Beschlüsse des Magistrats, der Schuldeputation und der
Stadtverordnetenversammlung als im Hauptamte tätiger Stadtschul¬
arzt angestellt worden ist.
Damit wurde Dortmund die erste preussische Stadt, die einen
hauptamtlich tätigen Schularzt beschäftigte, nachdem die Stadt
Mannheim nach dieser Richtung hin vorbildlich vorgegangen war.
Dem Stadtschularzt wurden sämtliche Schulhäuser der städt.
Volksschulen überwiesen. Ausserdem wurde er verpflichtet, den
Überwachungsdienst an den städtischen Hilfsklassen für Schwach -
befähigte zu übernehmen.
Da der schulärztliche Dienst in den Städten Mannheim, Wies¬
baden und Breslau seit längerem organisiert war, so wurde für den
Verfasser eine Dienstanweisung erlassen, die sich in sämtlichen
wesentlichen Punkten an die Dienstanweisung des Schularztes der
Stadt Mannheim sowie an die Dienstvorschriften für die neben¬
amtlich angestellten Schulärzte in Wiesbaden und Breslau anlehnt.
Diese Dienstanweisung, die am 16. Juni 1906 von der Stadt-
Schuldeputation gutgeheissen und am 24. Juli 1906 vom Magistrate
genehmigt worden ist, hat folgenden Wortlaut:
Dienstanweisung für den städtischen Schularzt
zu Dortmund.
1. Der Schularzt, welcher in dienstlicher Beziehung zunächst dem
Herrn Stadtarzt unterstellt ist, hat die Aufgabe, den Gesund-
Oentralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XXVII. J&hrg. 20
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beitszustand der schulpflichtigen Kinder zu Überwachen und die
ärztlichen Revisionen der zur Schule gehörenden Räumlichkeiten
und Einrichtungen vorzunehmen; er ist demgemäss verpflichtet,
alle in diese Aufgabe fallenden Aufträge des Magistrats und
der städtischen Schuldeputation auszufübren.
2. Die Tätigkeit des Schularztes erstreckt sich auf das Gesamt-
gebiet der Schulhygiene.
3. Der Schularzt hat die der Volksschule in Dortmund zugewiesenen
Gebäude jährlich zweimal während des Sommers und Winters,
erforderlichenfalls auf Antrag der städtischen Schuldeputation
oder des Stadtarztes auch häufiger, z. B. bei Epidemien, einzelne
Klassen oder bei Auftreten besonderer Missstände einzelne
Räume zu besuchen und hat dabei auf die richtige Handhabung
aller für die Gesundheit der Kinder und Lehrer getroffenen
Einrichtungen zu achten, vor allem auf die Erwärmung, Lüftung,
Beleuchtung und Reinigung der Räume, auf Schulbänke, Aborte,
Turnsäle und Schulbäder.
Bei Beginn der Besichtigung der Unterrichtsräume während
des Unterrichts ist der Leiter der Schule zu benachrichtigen.
4. Bei den regelmässigen Revisionen, die den Stadtschulräten
zuvor anzuzeigen sind, hat der Schularzt mit dem Leiter der
Schule über die in der Schule herrschenden allgemeinen Ge¬
sundheitsverhältnisse Rücksprache zu nehmen und seine wie der
einzelnen Lehrpersonen Wünsche entgegenzunehmen. Er hat
das Recht, die genannten Personen seinerseits auf etwa wahr¬
genommene Mängel in geeigneter Weise sofort aufmerksam
zu machen.
Dagegen ist er nicht befugt, selbständige Vorschriften zu
erteilen. Er hat vielmehr seine Anträge und Beschwerden an
die Scbuldeputation zu richten.
Er ist indes berechtigt, einzelne Kinder, deren weitere
Teilnahme am Unterrichte mit einer Ansteckungsgefahr für die
Mitschüler verbunden ist, auf Grund des ärztlichen Unter¬
suchungsbefundes im Einvernehmen mit dem Schulleiter vom
Unterrichte auszuschliessen.
5. Über seine Wahrnehmungen bei diesen Besuchen wie über die
vorgetragenen Wünsche und Beschwerden hat der Schularzt
kurze Notizen aufzunehmen, von denen er der städtischen Schul¬
deputation eine Abschrift vorzulegen hat. Die Urschrift ist von
dem Schulärzte zu seinen Akten zu nehmen.
6. Der Schularzt ist von dem Hochbauamt rechtzeitig von dem
Tage und der Stunde der bautechnischen Besichtigungen der
Schulhäuser zu benachrichtigen und verpflichtet, soweit wie
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möglich, an diesen Besichtigungen teilzunehmen, um seine
etwaigen Anträge auf bauliche Änderungen stellen zu können.
7. Bei der Begutachtung von Schulbauten und Schuleinrichtungen
hat der Schularzt mitzuwirken, auch kann derselbe von den
Stadtschulräten zur Beratung Uber die hygienische Ausgestaltung
des inneren Schulbetriebes hinzugezogen werden.
8. Eine Hauptaufgabe des Schularztes bildet die individuelle Hy¬
giene der die Volksschule besuchenden Kinder, soweit es sich
darum handelt, die einzelnen Kinder vor etwaigen schädlichen
Folgen des Schulbesuchs zu bewahren und körperliche Mängel
an ihnen festzustellen. Die ärztliche Behandlung der Schul¬
kinder, der Lehrpersonen sowie der Schnldiener und ihrer
Familien steht ihm nicht zu.
9. Der Schularzt ist befugt und verpflichtet, den körperlichen
Zustand der die Volksschule besuchenden Kinder zu untersuchen,
wobei er nach Beginn des Schuljahres vor allem auf die neu-
aufgenommenen und auf die ihm von der Schulverwaltung zu¬
gewiesenen Kinder sein Augenmerk zu richten hat. Insbesondere
liegt dem Schularzt die Untersuchung x)b:
a) wenn bei angeblich schwächlichen oder in ihrer Entwicklung
zurückgebliebenen Kindern die Ortsschulbehörde über einen
Antrag auf Zurückstellung von der Schulpflicht zu ent-
' scheiden hat;
b) wenn die Ortsschulbehörde darüber zu entscheiden hat, ob
ein Kind wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht
mit Erfolg am Unterrichte teilnehmen kann;
c) wenn am Schlüsse des Schuljahres darüber Entscheidung zu
treffen ist, welche Kinder einer Hilfsklasse zugewiesen werden
sollen;
d) wenn Zweifel darüber bestehen, ob Schulversäumnisse wegen
Krankheit gerechtfertigt sind;
e) auf Erfordern des Schulleiters, wenn es sich um den Wieder¬
eintritt eines Kindes in die Schule handelt, das an einer
ansteckenden Krankheit gelitten hat oder in dessen Haus¬
stand eine solche Erkrankung vorgekommen ist, oder wenn
bezüglich eines die Schule besuchenden Kindes Verdacht
einer ansteckenden Krankheit vorhanden ist;
(Unter den Begriff der ansteckenden Krankheit fällt
auch das Behaftetsein mit Ungeziefer.)
f) wenn es sich um die ärztliche Begutachtung stattgefundener
Züchtigungen von Schülern handelt.
10. Der Schularzt ist gehalten, für jedes von ihm als krank er¬
mittelte Kind einen Überwachungsbogen anzulegen.
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11. Die Untersuchungen der Schulkinder haben in einem zu diesem
Zwecke dem Schulärzte zur Verftlgung gestellten Raume des
Schulbauses stattzufinden. Falls es notwendig erscheint, sind
sie auch in der Wohnung des Kindes vorzunehmen (z. B. bei
unbegründeter Sch ul Versäumnis). Bei den im Schulhause vor¬
zunehmenden Untersuchungen hat, wenn es sich um Mädchen
handelt, eine Lehrerin, bei den Knaben ein Lehrer nach An¬
ordnung des Schulleiters zugegen zu sein.
12. Der Schularzt hat an jedem Wochentage zu einer bestimmten
Zeit, ausserhalb der regelmässigen Unterrichtszeit, in seinem
Amtsraume eine Sprechstunde abzufaalten.
In dieser Sprechstunde hat er die von den Schulleitern
zur besonderen Untersuchung überwiesenen Kinder zu unter¬
suchen, ferner den Eltern Auskunft und Rat über ihre Kinder
zu erteilen.
13. Nach Schluss eines jeden Schuljahres — und zwar bis zum
15. Mai — hat der Schularzt einen ausführlichen Bericht über
seine Tätigkeit und Erfahrungen zu erstatten und diesen der
städtischen Scbuldeputation und dem Stadtarzte einzureichen.
14. Der Schularzt ist verpflichtet, über die von ihm vorgenommenen
Revisionen von Schulen halbjährlich an die Polizeiverwaltung
zu berichten.
15. Der Schularzt ist gehalten, in den Konferenzen der Lehr¬
personen nach Möglichkeit belehrende Vorträge Uber Gebiete der
Schulgesnndheitspflege zu halten.
16. Die eingehenden amtlichen Schriftstücke sowie die ausgehenden
im Konzept sind von dem Schulärzte in geordneten Akten auf¬
zubewahren.
Im Sinne dieser Dienstanweisung habe ich während der Be¬
richtszeit sämtlichen drei Zweigen des umfassenden Gebietes der
Schulhygiene meine Aufmerksamkeit in besonderem Masse zu¬
gewandt.
In der Zeit vom Januar 1906 bis April 1907 wurden sämt¬
liche 38 Schulbäuser bezüglich der baulichen Einrichtungen einer
eingehenden Revision unterworfen.
Bei diesen Revisionen wurden ferner die kranken und krank¬
heitsverdächtigen Kinder ausgelesen und die Lehrkräfte Uber den
Körperzustand der Kinder unterrichtet.
Es ist mit Rücksicht darauf, dass der andernorts eingeführte
Personalbogen für jedes Kind, auch das gesunde, nach seiner ganzen
Anlage mehr statistischen Zwecken dient, vorderhand nur ein
Überwachungsbogen nach folgendem Formular in Benutzung ge¬
nommen :
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Volksschule Dortmund.
I. Seite.
Überwachungsbogen Nr.
Name des Kindes.
geboren am. Religionsbekenntnis
zu
Diagnosen der er¬
mittelten Krankheiten
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
In Über¬
wachung
genommen
am
Aus der
Über¬
wachung
entlassen am
Schulver¬
säumnis we¬
gen Krank¬
heit vom bis
Schuljahr
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
Mitteilung an
die Eltern er¬
folgt am
Hat ärztliche
Behandlung
stattgefunden
Ist Aufnahme erfolgt in Kran¬
kenhaus, Soolbad, Ferien¬
kolonie, Lungenheilstätte etc.?
wo? von wann bis wann?
i. i
ii.
|
in. I
II/III. Seite. Untersuchungsbefund mit Angabe des
Datums, der Schule u. Klasse
Anträge u. Vorschläge
des Schularztes
IV. Seite. Mitteilung der Klassenlehrer (-lehrerinnen) über das Ver¬
halten des Kindes im Unterricht und ausserhalb der Schule
mit Angabe des Datums, der Schule und Klasse; Namens¬
unterschrift.
Das vorstehende Formular habe ich gewählt vornehmlich von
dem Gesichtspnnkte aus, zunächst die kranken und überwachungs^
bedürftigen Kinder auszulesen und einen genauen Untersuchungs¬
befund einzutragen, der es dem Schularzt bei späteren Revisionen
gestattet, sich sofort einen Einblick darein zu verschaffen, welche
Änderungen bezüglich des Krankheitszustandes eingetreten sind.
Das Formular, das im wesentlichen dem Überwachungsschein z. B.
an den Breslauer Schulen entspricht, hat sich durchaus bewährt
und genügt den Zwecken, die Schule und Schularzt mit ihm ver¬
binden, vollauf.
Von der Einführung weiterer Formulare, Fragebogen an die
Eltern, Aufnahmeuntersuchungsscheinen usw. ist vorläufig Abstand
genommen worden.
Die Abwicklung des schulärztlichen Dienstes in dem Zeitraum
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von Januar 1906 bis April 1907 hat die Erfahrung gezeitigt, das»
es nur im Interesse der Gesundheitspflege an den Schulen liegt,
wenn ein Arzt im Hauptamte Gelegenheit hat, sich mit den ein¬
schlägigen Verhältnissen durchaus vertraut zu machen. Die zahl¬
reichen allgemeinen Fragen, die die Hygiene des Unterrichts, des-
Schulhauses und des Schulkindes betreffen, erheischen es nach
meinem Dafürhalten gebieterisch, dass ein Arzt mit dem schulärzt¬
lichen Dienste betraut wird, der diesen Dienst als seine berufliche
Hauptarbeit anzuseben bat, ganz abgesehen davon, dass es neben¬
amtlich angestellten Schulärzten nicht möglich ist, sich in dem Masse
mit dem Dienste zu befassen, wie es als erforderlich bezeichnet
werden muss. Ich erinnere hier nur an die Schwierigkeiten, die
sich bezüglich des Zeitpunktes der ärztlichen Revisionen ergeben,
bezüglich der Untersuchung der Lernanfänger, bezüglich der Sprech¬
stundenzahl und der Vornahme besonderer Untersuchungen (z. B.
ganzer Klassen auf Skoliose). Es ist ferner wünschenswert, dass
für die Behörden eine Zentralstelle vorhanden ist, von der aus da»
ganze Gebiet der Schulhygiene nach einheitlichen Gesichtspunkten,
bearbeitet wird. Dazu kommt schliesslich, dass der Schularzt im
Hauptamte über eine besondere Vorbildung in der Hygiene verfügt.
Alle diese Gesichtspunkte und noch andere sprechen dafür,
mit dem schulärztlichen Dienste beamtete und im Hauptamt an-
gestellte Ärzte zu betrauen, und es darf wohl mit Genugtuung be¬
hauptet werden, dass immer mehr die städtischen Verwaltungen
dazu übergehen, hauptamtlich angestellte Schulärzte mit dem Über¬
wachungsdienste zu' betrauen (ich erinnere hier an Ulm, Mül¬
hausen i. Eis., Hamburg). Von grossem Interesse ist bezüglich
dieser Frage die Ansicht von Kuntz, der nach einem Überblick
über die achtjährige Tätigkeit der Wiesbadener Schulärzte zu dem
Ergebnis kommt, dass nur der beamtete im Hauptamte beschäftigte
Schularzt in der Lage ist, den Dienst so wahrzunehmen, wie es die
Sache erfordert.
Im einzelnen ist nun der schulärztliche Dienst in folgendem
Umfang ausgeführt worden:
B. Überwachung der Schulhäuser
(Revisionen).
Die Stadt Dortmund wies im Schuljahre 1906/07
19 evangelische Schulhäuser,
17 katholische „
1 israelitisches Schulhaus,
1 altka tholisches „
Sa. 38 Schulbäuser auf.
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Dazu kamen
;n 1 System mit
2
Klassen (altkathol.)
1 * *
4
77
2 Systeme „
5
77
1 System „
6
77
5 Systeme „
8
77
1 System „
11
77
13 Systeme „
12
77
1 System „
13
77
2 Systeme „
14
n
2 * „
15
M
2 „ „
16
77
1 System „
17
77
6 Systeme „
18
n
38 Systeme mit
457
Klassen.
2 n »
10
„ für die Hilfs
schulen
40 Systeme mit 467 Klassen
Die Gesamtsumme der Klassen betrug
an den evangelischen Schulen 231
„ „ katholischen „ 250
„ der israelitischen Schule 5
„ „ altkatbolischen „ 2
(verfügbare
Räume).
demnach insgesamt 488 Klassen.
Es waren 14507 evangelische und
14863 katholische, dazu
175 jüdische und
45 altkatholische,
in Summa 29590 Kinder eingeschult.
Bei den Besichtigungen fielen bald geringere, bald grössere
Mängel auf, die in nachstehendem einer kurzen Besprechung ge¬
würdigt werden sollen.
a) Bänke. Am auffallendsten war zunächst die Versorgung
der hiesigen Schulhäuser mit durchaus unzweckmässigen Bänken.
Abgesehen von wenigen neueren Schulhäusern, standen überall Bänke
mit erheblicher Plusdistanz, zu schmaler Sitzbreite, zu schmaler
Tischplatte, mit ungeeigneter Differenz und natürlich falschem
Lehnenabstand. Ausserdem standen fast durchweg unrichtige Bank¬
grössen in den Klassen.
Ieh habe es angesichts - dieser Tatsache als meine besondere
Aufgabe betrachtet, die Verwaltung immer wieder, fast in jedem
Revisionsbericbte, darauf aufmerksam zu machen, dass der Bank¬
frage erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden sei. Meine Bemühungen,
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Wandel zn schaffen, sind von einigem Erfolge, wenn anch noch
nicht von dem wünschenswerten, begleitet gewesen. Ich habe auf
Ersuchen der städt. Schuldeputation ein ausführliches Gutachten über
die Schulbankfrage erstattet; es bat eine Konferenz stattgefunden,
in der die Gesichtspunkte für die Beschaffung anderer Subsellien
festgelegt worden sind, es ist eine grössere Position in den Etat
eingesetzt worden, um aus ihr allmählich die alten Subsellien durch
neue zu ersetzen. So ist erfreulicherweise viel geschehen in der
Berichtszeit, nachdem, das darf nicht verschwiegen werden, aus der
Lehrerschaft heraus, insbesondere von den Rektoren, auch seit Jahren
Klage über die anzweckmässigen Bänke geführt worden war.
Die Verwaltung hat sich auf meine Vorstellungen hin und
auch in Anlehnung an eine Verfügung der Königl. Regierung in
Arnsberg wohl dazu entschlossen, da, wo es angängig ist, d. h. wo
die Klassen den hinreichenden Raum gewähren, zweisitzige Sub
selben aufzustellen. Ich habe mich unter Berücksichtigung der
Verhandlungen des I. Internationalen Schulhygienekongresses und
der über diesen Gegenstand vorhandenen Literatur dafür entschieden,
der Verwaltung die Rettigbank als dasjenige System zu empfehlen,
das von allen zurzeit vorhandenen in geeignetster Weise alle For¬
derungen der Hygiene an ein Subsell erfüllt. Die Verwaltung hat
dann auch in anerkennenswerter Weise einige Schulhäuser mit diesem
Subsell ausgestattet.
Leider ist aber das neueste Schulhaus, das eigens bezüglich der
Klassenbreite auf zweisitzige Subsellien für 70 Kinder eingerichtet
worden ist, mit einer anderen Bank ausgestattet worden, die wesent¬
liche Forderungen der Hygiene unberücksichtigt lässt.
Gescheitert ist die Frage an dem Kostenpunkte. Die Rettig¬
bank ist noch zu teuer. Es wird nach wie vor schwer fallen, die
Verwaltung davon zu überzeugen, dass nur sie als Subsell in Frage
kommt, so lange den bewilligenden Körperschaften klargemacht
werden kann, dass bei Wahl einer anderen Bankart viele tausend
Mark an einem Schulhause gespart werden können. Dieser Ge¬
sichtspunkt geht leider noch immer über den, das gesundheitliche
Interesse der Kinder mehr ins Auge zu fassen.
Bezüglich der Bankfrage bleiben noch einige Wünsche zu er¬
füllen, die sich dahin verdichten, dass die Rettigbank billiger werden
muss, um die Konkurrenz mit den anderen Bankarten aufnehmen
zu können, dass die richtigen Bankgrössen den Kindern bei Beginn
des Schuljahres zuerteilt werden, d. h. dass Körpermessungen der
Kinder vorgenommen werden. Es hat keinen Zweck, Rettigbänke
zu beschaffen und diese den Kindern so zuzuweisen, dass sie in
ihren Sitzen die Fttsse 10—15 cm vom Fnssrost entfernt in der
Schwebe halten müssen.
Gck igle
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291
b) Ventilationsanlagen. Nächst der Bankfrage war mein
besonderes Interesse den Lüftungsanlagen zngewendet. Es ergab
sieb, dass mancherlei Übelstände vorhanden waren. Ich will ganz
davon absehen, dass in vielen alten Schulhäusern die Ventilations¬
anlagen überhaupt nur dürftige sind, dass z. B. für die Abfuhr
verbrauchter Luft nur kleine Öffnungen in den Wänden vorhanden
sind mit einem Durchmesser von nur 15 cm, dass in vielen Häusern
nur Einrichtungen für die Somraerventilation vorgesehen sind, auch
bezüglich der vorhandenen Einrichtungen waren mancherlei Miss¬
stände zu verzeichnen- Von 17 Scbulhäusern war zu berichten, dass
die vorhandenen Ventilationseinrichtungen für die Abfuhr verbrauchter
Luft sich in nicht funktionsfähigem Zustande befanden. Man darf
doch keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, dass die aus¬
reichende Ventilation eines Klassenzimmers zu den bedeutsamsten
Forderungen der Hygiene gehört, und dass den Einrichtungen, die
zu diesem Zwecke getroffen sind, stetige Aufmerksamkeit zuzuwenden
ist. Dazu gehört vorab, dass die Ventilationsklappen sowohl für
die Frischluftzufuhr an den Fenstern wie auch für die Abfuhr in
den Schächten in tadellosem Zustande sind; sonst wird von ihnen
nicht der Gebrauch gemacht, der sowohl im Interesse der Lehrenden
wie auch in dem der Kinder geboten ist.
Bei mehreren Schulhäusern war zu erinnern, dass die Abfuhr-
kanäle nicht gereinigt waren, dass in ihnen grössere Mengen Staub
sich angesammelt hatten.
Auch bezüglich derjenigen Scbulhäuser, die zentrale Lttftungs-
anlagen aufweisen, waren mehrfach Ausstände zu machen.
In der Liborischnle standen die Luftkammern mit den Keller¬
räumen in Verbindung, so dass Kohlenstaub in die Klassen ein¬
drang und in diesen ein deutlicher Geruch nach Kellerluft wabr-
zunehmen war.
An der Friedrichscbule erfolgt die Entnahme der frischen
Luft von der Schillerstrasse her, die nicht gepflastert ist. Wenn
die Decke der Strasse trocken ist, wirbelt, wie ich mich durch Be¬
sichtigung überzeugen konnte, der Strassenstaub in Wolken in die
Luftkammern hinein und dringt von da aus in die Klassenräume
hinein, in denen man an den Wänden deutlich den Weg des
Strassenstaubs verfolgen konnte.
Die Luftkammern in der Aloysiusschule wiesen keine Vor¬
richtung auf, um die Frischluftzufuhr zu regulieren. Die Luft
hatte in den Klassen im Winter oft eine Temperatur von 22 und
mehr Grad.
An der neuerbauten Schillerschule funktionierte die zentrale
Ventilationsanlage in einigen Klassen falsch. Es wurde drei Räumen
die warme Luft entzogen, so dass in ihnen im Winter- eine Tem-
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peratur von 8—10° C herrschte. Der Unterricht musste in diesen
Klassen längere Zeit ausgesetzt werden.
Es wird erforderlich sein, den Ventilationseinrichtungen stetige
Aufmerksamkeit zuzuwenden, vor allem auch noch die Frage zu
prüfen, ob es technisch durchführbar ist, auch in den alten Schul-
bäusern die Abfuhrkanäle mit Einrichtungen zur Sommer- und
Winterventilation zu versehen.
c) Reinigung der Schulhäuser. Die Reinigung in den
Schulhäusern liess durchweg während der Berichtszeit noch zu
wünschen übrig. Es liegt dies einmal nach meinem Dafürhalten
daran, dass Arbeitsfrauen an vielen Systemen mit der Auf¬
gabe der Reinigung des Schulhauses betraut sind, die ohne das
nötige Verständnis diese Arbeit vornehmen, sodann aber auch daran,
dass sie sowohl wie die Schuldiener an denjenigen Systemen, die
solche aufweisen, ihre Aufgabe als erledigt ansehen, wenn die Fuss-
böden und Bänke gereinigt sind.
Eine wesentliche Besserung ist zu verzeichnen, seitdem auf
Grund der eingehenden Versuche des Verfassers, die in dem XXIII.
Jahrgang dieser Zeitschrift niedergelegt sind, das staubbindende
Fussbodenöl generell zur Anwendung gekommen ist. Die Kleider¬
ablagen, die Schränke, die Fensterbänke, die Fenster und die
Bänke, an ihnen namentlich die Leisten, die die Pendelsitze tragen,
erfreuen sich indes noch nicht des Wohlwollens von seiten des
Reinigungspersonals, das ihnen eigentlich gebührte. Besonders
stiefmütterlich werden die Flächen an den Öfen und den Rippen¬
heizkörpern behandelt. Seitdem aber Nuss bäum-Hannover u. a.
nachgewiesen haben, dass durch die Versengung des Staubes an
überhitzten Heizkörpern schädliche brenzliche Produkte sieb der
Luft des Klassenraumes beimengen, müssen sie täglich mitgereinigt
werden.
Immer wieder habe ich in meinen Berichten zu beklagen ge¬
habt, dass die Reinigung der Schulhäuser zu wünschen übrig lässt.
Ich habe es mir besonders angelegen sein lassen, die Herren Rektoren
auf die Notwendigkeit der gründlichen Reinigung hinzuweisen und
sie zu einem entsprechenden Einfluss auf das Reinigungspersonal
zu veranlassen. Die Verwaltung ist ebenfalls in anerkennenswerter
Weise von dem Bestreben getragen, diesem vielgerügten Übelstande
dadurch Abhilfe zu schaffen, dass immer mehr angestellte Schul¬
diener mit dem Reinigungsdienst an den Häusern betraut werden,
die sich vor allen Dingen auch der im höchsten Grade bezüglich
der Reinigung vernachlässigten Turnhallen anzunehmen haben werden.
Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass allmählich ein Wandel
zum Besseren auch bezüglich der besprochenen Übelstände ein-
treten wird.
Gck igle
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293
d) Fenstervorhänge. Die hiesigen Schulhäuser sind durch¬
weg mit tief dunkelgrauen Vorhängen in den Klassen ausgerüstet.
Obwohl durch die Versuche von Cohn-Breslau ja längst nach¬
gewiesen ist, dass Vorhänge kaum glaubliche Mengen von Licht
absorbieren, habe ich doch Veranlassung genommen, in einzelnen
Klassen Lichtmessungen vorzunehmen. In der Melancbtbonscbule,
deren Klassen zur Hälfte nach Südsüdwesten orientiert siud, hatten
die den Fenstern gegenüberliegenden entferntesten Plätze an mehreren
sonnenhellen Tagen bei wolkenlosem Himmel nach Vorziehen der
dunklen Vorhänge nicht einmal die unbedingt notwendige Licht¬
stärke von 10 Meterkerzen.
Diese Beobachtung bestärkte mich in dem Hinweis an die
Verwaltung, dass die zurzeit vorhandenen Vorhänge schon aus-
diesem Grunde absolut unzureichend, ja von hygienischen Gesichts¬
punkten aus direkt zu verwerfen seien.
Dazu kommt dann noch, dass die alten, jahrelang im Gebrauch
befindlichen Vorhänge durch das viele Waschen so eingelaufen sind,
dass sie die ganze Breite des Fensters nicht mehr decken, infolge¬
dessen dem direkten Sonnenlicht noch Einlass in die Klassenräume
in mehr minder breiten Streifen gewähren, so dass blendende und
natürlich schädliche Reflexe für die Kinder erzeugt werden.
Diese machen sich schliesslich noch in weitgehendem Masse
bemerkbar, wenn bei geöffneten Fenstern und einigem Winde die
Vorhänge vor den Fenstern hin und her flattern.
Ich habe deshalb die Verwaltung ersucht, die alten Vorhänge-
allmäblich zu beseitigen, bei notwendigem Ersatz helle Vorhänge-
zu wählen, grundsätzlich die neu zu errichtenden Schulhäuser von
vornherein mit weissen Vorhängen ausznstatten und Befestigungs¬
vorrichtungen für die Vorhänge an den Fenstern anzubringen.
Die Verwaltung hat den ersten beiden Wünschen insofern»
Rechnung getragen, als nunmehr hellgelbe Vorhänge in den Klassen»
angebracht werden. Warum aber statt der vorgeschlagenen weissen
gelbe Vorhänge gewählt worden sind, vermag ich nicht einzusehen.
Die Befestigung der vorgezogenen Vorhänge an der Wand ist indes-
noch in keinem Schulhause bisher möglich.
e) Belichtung der Klassen. An drei Schulhäusern (Aloysius-,
Union- und Josephschule) sind im Erdgeschoss mehrere Klassen
vorhanden, die selbst bei klarem Wetter nicht ausreichend beleuchtet
sind. Der Mangel an Belichtung ist bei leicht .bewölktem Himmel
bereits so empfindlich bemerkbar, dass oft in den ersten zwei, oft
sogar drei Stunden am Vormittage die Kinder von den betr.
Lehrern und Lehrerinnen nicht mit Lesen und Schreiben beschäftigt
werden konnten. Prüfungen haben ergeben, dass zunächst eine
grössere Reibe von Plätzen in den Klassen der genannten Schulen
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kein direktes Sonnenlicht bekommt, sondern nur reflektiertes Licht
erhält. Weiterhin Hess sich durch Messungen nachweisen, dass eben
•diese Plätze unter 10 Meterkerzen Helligkeit aufwiesen. Zu diesen
Messungen stand mir zwar uur der Wingensche Lichtprüfer zur
Verfügung, dessen Resultate im Vergleich zu denen, die man mit
Webers Raum Winkelmesser erhält, bekanntlich als nicht ganz ein¬
wandfrei anzusehen sind, immerhin bin ich aber doch der Meinung,
dass der Apparat gute Vergleichsresultate liefert. Dem beregten
Übelstande sind wir in zweien der Schulhäuser zunächst damit be¬
gegnet, dass die Plätze mit der unternormalen Helligkeit nach
Möglichkeit nicht besetzt wurden; in dem dritten Scbulhause
(Josephschule) war dies leider nicht angängig, weil die Frequenz in
den betreffenden Klassen zu gross war. Dann hat sich die Ver¬
waltung in anerkennenswerter Weise dazu entschlossen, an der
Unionschule in den vier Klassen des Erdgeschosses die Fenster¬
stürze höher zu ziehen. In der Aloysiusschule ist zunächst der Ver¬
such gemacht worden, durch weissen Anstrich der vorstehenden
Mauerflächen mehr reflektiertes Licht in die betreffenden Klassen
zu werfen. An der Josephschule ist noch nichts geschehen. Die zu
geringe Lichtversorgung ist an allen drei Schulbäusern dadurch herbei¬
geführt, dass dreistöckige Häuser zu dicht an die Schulen heran¬
gebaut worden sind.
f) Trinkwasserversorgung. Eins der grössten Schmerzens¬
kinder bildete die Trinkwasserversorgung. An den meisten Schulen
ist die Trinkanlage so beschaffen, dass aus einer je nach der Grösse
des Schulhauses schwankenden Anzahl von einigen Zentimeter langen
Messingröhrchen sich das Wasser ergiesst. Es fliesst dann in eine
mit Blech ausgescblagene Rinne, die meist die Form eines schmalen,
20—25 cm hohen und ebenso breiten Beckens hat, und von da aus
in den Schwemmkanal. An der so beschaffenen Trinkanlage hängen
entweder keine Trinkbecher in sehr vielen Fällen, oder emaillierte
gusseiserne Becher, deien Emaille abgesprungen und deren Eisen
gerostet ist, und in viel zu geringer Zahl. Ausserdem tragen die
Becher so lange Ketten, dass sie meist auf dem Boden der mit
Schmutz beladenen Abflussrinne lagern.
Die Folge davon ist, dass die Kinder die eventuell vorhandenen
Becher nicht benutzen, sondern mit dem Munde sich nacheinander
an die Ausströmungsöffnungen hängen und das Wasser mit ihm auf¬
fangen, wenn sie überhaupt ihr Flüssigkeitsbedürfnis, namentlich im
Sommer, stillen.
In meinen Berichten habe ich immer wieder betont, dass die
Trinkwasseranlagen an den Schulen in einem höchst fragwürdigen
Zustande sich befinden, dass unbedingt auf Abhilfe gesonnen werden
müsste, da es eine vornehmliche Aufgabe der Schulverwaltung ist,
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295
den Kindern nicht nur einwandfreies Trinkwasser zu bieten, sonder»
auch die Entnahme desselben zu einer völlig gefahrlosen zu ge¬
stalten, nachdem einmal durch wissenschaftliche Untersuchungen
erwiesen ist, dass durch die Benutzung gemeinsamer Trinkgefässe,
sicherlich auch durch die Art, wie unsere hiesigen Schulkinder zu
trinken gewöhnt sind, ansteckende Krankheiten (z. B. die Diphtherie)
von Kind zu Kind übertragen werden können.
Das städtische Hochbauamt hat nun im Verlaufe der Berichts¬
zeit eine m. E. nicht nur glückliche, sondern auch bedeutsame
Lösung des nicht ganz einfachen Problems der einwandfreien Trink¬
wasserversorgung gefunden. Das Prinzip des La enger-Brunnens¬
hat in unseren hiesigen Schulen Eingang gefunden. Dieses besteht
darin, dass an einer Trinkquelle der Wasserstrahl aus einer ent¬
sprechend konstruierten Düse senkrecht etwa 20 cm in die Höhe
springt und nun von dem Trinkenden anfgefangen wird, ohne dass
dieser mit der Ausströmungsstelle in Berührung kommt.
Die Düse des Laeuger-Brunnens ist indes so konstruiert,
dass sie für Schulkinder keine Verwendung finden kann, da diese
ihren Mund doch noch auf den Messingring legen, der die Aus¬
strömungsdüse umkleidet. Ausserdem hat der ursprünglich von
Laenger ersonnene Springlerbrunnen den Nachteil, dass er nur
eine Düse aufweist. Es müsste darnach an Schnlhäusern mit 1000
bis 1500 Kindern eine grössere Zahl derartiger Brunnen zur Auf¬
stellung kommen.
Das städtische Hochbauamt hat nun acht Springler zu einem
Brunnen in der Peripherie einer gusseisernen Brunnenschale ver¬
einigt und nach vielen Versuchen durch diese sinnreiche Konstruktion
es möglich gemacht, dass an unseren grossen Systemen zwei der¬
artige mit je acht Ausströmungsöffnungen versehene Brunnen aus¬
reichend befunden worden sind.
Im Berichtsjahre sind drei Schulhäuser (Reinoldi-, Karl- nnd
Bonifaziusscbule) mit diesen Springlerbrnnnen ausgerüstet worden.
Ich habe Gelegenheit gehabt, mich über diese Trinkanlagen gut¬
achtlich zu äussern, nnd zwar in so günstigem Sinne, dass beschlossen
worden ist, an sämtlichen Schnlhäusern allmählich aus Etatsmitteln
diese Brunnen zu errichten.
Es waren an der ersten Anlage nur zwei Mängel vorhanden.
Einmal war die Abflussvorrichtung nicht richtig konstruiert; das
Wasser floss zu langsam aus den Becken ab, ein Umstand, der
sich wohl im Winter unangenehm bemerkbar gemacht haben würde.
Der Mangel ist jetzt gänzlich beseitigt.
Wichtiger vom hygienischen Standpunkte ans war aber, dass
anfänglich die Metalldüsen auf einem Falz angebracht waren nnd
so weit emporragten, dass die Kinder sie beim Trinken, indem sie
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J
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sieb ttber den Rand der Brnnnenschale weit hinüber bückten, noch
.ganz in den Mund nahmen. Das aber musste gerade vermieden
werden. Das Hochbauamt hat deshalb auf meine Anregung hin
•die Düsen in tiefe Einschnitte des Brunnenfalzes versenkt, so dass
•es jetzt völlig ausgeschlossen ist, dass der Mund der Kinder beim
Trinken mit der Springlerdüse in Berührung kommt; sie sind vielmehr
gezwungen, den emporschiessenden Wasserstrahl aufzufangen.
Die Kinder haben sich auffallend schnell an die neue Art der
Wasserentnahme gewöhnt, die ihnen gar keine Schwierigkeiten machte.
Die Erfahrung bat gelehrt, dass für je 800 Kinder ein Brunnen,
-mit acht Springlern ausreichend ist.
Ich halte diese neue Art der Trinkwasserversorgung für eine
vielverheissende und legte ihr so grosse hygienische Bedeutung bei,
dass ich mich veranlasst fühlte, sie in der Zeitschrift für Schul¬
gesundheitspflege (Jahrgang XX. 1907) der breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
Auf der anderen Seite ist es mit Freuden zu begrüssen, dass
unsere hiesigen Schulen auf dem wichtigen Gebiete der Trinkwasser¬
versorgung einen solchen Schritt vorwärts machen, dass sie in einigen
Jahren mit hygienisch m. E. gänzlich einwandfreien Trinkanlagen
sämtlich ausgestattet sein werden.
g) Abort- und Pissoiranlagen. Bezüglich der Aborte und
Pissoiranlagen ist zunächst zu berichten, dass an einigen Schul¬
häusern die Abortanlägen zu dunkel waren. Infolge der entsprechenden
Berichte ist Abhilfe insofern geschaffen worden, als durch An¬
bringung weiterer Fenster für hellere Beleuchtung Sorge getragen
worden ist. Die Abortanlagen sind wohl im allgemeinen als Stief¬
kinder betrachtet worden, da sie sich auch bezüglich der Reinhaltung
Kind der Beseitigung der Fäkalien in einem Öfters sehr fraglichen
Zustande befanden. Im allgemeinen ist seit einigen Jahren ein
^wesentlicher Wandel zu verzeichnen insofern, als das städtische
Hochbauamt immer mehr dazu übergegangen ist, die Abortanlagen
in die Kellergeschosse der Schulhäuser zu verlegen. Viele Schnl-
ihäuser verfügen heute über Anlagen in den Kellern, die bezüglich
Beleuchtung, Reinhaltung und richtiger intermittierender Wasserspülung
in hygienischer Beziehung nichts mehr zu wünschen übrig lassen.
Dagegen ist es mir nicht gelungen, die Verwaltung zu be¬
wegen, an zwei Scbulhäusern, die besonders dunkle Kellerabortanlagen
aufweisen, künstliche Beleuchtung anzubringen. Ich halte es nicht
nur vom pädagogischen Gesichtspunkte aus für unbedingt notwendig,
•dass den Kindern ausreichend beleuchtete Aborte zur Verfügung
stehen, sondern ich bin auch der Meinung, dass hygienische Momente
-hier sehr ins Gewicht fallen.
Hinsichtlich der Pissoiranlagen kann ich berichten, dass diese
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insofern fast an allen Schnlbäusern Mängel aufweisen, als die Ab¬
flussrinne für den Urin zu seicht angelegt war. Die Folge davon
ist, dass der Urin in grossen Lachen, in denen die Kinder heruin-
treten, sich vor der Rinne ansammelt. An einigen Scbulhäusern,
wo dieser Mangel ganz besonders hervortrat, ist durch Tieferführung
der Rinnen für besseren Abfluss gesorgt worden. Ich bin aber der
Meinung, dass nicht eher an eine gänzliche Beseitigung dieses nicht
zu unterschätzenden Übelstandes zu denken ist, als bis sich das
städtische Hochbauamt eutschliesst, vor den eigentlichen Abfluss¬
rinnen noch besondere Vertiefungen anzubringen, die mit Rosten zu
decken wären. Damit würde es wohl ganz vermieden werden
können, dass der Urin in die Anlage Übertritt.
Während die Aborte mit immer einwandfreierer Wasserspülung
bei dem vorhandenen Kanalanschluss versehen worden sind, ist man
dagegen bei den Pissoiren mehr und mehr von der Wasserspülung
abgekommen. Statt dessen werden die verputzten Wände mit einem
desodorisierenden Mittel bestrichen. Das Hochbauamt hat bis jetzt
dazu rohe Karbolsäure verwandt. An der desodorisierenden Wirkung
dieses Mittels ist allein schon nach den praktischen Erfahrungen
nicht zu zweifeln, dagegen haben entsprechende Versuche im
städtischen hygienisch-bakteriologischen Institut ergeben, dass ihr
sowohl wie den geprüften Saprolpräparaten eine besondere des¬
infizierende Wirkung nicht zukommt. Das Wesentliche wird bleiben,
die ammoniakalische Gärung des Urins zu verhindern. Dazu ist es
aber notwendig, den Wandanstrich öfter zu erneuern, als es bisher
geschehen ist. Ich hoffe, dass die Versuche bald soweit abgeschlossen
sein werden, dass es möglich sein wird, genau den Zeitraum zu
fixieren, innerhalb dessen diese Erneuerung stattzufinden hat.
h) Schulplätze. Was die Schulplätze anlangt, so war im
allgemeinen Klage darüber zu führen, dass dieselben mit einem
gänzlich ungeeigneten Deckmaterial versehen waren. Das städtische
Hochbauamt hatte dazu an der grössten Mehrzahl der Schulen
Kesselasche benutzt. Die Folge davon war, dass bei trockenem
Wetter der Staub in grossen Mengen aufgewirbelt wurde, ganz ab¬
gesehen davon, dass grobe Kesselasche an sich ein ungeeignetes
Deckmaterial für Spielplätze ist. Wenn man auf der einen Seite
besorgt ist, den Staub als einen grossen Feind der Kinder aus den
Schulen nach Möglichkeit fernzuhalten, so muss auch auf der
anderen Seite Sorge getragen werden, dass nicht so staubspendendes
Material für Schnlplatzdecken benutzt wird, wie die Kesselasche es
darstellt.
Es war ferner zu bemängeln, dass die Schulplätze zu wenig
besprengt werden. Schon an windstillen Tagen wirbelten die vielen
hundert Kinder auf den Schulplätzen grosse Staubmengen auf, die
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an Tagen, an denen eine stärkere Windströmung herrschte, bis zur
Unerträglichkeit sich steigerte, wovon ich mich gelegentlich der
Schulbesichtigungen selbst oft genug überzeugen konnte.
Das Hoch bauamt ist erfreulicherweise schon während der Be¬
richtszeit dazu übergegangen, die Schulhöfe mit Kies zu bedecken.
Ausserdem soll allmählich dazu übergegangen werden, jedes Schul¬
haus mit einem Schlauch zu versehen, damit an trockenen Tagen
eine ergiebige Besprengung der Plätze ermöglicht wird.
Einige Worte möchte ich an dieser Stelle einer Frage widmen,
die mir besonderer Beachtung wert erscheint: ich meine die
Frage: wie das Papier in den Pausen von den Schulhöfen entfernt
werden soll.
Man mag die Kinder noch so oft belehren und ermahnen, das
Frühstückspapier nicht auf den Schulplatz zu werfen, man mag noch
so viel Papiersammelkörbe in den Korridoren und auf den Höfen
aufstellen, immer wird es noch zahlreiche Kinder geben, die trotz¬
dem ihr Papier auf den Scbulplatz werfen. Diese Beobachtung
habe ich während der Berichtszeit immer wieder gemacht. Es
werden dann mehrere Kinder bestimmt, nach der Pause das Papier
vom Platze aufznlesen. Diese Kinder haben mich immer gedauert
und ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass bezüglich des
Modus des Auflesens von Papier im Interesse der Kinder Wandel
geschaffen werden muss. Wenn man es so oft sieht, dass die
Kinder nach regnerischen Tagen mit dem Schmutz bei dem Auf¬
lesen sich beladen und dann keine ausreichende Möglichkeit haben,
sich die Hände und Arme gründlich zu reinigen, vielmehr gezwungen
sind, mit dem Taschentuch diese Prozedur vorzunehmen, dann muss
der Wunsch kommen, die Kinder in den Stand gesetzt zu sehen,
das Papier auf andere Weise auf lesen zu können.
Ich habe es deshalb freudig begrüsst, dass einige Schulleiter
grosse Zangen angeschafft haben, mit denen das Papier aufgelesen
wird. Zwei Knaben, die damit beauftragt sind, tragen einen Korb,
in den das Papier gesammelt wird, und zwei sind mit den Zangen
bewaffnet. Mehrfach habe ich darauf hingewiesen, dass diese Ein¬
richtung für alle Schulen generell getroffen werden möge. Leider
ist mein diesbezüglicher Vorschlag unberücksichtigt geblieben.
Wenn man das Kind zur Reinlichkeit erziehen will, dann muss m. E.
mit dem Brauch gebrochen werden, es an jeder beliebigen Stelle
Papier auflesen zu lassen. Ich halte die Beseitigung dieses Brauches
jedenfalls auch für eine nicht zu unterschätzende hygienische Mass
nähme.
i) Besonderes. Meine Amtsvorgänger haben in ihren Be¬
richten seit vielen Jahren schon darauf hingewiesen, dass die Strassen,
die an einigen Schulhäusern vorbeiführen, unbedingt asphaltiert werden
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
299
müssten. Das betrifft die Lutherschule in der Zimmerstrasse und die
an sie angegliederte Hilfsscbnle ganz vornehmlich, dann noch die
evangelische Krim-, die evangelische Wilhelm- nnd die katholische
Josephschnle. Bezüglich der ersteren Schule habe ich einmal gelegent¬
lich einer Besichtigung festgestellt, dass 60 schwere Lastfuhrwerke in
einer Stunde, d. h. pro Minute ein Fuhrwerk, die enge Strasse
passierten. Der Lärm, den diese Fuhrwerke verursachen, ist so
betäubend, dass die Lehrer und Lehrerinnen, die in den nach der
Strasse zu gelegenen Klassen unterrichten, sich bei geöffneten Fenster¬
flügeln gar nicht, bei geschlossenen Flügeln und geöffneten Ober¬
lichtern nur sehr schwer verständlich machen können. Ich möchte
zunächst hervorheben, dass eine Überanstrengung der Stimme der
Lehrpersonen, wie sie notgedrungen im Gefolge eines Strassenlärms
sich einstellen muss, nicht ohne schädlichen Einfluss bleiben muss,
und besonders betonen, dass die Lehrpersonen, um die Kinder unter¬
richtsfähig zu machen, gezwungen sind, während des Unterrichts
die Fenster ganz geschlossen zu halten. Dieser Ausweg ist aber
im höchsten Grade bedenklich mit Rücksicht auf die Kinder, die
in einer Atmosphäre zu atmen genötigt sind, die beinahe unbeschreib¬
lich ist. Auf der einen Seite steht das Bestreben, überall die
Ventilation iu den Klassen so zu gestalten, dass ein vier- bis fünf¬
maliger Luftwechsel in einer Stunde stattfindet, der unbedingt statt¬
finden muss, wenn anders die Kinder eine einwandfreie Luft ein-
atmen sollen, auf der anderen Seite steht dann die Tatsache, dass
in mehreren Schulbäusern trotz vorhandener Ventilationseinrichtungen
wegen eines dauernden grossen Strassenlärms die Frischluftzufuhr
gänzlich abgesperrt werden muss.
Der Übelstand erheischt dringend im Interesse der Kinder
sowohl wie der Lehrenden der Beseitigung, und ich gebe mich der
Hoffnung hin, dass das städtische Tiefbauamt nun endlich, nachdem
seit Jahren immer wieder die gleiche Klage geführt worden ist, die
nötigen Etatsmittel zur Asphaltierung der Strassen vor den ge¬
nannten Schulbäusern einsetzt.
Den zweiten Teil meines Berichts möchte ich schliessen mit
dem Hinweis darauf, dass die von der städt. Verwaltung an¬
gemieteten drei Klassenräume in der Union-Vorstadt als Unterrichts¬
räume sich gänzlich ungeeignet erwiesen haben. Bei der am
10. November 1906 vorgenommenen Besichtigung zeigte sich zunächst,
dass die Räume sich in einem äusserst unsauberen Zustande befanden.
Die Klassen erhielten Licht von zwei Seiten, wodurch die Kinder
in unzulässiger Weise bei ihren Arbeiten geblendet wurden.
Es fanden sich ferner in allen Klassen nur Bänke von einer
Grösse, so dass viele Kinder bis zu 15 cm Höhe vom Fussboden
entfernt mit ihren Füssen in der Luft schwebten. Ausserdem waren
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 21
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Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
300
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es Bänke ältester Konstruktion mit einer Plusdistanz von annähernd
15 cm und ganz schmalem Sitzhrett. Die Bänke waren schliesslich
nicht befestigt, so dass die Kinder jeden Augenblick sich in einer
anderen Distanz befanden.
Die Fussböden waren uneben, rissig und sehr schlecht. Sie
hatten ausserdem keinen Ölanstrich.
Gegen die Einwirkung des direkten Sonnenlichts waren keine
Schutzvorrichtungen getroffen.
Die Kinder hatten ferner keine Trinkbecher.
Der Luftkubus für jedes einzelne Kind war viel zu niedrig.
Die Abortanlagen befanden sich in einem sehr fragwürdigen
Zustande.
Schliesslich wohnen in den Häusern, in denen die Klassen
eingerichtet waren, mehrere Arbeiterfamilien.
Die katholischen Klassen mussten einmal geschlossen werden,
weil in einer dieser Familien Scharlach ausgebrochen war.
Angesichts solcher erheblichen Missstände habe ich in meinem
an die städtische Schuldeputation unter dem 18. November 1906
erstatteten Berichte die gänzliche Schliessung der Klassen vom hy¬
gienischen Standpunkte ans für dringend erforderlich hingestellt.
0. Krankheiten der Schulkinder.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass man bei der Ein¬
richtung des schulärztlichen Dienstes sich keine auch nur annähernd
richtige Vorstellung von dem Umfange dieses Teiles der schul¬
ärztlichen Tätigkeit gemacht hat, kaum erwarten konnte, dass die
Erkennung von Krankheitszuständen unter unserer Schuljugend und
die Tätigkeit des Schularztes, die darauf hinzielte, die krank be¬
fundenen Kinder entweder der Gesundung entgegenzufUhren, oder
aber bei unheilbaren Zuständen von Schulwegen diesen die erforder¬
liche Beachtung zu schenken, den wesentlichen Teil der zu leistenden
Arbeit darstellen würde.
Die praktische Erfahrung hat auch in Dortmund gelehrt, dass
dieser Zweig der schulärztlichen Tätigkeit den bei weitem grössten
Umfang in der Gesamtarbeit für die Schule angenommen hat.
Wenn ich die Tätigkeit auf diesem Gebiete überschaue, so
bewegen mich sehr gemischte Gefühle. So befriedigend, wie es
einmal ist, wenn es dem Schulärzte gelingt, durch sein Eingreifen
ein Kind der Genesung entgegenzuführen, so unbefriedigend ist
doch im grossen und ganzen die berührte Tätigkeit bezüglich ihres
Endergebnisses. Dieses Versagen entbehrt meines Erachtens des
Grundes nicht, wie aus den weiteren Ausführungen wohl hervor¬
gehen wird.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
301
Vorweg möchte ich bemerken, dass ich für Dortmund nicht
die Beobachtung wie die Schulärzte in anderen Städten gemacht
habe, dass den Eltern das Verständnis für die Krankheitszustände
ihrer Kinder fehlt, dass sie mit Indolenz denselben gegenüberstehen,
dass sie andererseits die Bedeutung des Eingreifens des Schularztes
im Interesse der Kinder verkennen.
Ich habe im Gegenteil die Erfahrung gemacht, dass sie in
den allermeisten Fällen — die Ausnahmen waren verschwindend —
um die Gesundung ihrer Kinder sehr besorgt waren, mit Vertrauen
sich an den Schularzt um Raterteilung in immer mehr steigendem
Masse wandten und auch, soweit es in ihren Kräften stand, ärzt¬
liche Hilfe in Anspruch nahmen.
Hier aber ergeben sich schon sehr bald die grossen Schwierig¬
keiten. Viele Mütter können ihren Kindern die notwendige und
von ihnen auch als notwendig erkannte ärztliche Hilfe nicht ange¬
deihen lassen, weil der Arbeitsverdienst des Mannes nicht ausreiebt,
um aus eigenen Mitteln den aufzusuchenden Arzt zu bezahlen.
vSolche Kinder, und ihre Zahl ist nach meinen vielfältigen Er¬
fahrungen nicht klein, bleiben dann ohne irgendwelche Behandlung.
In der bei weitem grössten Zahl von Fällen haben die Eltern
zwar die ärztliche Behandlung ihrer Kinder frei, da unsere grossen
Krankenkassen zumeist den Kiudern ihrer Mitglieder freie ärztliche
Behandlung gewähren. Dabei bleibt es dann gewöhnlich, da die
Auslagen für die Arzneien nicht aufgebracht werden können. Wie
oft hört man aus dem Munde der Mütter: „die notwendigen Arz¬
neien können wir nicht bezahlen!“
Dazu gesellt sich als dritte und nach meinem Dafürhalten
grösste Schwierigkeit die Unmöglichkeit in den meisten der hier in
Frage kommenden Fällen, die Kinder der Arbeiter in Krankenhaus-
pflege zu geben. Aus meiner grossen Erfahrung muss ich sagen,
dass in einer grossen Zahl von Krankheitsfällen, die so geartet
waren, dass ein Erwachsener sofort auf Grund des Kranken-Ver¬
sicherungsgesetzes dem Krankenhause überwiesen worden wäre, die
betr. Kinder der nach ärztlichem Ermessen unbedingt notwendigen
Krankenbausbehandlung nicht teilhaftig werden konnten, weil die
Eltern nicht die Mittel dazu besitzen, das erkrankte Kind im
Krankenhause behandeln zu lassen. Das Budget des Arbeiters wird
durch diese Art der ärztlichen Versorgung zu hoch belastet. Die
Behandlung des Kindes unterbleibt oder sie wird irrationell.
Diese drei Erfahrungen haben sich mir immer wieder aufge¬
drängt, und wenn ich einen Rückblick auf die weitgehende Tätig¬
keit im Interesse der Gesundung der erkrankten Schulkinder werfe,
so darf ich zweierlei sagen:
Das erkrankte Kind des Arbeiters steht gegenüber Er-
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Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
302
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krankungen, die es treffen, in der überwiegenden Zahl der Fälle
schutzlos da, und die schulärztliche Tätigkeit, die es bezweckt, das
erkrankte Kind der geeigneten ärztlichen Behandlung zuzuführen,
läuft Gefahr, zu einer rein statistischen Arbeit berabzusinken.
Man stellt den Krankheitszustand fest und sieht keinen Weg,
das erkrankte Kind von seinem Leiden zu befreien. Darin liegt
das wesentlich Unbefriedigende der Tätigkeit des Schularztes, wenn
er als Helfer dem Kinde gegenübersteht und nicht als derjenige,
der es im Schulhause unter möglichst einwandfreie hygienische
Bedingungen zu stellen bestrebt ist.
Dem sozialpolitisch denkenden Arzte drängt sich immer mehr
die Überzeugung auf, dass die Kinder der arbeitenden Klassen auf
irgend eine Weise an den Segnungen der staatlichen Versicherungs¬
gesetze teilnehmen müssen. Ich muss es als eine lohnende Auf¬
gabe derer bezeichnen, die sich mit dem Ausbau sozialpolitischer
Massnahmen ex officio zu beschäftigen haben oder aus freien
StUcken beschäftigen, auf Mittel und Wege zu sinnen, dass das
auf Grund der vielfältigen schulärztlichen Erfahrungen unbedingt
erstrebenswerte Ziel erreicht wird, dem Kinde des Arbeiters in
jedem Falle die Möglichkeit zu geben, sich von seinen körperlichen
Leiden befreien zu lassen. Dass man damit keiner Utopie gegen-
überstebt, lehren die Tatsachen, Anläufe zu dem gezeichneten Ziele,
die grosse Orts- und Betriebskrankenkassen bereits mit Erfolg ge¬
macht haben nach der Richtung hin, dass den Kindern der Kassen¬
mitglieder neben freier ärztlicher Behandlung teils freie Arznei,
teils auch freie Krankenbausbehandlung gewährt wird. Ich erinnere
hier nur an die Einrichtungen der hiesigen Ortskrankenkasse und
der Betriebskrankenkassen der Stahlwerke Hösch und Union.
Und noch eins! Die schulärztliche Organisation strebt dabin,
eine körperliche Ertüchtigung der Schuljugend zu erreichen. Alles
Arbeiten auf diesem Wege ist vergeblich und nutzlos, wenn das
kranke Kind nicht von seinem heilbaren Leiden befreit werden und
dann körperlich gestählt werden kann.
(cb habe nun den Dienst in der bezeichneten Richtung während
der Berichtszeit so gehandbabt, dass zunächst während der regel¬
mässigen Schulbesichtigungen auf einem besonderen Formular von
den einzelnen Klassenlehrern und Klassenlehrerinnen die ihnen
kränklich erscheinenden Kinder notiert wurden. Das einzelne
F'ormular wurde dann durch die von mir noch ausserdem ausfindig
gemachten kränklichen Kinder ergänzt.
Bei den Besichtigungen ergab es sich, dass eine mehr minder
grosse Zahl von Kindern einer genaueren ärztlichen Untersuchung
unterworfen werden musste. Diese Untersuchung erfolgte an einem
Tage oder bei einer grösseren Zahl an zwei Tagen nach der Be-
Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
303
sicbtigung im Amtszimmer des Schulleiters, nachdem die einzelnen
Kinder aus den Klassen herangeholt waren. Ergab dann die Unter¬
suchung, dass genauere Daten über die Krankheit und ihre Ent¬
wicklung sowie eine Familienanamnese notwendig waren, so wnrden
mittels besonderen Formulars die Mütter mit den Kindern in die
schulärztliche Sprechstunde beschieden. Diese wird im Stadthause
im Amtszimmer abgehalten. Anfänglich täglich, später, als sich
ergab, dass mit weniger Sprechstunden auszukommen war, dreimal
wöchentlich. Mit ganz verschwindenden Ausnahmen sind in er¬
freulicher Weise die Eltern dem Rufe gefolgt.
In immer mehr steigendem Umfange kamen die Eltern auch
spontan mit ihren Kindern zur Sprechstunde, um Rat über den
Zustand ihrer Kinder einzuholen, teils auch auf Anraten von seiten
der Rektoren sowie der Lehrer und Lehrerinnen.
Ausserdem wurden zahlreiche Kinder auf direktes an den
Schularzt von seiten der städt. Schuldeputation und der Rektoren
gerichtetes Ersuchen in der Sprechstunde untersucht.
Über die auf diese Weise ermittelten Krankheitszustände gibt
die nachfolgende Statistik Aufschluss.
Zu ihr ist zu bemerken, dass sie nur einen Überblick über
die tatsächlich ermittelten Krankheiten derjenigen Kinder gibt,
die mit den entsprechenden Leiden behaftet am Unterricht teil-
nahmen.
Die Statistik gibt demnach durchaus keinen Anhaltspunkt über
alle bei den schulpflichtigen Kindern bemerkbar gewordenen Krank¬
heiten, da bei den Schulbesichtigungen immer eine mehr minder
grosse Zahl von kranken Kindern fehlte. Ausserdem ist es wohl
sicher, dass viele Krankheiten dem revidierenden Schulärzte bei
den Besichtigungen entgehen. Dass letzteres ziemlich oft vor¬
kommt, lehrte die tägliche Erfahrung, wenn unmittelbar nach den
Besichtigungen der einzelnen Schulhäuser Mütter freiwillig mit
ihren Kindern kamen, deren Krankheit bei dem Gang durch das
Schulhaus unerkannt geblieben war.
Die Statistik bezieht sich nur auf die Kinder, die in den
Normalklassen sich befanden, unter Ausschluss der Hilfsschulkinder.
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304
Krankheit
Klasse VII
Klasse VI j
Klasse V
AI »ssvni
Klasse III
Klasse II
Klasse I
Summe
Be¬
merkungen
Adenoide Vegetationen . .
16
27
21
6
8
10
7
95
Hochgradige Anämie ohne'
Organbefund.
22
18
33
29
26
27
35
190
Asthma, bronchiale Angen¬
krankheiten:
4
1
4
7
4
7
4
31
a) Bindehautentzündung
23
20
22
12
23
10
11
1211
b) Lidhautentzündung . .
70
60
66
40
29
34
31
330
c) Hornhautentzündung .
7
11
14
5
9
9
7
62,
d) Granulöse.
—
1
1
3
1
1
1
8
e) Symblepharon ....
1
—
—
—
—
—
11
f) Verletzungen.
1
2
1
—
1
1
6
g) Colobom.
—
1
1
4
—
—
ö
h) Cataract.
—
—
—
1
—
—
1
i) Ptosis der Lider . . .
1
1
—
—
2
—
—
4.
k) Strabismus.
31
19
17
8
13
8
4
100
1) Nvstagmus.
2
1
5
3
1
1
3
16*
m)Muskellähmungen. . .
2
—
—
—
—
—
—
2
n) Dakryocvstitis . . . .
1
—
—
—
—
—
—
1
Bettnässen.
—
1
1
—
3
2
1
8
Gelenkerkrankungen:
Angeborene Luxation ...
3
2
2
5
2
—
1
15!
Geschwülste.
—
—
—
2
4
—
1
7*
*3 Sarkome,
Imbecillität u. Idiotie . .
Hautkrankheiten:
18
4
1
2
2
1
1
29
1 Ranken¬
neurom,
a) Scabies.
9
4
11
18
10
6
8
66
1 Fibrom,
b) Ekzem.
54
37
45
35
28
20
19
238:
9
2 naevi vasc.
c) Skrophuloderma . . .
1
2
2
1
2
—
1
d) Psoriasis.
—
—
1
3
3
2
3
12
e) Pemphigus.
—
2
1
—
—
—
—
3i
f) Urticaria.
—
—
—
—
2
—
—
2l
g) Ichthyosis.
—
—
—
—
—
—
1
1
h) Alopecia areata . . .
—
—
—
1
1
2
—
4'
i) Herpes tonsurans. . .
—
—
—
—
—
—
1
1>
k) Varicellen.
1
-:
—
1
—
—
—
2
Gonorrhoe (Tripper) ....
-'
_ 1
—
—
1
—
—
1
Hernien (Leistend ....
—
1
9
6
6
11
9
42
Herzfehler (organische) . .
5
9
13
19
17
12
25
100
Kopfläuse.
14
39
30
16
16
16
8
139
Krampfadern (angeborene).
1
' —
—
—
—
—
—
1
Kropf:
a) einfacher.
— *
—
1
—
—
—
—
11
b) Basedows Complex . .
' —
i —
2
4
—
1
7
Knochenerkrankungen. . .
1 —
a) rachitische.
2(3
6
8
7
7
1
1
56
b) osteomyelitische . . .
—
1
—
2
, —
1
—|
4
c) Brüche .
2
1
1
2
1
1
—
8*
♦darunter 3
d) Klumpfuss.
—
—
2
—
1
3
Schädel¬
e) Skoliose.
5
3
6
5
7
0
2
28
brüche
Kryptorchismus.
1
—
—
2
—
—
3
Lähmungen:
a) Kinderlähmung . . . ,
6
2
2
—
2
4
—
16
b) progr.Muskeldystrophie
—
—
1
1
—
—
—
2
c) Kehlkopf.
—
1 —
3
1
1 —
1
2
7
Lungenspitzenkatarrh . . .
40
52
1 54
1
60
' 50
|
35
71
362
•
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Original from
UMIVERSITY OF IOWA
305
Krankheit
IIA
IA
Klasse V
Klasse IV
Klasse III
©
•j
00
flC
5
Klasse I
Summe
Drüsenkrankheiten:
i
a) Abszesse.
—
—
1
2
—
1
4
b) Mumps.
—
1
—
—
—
—
1
Nervenkrankheiten:
a) Hysterie.
—
—
i
—
3
2
6
b) Epilepsie.
1
—
2
1
1
0
7
c) Chorea.
—
3
6
1
1
2
12
d) Neurasthenie.
—
1
—
—
—
| -
1
Mittelohrentzündung, eitrige
29
17
24
33
19
16
6
144
Nierenentzündung.
—
--
—
—
1
1
1!
3
Tuberkulose:
a) Lunge.
16
21
23
30
29
36
31;
186
b) Knochen.
4
2
8
4
6
2
2'
28
c) Gelenke.i
6
2
4
1
1
3!
lj
18
d) Haut.1
21
—
1
1
5
ii
— |
10
e) Bauchfell . !
1
—
—
—
1 !
i !
- j
3!
f) Darm.
—
1
—
—
—i
—!
lj
Skrofulöse .
162 155
95
99
72
63
837
Svphilis . 1
1191 j
—
—
1
— 1
—
1
Taubstummheit .j
3
—
—
—
~i\
J
—
4
Wolfsrachen.
i
—
—
—
>1
—
1
|620 537 603 474 453 361 370]3418j
I , i . i I !
Be¬
merkungen
246
Der Tabelle seien einige Bemerkungen angefügt. Von den
Anämien, die überhaupt zur Beobachtung gelangten, sind in die
Statistik nur die hochgradigen Fälle aufgenommen, dagegen aus-
geschieden diejenigen geringgradigen Anämien, die mit Unter¬
ernährung in Zusammenhang gebracht werden mussten.
Von besonderem Interesse war es, dass es in den 3 Fällen von
Sarkom und dem einen Fall von Rankenneurom an der Stirn dem
schulärztlichen Eingreifen zu danken war, dass die Kinder einer
Operation rechtzeitig unterworfen wurden.
Die in der Statistik aufgeführten 29 Fälle von Schwachsinn
erklären sich daraus, dass diese Kinder noch in den Normalklassen
sassen und in die Hilfsschule noch nicht eingereiht waren.
Die Fälle von Gonorrhoe und Lues kamen aus besonderem
Anlass zu meiner Kenntnis.
Die Erkrankungen an Varicellen betrafen 2 Kinder, die, mit
dem charakteristischen Hautausschlag behaftet, am Unterricht teil-
nahmen.
Bei den 7 Kindern mit Struma, die unter der Rubrik Basedow
aufgeführt sind, wurde diese Krankheit als wahrscheinlich vor¬
liegend angenommen, da sich mit der Struma nervöse Symptome
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UNIVERSUM OF IOWA
306
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wie Herzbesehleuniguug und Zittern, sowie Exophthalmus als konstante
Krankheitszeichen kombinierten.
Die geringe Zahl von Skoliosen erklärt sich daraus, dass die
Veränderungen an der Wirbelsäule gelegentlich von Untersuchungen
aufgedeckt wurden, die einen anderen Zweck verfolgten. Um einen
genauen Einblick in die wirkliche Verbreitung dieser Krankheit zu
gewinnen, soll im nächsten Schuljahre eine Untersuchung sämtlicher
Kinder nach dieser Richtung erfolgen.
Auffallend gross wurde die Zahl derjenigen Kinder befunden,
die an Tuberkulose, Skrophulose und Lungenveränderungen litten,
die den Verdacht auf eine spezifische Affektion wecken mussten.
Wenn man alle Fälle einbegreift, so ergibt sich die Zahl von
1445 Erkrankungsfällen.
Ich habe mich der Muhe unterzogen, bei sämtlichen Fällen
von verdächtigen Lungenspitzenkatarrben und bei den Fällen von
unzweifelhafter Lungentuberkulose eine genaue Anamnese zu er¬
heben. Dabei ergab sich, dass in der bei weitem überwiegenden
Zahl von Fällen Tuberkulose irgendeiner Form in der Familie der
einzelnen Kinder herrschte.
Dass 4 taubstumme Kinder ermittelt werden konnten, erklärt
sich daraus, dass der Antrag der Schulverwaltung auf Unterbringung
in eine Anstalt erst sehr spät seine Erledigung fand.
Auffallen muss in der Statistik, dass die Refraktionsanomalien
des Auges (Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit und Astigmatismus) keine
Berücksichtigung gefunden haben. Ich habe es aus verschiedenen
Gründen unterlassen, mich mit den Sehstörungen der Kinder zu be¬
fassen. Einmal stand keine Zeit zur Verfügung, um exakte und
brauchbare Bestimmungen vorzunehmen. Dann habe ich deshalb
davon Abstand genommen, weil es in verschiedenen Fällen nicht
gelungen ist, bei festgestellten hochgradigen Sehstörungen die be¬
treffenden Kinder mit Augengläsern zu versehen. Ich habe mir
nach diesen Erfahrungen gesagt, dass es wenig Zweck hat, die
sehr zeitraubenden Untersuchungen vorzunehmen, wenn es nicht
möglich ist, den Kindern auch entsprechende Hilfe zu leisten. Es
wird aber trotz dieser Lage der Dinge in Erwägung zu ziehen
sein, einen Schulaugenarzt anzustellen und mit den auch nach
meinem Dafürhalten notwendigen Augenuntersuchungen zu betrauen.
Die Bestrebungen anderer Städte, den Zahnkrankheiten der
Kinder vorzubeugen und auch von Schulwegen bei vorhandenen
Krankheiten diese einer Heilung zuzuführen, haben mir zu einem
Antrag an die Verwaltung Anlass gegeben, über diesen Gegenstand
Beratungen zu pflegen. In einer unter dem Vorsitz des Herrn
Oberbürgermeisters abgehaltenen Konferenz wurde anerkannt, dass
Gck igle
Original frum
UNIVERSUM OF IOWA
307
die Schule Massnahmen zu treffen habe, um dem weitverbreiteten
Übel der Zahnfäulnis entgegenzutreten. Ehe aber eine Entscheidung
darüber zu treffen wäre, ob entsprechend dem von mir gestellten
Anträge entweder von der städtischen Verwaltung Schulzabnärzte
gegen ein bestimmtes Pauschale angestellt oder eine städtische
Schulzahnklinik eingerichtet werden sollte, wurde es für zweck¬
mässig angesehen, für die Beurteilung auch an den hiesigen Schulen
vorher noch statistische Erhebungen anzustellen. Es wurden von
mir in der Berichtszeit die Gebisse von 5000 Kindern untersucht
und hei 85°/ 0 der untersuchten Kinder mehr minder hochgradige
Zahnfäulnis festgestellt. Wenn dieses Prozentverhältnis auch etwas
hinter dem anderer Städte zurückbleibt, so ist die Zahl doch so
hoch und vor allem die Krankheit in einem solchen Masse unter
den Schulkindern verbreitet, dass nach meinem Dafürhalten die
zwingende Notwendigkeit vorliegt, besondere Massnahmen zu treffen.
Was die Bekämpfung der Infektionskrankheiten anlangt, so
erfolgt diese nach den Vorschriften, die in dem preussischen Gesetz
betr. die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten vom Jahre 1905
niedergelegt sind. Ausserdem fand der Erlass des Herrn Ministers
der Medizinalangelegenheiten vom 10. Juli 1884 entsprechende
Anwendung.
Ich erspare es mir, ziffernmässige Belege über die Verbreitung
der ansteckenden Krankheiten unter den schulpflichtigen Kindern ,
an dieser Stelle zu bringen, da auf Grund des mir zur Verfügung
stehenden Materials ein richtiger Überblick über die Ausdehnung
der übertragbaren Krankheiten im schulpflichtigen Alter nicht zu
gewinnen ist.
Deshalb beschränke ich mich darauf, besondere Vorkommnisse
hier aufzuführen.
Im Sommer 1906 waren an der Marienscbule in wenigen
Tagen 7 Scharlacherkrankungen in zwei Klassen vorgekommen.
Da in der Bevölkerung angesichts dieser Tatsache sich eine gewisse
Beunruhigung gelteud machte, so wurde zu besonderen Massnahmen
gegriffen.
Zunächst wurden die beiden Klassen für einige Zeit ge¬
schlossen und mit Formalin nach gründlicher Reinigung desinfiziert.
Der Magistrat und die Gesundheitskommission befassten sich in
zwei Sitzungen mit der Frage, auf welche Weise die zu der Zeit
in der Stadt herrschende Scharlachepidemie bekämpft werden
könnte.
Es wurde zunächst beschlossen, mit Hilfe verschiedener
Ärzte einen Überblick über die Ausbreitung des Scharlachs an den
Volksschulen zu gewinnen. 10 praktische Ärzte erklärten sich
bereit, diese Feststellungen vorzunehmen, die ein eigenartiges und
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308
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auch interessantes Ergebnis lieferten. Es ergab sich zunächst, dass
31 Kinder au den verschiedenen Systemen an Scharlach erkrankt
waren, ohne dass der Medizinalbehörde von diesen Fällen Meldung
gemacht worden war. Die Geschwister von 7 an Scharlach er¬
krankten Kindern besuchten, obwohl die Krankheit in der Familie
herrschte, den Unterricht. Von ganz besonderer Bedeutung war
aber, dass 3 Kinder (je 1 in der Falk-, Karl- und Josephschule)
ausfindig gemacht wurden, die, selbst an Scharlach erkrankt, noch
die Schule besuchten. Zwei davon sassen mit einem frischen
Exanthem in den Klassen, ein Kind befand sich im Abschuppungs¬
stadium.
Diese Beobachtungen sind lehrreich; sie beweisen, mit welch
grossen Schwierigkeiten die Bekämpfung der Infektionskrankheiten
in der Schule verknüpft ist; namentlich im Hinblick auf den Scharlach
ist diese Tatsache um so betrübender, als gerade diese Krankheit
mit ihren verschiedenen Folgezuständen (Nierenentzündung, Ohren¬
leiden, Herzfehler, Gelenkrheumatismus) so furchtbare Verheerungen
unter der schulpflichtigen Jugend anrichtet und einen nicht unbe¬
trächtlichen Teil derselben dauernd für das ganze Leben zu In¬
validen macht, während die Mortalität der Krankheit nicht besonders
gross ist.
Am 27. Juli 1906 wurde ein ausführlicher Bericht unter Ver¬
wendung des Ergebnisses der berührten Ermittelungen an den
Magistrat erstattet und in diesem besonders ausgeführt, dass alle
im Gesetz vorgesehenen Massnahmen von seiten des städtischen
Medizinalamtes in Anwendung gebracht werden, dass aber der
Kampf grade gegen den Scharlach mit ganz besonderen Schwierig¬
keiten verknüpft ist, als deren grösste die Unmöglichkeit zu be¬
zeichnen ist, die Kinder bei den schlechten Wohnungsverbältnissen
so zu isolieren, dass der Verbreitung wirksam entgegengetreten
werden kann.
Im einzelnen wäre dann noch anzufügen, dass zwei Klassen
der Unionvorstadt-Schule auf drei Wochen geschlossen werden
mussten, weil in einer Arbeiterfamilie, deren Wohnung in dem
Schulhause lag, Scharlach ausgebrochen war.
Weitere Klassenschliessungen waren notwendig wegen ge
häuften Auftretens von Masernerkrankungen in der Carl-, Friedrich-,
Libori- und Bismarckschule. Ferner wegen einer Keuchhustenepidemie
in der Reinoldischule. In allen Fällen handelte es sich um die
Unterklassen, in denen für die Dauer von 14 Tagen der Unterricht
ausgesetzt und erst nach Desinfektion der betreffenden Klassen¬
räume wieder aufgenommen wurde.
In einer Klasse der Wilhelmschule waren während der
Berichtszeit gehäufte Erkrankungen von Bindehautentzündung auf-
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UNIVERSUM OF IOWA
309
getreten; es war erforderlich, die erkrankten Kinder für zwei Wochen
vom Unterricht auszuschliessen.
Eine besondere Epidemie ist in der israelitischen Volksschule
beobachtet worden. Es erkrankten innerhalb sehr kurzer Zeit
30 Kinder an Windpocken (Varicellen). Als ich Kenntnis von der
Epidemie bekam, war diese bereits so gut wie erloschen, so dass
von besonderen Massnahmen Abstand genommen wurde. Dass auch
diese Krankheit zuweilen ftlr die Kinder ernstlich werden kann,
lehrte die Erfahrung bei Gelegenheit dieser Epidemie, dass ver¬
schiedene Fälle mit schweren Komplikationen verliefen.
Im Jahre 1907 trat bekanntlich die epidemische Genickstarre
in gehäuftem Masse im Bereiche des Regierungsbezirks Arnsberg
auf. Ganz besonders waren die angrenzenden Kreise Dortmund-
Land und Bochum-Land befallen. Im Stadtbezirk Dortmund wurden.
37 Erkrankungsfälle ermittelt, die durch genaue bakteriologische
Untersuchung im städtischen Institute als echte Genickstarrefälle
aufgefasst werden mussten. Sieben von diesen Fällen betrafen
schulpflichtige Kinder. Um der Verbreitung wirksam entgegenzu¬
treten, wurden nicht nur die schulpflichtigen Kinder der Familie-
vom Unterrichte ferngehalten, die gerade von der Krankheit heim¬
gesucht worden war, sondern es wurde Schulausschluss für sämt¬
liche Kinder des ganzen Hauses in jedem Falle angeordnet. Ausser¬
dem wurden Nasenracbenabstriche aller gesunden Kinder aus dem
befallenen Hause bakteriologisch untersucht. Bei diesen systematische»:
Untersuchungen wurden sechs schulpflichtige Kinder als Träger
des spezifischen Krankheitserregers ermittelt. Aus diesen Zahle»
geht hervor, dass die schulpflichtige Jugend erfreulicherweise vor
der heimtückischen Krankheit ziemlich bewahrt geblieben ist.
Ehe ich diesen Gegenstand verlasse, möchte ich mit grosser
Genugtuung anführen, dass einige Spezialärzte sich auf ein von
mir an sie gerichtetes Ersuchen in anerkennenswerter Weise bereit
erklärt hatten, unklare, von mir ihnen angewiesene Fälle kostenlos
zu untersuchen und eventuell auch zu behandeln. Ich habe von
diesem grossen Entgegenkommen in einer Anzahl von Fällen im
Interesse der erkrankten Kinder Gebrauch gemacht und möchte de»
Herren Kollegen auch an dieser Stelle danken.
Des weiteren darf ich nicht versäumen, Mitteilung davon zu.
machen, dass die Verwaltung des Armenwesens in einigen Fällen
die Krankenhauskosten für erkrankte Kinder übernommen hat
und die Polizeiverwaltung eine Reihe von an Krätze erkrankte»
Kindern aus einem besonderen Etattitel auf ihre Kosten in mehr¬
tägige Krankenhauspflege gegeben hat.
Die tägliche Erfahrung in den Schulen lehrt es, dass die vo»
den Ärzten wegen Krankheit ausgestellten Versäumnisatteste unzu-
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310
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länglich sind. Es ist wiederholt beobachtet worden, dass Kinder
auf diese Atteste hin meist länger gefehlt haben, als die eigent¬
liche Krankheit and die eventuelle Rekonvaleszenz angedanert hatten.
In einer Sitzung des Ärztevereins habe ich Anlass genommen,
darauf hinzuweisen, dass die Disziplin der Schule in einer bedenk¬
lichen Weise leiden muss, wenn die Kinder die Möglichkeit haben,
auf ärztliche Zeugnisse hin ungebührlich lange den Unterricht zu
versäumen, und die Mitglieder des Vereins ersucht, in den Attesten
kurz die Art der Erkrankung und die voraussichtliche Dauer der¬
selben zum Ausdruck zu bringen. Die Verhandlungen sind in der
ßerichtszeit aber noch nicht zu einem Abschluss gelangt.
Es ist vielleicht von Interesse, an dieser Stelle eine Übersicht
zu geben über die Anzahl der an den einzelnen Schulen während
der Revision als krank ermittelten Kinder. Es fallen auf die
a) evangelischen Schulen b) katholischen Schulen
1.
Friedrichschule 92 Kinder
1 .
Apostelschule
59 Kinder
2.
Unionschule
62
77
2.
Johannessch. II
72
V
3.
Bismarckschule 55
n
3.
Johannesscb. I
122
77
4.
Augustaschule
53
n
4.
Karlschule
94
77
5.
Paulusschule
59
n
5.
Kapellenschule
19
77
6.
Lutherschule
71
n
6.
Josephscbule
154
77
7.
Martinschule
71
77
7.
Dreifaltigkeits- -
schule
87
77
8.
Krimschule
73
77
8.
Cäcilienschule
73
77
9.
Falkschule
49
V
9.
Franziskusschule
28
77
10.
Melanchthon-
10.
Liebfrauen¬
schule
77
u
schule II
46
77
11.
Luisensehule
62
r
11.
Liebfrauenseh.I
92
V
12.
Reinoldiscbule
51
n
12.
Bonifaziusschule
106
77
13.
Hermannschule 96
TI
13
Aloysiusschule
117
77
14.
Wilhelmschule
41
n
14.
Liborischule
83
77
15.
Schillerschule
47
r>
15.
Canisiusschule
73
77
16.
Marienschule
57
77
16.
Klosterschule
90
U
17.
Petrischule
50
n
17.
Altkath. Schule
7
77
18.
Nikolaischule
59
77
19.
Israel. Schule
22
77
Summa 1147
Kinder
Summa 1322
Kinder
Da 3418 Erkrankungsfälle beobachtet wurden, so sind 949
Kinder in der Sprechstunde untersucht worden.
Während der Berichtszeit wurden 570 Überwachungsbogen
über kränkliche und der ständigen Kontrolle bedürftige Kinder
ausgestellt.
In 17 Fällen wurde ärztliche Auskunft bezüglich der Schul¬
fähigkeit von Kindern eingeholt, die Ostern 1907 eingeschult werden
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311
sollten, nnd zwar 4 mal von seiten der städtischen Schuldeputation,
13 mal von seiten der Herren Rektoren. In 3 Fällen nur konnte
nach ärztlichem Ermessen die Schalfähigkeit begründet werden, in
8 Fällen war Tuberkulose in verschiedenen Formen die Ursache der
Schulnnfähigkeit, in 2 Fällen Epilepsie, in 2 Fällen schwere Ra¬
chitis, in einem Falle angeborene Verengerung der Lungenschlag¬
ader. Ein Kind wurde sofort der Hilfsschule zugewiesen.
D. Fürsorge für die kränklichen Kinder
Wenn ich in dem dritten Teile des vorliegenden Berichtes
Klage darüber führte, dass die Fürsorge für die Kinder, d. b. die
ärztliche Behandlung von ermittelten Krankheitszuständen, bei ihnen
sehr zu wünschen übrig lasse, so gilt dies nicht von einem weiten
Gebiete privater Fürsorge, das die skrophulösen, lungenkranken
und blutarmen Kinder betrifft.
Von diesem Gebiete der Fürsorge ist für die Stadt Dortmund
sehr Erfreuliches zu berichten dank der Einrichtungen, die hier be¬
stehen, um den Kindern, die von den genannten Krankheiten be¬
fallen sind, besondere Vorteile zuzuwenden.
An der Spitze der für die Kinder vorhandenen Fürsorgeein-
richtungen steht die Schüchtermann-Schillerstiftung, deren hoch¬
herziger Stifter die letztwillige Bestimmung getroffen hat, dass
ein bestimmter Teil des Reingewinns der Firma Schüchtermann
& Kremer zu wohltätigen Zwecken verwandt werden soll. Ein an¬
sehnlicher Teil dieser Summe wird den Herren ersten Geistlichen .
der einzelnen Pfarreien zur Verfügung gestellt, um zu Soolbad- und
Luftkuren für erholungsbedürftige Kinder verwandt zu werden. Die
Kinder werden in die westfälischen Soolbäder Salzuffeln, Sassen¬
dorf, Werne und Rothenfelde entsandt, woselbst sie mehrwöchent¬
lichen Kuren unterworfen werden.
Neben dieser Wohltätigkeitseinrichtung steht die Kinder¬
fürsorge des hiesigen Wohltätigkeitsvereins. Dieselbe bewegt sich
auf einem dreifachen Gebiete:
Der Verein stellt zunächst eine grössere Summe bereit zur
Verabreichung eines warmen Milchfrühstücks an bedürftige Kinder.
Sodann wird an die Kinder armer Eltern Schuh werk verabfolgt,
wenn infolge mangelhaften Schuhwerks die Kinder den Schulunter¬
richt versäumen müssen.
An dritter Stelle steht dann ein wichtiger Zweig der Fürsorge,
die Entsendung tuberkulöser und der Lungentuberkulose dringend
verdächtiger Kinder in Heilstätten, eine Arbeit, die der Verein zum,
grossen Segen der Kinder seit einigen Jahren in sein Programm,
aufgenommen hat.
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Die Kinder sind früher in der Volksheilstätte Ambrock einer
sechs- bis zehnwöchentlichen Kur teilhaftig geworden, später auf
vier bis sechs Wochen in die Volksheilstätte Lippspringe und in
das Kinderheim dortselbst entsandt worden. Die Zahl der lungen¬
kranken Kinder, die an den drei Stellen bislang behandelt worden
sind, betrug von Januar 1905 bis Juli 1907 insgesamt 113.
Als ich 1905 meinen Dienst aufnahm, fiel mir bei den
Klassenrevisionen auf, dass sehr viele und gerade sehr schwer-
kranke skrophulöse Kinder in den Klassen sich fanden, die niemals
einer Soolbadkur teilhaftig geworden waren. Es stellte sich sehr
bald heraus, dass der Modus der Auswahl der bedürftigen Kinder
an dieser auffallenden Tatsache Schuld trug. Die Herren Geistlichen
beraumten öffentliche Termine an, zu denen die Eltern die Kinder
bringen konnten, von denen sie glaubten, dass sie an Skropbulose
litten oder an Konstitutionsanomalien, die eine Verbringung in einen
Luftkurort rechtfertigten. Zahlreiche Eltern haben aber nach¬
weislich von diesen Terminen niemals Kenntnis gehabt, und darunter
litten gerade die schwerkranken Kinder, ln diesen Terminen
wurden dann teils von dem Herrn Stadtarzt Dr. Köttgen, teils von
mir die bedürftigen evangelischen Kinder gemäss einem Beschlüsse
des Ärztevereins ausgesucht, und zwar nur aus der Zahl der in
den Terminen präsentierten Kinder. Auch die katholischen Herren
Geistlichen bedienten sich bei der Auswahl der Kinder ärztlicher
sachverständiger Hilfe.
Ich kam bald zu der Überzeugung, dass sowohl im Interesse
der Kinder wie im Interesse der Sache der Auswahlmodus auf eine
andere Grundlage gestellt werden müsste und wandte mich an die
Herren Geistlichen mit der Bitte, die schulpflichtigen Kinder, die
von mir in den Schulen als einer Soolbadkur wirklich bedürftig
ermittelt waren, zunächst zu berücksichtigen. Dieser Vorschlag hat
erfreulicherweise bei den sämtlichen Herren Geistlichen wohlwollende
Aufnahme gefunden.
Bei der Entsendung der Kinder in Heilstätten bin ich in¬
sofern beteiligt gewesen, als die Auswahl der für eine Heilstättenkur
geeigneten Kinder von Herrn Dr. Heller und mir gemeinschaftlich
vorgenommen wurde.
Das Milchfrühstück wird von den einzelnen Schulleitern nach
Anhörung der Klassenlehrer und Lehrerinnen an solche Kinder
zunächst verteilt, die zu Hause kein warmes Frühstück erhalten,
sodann an erheblich unterernährte schwächliche Kinder. Ich muss
es als wünschenswert bezeichnen, dass auch der Schularzt bei Ver¬
teilung des Milchfrühstücks gehört wird, damit auch eventl. kränk¬
liche bedürftige Kinder der Wohltat teilhaftig werden.
Die nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht über den Umfang
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UNIVERSITÄT OF IOWA
313
der vorhin bezeichneten Fürsorge an den einzelnen Schulen, wobei
zu bemerken ist, dass von der Paulusschule eine Übersicht nicht
zu erhalten war und dass der Leiter der altkathol. Schule eine
Fehlanzeige erstattete. Die Zahlen sind so ermittelt, dass die
Herren Rektoren und Hauptlehrer in dankenswerter Weise ent¬
sprechende Fragebogen ausfüllten.
Beim Abschluss dieses Kapitels möchte ich dem Wunsche
Ausdruck geben, dass der Versuch gemacht werden müsste, durch
besondere Veranstaltungen auch eine positive Unterlage über die
Erfolge der Fürsorge an kränklichen Kindern zu gewinnen. Ich
gedenke mich mit den Herren Geistlichen und mit dem Vorstande
des WobltätigkeitsVereins ins Benehmen zu setzen.
Übersicht über den Umfang der sozialen Fürsorge an Kindern
für das Sohuljahr 1006/07.
Schule
Soolbad
Heil¬
stätte
Ferien¬
kolonie,
Luft¬
kurort
Milch¬
früh¬
stück
Schuh¬
werk
1. Falkschule.
16
3
7
13
23
2. Hermannscbule . . .
29
1
5
25
11
3. Nicolaischule ....
9
—
3
12
3
4. Bismarckschule . . .
16
—
4
—
5. Marienschule ....
i 16
2
2
9
6. Petrischule.
10
1
6
6
3
7. Luisenschule ....
13
—
10
18
3
8. Reinoldischule . .
! 16
1
6
14
4
9. Wilhelmschule . . .
14
1
2
16
3
10. Melanchthonschule
1 9
—
12
26
15
11. Kriinschule.
7
4
7
10
5
12. Lutherschule ....
19
2
7
24
12
13. Friedrichschule . . .
17
4
4
15
7
14. Unionschule ....
20
—
2
19
6
15. Augustaschule . . .
8
—
2
12
5
16. Martinschule . .
11
3
6
9
7
17. Schillerschule ....
11
—
—
12
—
18. Israelitische Schule .
20
—
—
7
2
19. Canisiusschule . . .
21
—
2
18
9
20. Josephschule ....
16
—
1
17
25
21. Cäcilienschule. . . .
23
—
—
19
13
22. Franziskusschule . .
17
i —
—
7 |
5
23. Carlschule.
20
3
1
14
3
24. Liebfrauenschule I .
29
—
—
25
8
25. Liebfrauenschule II .
30
3
—
17
11
26. Dreifaltigkeitschule .
30
3
3
25
15
27. Bonifaciusschule . .
42
—
1
20
16
28. Aloysiusschule . . .
33
2
5
23
10
29. Johannesschule I . .
28
I
2
18
11
30. Johannesschule II. .
11 1
—
13
17
31. Liborischule.
65 !
1
—
14
8
32. Apostelschule ....
30
i —
—
17
15
33. Capellenschule . . .
17 1
—
—
12
14
34. Klosterschule ....
30 |
—
—
14
5
Summe . . .
704 |
35 |
80 j
520
! 289
Anm. In der Statistik fehlen die beiden Hilfsschulen.
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E. Hilfsklassen für Schwachsinnige.
Gemäss einem Magistratsbeschlasse ist der Verfasser seit
Ostern 1906 auch als ärztlicher Berater der Hilfsklassen tätig. Zu
Beginn des Schuljahres, das diesen Bericht umfasst, waren in
124 evang.
14 Klassen
149 kathol.
Hilfsschüler untergebracht. Ich begann
meine Tätigkeit damit, dass ich eine Klasse der evang. Hilfsschule
genau untersuchte, von jedem Kinde einen genauen Untersuchungs¬
befund nach dem Schema von Ziehen erhob. Dabei stellte sich
sehr bald heraus, dass unzweifelhaft Kinder in die Hilfsschule
überwiesen worden sind, die nicht an Schwachsinn in medizinischem
Sinne leiden.
Nach Prüfung einer weiteren Klasse (kathol. Hilfsschule) zeigte
sich dann, dass die hiesige Hilfsschule Kinder aufwies, die in
exquisitem Masse als solche Schüler anzusehen sind, die entsprechend
dem von Sicking er aufgestellten System in Förderklassen unter¬
zubringen wären.
Im Schuljahre 1906/07 habe ich mich mit der Untersuchung
der beiden Klassen begnügt, zumal von Ostern 1907 ab die Hilfs¬
schule einen anderen organisatorischen Aufbau erhalten hat.
Ich beabsichtige im Schuljahr 1907/08 die neu einzurichtenden
Vorstufeklassen genau zu untersuchen und von da ab mit den Kiudern
zu steigen, da ich es für unerlässlich halte, dass von einem Hilfs¬
schüler, d. h. von einem im medizinischen Sinne schwachsinnigen
Kinde, mehrere Male während der Schulzeit ein genaues von
psychiatrischen Gesichtspunkten aus aufgestelltes psychisches Zu¬
standsbild entworfen werden muss, wenn anders die ganze ärztliche
Tätigkeit bezüglich der grossen und bedeutenden Fragen der Fürsorge
nach der Schulentlassung und der Prophylaxe gegenüber strafbaren
Delikten von Nutzen sein soll.
Die Hilfsschule befindet sich noch in der Gärung, es ist ein
stetiges Auf und Nieder zu verzeichnen, in das allmählich wohl
Klärung kommen wird.
Von Belang ist zunächst die Frage der Personalbogen. Die
hiesigen Formulare genügen nach keiner Richtung hin, wenn man
von den anamnestiseben Fragen absieht. Für den Pädagogen
bleibt nur ein spärlicher Raum für den summarischen Bericht nach
Ablauf eines Schuljahres über die intellektuellen Fähigkeiten des
Kindes. Der für den Arzt vorgesehene Raum auf dem Personal¬
bogen reicht gerade für einen einmaligen Untersuchungsbefund.
Es wäre wünschenswert, wenn die gelegentlich des Kurses der
mediz. Psychologie in Giessen im April 1906 eingesetzte Kommission
baldigst mit einem einheitlichen Formular an die Öffentlichkeit träte.
Google
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UNIVERSUM OF IOWA
315
Vielleicht ist das an den Breslauer Hilfsklassen eingeführte
Personalbuch besonders geeignet.
Es gilt vor allem sich vor Augen zu halten, dass weniger die
genaue Registrierung der intellektuellen Fähigkeiten des Kindes
namentlich vor Gericht von Belang ist, als vielmehr die detaillierte
Schilderung von Handlungen, die auf die bei dem Kinde vorliegende
geistige Störung zurückzuführen sind. Es liegt somit das Bedürfnis
vor, jede einzelne auffallende Handlung des Kindes genau in dem
Personalbogen niederzulegen, natürlich auch besondere Erscheinungen
im Krankheitsverlaufe, wie Anfälle, Lähmungen, Dämmerzustände usw.
Kurz, der Personalbogen des schwachsinnigen Hilfsschülers
muss eine fortlaufende, von psychiatrischen Gesichtspunkten aus
diktierte Krankengeschichte darstellen.
Sodann scheint mir der Aufnabmemodus in die Hilfsschule
dringend einer Abänderung bedürftig zu sein. In wenigen Minuten
sollen Kreisschulinspektor, Schularzt und Hilfsschullehrer entscheiden,
ob ein Kind an Schwachsinn leidet oder nicht, d. h. ob es^auf-
genommen werden muss oder nicht. Hierorts herrscht sogar die
Gepflogenheit, dass in verschiedenen Räumen geprüft wird und
nun die geprüften Kinder dem Kreisschulinspektor und dem
Hilfsschularzt als aufnahmefähig bezeichnet werden.
Abgesehen davon, dass dieser Aufnahmemodus wohl kaum
den ministeriellen Anweisungen entspricht, erscheint er mir be¬
sonders bedenklich von dem Gesichtspunkte aus, dass dem in die
Hilfsschule aufgenommenen Kinde nach meinem Dafürhalten für
sein ganzes Leben ein Stempel aufgedrUckt wird; es gilt als geistig
krank oder geistesschwach und ist zu einer selbständigen Lebens¬
führung nicht befähigt; es zeigt in den meisten Fällen antisoziale
Instinkte.
Ehe man sich also dazu entschliesst, ein Kind in die Hilfs¬
schule einzureihen, müssen alle Verhältnisse eingehend geprüft
werden. Ein Kind, das lediglich nicht schreiben kann, hingegen
gut liest und rechnet, auch sonst in seinem ganzen Verhalten
keinerlei Abnormität aufweist, gehört nach meinem Ermessen nicht
in die Hilfsschule. Daran müssen wir unbedingt festhalten, wenn
anders die Hilfsschule das werden soll, was sie sein muss, ein
Bindeglied zwischen Normalscbule und Idiotenanstalt, eine heil¬
pädagogische Veranstaltung der Schule zur intellektuellen Erziehung
bildungsfähiger, im medizinischen Sinne geistig kranker Schulkinder.
Ich habe deshalb der städt. Schuldeputation vorgeschlagen,
dass die älteren Hilfsschullehrer vorher in die Normalklassen gehen,
von den Lehrern und Lehrerinnen sich diejenigen Kinder bezeichnen
lassen sollen, die für die Aufnahme in die Hilfsschule in Frage kämen;
diese Kinder sollten sie vorprüfen, damit man bei der Aufnahmeprüfung
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 22
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nicht ganz im Dunkeln tappte. Ausserdem konnte auf diesem Wege
vermieden werden, dass wirklich Schwachsinnige in den Normal¬
klassen blieben und dann als 13* und 14 jährige Kinder in der V.
und ev. IV. Klasse aufgedeckt wurden. Leider ist dieser Vor¬
schlag von der städt. Schuldeputation nicht akzeptiert worden.
Für unerlässlich halte ich es weiterhin, dass die sämtlichen
Lehrer und Lehrerinnen über das Wesen des kindlichen Schwach¬
sinns und das Wesen und die Bedeutung der Hilfsschulen auf¬
geklärt werden. Es herrscht nach dieser Richtung hin, wie ich
immer wieder feststellen konnte, eine völlige Unklarheit.
Weiterhin scheint mir auch von Schulwegen eine Beteiligung
an der Fürsorge für die aus den Hilfsklasseu entlassenen Knaben
und Mädchen geboten, wenn sie sich auch lediglich darauf be¬
schränken sollte, dass die Schule den konfessionellen Fürsorge-
vereinen Mitteilung von der Entlassung der Kinder macht. Man
denke hier nur an die zahlreichen Epileptiker, die einer besonderen
Fürsorge bedürfen, au die Schwachsinnigen mit krankhafter Stei¬
gerung und krankhafter Richtung der sexuellen Begehrungs-Vor¬
stellungen, an die vielen Hilfsschüler, die ohne den Besitz der ab¬
strakten Begriffe zu Eigentumsdelikten und anderen Vergehen
neigen. Es ist auf diesem Gebiete noch sehr viel positive Arbeit
zu leisten, die auch in Dortmund anders organisiert sein müsste als
bisher.
Der ärztliche Dienst an den Hilfsschulen beschränkte sich ab¬
gesehen von der Untersuchung von zwei Klassen darauf, dass ich
den Hilfsschullehrern einige Vorträge über die Ursachen, die Er¬
scheinungen und die Behandlung des angeborenen und früh er¬
worbenen Schwachsinns im Anschluss an den Giessener psycho¬
logischen Kursus hielt, zu dem ich von seiten des Magistrats
deputiert war.
Ausserdem war ich bei der Überweisung einer Anzahl Kinder
in Epileptiker- und Idiotenanstalten tätig.
Ich gebe mich der zuversichtlichen Erwartung hin, dass meine
Tätigkeit im Interesse der Hilfsschule im nächsten Schuljahre eine
umfangreichere werden wird.
F. Besondere hygienische Massnahmen der Schule,
ü nterrichtshygiene.
Ausser den im Unterrichtsplane vorgesehenen Turnübungen and
Spielen wurden auch im Berichtsjahre von seiten der städt. Schnl-
deputation Veranstaltungen getroffen, die einer umfangreichen Pflege
der Leibesübungen dienten.
Zunächst wurden Volks- und Jugendspiele in den Herbstferien
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317
betrieben, an den katholischen Schulen auch an einigen Tagen
während des Sommerhalbjahres.
Nach den eingegangenen Berichten spielten die Kinder der
I. bis lli. Klassen der katholischen Schulen an 34 Tagen in je
6 Knaben- und Mädchenabteilungen, und zwar an 10 Mittwoch-
Nachmittagen in den Monaten Mai—Juli und an 24 Nachmittagen
während der Herbstferien.
Als Spielplätze dienten die Wiesen an der Hobertsburg
(Sommerlokal), der städt. Östcrholzpark, die Radrennbahn in
Kaiser-Wilhelmtal sowie die Felder, die an die Canisius- und
Franziskusschule anschliessen.
Es spielten an jedem Tage durchschnittlich 580 Kinder. Die
Leitung der Spiele lag in den Händen von 21 Lehrern und 8
Lehrerinnen.
Verausgabt wurden 870 M. für Milch und Limonade, 360 M.
für Spielgeräte und 2210 M. für Zulagen an die Lehrpersonen.
An den evangelischen Schulen wurde während der Herbst¬
ferien täglich mit Ausnahme von Samstag nachmittags von 2 1 l i bis
5 1 /* Uhr gespielt.
Zu den Spielen standen die Wiesen an der Hobertsburg und
an der Buschmühle (Sommerlokal), der städtische Burgholzpark, die
Radrennbahn am Kaiser-Wilhelmtal sowie eine Weide bei der
Wirtschaft Heiuke in Cörne zur Verfügung.
Die Leitung hatten 18 Lehrer und 2 Lehrerinnen.
Es spielten durchschnittlich 477 Kinder pro Tag.
Für Milch und Limonade wurden 905 M. verausgabt.
Neben diesen Ferienspielen wurden an den evangelischen
Schulen noch besondere Spiele arrangiert, die Mittwochs nach¬
mittags im Sommerhalbjahre auf den Schulhöfen der Marien- und
Hermannschule sowie auf den Spielplätzen an der Hobertsburg und
im Burgholz abgehalten wurden. Die gleiche Einrichtung war auch
an der israelitischen Volksschule getroffen.
An den Spielen beteiligten sich durchschnittlich an jedem
Spielnachmittage im
I. Bezirk 89 Kinder (Knaben)
II. „ 72 „
III. „ 81 „
IV. „ 83 „ (später wegen räuml. Verhältnisse nur 60)
a. d. israel. Schule 20 n
Im Rechnungsjahre 1905 sind insgesamt 4973 M., im Jahre
1906 7928 M. zur Pflege der Jugendspiele, für Abhaltung von
Schwimmunterricht und für die Ferienwanderungen aufgewandt
worden. Der Kostenanschlag für das SehuljahrJ1907Jbetrug 7400 M.
Für die Instandhaltung der Geräte für die Jugeud- und Ferien-
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UMIVERSITY OF IOWA
318
spiele, sowie für den Schwimmunterricht und die Beschaffung von
neuen Geräten sind 800 M. vorgesehen gewesen. Ausserdem sind
in dem Jahre 1907 1800 M. für die Bewirtung der Kinder bei den
Jugendspielen und Ferienwanderungen verausgabt worden, so dass
somit im ganzen 10000 M. für die Förderung der Jugendspiele,
der Wanderungen und des Schwimmunterrichts aufgewandt werden.
Lehrreich ist die Statistik, die sich aus den Berichten der
evang. Leiter und Leiterinnen der Ferienspiele ergibt.
Spielplatz
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Hobertsburg
Buschmühle
Kaiser Wil¬
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Burgholz
Cörne
194
85
126
127
66
127
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1
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80| 57 56[ 55| 47
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1261 9511201120110i
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130
100
56
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49j 48 49 — 33
87| 78 77 30 55
89 83 63 — ! 36
2571
1856
1315
1866
1922
Zusammen
588
581
504556 554
511
1
429,502
1 1
548
465!449;o06 5061486 470i476 439437188,341
i. i i i i i 1
9530
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sieb, dass mit Ausnahme
des Spielplatzes an der Hobertsburg die Zahl der Teilnehmer stetig
mehr abbröckelte. Es ist daraus einmal der Schluss zu ziehen,
dass das Interesse der Kinder an den Spielen ständig abnahm, was
wohl daraus vornehmlich zu erklären ist, dass es in das freie Er¬
messen der Kinder gestellt war, zu den Spielen zu erscheinen.
Ausserdem führen die Berichte Klage darüber, dass die Beteiligung
der Kinder aus der I. Klasse bedauerlicherweise immer schwächer
wurde, weil diese zu häuslichen Arbeiten herangezogen wurden.
Sämtliche Berichte sprechen sich dahin aus, dass es wünschens¬
wert sei, die Pflege der Jugendspiele zu einer dauernden Einrichtung
zu machen.
Daraus wie auch aus den Lehren der obigen Zusammen¬
stellung ist der Schluss zu ziehen, dass eine wesentliche Förderung
der Jugendspiele nur von der Einführung des allgemein verbind¬
lichen Spielnachmittags zu erwarten steht, und es ist dringend
wünschenswert, dass die preuss. Uuterrichtsverwaltung in Bälde der
schon so lange von vielen einsichtigen Männern aufgestellten For¬
derung die Erfüllung sichert, in Würdigung der grossen Bedeutung
der Volks- und Jugendspiele, auch an den Volksschulen den ver¬
bindlichen Spielnachmittag zur Einführung zu bringen.
Im Laufe der Berichtszeit habe ich den Lehrern, die an den
Ausbildungskursen zur Leitung von Jugendspielen teilnahmen,
mehrere Vorträge über die Physiologie der Leibesübungen und ihre
grosse gesundheitliche und soziale Bedeutung gehalten«
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UNIVERSUM OF IOWA
319
Die Bestrebungen, die gesundheitlichen Vorteile des Bades
den Kindern in den Grossstädten zuteil werden zu lassen, die mit
so grossem Erfolge bekanntlich an den Elberfelder Schulen zur
Durchführung gelangt sind, haben der hiesigen Schulverwaltung
ebenfalls Anlass gegeben, Schwimm- und Badeunterricht ftlr die
Volksschüler der oberen Klassen einzuführen.
Es waren bei den Verhandlungen grosse Hindernisse zu über¬
winden, da die beiden städtischen Schwimmhallen von seiten der
Badeanstaltsdeputation nur in ganz beschränktem Umfange für die
Volksschulen zur Verfügung gestellt wurden.
So erklärt es sich einmal, dass bedauerlicherweise im Schul¬
jahre 1906/07 der Schwimmunterricht nur in ganz beschränktem
Umfange erteilt werden konnte, zum anderen, dass er während des
Vormittagsunterrichts abgehalten werden musste.
Im Herbst 1906 fanden Ferienschwimmkurse statt. Zu den¬
selben wurden in 6 Abteilungen durchschnittlich je 20 Kinder der
I. Klassen von 8 Schulen zugelassen (4 Knaben- und 2 Mädchen¬
abteilungen).
Der Unterricht wurde für die Knaben in 4 Abteilungen an
3 Wochentagen vormittags von 8—9 Uhr, in 2 Abteilungen an
2 Wochentagen von 3—4*/ g resp. 4—5 1 /* Uhr nachmittags abge¬
halten. Die Mädchen schwammen an 3 Wochentagen nachmittags
von 3—4 Uhr.
Der einzelne Kursus dauerte 14 Tage.
Es nahmen teil in
Abteilung I 20 Schüler der evang. Falkschule
„ II 9 „ „ kath. Klosterschule
III 23 „ „ evang. Friedrichschule
„ IV 18 „ „ kath. Josephschule
„ V 30 „ „ evang. Unionschule
„ VI 20 „ „ kath. Johannesschule II
„ VII 18 Schülerinneu „ kath. Johannesschule I
„ VIII 12 n „ evang. Bismarckschule.
Die Teilnehmer an den Kursen bezahlten für jedes Bad
5 Pfennig.
Von Januar bis März 1907 wurden dann noch während des
Schulbetriebs besondere Schwimmkurse an je 25 Schülern der
II. Klasse der evangelischen Bismarck- und katholischen Canisius-
schule vormittags von 10—11 Uhr im südlichen Schwimmbade ab¬
gehalten.
Im nördlichen Schwimmbad konnte kein Kursus stattfinden.
Angesichts der Erfahrung wohl, dass viele Knaben sich den
Anstrengungen der Schwimmübungen nicht gewachsen erwiesen
hatten, war der Verfasser von der städt. Schuldeputation be-
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UNIVERSUM OF IOWA
320
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aaftragt worden, die Schüler der beiden erwähnten Klassen vor
Beginn des Unterrichts auf Schwimmfähigkeit zu untersuchen. Die
ärztliche Untersuchung ergab, dass mehrere Knaben, die sich ge¬
meldet batten, wegen Kränklichkeit von der Teilnahme an dem
Schwimmunterricht ausgeschlossen werden mussten.
Die vorherige Untersuchung der Schüler und Schülerinnen
durch den Schularzt hat sich somit als eine unumgängliche Not¬
wendigkeit herausgestellt.
Im Sommerhalbjabr 1907 konnten leider keine Kurse abge¬
halten werden, da die städt. Badeanstaltsdeputation die Hallen nicht
zur Verfügung stellte.
Sämtliche Leiter der Kurse betonen es in ihren Berichten,
dass die Kurse eine viel zu kurze Dauer hatten und dass es
wünschenswert wäre, den Schwimmunterricht zu einer dauernden
Einrichtung der Schule zu machen.
Ich kann mich diesem Wunsche nur anschliessen und würde
es bei der ausserordentlichen Bedeutung des Badens für die ge¬
sundheitliche Entwicklung der Volksschulkinder freudig begrttssen,
wenn der Schwimmunterricht im nächsten Schuljahre einen grösseren
Umfang annähme.
Im Berichtsjahre verfügten die Volksschulen Uber zwei
Brausebadanlagen, und zwar in der kath. Dreifaltigkeit- und in der
evang. Schillerschule. Die Akten der städt. Schuldeputation ent¬
halten leider nur ziffernmässige Angaben über die Benutzung der
Anlage an der Dreifaltigkeitschule: 12039 Brausebäder wurden im
Berichtsjahre an die Kinder der 4 oberen Klassen der Schule ver¬
abfolgt (7010 au Knaben und 5029 an Mädchen). Ich kann
deshalb hier nur eine mündliche Mitteilung des Rektors der Drei¬
faltigkeitschule verwenden, der die Anlage als eine segensreiche
Einrichtung bezeichnete und über den förderlichen Einfluss auf die
Kinder sich sehr lobend aussprach. An der evang. Schillerschule
erhielt jedes Kind wöchentlich einmal ein Bad.
Ausserdem war die Einrichtung getroffen, dass auf evangelischer
Seite die Teilnehmer an den Jugendspielen Mittwochs oder Samstags
in der nördlichen Schwimmhalle badeten. Desgleichen badeten auch
die israelitischen Kinder.
Eine genaue Statistik über den Umfang der Benutzung der
Bäder lässt sich nicht geben, da dem verantwortlichen Leiter aus
dem I. Bezirk genaues Material für die Statistik nicht zur Ver¬
fügung stand und für die ersten Badetage des III. Bezirks eine
Durchschnittsziffer mangels genauer Unterlagen berechnet werden
musste.
Den Berichten ist zu entnehmen, dass im I. Bezirk im Sommer-
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UNIVERSUM OF IOWA
halbjahr 1906 im Jnni 155, im Juli 185 und im August 65 Kinder
badeten, im Winterhalbjahr 25.
Für den II.—IV. Bezirk ergibt sich folgende summarische
Zusammenstellung. Es badeten
Im
April 1906
an
1 Badetage 135 Knaben, durchschn.
also 135
77
Mai „
77
4
77
884
77
77
221
Juni „
77
4
77
1046
77
5 ?
261
77
Juli „
7 ?
4
77
1106
77
77
275
77
August „
77
1
77
286
77
77
286
77
September „
77
3
77
454
77
77
151
77
Oktober „
77
4
77
728
77
77
182
77
November „
77
4
77
718
77
77
179
77
Dezember „
77
3
77
376
77
77
125
7)
Januar 1907
77
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329
77
77
110
77
Februar „
77
4
77
321
7)
77
80
77
März „
77
3
77
385
77
77
128
Es sind somit im II.—IV. Bezirk im Sommerhalbjahr 3453,
im Winterhalbjahr 3311 Bäder verabreicht \vorden, in Summa 6764.
Nachdem sieh bei den systematischen Untersuchungen der
Kinder herausgestellt hatte, dass eine ziemlich bedeutende Zahl von
ihnen an Lungentuberkulose leidet, schien es sowohl im Interesse
der Erkrankten wie auch in dem der gesunden Mitschüler geboten,
besondere Massnahmen zu treffen.
Ich habe deshalb der städt. Schuldeputation den Antrag
unterbreitet, alle diejenigen Kinder, die an vorgeschrittener Lungen¬
tuberkulose litten (III. Stadium Turban mit reichlichem Auswurf
und Zerfallerscheinungen) dauernd vom Unterricht auszuschliessen.
Ausserdem hielt ich es für geboten, diejenigen tuberkulösen
Kinder, die Auswurf, hatten, aber noch nicht in vorgeschrittenen
Stadien der Krankheit sich befanden, mit Dettweilersehen
Spucktlaschen auszurüsten. Einmal war dies notwendig, um die
Kinder an die Entleerung des Auswurfs nach aussen hin zu er¬
ziehen, während sie bis dahin aus Scham das Sputum erfahrungs-
geinäss binunterschluckten, zum anderen auch, weil, wie öftere Be¬
obachtungen lehrten, die in den Klassen aufgestellten offenen Spuck-
näpfe sich als gänzlich ungeeignet erwiesen, da die Sputa oft neben
die Näpfe gerieten und ausserdem Teile der Sputa auf den Boden
versprengt wurden.
Die städt. Schuldeputation hat sich erfreulicherweise auf den
Boden beider Anträge gestellt. Die vorgeschrittenen Fälle werden
vom Unterricht ausgeschlossen. Für die Beschaffung von Dett-
weiler sehen Spuckflaschen wurden 400 M. bewilligt. Es sind im
Schuljahre 1906/07 38 Kinder mit Flaschen ausgerüstet worden-
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UNIVERSUM OF IOWA
322
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Die unzweckmässige Verteilung des Turnunterrichts an dem
städt. Seminar für technische Lehrerinnen gab Veranlassung, bei
der Kgl. Regierung in Arnsberg die Genehmigung zu einer Änderung
des Lehrplans nachzusuchen. Die Regierung forderte ein ärzt¬
liches Gutachten ein, das von dem Verfasser erstattet wurde.
In dem Gutachten konnte ich ausführen, dass der mehrere
Stunden hintereinander erfolgende Turnunterricht zu einer schäd¬
lichen körperlichen und geistigen Ermüdung und besonders auch zu
krankhaften Störungen, nervöser Überreiztheit, Schlaflosigkeit,
Mangel an Appetenz führen müsse, weil die Schülerinnen genötigt
waren, nach dem mehrstündigen Turnunterricht noch die umfang¬
reichen häuslichen Arbeiten zu erledigen.
Ich wies ferner darauf hin, dass die Schülerinnen wohl
durchweg in dem Stadium der geschlechtlichen Reifeentwicklung
ständen, in dem ganz besonders gesundheitliche Schädigungen von
dem weiblicheu Körper ferngehalten werden müssten.
Schliesslich betonte ich, dass die Schülerinnen unbedingt einer
Ruhezeit nach den körperlichen Anstrengungen bedürften.
Der bisherige Lehrplan erheischte also nach ärztlichem Er
messen dringend im Interesse der Schülerinnen eine Änderung.
Obwohl dieses Gutachten nicht in direktem Zusammenhänge
mit dem ärztlichen Dienste an den Volksschulen steht, so führe ich
es doch als Beweis dafür an, dass auch an den höheren Lehr¬
anstalten Fragen der Unterrichtshygiene an die Verwaltung hcran-
treten, die auf der Basis ärztlicher wissenschaftlicher Erfahrungen
nur ihre Erledigung finden können.
An drei evangelischen Volksschulen war seit dem Jahre 1904
versuchsweise der fünfstündige Vormittagsunterricht erteilt worden.
Die Kgl. Regierung in Arnsberg forderte zum Zwecke ihrer
definitiven Entscheidung darüber, ob diese Unterrichtsform auf alle
Volksschulen gleichmässig ausgedehnt werden solle, ein Gutachten
des Stadtschularztes ein. Die Leiter der in Frage kommenden
Versuchsschulen haben sich nach jeder Richtung günstig ausge¬
sprochen. Nachdem ich auf entsprechenden Antrag bei der Schul¬
deputation bin die erforderlichen Messinstrumente erhalten hatte,
habe ich an 2 Schulen mehrere Versuche, Ermüdungsmessungen
angestellt. Die Versuche fielen zugunsten des fünfstündigen Vor¬
mittagsunterrichts aus. Sämtliche Gesichtspunkte, die von ärzt¬
lichem Standpunkte aus für die Einführung der neuen Unterrichts¬
form auch an den Volksschulen sprachen, habe ich in einem am
1. Februar 1907 erstatteten ausführlichen Gutachten zusammen¬
gestellt, das in der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, Jahr¬
gang XX. 1907, zur Veröffentlichung gelangt ist. Vornehmlich
Gck igle
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323
habe ich darauf hingewiesen, dass die unbedingt notwendige Ein¬
führung des verbindlichen Spielnachmittags nur möglich ist, wenn
die fflnfte Vormittagsstunde zu Unterrichtszwecken ausgenutzt wird.
Die üblichen vier Einwände der Gegner des fünfstündigen Vor¬
mittagsunterrichts habe ich zu widerlegen versucht. Es war dies
um so leichter, als die Unterrichtsform sich in einer Reihe von
anderen Städten (Stettin z. 6. seit 1885) und auch in dem drei¬
jährigen Zeiträume an den hiesigen Versuchsschulen durchaus be¬
währt hatte.
Die Schuldeputation lehnte leider die Einführung ab, und die
Entscheidung der Königl. Regierung fiel im Sinne dieses ablehnenden
Beschlusses aus.
Für die an Sprachgebrechen leidenden Kinder waren Heil¬
kurse eingeführt, und zwar acht Stotterer- und zwei Stammlerkurse.
Über die Beteiligungsziffer und die Erfolge bei den Kindern
gibt nachstehende Übersicht Auskunft. Jeder Stottererkursus dauerte
vier Monate. Die Stammler erhielten wöchentlich 3 Stunden
Unterricht.
A. Stotterkurse.
Kur* j
«US I
i
' Anzahl
d. Kinder
Geheilt
j Ge- j
bessert
Ohne
Erfolg
I.
14
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VII.
15
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3
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15
7
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B. Stammlerkurse.
I.
16
10
4
2
II.
15
ii 8
2
5
,,
10
133 (-7)
74
17 ( + 11)
i 24
ii
G. Sonstiges.
Während der Berichtszeit habe ich an folgenden Sitzungen
teilgenommen.
1. Gemeinschaftliche Konferenz der Polizei- und Schulverwaltung
unter Zuziehung des Herrn Stadtarztes Dr. Köttgen mit Be¬
ratung über die Bestrebung, die von mehreren hiesigen Wirten
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veranstalteten sog. Kinderfeste einzuschränken. Es kamen
ferner die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben und die
Zahnpflege in den Volksschulen zur Besprechung (20. Dez. 05).
2. Sitzung der Gesundheitskommission am 9. Juli 1900 mit Be¬
ratung Ober die gegen die damals herrschende Scharlachepidemie
zu ergreifenden Massnahmen.
3. Sitzung der Schuldeputation am 19. Oktober 1906 mit Be¬
ratung über die Einführung des fünfstündigen Vormittags¬
unterrichts an den hiesigen Volksschulen.
4. Sitzung mit dem Beratungsgegenstande: Regelung des schul¬
ärztlichen Dienstes am 30. November 1906.
Ich habe ferner in der Kreiskonferenz der katholischen Lehrer¬
schaft einen Vortrag über die „Organisation des schulärztlichen
Dienstes und seine Bedeutung für die Schule“ gehalten, ausserdem
au der Kreiskonferenz der evang. Lehrerschaft teilgenommen, in
der das Thema: „Fürsorge für die schulentlassene Jugend“ zur
Erörterung stand.
Gemäss den Beschlüssen des Magistrats bin ich in der Be¬
richtszeit zur Teilnahme an dem Kursus der medizin. Psychologie
mit Bezug auf Behandlung und Erziehung des angeborenen kind¬
lichen Schwachsinnes, der vom 2.—7. April 1906 an der Klinik
für psychisch und nervöse Kranke (Direktor Prof. Dr. Sommer)
in Giessen stattfand, und zum Kongress für Kinderforschung und
Jugenderziehung im Oktober 1906 nach Berlin entsandt worden.
Der Besuch beider Veranstaltungen hat eine Fülle von Anregungen
vermittelt.
Das Bureau des Schularztes, der sein Amtszimmer im städt.
Verwaltungsgebäude hat, stellt einen organischen Bestandteil des
städt. Medizinalamtes dar. Die schriftlichen Arbeiten werden von
einem Bureaugehilfen des letzteren erledigt. Das Tagebuch während
des Schuljahres 1906/07 weist 1368 Nummern auf.
H. Schluss.
Ich gebe mich der Erwartung hin, dass der vorliegende
I. Bericht einen möglichst genauen Niederschlag der schulärztlichen
Tätigkeit im Schuljahre 1906/07 bietet und dass aus ihm hervor¬
geht, einen wie grossen Umfang diese Tätigkeit hat, wie mannig¬
faltig die Beziehungen des Arztes zur Schule sind.
Die städtischen Körperschaften haben der Neueinrichtung
grosses Interesse entgegengebracht und manche Vorschläge, die das
grosse Gebiet der Schulhygiene betrafen, durch oft mit grossen
Kosten verbundene Massnahmen verwirklicht.
Gck igle
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UNIVERSUM OF IOWA
Die Lehrerschaft hat die Neueinrichtung mit grosser Freude
begrüsst und den neuen Bestrebungen im Interesse der Gesundheit
und der Gesundung der Kinder ein weitgehendes Verständnis ent¬
gegengebracht, so dass mir der Dienst sehr erleichtert wurde.
Es steht zu hoffen, dass die schulärztliche Tätigkeit auch
den Kindern gegenüber Erspriessliches gewirkt hat, zumal, wie ich
oben bereits hervorhob, die Eltern einen recht weitgehenden Gebrauch
von der Einrichtung gemacht und das Bestreben gezeigt haben,
für ihre kränklichen Kinder zu sorgen.
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Statistische Untersuchungen über die Morbilität
verheirateter und unverheirateter, wie auch nicht¬
gelernter und gelernter männlicher Arbeiter
u. a. m.
Von
H. Bille-Top, Arzt in Kopenhagen.
Alle untenstehenden Tafeln rühren aus der Kopenhageuer
Krankenkasse „Alderströst“ (Alterstrost) her. Diese ist, wie fast alle
Kopenhagener Krankenkassen, eine durchaus freie Kasse, die nur
unbemittelte 15—45 jährige Personen aufnimmt, und zwar nur nach
einer ziemlich eingehenden ärztlichen Untersuchung. Die Kasse
gewährt Krankengelder in Erkrankungsfällen für die Dauer von
vier Tagen bis 26 Wochen, in Fällen von Säuferkrankheiten, Krätze
und venerischen Krankheiten doch nur, wenn die Patienten sich im
Krankenhause befinden, und bei Sänferkrankheiten nur ein einziges
Mal. Kein Mitglied der Krankenkasse kann sich mehr als */ 8 seines
durchschnittlichen Arbeitslohnes sichern. Kein Mitglied darf sich
durch den Eintritt in mehrere Krankenkassen eine grössere Geldunter¬
stützung sichern, als sein durchschnittlicher Tagelohn beträgt. Die
Krankenkasse leistet ihren Mitgliedern Unterstützung, sowohl wenn
sie arbeiten, als wenn sie erwerbslos sind, ebenfalls nach Unfällen
während und ausserhalb der Arbeitszeit. Ein Mitglied, das während
drei aufeinanderfolgender Rechnungsjahre im ganzen 60 Wochen hin¬
durch Krankengeld genossen hat, kann keine fernere Beihilfe er¬
halten.
Die Tafeln umfassen nur männliche Mitglieder.
Die Tafel 1 gilt für die Jahre 1901—1903, umfasst einige
der verheirateten und der unverheirateten männlichen Mitglieder,
jede Gruppe für sich, und gibt Aufschluss über deren Morbilität.
Es sind dies zwei reine Arbeitergruppen, die nur nichtgelernte und
gelernte Mitglieder unischliessen. Die Zahlen geben, wo nichts
anderes bemerkt wird, die Anzahl der Krankenmeldungen in pro
mille an. Nur die gewöhnlichsten Krankheiten habe ich mitge¬
nommen. Die Anzahl der Unverheirateten ist in den späteren
Gck igle
Original fru-rn
UNIVERSITÄT OF IOWA
327
Jahren eine geringe, weshalb ich dieselben nicht berücksichtigt
habe. Es ist deshalb nur möglich, die im Alter von 20—30 Jahre»
stehenden Verheirateten und Unverheirateten miteinander zu ver¬
gleichen. Ich wünschte aber doch nicht, die späteren Jahrgänge
aus der Tafel über die Verheirateten, ebensowenig wie die Jahr¬
gänge 15—20 aus der Tafel über die Unverheirateten auszuschalten,
da diese Zahlen möglicherweise anderswie Bedeutung erhalten
können.
Tafel 1.
Verheiratete
Ledige
Alter
I 20-30
30-40l40-50
50-60
t-i
Ü*
1
eo
0
20-30
Anzahl
1234
3194
3063
1404
1093
1182
Unfälle.
122
125
131
114
177
100
Influenza.
! 28
26
33
27
25
30
Lungentuberkulose (neue Fälle)
4,8
5
6,6
10,6
2,7
5,1
Akuter Gelenkrheumatismus . .
2,4
5,2
7
4,3
3,6
3,4
2,4
2,6
2,1
0,9
0,8
Ziegenpeter.
0,8
0,3
0,9
—
Scharlach.
1,6
0,3
—
—
1,8
1,7
Diphtherie.
3,2
0,9
0,3
■-
1,8
1,7
Krätze.
0,8
1,5
0,3
—
. —
0,8
Krebs (neue Fälle).
—
0,3
2,3
6,3 1
—
—
Venerische Krankheiten ....
1,6
0,6
1,6
0,7
3,6
13,6
Angina.
26
17
10
6
54
24
Lungenentzündung.
2,4
5,5
5,6
2,1
6,4
4,2
Brustkatarrh.
20
24
38
48
35
15
Magenkatarrh.
20
18
16
13
16
8,5
Darmkatarrh.
16
11
13
19
7,3
5,9
Blinddarmentzündung ....
5,6
1,2
0,3
0,7
1,8
2.5
Ischias.
2,4
8,8
9,9
10
—
Nierenentzündung.
0,8
2,4
3,3
7
5,5
1,7
Alkoholismus.
0,8
4
8,2
8,5
—
—
Fingerentzündung.
4,8
4,3
5,6
5
11
7,6
Beulen.
6,4
6,5
8,2
5
12
9,3
Rheumatismus.
10
36
51
73
9,1
18,6
Sehnenscheidenentzündung . .
4
4,6
1,6
3,5
2,7
0,8
Unterschenkelgeschwüre . . .
0,8
3,1
2,9
3,5
—
0,8
Augenkrankheiten.
1,6
4
2,6
2,8
10
9,3
Hautkrankheiten.
1,6
3,1
4,2
6,3
13,7
1,7
Herzkrankheiten.
1,2
4,2
1,4
0,9
1,7
Geisteskrankheiten.
—
1,6
1,6
1,4
0,9
0,8
Podagra .
0,8
4,3
1,3
2,1
—
—
Nierensteine.
4
2,4
1,6
2,8
—
1,7
Gelenkentzündung.
2,4
0,6
2,3
0,7
0,9
1,7
Gelenkwassersucht.
1,6
1.2
2,6
0,9
0,8
Zusammen . .
351
369
433
454
450
313
Krankentage pr.Krankenmeldung
20
21
23
30
14
19
Krankentage pr. Mitglied . . .
7
8
10,2
13,8
6,4
6
Das Material zu dieser Tafel wurde 1906 aus den Büchern
der Krankenkasse, in deren Bureau und von mir persönlich mit Hilfe
von Karten angesammelt, wodurch ich eine grosse Anzahl Diagnosen
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bv Google
Original frum
UNIVERSUM OF IOWA
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— 328 —
zu berichtigen vermochte, weil ich und das Bureaupersonal viele
der Mitglieder persönlich kannten und weil die Aufzeichnungen der
Kasse sich über die Jahre 1898—1905 erstreckten. Die Anzahl
wurde in der Weise berechnet, dass diejenigen Zahlen von Jahren,
Monaten und Tagen, während deren jedes einzelne Mitglied im
Laufe des Trienniums der Kasse angehörte, zusammengelegt worden,
worauf die Summe in ganze Krankenkassenjahre umgerechnet wurde.
Was die Gruppierung der Krankheiten betrifft, bemerke ich nur,
dass Fingerentzündung nur die Diagnose Panaritium umfasst, dass
Beulen diu Diagnosen Furnnculosis, Abszess und Anthrax umfassen,
und dass Rheumatismus auch die Diagnosen Lumbago, Lumbago
rheum., Rheumatismus muscul., Arthroitis rheum. und Rheumatis¬
mus artic. bezeichnet. Was die neuen Fälle von Lungentuberkulose
und Krebs betrifft, so glaube ich diese mit fast absoluter Sicher¬
heit berechnet zu haben. Die Aufzeichnungen der Kassen gingen
bei der Kartographierung, wie gesagt, ja von 1898—1905, und ich
konnte mithin mit Bezug auf die Morbilität zahlreicher Mitglieder
einen grösseren Zeitraum als den von meiner Statistik umfassten
übersehen. Ferner wird die Lungentuberkulose jetzt hier in Kopen¬
hagen ziemlich rechtzeitig diagnostiziert, da die Stadt für unent¬
geltliche bakteriologische Untersuchung des Expektorats, die in weitem
Umfang benutzt wird, Sorge getragen hat, und endlich melden sieb die
Brustkranken fast stets sofort krank nach der Feststellung der
Krankheit, um möglichst schnell und sicher geheilt zu werden, da
-die dänischen Ärzte ihnen immer mitteilen, worin ihr Leiden be¬
steht, um sie zu bewegen, sich einer gründlichen Behandlung zu
-unterwerfen, und Sorge dafür zu tragen, dass sie keine Ansteckung
bringen. Die ersten Anmeldungen der Erkrankung an Lungentuber¬
kulose kann man deshalb mit ziemlicher Sicherheit als frische Fälle
derselben betrachten; ein Mitglied aber, dass vor 1898—1900 für
phthisisch erklärt wurde, ist meiner Meinung nach stets wenigstens
einmal während dieser Periode als an diesem Leiden erkrankt
angemeldet worden. Wenn deshalb 1901—1903 eine Anmeldung
der Erkrankung an Lungentuberkulose oder Blutspucken (das später
als Lungentuberkulose angemeldet wird, oder das sehr lange an¬
dauert) erfolgt, und die Patienten nicht 1898—1900 wegen dieser
Erkrankung angemeldet worden waren, so glaube ich damit rechnen
zu können, dass ein neuer Fall vorliegt. Ebenso berechnete ich die
ueuen Krebsfälle, indem ich bei Leuten, die später als am Krebs
erkrankt gemeldet wurden, die Hämatemesis als Krebs rechnete.
Die Zahlen geben die Anzahl in pro mille an.
Die Tafeln 2 und 3 umfassen ebenfalls einen Teil der ver
heirateten und unverheirateten Männer der Kasse, gelten aber für
andere Perioden. In der Tafel 2 sind Wochenlohu und Arbeits-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
329
losigkeit erläutert, in der Tafel 3 die Wohnungsverhältnisse. Der
Wochenlohn ist in dänischer Währung angegeben *). Die Arbeits¬
losigkeit ist in Tagen gerechnet. Die Wohnungsverhältnisse nennen
die Zimmer pro Wohnung wie auch Erwachsene und Kinder pro
Zimmer.
Tafel 2.
Alter I
1
15—
20-
25-
30-
35-
40-
45-
50—55— 60—
['
Ü]j3
3
■"*
An-
zah
Wochen- 1
' 1
Verheirat.'
i
_
20,00^20,4
21,1
20,7
20.5
19,9
1 ,
20,2 18.3 —
20,5
1866
lohn |
Ledige
1
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00
19,11
20.18 20,06
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'
14,82
924
Arbeit»- f
1 ,
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15
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3
14
16
13
30
-
—
i
11
853
Tafel 3.
Zimmer
pr. Woh- |
nuug lj
Erwach- r!
sene undl;,
Kinder I ,
p.Zimmer'
Verheirat. —
|i
1,92;
2,02
2,09'
2,1012,1212,115 2,22
2,03' —
: 2,1
1755
Ledige 2,2
r :
r
1.8 '
J
14
1,3 '
1,3 !
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1
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i
1
1,9
917
Verheirat. —
l
1,5
1,6
2,0
2,2 2,3 2,4
1.8
! 2,03
1755
Ledige 2,3
1,8
1,3
1.2
1,1
—
— i —
| 1,9
917
Das Material zu diesen beiden Tafeln wurde während des
Zeitraums vom 1. April 1898 bis zum Juli 1900 gesammelt. Nur
diejenigen, die während dieses Zeitraums krankgemeldet oder neu
aufgenommen wurden, konnten in dieser Weise behandelt werden.
Die nicht krankgemeldeten Mitglieder konnte ich nicht ausfragen,
da ich sie hätte in ihrer Wohnung aufsuchen mflssen, wozu es mir
sowohl an Zeit als an Befugnis fehlte. Die Krankgemeldeten wurden
in ihrem Heim untersucht, teils von dem Kontrolleur der Kasse,
der ihnen während der Dauer der Krankenmeldung häufige Besuche
abstattet, teils, wenn sie in meinem Bezirk wohnten, von mir selber.
Die Neueintretenden wurden teils von dem Bureaupersonal unter¬
sucht, wenn sie ihr Beitrittsformular einreichten, teils auch, so¬
fern sie in meinem Bezirke wohnten, von mir, wenn sie sich zu
der ärztlichen Untersuchung einstellten, die dem Beitritt vorausgehen
muss. Die Antworten wurden von den Untersuchern auf die Kranken¬
bescheinigungen, bezw. die Beitrittsformulare eingetragen, welche
schliesslich alle ins Bureau gelangen und sämtlich eine Mitglieds-
nummer erhalten. Darauf übertrug ich dieselben auf Karten, die
1) 1 Krone ä 100 Öre = 113 Pf.
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Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
330
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dementsprechend numeriert waren. Nicht alle Befragten beant¬
worteten die Fragen, einige nur einzelne derselben. Das Resultat
dieser Untersuchung veröffentlichte ich nebst anderen Untersuchungen
ähnlicher Art in einer früheren Abhandlung 1 j. Der Wochenlohn
wurde in der Weise bestimmt, dass die obengenannten Untersucher
sich beim Betreffenden erkundigten, wie gross sein Jahresverdienst
im letzten Jahre gewesen sei, oder einen wie grossen durchschnitt¬
lichen Wochenlohn er meine, im letzten Jahre, die arbeitslosen
Perioden mitgerechnet, gehabt zu haben. Der angegebene Jahres¬
verdienst wurde durch Teilung mit 52 in Wochenlohn umgerechnet.
Da im Jahre 1899 eine grosse und lange dauernde Sperre eintraf,
die selbstredend nicht mit in Betracht gezogen wurde, gilt der
Wochenlohn also für die besonders guten Jahre 1897 oder 1898.
Ich glaube, dass die meisten derjenigen, die antworteten, auch über
ihre Einnahmen im reinen waren und den Lohn, wie er nach ihrer
Meinung war, angegeben haben. Sicherlich gab es einige, die sich
wissentlich zu niedrig ansetzten, wie es sicherlich auch einige gab, die
sich wissentlich zu hoch ansetzten; nach meiner Kenntnis der Mit¬
glieder glaube ich, dass sie vorwiegend geneigt waren, zu wenig anzu¬
geben, weshalb das Gesamtergebnis ein wenig niedriger ist, als der wirk¬
liche Lohn. Die Arbeitslosigkeit wurde in der Weise ermittelt, dass
die Untersucher die Betreffenden fragten, auf wie viele arbeitslose Tage
sie jährlich (das Jahr der Sperre natürlich ausgenommen) rechnen müss¬
ten. Diese Untersuchung gibt also eine Art Durchschnitt, etwa für die
letzte Hälfte der neunziger Jahre geltend, die in dieser Beziehung
eine sehr günstige Periode war. Diejenigen, welche die Frage
beantworteten, gaben ihre Arbeitslosigkeit in runden Zahlen an:
1 Woche, l 1 /* Wochen, 1 Monat, 2‘/ g Monate, ununterbrochene Arbeit
usw. Bei der Abrechnung rechnete ich das Ganze in Monate und
darauf durch Multiplikation mit 30 in Tage um. Die Sonntage sind
also mitgerechnet. Diese Untersuchung wurde ebenso wie die obige
ohne Ankündigung angestellt und stützt sich auf die Angaben der
Arbeiter. Ich glaube, dass man sich durchweg bemüht hat, das
Richtige zu treffen. Nur die durch Arbeitsmangel, nicht die durch
Ausstände oder Sperren verursachte Arbeitslosigkeit wurde mitge¬
rechnet. Die Grösse der Familien wurde in der Weise untersucht,
dass man dem Betreffenden die Frage stellte, aus wie vielen im Heim
befindlichen Erwachsenen und Kindern die Familie bestehe. Zur
Familie wurden alle in der Wohnung Befindlichen, ausser Logierenden
und Pflegekindern, gezählt. Als Erwachsene wurden alle betrachtet,
die das 15. Jahr zurückgelegt hatten, als Kinder alle jüngeren.
1 ) H. Bille-Top, Nogle Bidrag til den sociale Arbejderstatistik.
Köbenhavn 1904. August Bangs Forlag. (Einige Beiträge zur sozialen
Arbeiterstatistik.)
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
331
Um die Grösse der Wohnungen zu ermitteln, fragte man die Ver¬
heirateten, ans wie vielen Zimmern ihre Wohnung bestehe, ob sie
einen Alkoven und eine Mädchenkammer hätten, und ob sie Zimmer
vermieteten. Mietzimmer kamen nicht in Anschlag, selbst wenn sie
im Augenblick nicht vermietet waren. Alkoven und Mädcbenkammer
wurden als je ein halbes Zimmer gerechnet. Als Zimmer der Un¬
verheirateten, wenn diese bei ihren Angehörigen wohnten, wurden
alle Zimmer der Wohnung gerechnet, ebenso wie hinsichtlich der
Verheirateten, indem ich voraussetzte, dass die betreffenden Unver¬
heirateten nur in seltenen Fällen ein Zimmer für sich hatten und
meistens mit den anderen zusammenlebten. Wohnten die Unver¬
heirateten dagegen bei Fremden, so nahm ich an, dass ihre Wohnung
nur das von ihnen bewohnte Zimmer enthielt und ihre Familie nur
aus ihnen selbst und der Person, mit der sie möglicherweise das
Zimmer teilten, bestand. Die Grösse der Wohnungen und die
Wohnungsdichtigkeit gelten also für die Zeit vom 1. April 1898
bis zum Juli 1900.
Die Tafel 4 umfasst alle verheirateten Nichtgelernten und
Gelernten, jede Abteilung für sich, erläutert die Morbilität dieser
Gruppen und gilt wie die Tafel 1 für die Jahre 1901 — 1903. Zu
den Nichtgelernten sind gerechnet: alle Laufburschen, Milchjungen,
Tagelöhner, Platz- und Fabrikarbeiter, Kutscher, Knechte, Heizer,
Kaffeebrenner, Brauereiarbeiter usw. Zu den Gelernten rechnete ich
ausser den gewöhnlich hierunter Gezählten auch die Sägewerk¬
arbeiter, Maschinentischler, Schuhwarenarbeiter, Tabakarbeiter, Bar¬
biere usw. Die Zahlen geben, wo nichts anderes bemerkt ist, die
Anzahl der Krankenmeldungen in pro mille an. Sämtliche Krank¬
heiten wurden hier mitgenommen. Zu den Unfällen rechnete ich
u. a. Corpus alienum oculi, Pleuritis traumat., Commotio cerebri, Con-
gelatio, Lumbago träum.; zu anderen Infektionskrankheiten u. a.
Tuberkulose andrer Organe; zum Krebs den Krebs aller Organe; zur
Lungenentzündung rechnete ich nicht die Pneum. influenzalis, die
ich als Influenza betrachtete: zu anderen Unterleibskrankheiten
rechnete ich u. a. Obstipatio, Taenia, Hämorrhoiden, Gallenstein, Ileus,
Hernia, Peritonitis; zu anderen Nervenkrankheiten u. a. Epilepsie,
Neurasthenie, Chorea, Maeyelopathia; zu anderen Genitalkrankheiten
u. a. Prostatitis, Orchitis, wenn nicht z. B. gonorrh. binzugefügt
war, Balanopostitis, Hydrocele, Strictura ur.; zu anderen Krankheiten
der Harnwege u. a. Calculi ves., Cysto-Pyelitis; zu den Gelenk¬
entzündungen nur die Diagnose Arthroitis; zu anderen Krankheiten u. a.
Anaemia, Saturnismus, Diabetes, Pes planus, Bursitis, Dupuytren,
Apoplexie, Tumor cerebri, Miseries, Mb. Basedowii; zu unsicheren
Diagnosen Gicht, Cephalalgie, Vertigo, Colica, Tumor, Asthma,
Pectoralia u. dgl. Lungentuberkulose und Krebs wurden in pro
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jahrg. 23
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UNIVERSITÄT OF IOWA
332
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inille pr. neue Fälle berechnet. Das Material za dieser Tafel wurde
in derselben Weise nnd während derselben Zeit wie das zur Tafel 1
gesammelt nnd bearbeitet.
Tafel 4.
Verheiratete
Nichtgelernte
Verheiratete
Gelernte
Alter
20-40
40-60
20-40
40-60
Anzahl
2435
2589
1993
1878
Unfälle.
149
153
95
90
Influenza.
33
36
3 i
25
Lungentuberkulose (neue Fälle).
6
9
4
6
Akuter Gelenkrheumatismus) . .
5
9
4
6
Rose.
2
2
1
3
Andere Infektionskrankheiten
5
— !
5
2
Krätze.
1
-
2
—
Krebs (neue Fälle).
| —
2
1
6
Sarkom.
—
—
1
—
Venerische Krankheiten ....
—
1
2
2
Angina.
9
23
7
Lungenentzündung.
4
5
6
4
Brustkatarrh.
26
44
23
37
Andere Brustkrankheiten . .
4
5
1
2
Magenkatarrh.
18
15
15
10
Magengeschwür ..
2
1
3
2
Darmkatarrh.
16
17 |
9
12
Blinddarmentzündung ....
i i
5
—
Andere Unterleibskrankheiten .
4
2
3
2
Ischias .
7
12
7
7
Nierenentzündung.
2
6
2
3
Alkoholisrnu8 . ,.
3
7
3
10
Phlegmone.
4
7
4
2
Fingerentzündung.
1 6
6
3
4
Beulen.
7
5
7
10
Lymphangitis.
2
1
3 ;
2
Rheumatismus.
46
61
19
45
Sehnenscheidenentzündung . .
7
3
2
1
Unterschenkelgeschwür ....
4
3
1
4
Phlebitis.
—
2
—
1
Augenkrankheiten.
4
2
8
4
Hautkrankheiten.
3
6
3
4
Herzkrankheiten.
1
3
1
4
Geisteskrankheiten.
1
2
1
2
Andere Nervenkrankheiten . .
—
3
1
7
Andere Genitalkrankheiten . .
i
_ i
2
—
Andere Harnwegekrankheiten .
—
2
—
2
Podagra .
—
1
7
3
Nierensteine.
3
2
3
3
Gelenkentzündung.
2
2
1
2
Gelenkwassersucht.
2
3
—
1
Andere Krankheiten.
7
9 i
6 j
12
l'nsichere Diagnosen .....
14
17 I
6
12
Zusammen . .
426
490
1 338
375
Krankentage pr.Krankenmeldung
20
26
j 21
27
Krankentage pr. Mitglied . . .
l 8,6
12,6
! 7,2
1
10,0
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
333
Die Tafel 5 gibt Aufschluss über den Wochenlobn einiger
der verheirateten Nichtgelernten und Gelernten, Tafel 6 über ihre
Arbeitslosigkeit, Tafel 7 über ihre Wohnungsverhältnisse und Tafel 8
über die Anzahl der im Heim befindlichen Kinder und Erwachsenen.
Diese Tafeln rühren aus derselben volkswirtschaftlichen Untersuchung
her wie die Tafeln 2 und 3, und was von letzteren gesagt wurde
gilt auch von ersteren.
Tafel 5.
Wochenlohn
B
40-
45-
65-
B
2 o u
a m ~
S Ü
^ m
An¬
zahl
Verheiratete
Nichtgelernte
19,14
19,47
20,52
19,95
19,78
19,10
18,62
17,90
17,0
19,70
1255
Verheiratete
Gelernte
21,1
22,3
22,3
22,0
22,2
21,9
22,7
18,7
—
22,1
611
Der Tafel 1 zufolge haben die unverheirateten Männer in
den Zwanzigern im ganzen eine etwas geringere Anzahl Kranken¬
meldungen als die verheirateten, nämlich 31 °/ 0 gegen 35°/ 0 ,
ohne Unfälle 21 °/ 0 gegen 23 °/ 0 , eine grössere Anzahl neuer Fälle
von Lungentuberkulose und mehr Krankenmeldungen wegen
Influenza, Gicbtfieber, Rose, venerischer Krankheiten, Lungen¬
entzündung, Nierenentzündung, Fingerentzündnng, Beulen, Rheuma¬
tismus, Augenkrankheiten, Herzkrankheiten und Geisteskrankheiten,
dagegen weniger Krankenanmeldungen wegen Unfälle, Ziegenpeter,
Diphtherie, Angina, Brustkatarrh, Magenkatarrh, Darmkatarrh, Blind¬
darmentzündung, Ischias, Alkoholismus, Sehnenscheidenentzündung,
Podagra, Nierenstein, Gelenkentzündung und Geleukwassersucht als
die Verheirateten, und ebenso viele Krankenmeldungen wegen Krätze,
Krebs, Scharlach, Unterschenkelgeschwüre und Hautkrankheiten.
Ferner dauern die Erkrankungen der Unverheirateten im ganzen
vielleicht eine Kleinigkeit kürzer als die der Verheirateten, nämlich
19 Tage gegen 20. Infolgedessen und wegen der geringeren Anzahl
der Krankenmeldungen fallen weniger Krankentage auf den Un¬
verheirateten als auf den Verheirateten, nämlich 6 gegen 7.
Zur Beleuchtung dieser Statistik findet sich meines Wissens
keine entsprechende Krankenkassenstatistik in der Literatur. Eine
bayrische und eine preussische Statistik geben an, dass bei un¬
verheirateten Männern häufiger Geisteskrankheiten Vorkommen als
bei verheirateten 1 ). In dieser Beziehung befindet die „Alterstrost“-
Statistik sich also in guter Übereinstimmung mit diesen Statistiken.
1) H. Westergaard, Die Lehre von der Mortalität und Morbilität.
1901, S. 233. — Prinzing, Handbuch der med. Stat. 1906, S. 182. 184.
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UNIVERSUM OF IOWA
334
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Dagegen findet Prinzing (H. Westergaard, I. e. S. 233, und
Prinzing, 1. c. S. 430), dass tödliche Unfälle häufiger bei un¬
verheirateten als bei verheirateten Männern ein treten. Nach Prinzing
und Weinberg 1 ) bewirkt die Lungentuberkulose grössere Mor¬
talität bei unverheirateten als bei verheirateten Männern, vielleicht
die allerhöchsten Altersklassen ausgenommen. Auch dies stimmt
mit den Verhältnissen in „Alterstrost“. Nach Prinzing sterben in
den preussischen Irrenanstalten mehr unverheiratete als verheiratete
Männer am Delirium tremens (Handbuch S. 184) im Alter von
30—Gü Jahren, dagegen weniger im Alter von 20—30 Jahren, was
mit den Verhältnissen in „Alterstrost“ im Einklang steht. Die
Mortalitätsstatistiken 2 ) widersprechen meiner allgemeinen Mortalität,
indem die meiner Unverheirateten, auch ohne die Unfälle, ja niedriger
ist als die meiner Verheirateten.
Nach der Tafel 2 steigt der Wochenlohn der Verheirateten
bis zum Alter von 30—35 Jahren, worauf er bis ans Lebensende
sinkt, und zwar mit einem Sprung im 50.—55. Jahre. Der
Wochenlohn der Unverheirateten steigt bis zum Alter von 25—30
Jahren, worauf er bis ans Lebensende sinkt, ebenfalls mit einem
Sprung im 40.—45. Jahre. In allen Altersklassen ist der Wocheu-
lohn der Unverheirateten geringer als der der Verheirateten, und
ihr Lohnmaximum liegt also um eine fünfjährige Periode vor dem
der Verheirateten, so dass es mit ihnen also früher abwärts geht
als mit den Verheirateten.
Nach der Tafel 2 steigt die Arbeitslosigkeit der Verheirateten
sowohl als der Unverheirateten mit dem Alter, und die der letzteren
ist grösser als die der ersteren.
Die Tafel 3 zeigt, wie die Wohnungen der Verheirateten bis
zum Alter von 40—45 Jahren an Grösse zunehmen, darauf aber mit
einem, dem sekundären Gipfel des Wochenlohns entsprechenden
Sprunge im Alter von 50—55 Jahren abnebmen. Die Wohnungen
der Unverheirateten fangen schon vor den Zwanzigern an abzunehmen
und sind in allen Altersklassen kleiner als die der Verheirateten.
Im Alter von 15—20 Jahren haben die Unverheirateten ebensoviele
Zimmer wie die Verheirateten im Alter von 50—55 Jahren.
Wie die Tafel 3 erweist, steigt die Wohnungsdichtigkeit der
Verheirateten bis zum Alter von 45—50 Jahren, worauf sie sinkt.
Die Wohnungsdichtigkeit der Unverheirateten nimmt schon von den
zwanziger Jahren ab. Anfangs der Zwanziger haben die Un¬
verheirateten eine grössere Wohnungsdichtigkeit als die Verheirateten,
1 ) Centralbl. f. allg. Ges. 1906, S. 88. — Prinzing« Handb. S. 428.
2 ) Statistisk Bureau« Aarhundredes-Oversigt S. 137. — H. Wester-
gaards Handbuch S. 226. — Prinzing« Handbuch S. 426.
Gck igle
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UNIVERSITÄT OF IOWA
335
später eine geringere. Im Alter von 15—20 Jahren haben die
Unverheirateten eine ebenso grosse Wohnnngsdichtigkeit wie die
Verheirateten im Alter von 40—45 Jahren.
Der geringere Wochenlohn und die grössere Arbeitslosigkeit
beruhen teils darauf, dass die Unverheirateten auf den Arbeitsplätzen
ein wenig zugunsten der Verheirateten beiseite geschoben werden,
teils und hauptsächlich aber darauf, dass die Unverheirateten nicht
so eifrig arbeiten wie die Verheirateten, oder dass sie weniger ge¬
schickt sind, oder auch auf beiden Umständen, da die Hintansetzung
in so guten Jahren, wie den von meiner Statistik umfassten, wo wohl
für alle Arbeiter genug zu tun war, keine grosse gewesen sein kann.
Die früher eintretende ökonomische Dekadenz deutet darauf hin,
dass die Unverheirateten früher erschlaffen als die Verheirateten.
Das sekundäre Steigen beruht gewiss darauf, dass es in diesem
Alter besonders viele Aufseher, Poliere u. dgl. gibt. Dieses tritt
ebenfalls früher bei den Unverheirateten ein.
Die grössere Wohnungsdichtigkeit der Unverheirateten anfangs
der zwanziger Jahre beruht darauf, dass sie in diesem Alter ge¬
wöhnlich bei ihrer Familie wohnen, und dass der Hausstand der
jungen Verheirateten während dieser Periode noch so gering ist.
Später ziehen die Unverheirateten in zunehmender Anzahl aus ihrem
Heim und wohnen dann gewöhnlich in einem einzigen Zimmer, das
sie selten mit einem Kameraden teilen. Deswegen sinkt die Grösse
ihrer Wohnung und die Bewobnungsdichtigkeit, und deshalb sind
ihre Wohnungen kleiner und ist ihre Bewohnungsdichtigkeit geringer
«ls die der Verheirateten. Im Alter von 15—20 Jahren sind ihre
Wohnungsverhältnisse so ziemlich dieselben wie die der Verheirateten
um die 45 er Jahre herum. Dies rührt sicherlich davon her, dass
die meisten Unverheirateten in jenem Alter Kinder von Mitgliedern
des „Alterstrostes“ in diesem Alter sind, die mithin unter dieser
Altererubrik behandelt wurden.
Es erweist sich also aus meinen Statistiken, dass die un¬
verheirateten Männer des „Alterstrostes“ geringere Einnahmen haben,
sowohl in körperlicher als geistiger Beziehung von geringerer
Qualität sind und ein weniger geordnetes Leben führen als die Ver¬
heirateten: Sie sind weniger reinlich, zum Teil wohl, weil es ihnen
an der erforderlichen Pflege fehlt (Beulen, Fingerentzündungen),
ihr Seelenleben ist weniger normal (Geisteskrankheiten), sie sind
weniger fleissig oder geschickt oder auch beides (Wocheulobn,
Arbeitslosigkeit), und sie erschlaffen früher (Lohnmaximum). Sie
sind körperlich schwächer und deshalb mehr zu Lungentuberkulose
und Nierenentzündung wie auch zu mehreren anderen Infektionen
(Gicbtfieber, Influenza, Lungenentzündung, Rose) disponiert, und
sie leben mehr als die Verheirateten in geschlechtlicher Promiskuität
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UNIVERSITÄT OF IOWA
336
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(venerische Krankheiten). Zwar werden die venerischen Krank¬
heiten nur angemeldet, wenn der betreffende Erkrankte im Kranken-
hanse nntergebracht wird, wozn die Verheirateten ans mehreren
GrOnden sehr ungeneigt sind, während die Unverheirateten keine der¬
artigen Rücksichten nehmen; der Unterschied scheint mir aber doch
gar zu gross zu sein, um ausschliesslich hierauf zu beruhen.
Diese Unverheirateten gehören ferner zu den besten unter den
unverheirateten männlichen Kopenhagener Arbeitern, da sie einer
Krankenkasse beigetreten sind, obschon sie keine Versorgungspflicbt
haben und weniger bemittelt sind, wodurch sie gezeigt haben, dass
sie besonders vorsorglich sind, während die verheirateten Männer
des „Alterstr ostes“, denen eine Versorgungspflicht obliegt und die
grössere Einnahmen haben, gewiss auch die mittlere Schicht ihrer
Kategorie umfassen. Verhält sich aber die oberste Schicht der
Unverheirateten in dieser Weise zu der oberen und der mittleren
Schicht der Verheirateten, so müssen sich sicherlich alle un¬
verheirateten Arbeiter in Kopenhagen auf ähnliche Weise zu allen
verheirateten Arbeitern verhalten, und zwar in verstärktem Masse.
Die zahlreicheren Krankenmeldungen der unverheirateten Mit¬
glieder des „Alterstrostes“ wegen Rheumatismus, Augenkrankheiten
und Herzkrankheiten stehen in guter Übereinstimmung mit ihren
zahlreicheren Fällen von Gichtfieber, da jene Krankheiten wohl
meistens desselben Ursprungs sind wie diese. Ihre geringere An¬
zahl von Ziegenpeter und Diphtherie passt auch ganz gut, da sie
weniger als Verheiratete mit Kindern verkehren, von denen die
Ansteckung gewöhnlich herrührt. Ihre geringere Anzahl von Fällen
der Sehnenscheidenentzündung, deren Hauptmasse Tenosynovitis
crepitans ist, mag wohl daher stammen, dass sie nicht so fleissig
sind und nicht so rüstig anfassen. Dass Unfälle weniger Kranken¬
meldungen der Unverheirateten bewirken, stimmt gut damit überein,
dass sie häufiger arbeitslos sind und deshalb seltener Arbeitsläsionen
erleiden, da es kaum darauf beruhen kann, dass sie mehr Auf¬
merksamkeit erweisen, und die zahlreicheren Todesfälle nach Un¬
fällen bei Prinzing Hessen sich dann dadurch erklären, dass ihre
Unfälle schwererer Art wären, weil sie ein weniger klares Gehirn
und geringere Kräfte hätten, wenn sie denn nicht von einer grösseren
Beimischung von Selbstmorden herrühren, die bei unverheirateten
Männern ja häufiger sind. Ihre geringere Anzahl von Kranken¬
meldungen wegen Podagra und Nierenstein steht in gutem Einklang
mit ihren kleineren Einnahmen, deren Folge weniger Fleischnahrung
ist. Überhaupt können die weniger zahlreichen Krankenmeldungen
der Unverheirateten sehr wohl ausschliesslich darauf beruhen, dass
sie ärmer sind als die Verheirateten, weshalb sie sich weniger hoch
versichern und deshalb geringere Neigung haben, sich krank zu
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
337
melden, so dass ihre wirkliche Morbilität die der Verheirateten er¬
reichte oder überstiege, was mit den Mortalitätsstatistiken in Über¬
einstimmung stehen würde. Ihre kürzeren Krankenmeldnngen könnten
ebenfalls darauf beruhen, dass sie weniger gesichert wären und
deshalb auf schnellere Entlassung drängen, so dass ihre Erkrankungen
ebenso ernstlich oder vielmehr noch ernstlicher sind als die der
Verheirateten, was ihre spezielle Morbilität auch andeutet und was
ebenfalls die grössere Mortalität der Unverheirateten zu erklären
vermöchte. Die unverheirateten Mitglieder des „Alterstrostes“ haben
nämlich ein besonderes Übergewicht, was die mehr tödlichen Krank¬
heiten betrifft. Alle diese Krankheitsverhältnisse müssen sich daher
auch in gesteigertem Grade bei allen unverheirateten männlichen
Arbeitern Kopenhagens finden, wenn meine Zahlen keine zufälligen
sind. Für die geringere Anzahl von Fällen von Brustkatarrh, Angina,
Magenkatarrh, Darmkatarrh, Blinddarmentzündung, Ischias, Al-
koholismus, Gelenkentzündung und Gelenkwassersucht vermag ich
keinen annehmbaren Grund zu finden.
Schliesslich mache ich darauf aufmerksam, dass unverheiratete
Männer in einer Krankenversicherung wie „Alterstrost“ einträglichere,
in einer Begräbniskasse aber weniger einträgliche Mitglieder sind
als verheiratete, und dass man in Mortalitäts- und Morbilitätsstatistiken
den Zivilstand mit in Anschlag bringen muss.
Nach der Tafel 4 haben die verheirateten uichtgelcrnten
Männer im ganzen 9—12 °/ 0 Krankenmeldungen mehr als die ge¬
lernten, und ohne die Unfälle 3—ö°/ 0 mehr. Die Krankenmeldungen
steigen in beiden Gruppen mit dem Alter, und zwar um 6 bzw. 4°/ 0 .
Die Dauer für die Krankenmeldungen der Nichtgelernten ist um
ein geringes kürzer als für die Krankenmeldungen der Gelernten,
die Krankentage pro Mitglied um 1—3 mehr. Die verheirateten
Nichtgelernten zeigen in beiden zwanzigjährigen Altersklassen eine
grössere Anzahl neuer Fälle von Lungentuberkulose und zahlreichere
Krankenmeldungen mit Bezug auf alle Unfälle, Influenza, Gichtfieber,
Brustkatarrh, andre Brustkrankheiten, Magenkatarrh, Darmkatarrh,
Fingerentzündung, Rheumatismus, Sehnenscheidenentzündung und Ge¬
lenkwassersucht als die Gelernten. Sie haben nicht so viele neue Fälle
von Krebs, und venerische Krankheiten, Magengeschwüre, Lymph-
angitis, Augenkrankheiten, andre Nervenkrankheiten und Podagra
veranlassen weniger Krankenmeldungen. Sie liefern gewiss fast
ebensoviele Krankenmeldungen wie die verheirateten Gelernten mit
Bezug auf Rose, andre Infektionskrankheiten, Krätze, Sarkom,
Lungenentzündung, andre Unterleibskrankheiten, Phlebitis, Haut¬
krankheiten, Herzkrankheiten, Geisteskrankheiten, andre Hamwege-
krankheiten, Nierenstein und Gelenkentzündung. Sammelt man die
Altersklassen 20—50 zu einer 30 Jahre umfassenden Gruppe mit
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Original fru-m
UNIVERSITÄT OF IOWA
338
4242 Nichtgelernten und 3249 Gelernten, so zeigen die verheirateten
Nichtgelernten eine grössere Anzahl Krankenmeldungeu wegen
Ischias (9°/ 00 gegen 7°/ 00 ), Nierenentzündung (4 gegen 1), Phlegmone
(5 gegen 3) und Unterschenkelgeschwüre (4 gegen 1), eine geringere
dagegen wegen Angina (15°/ 00 gegen 17°/ ü0 ), Blinddarmentzündung
(0 gegen 3), Alkoholismus (5 gegen 6), andrer Genitalkrankheiten
(0,5 gegen 1,2) und Beulen (6 gegen 9).
Nach der Tafel 5 steigt der Wochenlohn der verheirateten
Nichtgelernten bis zum Alter von 30—35 Jahren, worauf er sinkt,
wogegen der Wochenlohn der verheirateten Gelernten bis zum Alter
von 35—40 Jahren steigt und darauf sinkt, vielleicht mit einem
Sprung im Alter von 50—55 Jahren. Der Wochenlohn der ver¬
heirateten Nichtgelernten ist in allen Altersklassen niedriger als der
der entsprechenden Gelernten.
Die Tafel 6 zeigt, dass die Arbeitslosigkeit der verheirateten
Nichtgelernten mit dem Alter anwächst, wogegen die Arbeits¬
losigkeit der verheirateten Gelernten bis zum Alter von 45—50
Jahren sinkt und darauf steigt. Die Arbeitslosigkeit der ver¬
heirateten Nichtgelernten ist wenigstens vom 35—40jährigen Alter
an grösser als die der verheirateten Gelernten. Vor dieser Periode
sind die Verhältnisse unklar.
Tafel 6.
Arbeitslosig¬
keit
1
20-25-
1
,30-
1
35—
,40-
45-
50-
55-
60—
durch¬
schnitt¬
lich
An¬
zahl
Verheiratete
I
Nichtgelernte
9 14
11
19
21
27
25
31
—
18
1185
Verheiratete
1
Gelernte
14 11
1
12
1
10
9
5
6
1
24
—
10
595
Tafel 7.
20-
25-
30-
35-
40-145-150- 55-
60-
ii-S An-
Ü = |zahl
® * 1
Verheiratete
Zimmer
pr.Woh-
Nichtgelernte
1,88
2,01
2,08
2,06
2,091 2,04 2.15 1,98
2,1 1152
nuug
Verheiratete
Gelernte
1,96
2,04
2,11
2,17
2,19 2,32 2,31, 2,1
—
,2,1 603
Erwach¬
Verheiratete ■
sene und
Nichtgelernte
1,5
1,6
2,0
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—
2,11 1152
Kinder i
Verheiratete
1 1 1
p.Zimmer
Gelernte
1,6
1,5
1,9
2,0
2,19 2,14 1,6 —
1,90 603
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Wie die Tafel 7 erweist, haben in allen Altersklassen die ver¬
heirateten Nichtgelernten weniger Zimmer pr. Wohnung als die
verheirateten Gelernten, dagegen, die 20—25jährige Altersklasse
ausgenommen, was doch gewiss von Zufälligkeiten abhängig ist,
grössere Wohnungsdichtigkeit. Die Grösse der Wohnungen steigt
bei den verheirateten Nichtgelernten bis zum Alter von 40—45 Jahren,
bei den verheirateten Gelernten aber bis zum Alter von 45—50 Jahren,
worauf sie abnimmt. Dagegen steigt die Wohnungsdichtigkeit bei
den verheirateten Nichtgelernten bis zum Alter von 45—50 Jahren,
während sie bei den verheirateten Gelernten nur bis zum Alter von
40 — 45 Jahren steigt, um darauf abzunehmen.
Nach Tafel 8 haben die verheirateten Nichtgelernten eine
grössere Anzahl im Heim befindlicher Kinder als die verheirateten
Gelernten, den Anfang und das Ende der Periode ausgenommen,
was sicherlich auf Zufälligkeiten beruht, und dieselbe Anzahl Er¬
wachsener bis zum Alter von 40—45 Jahren, darauf aber eine geringere.
Tafel 8.
20—
25-
30-
35—
40-
45—
50-
65-
60—
durch¬
schnitt¬
lich
An¬
zahl
Anzahl
Verheiratete
Nichtgelernte
0.6
1,3
2,0
2,5
2,6
2,4
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2,0
1247
Kinder
Verheiratete
Gelernte
1.0
1,2
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2,3
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—
—
1,8
608
Anzahl
der
Verheiratete
Nichtgelernte
| 2,1
2,0
2,1
2,1
2,3
*2,80
2,79
2,3
1247
Erwach¬
senen
Verheiratete
Gelernte
2,1
2.0
9 9 I
2,1
2,3
2,9
3,0
—
2,3
608
Die verheirateten nichtgelernten Männer des „Alterstrostes“
haben also einen geringeren Lohn als die entsprechenden gelernten,
ihre ökonomische Dekadenz beginnt früher, und in ihren älteren
Jahren unterbleibt der kleine Aufschwung, der bei den Gelernten
einzutreten scheint, indem sie Stellungen als Aufseher, Werkmeister
n. dgl. erhalten. Die Arbeitslosigkeit der Nichtgelernten nimmt
mit dem Alter zu. Hier werden also die Jungen und Starken den
Älteren und Muskelschwachen vorgezogen. Die Arbeitslosigkeit der
Gelernten nimmt bis zum Alter von 45—50 Jahren ab und steigt
dann. Die jungen Gesellen werden zugunsten der älteren beiseite
geschoben, zum Teil aus humanen Gründen, weil sie keine Kinder
haben, zum Teil aber wohl auch wegen ihrer geringeren technischen
Geschicklichkeit. Hei den Gelernten fängt die Altersschwäche erst
spät an sich geltend zu machen. Die Nichtgelernten haben durch-
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Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
340
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weg eiDe grössere Anzahl Kinder unter 15 Jahren im Heim als die
Gelernten, obschon die letzteren ökonomisch bessergestellt sind und
obschon ihre Kindersterblichkeit nicht bedeutender ist und ihr
Trauungsalter gewiss so ziemlich mit dem der Nichtgelernten ttber-
einstimmt. Es müssen also von den Nichtgelernten mehr Kinder
erzeugt werden, was ihren Mangel an Vorsorge erkennen lässt
Die Nichtgelernten haben ebenso viele Erwachsene als die Gelernten
bis zum Alter von 45—50 Jahren, später aber weniger. Dies be¬
ruht darauf, dass die im Heim befindlichen grossen Kinder, die
vom 15. Jahre an als Erwachsene gerechnet werden, gegen Ende
der Periode weniger zahlreich sind. Die Nichtgelemten werfen die
Kinder also früher aus dem Neste als die Gelernten. Die Wohnungen
der Nichtgelernten sind kleiner und ihre Bewohnungsdichtigkeit
durchweg grösser als die der Gelernten. Sie wohnen in dieser
Beziehung mithin schlechter. Zugleich sind ihre Wohnungen ge¬
wiss aber auch in anderen Beziehungen schlechter, da die Nicht¬
gelernten wegen ihrer geringeren Einnahme gewiss gezwungen sind,
um Geld zu sparen, die schlechteren Stadtviertel und Häuser, Neben¬
gebäude, Hintergebäude und Keller aufzusuchen.
Die Nichtgelernten sind gewiss weniger gesichert und haben
infolgedessen weniger Neigung, sich krank zu melden, und grössere
Neigung, sich wieder gesund zu melden, als die Gelernten. Ihre
wirkliche allgemeine Morbilität ist deshalb sicherlich grösser und
ihre Krankheiten in der Tat längerdauernd, als die Zahlen zeigen.
Die allgemeine wirkliche Morbilität der verheirateten Nichtgelernten
ist also um nicht so gar wenig grösser als die der entsprechenden
Geleimten, und das Alter greift sie stärker an, denn ihre Kranken-
kassenmorbilität nimmt mit dem Alter stärker zu. Ferner sind ihre
Krankheiten gewiss ernstlicher als die der Gelernten. Ihre mög¬
licherweise geringere Anzahl von Krankenmeldungen wegen Podagra
lässt sich aus ihrem geringeren Lohne und ihrer daraus resultierenden
geringeren Fleischkost erklären; ihre weniger zahlreichen Kranken¬
anmeldungen wegen venerischer Krankheiten aus ihrer schwächeren
Konstitution, ihre weniger zahlreichen Meldungen wegen Augenleiden
aus den weniger zahlreichen Läsionen des Auges, die z. B. bei
Eisenarbeitern sehr häufig sind, ihre weniger zahlreichen Fälle von
Krebs vielleicht aus ihren geringeren Einnahmen, so wie es sich
in mehreren Krebsstatistiken, allerdings ohne Einteilung in Alters¬
klassen, erweist, ihre weniger zahlreichen Meldungen wegen Magen¬
geschwür und anderer Nervenkrankheiten aus ihrem geringeren
Alkobolismus. Ihre zahlreichen Krankenmeldungen wegen Sehnen¬
scheidenentzündungen deuten an, dass sie hart arbeiten müssen, ihre
zahlreicheren Meldungen wegen katarrhalischer Erkrankungen darauf,
dass sie Erkältungen sehr ausgesetzt und dass sie schwächer sind.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
341
Ihre zahlreicheren Fälle ron Lungentuberkulose und ihre zahl¬
reicheren Meldungen wegen Gichtfieber, Rheumatismus, Influenza,
Ischias, Nierenentzündung, Phlegmone, Fingerentzündung, Unter-
schenkelgeschwttr, Gelenkwassersucht, anderer Brustkrankheiten,
Magenkatarrh und Darmkatarrh, ihre grössere und ernstlichere all¬
gemeine Kränklichkeit lassen sich aus ihrer grösseren Armut,
schlechterer Hygiene, Überanstrengung und Erkältungen erklären,
obschon sie nur ebensowenig oder sogar nur weniger Alkoholismus
haben. Für ihre geringere Anzahl von Krankenmeldungen wegen
Blinddarmentzündungen, Beulen, Angina und Lymphangitis vermag
ich keinen plausiblen Grund zu finden.
Ihre zahlreicheren Unfälle trotz ihres möglicherweise geringeren
Alkoholismus und ihrer durchweg grösseren Arbeitslosigkeit müssen
zum Teil auf der Beschaffenheit ihrer Arbeit und auf Überanstrengung
beruhen.
Da die verheirateten nichtgelernten Männer des „Alterstrostes“
sicherlich einer Schicht angehören, die unter den verheirateten
Nichtgelernten Kopenhagens höher steht als die verheirateten Ge¬
lernten des „Alterstrostes“ unter den verheirateten Gelernten Kopen¬
hagens, indem die Oberklassen der letzteren sich gewiss stark ver¬
pflichtet fühlen, ihren eignen Fachkrankenkassen anzugehören, so
verhalten Bich mithin alle verheirateten Nichtgelernten Kopenhagens
in derselben Weise zu allen verheirateten Gelernten dieser Stadt,
und zwar in verstärktem Grade, wenn die Zusammensetzung nach
Gewerben die nämliche ist.
Was den Alkoholismus betrifft, so ist es nicht unmöglich, dass-
die verheirateten Nichtgelernten des „Alterstrostes“ weniger Al¬
koholismus darbieten als die Gelernten, da sie, wie gesagt, einer
verhältnismässig höheren Schicht ihrer Klasse angehören. Eine
höhere Schicht eines Standes trinkt, ceteris paribus, gewiss weniger
als eine niedere Schicht eines andren Standes, da sie sonst wohl
kaum so hoch gelangt wäre. Alle verheirateten Nichtgelernten
Kopenhagens trinken somit ebenso viel oder mehr als alle ver¬
heirateten Gelernten Kopenhagens.
Die unverheirateten Nicbtgelernten und Gelernten des „Alters¬
trostes“ habe ich ebenso wie die entsprechenden Verheirateten sowohl
in pathologischer als in sozialer Beziehung in zwei Gruppen gesondert
behandelt. Die absoluten Zahlen überheben mich indes des näheren
Eingehens auf diese Untersuchungen und der Veröffentlichung dieser
Tafeln. (Im Alter von 20—40 Jahren ist die Anzahl der un¬
verheirateten Nichtgelernten 549, die der verheirateten Gelernten
930.) Was die Morbilität betrifft, kann ich doch nicht umhin, zu
bemerken, dass diese unverheirateten 20—40jährigen Nichtgelernten
im ganzen mehr (34°/ 00 ) Krankenmeldungen zeigen, auch ohne die
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342
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Unfälle (9°/ 00 ), and dass die sämtlichen Krankentage pro Mitglied
(3,5), die neuen Fälle von Lungentuberkulose (1,9 °/ 00 ), die Kranken¬
meldungen wegen Unfälle (25), Influenza (5), Gichtfieber (4,1),
Brustkatarrh (12), Magenkatarrh (1,2), Darmkatarrh (13,4), Rheu¬
matismus (12,0), Sehnenscheidenentzündung (3,6), Nierenentzündung
(1,4), Unterschenkelgeschwür (1,8) eine höhere Anzahl, die Kranken¬
meldungen wegen venerischer Krankheiten (0,8), Augenkrankheiten
(15,1), Angina (15,0), Blinddarmentzündung (3,2), Alkoholismus (1,1)
und andrer Genitalkrankheiten (1,4 °/ 00 ) eine geringere Anzahl als
bei den entsprechenden Gelernten erreichen, ganz wie die ver¬
heirateten Nichtgelernten. Andre Genitalkrankheiten umfassen
sicherlich mehrere venerische Krankheiten, was also ebenfalls an¬
deutet, dass derartige Krankheiten bei den Nichtgelernten weniger
häufig sind als bei den Gelernten. Dagegen erweisen diese un¬
verheirateten Nichtgelernten z. B. ebenso wenige Fälle von Krebs
und ebenso wenige Krankenmeldungen wegen Podagra wie die ent¬
sprechenden Gelernten, aber weniger Krankenmeldungen wegen
Nierensteins.
Gck igle
Original from
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Zu welcher Jahreszeit sollen wir impfen?
Von
Or. Walther Kaupe, Kinderarzt in Bonn.
Der Paragraph 6 des Reichsimpfgesetzes vom 8. April 1874
(R.G.S. Seite 31) bestimmt:
»)••••.
der Impfarzt nimmt in der Zeit von Anfang Mai bis Ende
September jeden Jahres an den vorher bekannt zu machenden
Orten und Tagen für die Bewohner des Impfbezirks Impfungen
unentgeltlich vor.“
Wenn nun auch in § 1 der „Vorschriften, welche von den
Ärzten bei der Ausführung des Impfgeschäfts zu befolgen sind“
(Roth-Leppmann, „Der Kreisarzt“, 1901, Seite 444) gesagt wird:
„Es empfiehlt sich, öffentliche Impfungen während der Zeit der
grössten Sommerhitze (Juli und August) zu vermeiden“, so ist dennoch
Tatsache, dass in den bei uns heissen Sommermonaten Mai bis
September die öffentlichen Impfungen und als Folge davon auch
die Mehrzahl der Privatimpfungen vorgenommen werden.
Damit ist nun aber die ungünstigste Zeit gewählt, die man
überhaupt für dieses Geschäft in Anspruch nehmen kann. Ab¬
gesehen davon, dass z. B. in ländlichen Impfbezirken die Arbeits¬
kraft und damit die Zeit der als Begleitpersonen der Impflinge in
Frage kommenden Elt ein und älteren Verwandten am stärksten in
Anspruch genommen sind, sprechen vor allem allgemein-hygienische
Rücksichten unbedingt gegen die Wahl dieser Termine.
Bei Erstimpflingen, die ja oft noch im Säuglingsalter stehen,
häufen sich gerade in dieser Zeit die Magen-Darmerkrankungen.
Infolge der durch die Hitze bedingten, vermehrten Schweisse neigen
sie auch mehr zu Hautaffektionen, die an und für sich vielfach schon
die Vornahme der Impfung verbieten, die aber, wenn letztere erfolgt»
dadurch verschlimmert werden können. Dazu kommt — und das gilt
auch für die älteren Wiederimpflinge —, dass in der Zeit nach der
Impfung das Baden meist unterbleibt, wodurch den Kindern und
eventuell auch deren Umgebung bei der in den genannten Monaten
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344
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herrschenden Hitze oft ein nicht unbeträchtlicher Schaden zu-
getilgt wird.
Warum sollen wir zum Beispiel einen Säugling, der gerade
jetzt der Gefahr einer Verdauungsstörung stündlich ausgesetzt ist,
auch noch der Vergrösserung dieser Gefahr durch Vornahme der an
und für sich ja unschädlichen, immerhin aber das Befinden oft be¬
einträchtigenden Impfung aussetzen?!
Der Hinweis auf diese wenigen Begleitumstände der Sommer¬
impfung, deren Zahl man noch sehr vermehren kann, möge hier
genügen.
Jedenfalls ist kein Grund einzusehen, weshalb offiziell die
Vornahmeder öffentlichen Impfungen (und damit auch die der
privaten) für die Sommermonate angeordnet wird. Ohne Nachteil
würde sehr wohl vorgeschrieben werden können, andere Termine
zu wählen, etwa Februar bis Anfang Mai und Ende September bis
Dezember.
Sollte dem entgegengehalten werden, dass sich in diesen Ter¬
minen die Erkrankungen der Atmungsorgane häuften, so sind diese
weit geringer zu bewerten als die des Verdauungsapparats, und
weiterhin könnte man ja von den vorgeschlagenen Monaten auch
diejenigen wählen, in denen erfahrungsgemäss die Respirations¬
erkrankungen am seltensten auftreten. Allenfalls könnte man dann
auch gegen die Vornahme der öffentlichen Impfungen im Dezember
noch einwenden, dass die Behörde dann nicht, wie vorgeschrieben,
seitens der impfenden Ärzte die Impflisten bis Ende Dezember er¬
warten könne. Nun, dann möge man den Dezember einfach bei
der Anordnung nicht in Betracht ziehen.
Jedenfalls glaube ich, dass gegen die Wahl der Monate Mai
bis September ziemlich alles, gegen die andern fast nichts oder nur
sehr wenig spricht.
Gck igle
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Zichorie.
Von
Dr. H. Zellner-Wilmersdorf.
Im 1. Hefte des laufenden Jahrgangs dieser Zeitschrift habe
ich eine Studie über Zichorie veröffentlicht auf Grundlage der über
dieses Eaffeesurrogat vorhandenen Literatur. Ich berichtete über
Gesundheitschädigungen durch Zichorie und über Verfälschungen
aller Art, welche mit ihr vorgenommen werden. Im Verfolg meiner
Studie übersendet mir nun ein Zichorienfabrikant eine grosse Zahl
Gutachten von Ärzten und Chemikern (darunter Autoritäten), welche
in einem noch schwebenden Prozess erstattet wurden. Sämtliche
Gutachten laufen darauf hinaus, dass die Zichorie absolut un¬
schädlich sei. Keines dieser Gutachten ist bisher publiziert wor¬
den und ich konnte es deshalb unmöglich für meine Arbeit ver¬
werten. Es ist anzunehmen, dass im schwebenden Prozess die
Gegenpartei versuchen wird, diese Gutachten anzufechten. Nach
Erledigung des Prozesses werde ich an dieser Stelle Gutachten und
Gegengutachten kritisch zusammenzufassen suchen. Schon jetzt
aber bin ich der Meinung, dass die bisher über Zichorie vorhandene
Literatur, soweit sie Gesundheitschädigungen betrifft, erschüttert
ist Ich bitte diejenigen Zeitungen und Zeitschriften, welche meine
Studie ganz oder teilweise abgedruckt haben, von dieser heutigen
Mitteilung Notiz zu nehmen.
Was die Verfälschungen anbetrifft, so wurde mir von Ziehorien-
fabrikanten, welche den Markt beherrschen, Gelegenheit gegeben,
Einblick in die Fabrikation zu nehmen. Ich stehe nicht an zu er¬
klären, dass die ganze Art der Herstellung einen so grossartigen
und peinlich gewissenhaften Eindruck macht, dass Verfälschungs¬
versuche beinahe absurd eischeinen. Sollten Verfälschungen noch
von kleineren Fabrikanten vorgenommen werden, so ist doch die
grosse Masse der heute im Handel befindlichen Zichorie ein reines
und einheitliches Produkt — und die Literatur dahingehend zu be¬
richtigen. Auch hiervon bitte ich die Zeitungen Notiz zu nehmen.
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Berichte von Versammlungen.
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Am 11. und 12. Mai fand in Berlin unter grosser Beteiligung
aus allen Teilen Deutschlands (es waren über 400 Anmeldungen
erfolgt) die zweite Konferenz der Zentralstelle für Volkswohlfahrt
statt. Verhandlungsgegenstand bildete: „Die Förderung und
Ausgestaltung der haus wirtschaftlich en Unter wei sung.“
Die Beschränkung auf einen Gegenstand im Gegensatz zu der viel¬
seitigen Tagesordnung der ersten Konferenz hat sich als sehr vor¬
teilhaft erwiesen und wird daher wohl auch in Zukunft bevorzugt
werden. Frau Kommerzienrat Hey 1-Berlin sprach als erste Referentin
über: „Die allgemeine Bedeutung der hauswirtschaftlichen Bildung“
und stellte folgende Leitsätze auf:
1. Die wichtige Aufgabe der hauswirtschaftlichen Bildung liegt
in der Tragweite, die sie für das Wesen der Frau überhaupt
hat, für ihren Charakter und ihre Geistesentwicklung, für die Ent¬
wicklung des Körpers und der ganzen Persönlichkeit, für ihre
Tüchtigkeit, Freiheit und Fortentwicklung.
2. Eine gute Hauswirtschaft hebt das Familienleben, gibt dem
Manne Halt, Lebensreiz und Gegengewicht gegen die Berufs
arbeit und erhält durch Abhaltung von schädlichen Einflüssen
seine Kraft und Gesundheit.
3. Eine gute Hauswirtschaft bietet den Nährboden für die ver¬
nünftige Aufzucht der Säuglinge und Erziehung der Kinder
und ist als solche gar nicht zu entbehren, weil sie die moralischen,
praktischen und sittlichen wie wirtschaftlichen Fähigkeiten
der Kinder entwickeln hilft.
4. Für jede in der Hauswirtschaft dienende Persönlichkeit ist es
von enormer Tragweite, welchem hauswirtschaftlichen Beispiel
und welchem Einfluss sie unterliegt. Die Dienstbotennot hat
zwei Missstände: Unvorgebildetheit zum Berufe seitens der
Dienstmädchen und für die Fortbildung des Personals untaug¬
liche Hausfrauen.
5. Auch die einem Berufe nachgehende Frau kann der Haus¬
wirtschaft nicht entraten, wird im Gegenteile jedem anderen
Beruf eine besondere Nüance dadurch geben können.
Gck igle
Original frnm
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347
6. Die Frau, die ihr Leben sozialer oder cbaritativer Arbeit
widmet, hat ganz besonders die Hauswirtschaft als Grundlage
für dieses Wirken zu betrachten.
7. Keine organisatorische Arbeit für Gemeinnützigkeit oder pro¬
pagandistische Zwecke ist für die Frau ohne hauswirtschaft¬
liche Bildung denkbar.
Professor Dr. Rubner führte in seinem sich unmittelbar
anschliessenden und an dieser Stelle wohl das grösste Interesse
beanspruchenden Referat über „Haushaltung und Volksgesundheit“
im wesentlichen als Leitsätze nachstehendes aus:
Die Beziehungen des Haushalts zur Volksgesundheit fallen
zum grossen Teil mit der Bedeutung des Familienlebens
für die Volksgesundheit zusammen. Die Frau ist in erster
Linie dazu bestimmt, die Seele des Haushalts zu sein. Unsere
gegenwärtigen Verhältnisse kranken daran, dass, vielfach die
Führung des Haushalts als etwas Minderwertiges angesehen
wird; so treten die Frauen aller Klassen in die Ehe, ohne im
geringsten darauf vorbereitet zu sein. Die Folgen der mangel¬
haften Ausbildung zeigen sich besonders schwerwiegend bei
den Minderbemittelten. Die Hausbaltführung muss man ganz im
Gegensatz zur geltenden schiefen Auffassung als einen wich¬
tigen LebenBberuf anseben; die dazu nötigen Kenntnisse
sind der Frau nicht angeboren, sondern müssen ihr aner¬
zogen werden. Auch die hygienische Überlegung der Ange¬
legenheit führt zur Auffassung, dass der Haushaltungs¬
unterricht im Zusammenhang mit der Volksschule und mit
den Mittelschulen unentbehrlich ist, auch für bereits im
Leben stehende Frauen muss gesorgt werden. Bei einem solchen
Unterricht handelt es sich aber nicht allein um blosses technisches
Können. Der Unterricht muss auf eine breitere Basis gestellt
und die Frau in die Lage versetzt werden, ihre Aufgabe im
Haushalt nach jeder Richtung zu erfüllen. Die Pflichten eines
geordneten Haushalts können ohne einen Fonds an hygienischem
Wissen nicht erfüllt werden. Die Frau kann Kenntnisse in
der Krankenpflege, Säuglingspflege, eine Anleitung zur Ver¬
meidung ansteckender Krankheiten nicht entbehren, vor allem
aber muss die ganze Lebenshaltung sich auf hygienisches
Denken stützen. Die Hygiene will körperlich und geistig
gesunde Menschen schaffen, und dieser hygienische Ge¬
danke kommt in allen Teilen des Haushalts zum Durchbruch,
in der Wohnungspflege, der Bekleidungsfrage, der Ernährung
und Kochkunst, bei der Kindererziehung, bei Lüftung, Heizung,
Beleuchtung und Dutzenden von anderen Fragen. Die Hygiene
Centralblatt f. »]lg. Gesundheitspflege. XXVII. J»brg. 24
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ist ausserdem eine Wissenschaft, die den Minderbemittelten
nützt; denn sie hat nicht allein zu sagen, was zum Leben
gut tut, sondern zu lehren, wie man mit den geringsten
Mitteln und am ökonomischsten die Ziele erreicht.
Es wird nicht ganz leicht sein, für die Hausbaltungsschulen
die ausreichenden Kräfte zu finden, aber diese Schwierigkeit
lässt sich bald überwinden, und wir dürfen sicher sein, bald
die bisherigen Analphabeten des Haushalts sich
verringern zu sehen.
Wenn ein Haushalt ein geordneter sein soll und seine ge¬
sundheitliche Aufgabe erfüllen soll, muss er natürlich so ge¬
leitet werden, dass für erstere die entsprechenden Geld¬
mittel verfügbar sind, vor allem für Kleidung, Ernährung,
Wohnung. Die wichtige Einteilung des Budgets entscheidet
auch über die Gesundheit im Hause.
Die Frau soll wissen, auf welche gesundheitlichen Dinge
es bei der Wohnung ankommt, sie entscheidet mit der
Wohnungswahl meist auch über das Gedeihen eines fa¬
miliären Lebens. Von der richtigen Wohnung hängt das
Wohlbefinden der Familie im höchsten Masse ab; manche
schwere Krankheit, wie Tuberkulose, findet ihren Ausgangs¬
punkt in der schlechten Wohnung. Sehr oft ist der Hausrat
unzweckmässig, weil, begünstigt durch das Abzahlungsgeschäft,
ganz unnötiger Kram angeschafft wird, indes es am Nötigen
fehlt. Der Haushalt bedarf als wichtigstes hygienisches
Leitmotiv für jung und alt der Reinlichkeit — Rein¬
lichkeit des Körpers, des Bodens, der Luft, der Wäsche, der
Kleidung, des Mobiliars — und der Körperpflege durch
Abhärtung. Zu Fragen der Bekleidung, der Oekonomie,
der Heizung und Beleuchtung erhält die Frau seitens der
Hygiene manchen wichtigen und rationellen Fingerzeig. Zur
Erhaltung der Gesundheit gehört vor allem die richtige
Ernährung. Zahlreiche Krankheiten sind Folgen einer un¬
genügenden oder unzweckmässigen Nahrungszufuhr. Verdorbene
Speisen und Esswaren bedrohen das Leben. Die Anschauungen
über den Wert einzelner Nahrungsmittel sind in weiten Kreisen
des Volkes irrige; sie sollen im Haushaltungsunterricht richtig¬
gestellt, einfache Begriffe einer Krankenkost anerzogen werden.
Die Hauskost lässt sich individuell gestalten, sie schützt vor
minderwertiger und verdorbener Ware, wenn die Frau einzu¬
kaufen versteht. Die Küche soll gute Kost bieten, damit der
Mann vor allem vom Wirtshausleben zurückgebalten wird.
Der richtige Haushalt schützt vor dem Überhandnehmen des
Alkoholismus. Die Kindersterblichkeit ist bei uns noch sehr
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gross; die Frauen haben zumeist keine richtige Kenntnis von
dem, was Ernährung und Pflege den Kleinen bieten soll.
Die Beziehungen des Haushalts zur Gesundheit sind tausend¬
fältige. Wer den Haushalt und die Familie auf einen
gesunden Boden stellt, macht das Volk gesund. Die
Erziehung der Familie wirkt Jahrzehnte nach; ist uns im Haus¬
halt vernünftige Lebenshaltung anerzogen worden, so ist dies
das beste Gut für die Zukunft. Unser Heim soll ein
schützendes Nest für die Kleinen, ein Ruheplatz für
den Mann, und die Stätte des edelsten Berufs der
Frau bleiben.
Der letzte Referent des ersten Tages, Herr Stadtschulrat
Dr. Georg Kerschensteiner - München, über: „Ausbau und
Organisation der hauswirtschaftlichen Unterweisung“, trat in fesseln¬
der und temperamentvoller Weise für seine Forderungen ein und
suchte seine Gegner schon im voraus zu entwaffnen. Seine For¬
derungen gipfelten darin, allenthalben energisch, unter Berücksich¬
tigung der bestehenden Verhältnisse und Schwierigkeiten die Ein¬
führung der Pflichtfortbildungsschule zu erstreben. Die von ihm
aufgestellten Leitsätze lauten:
1. Die Einführung in die praktische Haushaltführung muss bereits
in der Volksschule beginnen. Zu diesem Zwecke ist der ge¬
samte naturkundliche Unterricht unter grösster Beschränkung,
aber möglichster Vertiefung des Unterrichtsstoffes in Stadt-
und Landschulen auf den Boden praktischer Schülerübungen
zu stellen in Physik, Chemie, Pflanzenpflege, Gartenbau,
Schulküche.
2 . Für die gesamte der Volksschule entwachsene weibliche Jugend
ist durch Ortsstatut die Einführung obligatorischer Fortbildungs¬
schulen anzustreben, die sich auf Haushaltungskunde, weibliche
Handarbeit und Erziehungslehre beschränken.
3. In Fabrikorten mit jugendlichen weiblichen Lohnarbeiterinnen
empfiehlt sich zu dem Zwecke entweder die Einführung eines
vollen neunten Schuljahres mit wöchentlich 24 stündigem
Unterricht oder zweier^' Halbtagsschulj ah re mit wöchentlich
12 stündigem Unterricht in Verbindung mit Halbtagsschicht in
der Fabrik.
4. In Handels- und Gewerbestädten empfehlen sieh entweder die
gleichen Formen oder aber die Einführung einer dreijährigen
Pflichtfortbildungsschule mit wöchentlich mindestens 6 stündigem
hanswirt8chaftlichen Unterrichte nach dem Vorbilde der Pflicht¬
fortbildungsschule für^Knaben.
5. Auf dem Lande empfiehlt sich die Form der Winterfortbildungs-
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schule, ausgedehnt auf zwei Winter, mit 4- bis 5 monatlichem
Tagesunterrichte.
6. In allen höheren Mädchenschulen ist der naturwissenschaftliche-
Unterricht auf den Boden praktischer Schülerübungen in Physik,
Chemie und Schulküche zu stellen. Ebenso ist Erziehungs¬
lehre als obligatorisches Unterrichtsfach einzuführen.
7. So lange in Fabrikstädten die obligatorische Fortbildungsschule
in einer der bezeichneten Formen nicht zu erreichen ist, ist
für Mädchen unter 16 Jahren höchstens 8 ständige Arbeitszeit
zuzulassen mit der gleichzeitigen Verpflichtung der Mädchen
zum Besuche hauswirtschaftlichen Abendunterrichtes. Für
diesen Unterricht sind vor allem die Fabrikbetriebe selbst zu
interessieren.
8. So lange in Handelsstädten die obligatorische hauswirtschaftliche
Fortbildungsschule in einer der bezeichneten Formen nicht
erreichbar ist, sollen die Leiter der kaufmännischen Schulen
für Mädchen einzeln oder gemeinsam es sich angelegen sein
lassen, Vereinigungen der Absolventinnen ihrer Schulen zu
gründen und zu führen (Beispiel München), die in ihre Fort¬
bildungskurse auch praktischen hauswirtschaftlichen Unterricht
aufnehmen.
9. So lange auf dem Lande die obligatorische Fortbildungsschule
nicht erreichbar ist, empfiehlt sich weitgehende Unterstützung
der Wanderhaushaltungskurse.
10. Die neue Einrichtung der Landpflegerinnen ist eine in jeder
Hinsicht empfehlenswerte Einrichtung für Verbreitung haus¬
wirtschaftlicher Kenntnisse und Fertigkeiten.
Der Vorstand hatte, um den Rahmen zu erweitern, noch ver¬
schiedene Persönlichkeiten aufgefordert, zu den besagten Referaten
ergänzende Ausführungen zu machen, so u. a. Frl. Dr. Baum-
Düsseldorf, die in warmherziger Weise die Notwendigkeit der haus¬
wirtschaftlichen Ausbildung im Hinblick auf die Säuglingepflege
in den Volkskreisen weiter ausführte; Scbreiberin dieses, um die
in ihrem in der Generalversammlung des Niederrheinischen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege in Köln 1906 gehaltenen Vortrage:
„Die Pflichtfortbildungsschule des weiblichen Geschlechts in hygieni¬
scher Beziehung“ aufgestellten Leitsätze kurz zu begründen.
Der zweite Tag der Verhandlung war fast ausschliesslich
durch das Referat der Vorsteherin des Pestalozzi-Fröbelhauses,
Frl. Dora Martin, über: „Die praktische Durchführung des haus-
wirtschaftlichen Unterrichts für die schulentlassene Jugend“ aus¬
gefüllt; sie trat für nachstehende Leitsätze ein:
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1. Der hauswirtschaftliche Unterricht muss, will er die Frau in
ihren Anlagen entwickeln und sie für ihre hauswirtschaftlichen
Aufgaben vorbereiten, die geeigneten Einrichtungen, Lehrpläne,
Lehrkräfte und Lehrmittel haben.
2. Der Unterricht muss ein methodischer sein, d. h. die Arbeiten
des Hauses müssen klassengemäss, systematisch gelehrt, durch
Theorie erläutert und als Erziehungsmittel aufgefasst werden.
Die Ergebnisse der Praxis sollen nicht in erster Linie dem
Erwerbszwecke dienen. Die Belehrung und die Arbeiten
müssen dem geistigen und körperlichen Vermögen der Schüle¬
rinnen angepasst sein.
3. Dieser Unterricht muss als eine Gesamtausbildung in einer voll
ausgestalteten Haushaltungs-Fortbildungsschule erteilt werden,
die sich an die Schule anschliesst, und ein Jahr dauern. Der
Unterricht ist vor- und nachmittags zu geben. Ist keine Fort¬
bildungsschule durchzuführen, so kann der Unterricht in einer
Halbtagsschule über zwei Jahre ausgedehnt und einer allgemeinen
Fortbildungsschule angegliedert werden.
4. Für die Bewohner des Landes ist der Haushaltungsunterricht
ebenfalls anzustreben. Die Möglichkeit zur Erteilung ist ge¬
geben : durch Wanderkurse oder wertvoller durch Landpflege¬
rinnen, die für diesen Unterricht sowie für andere in ihr
Bereich gehörende Aufgaben ausgebildet sein müssen.
5. Der Haushaltungsunterricht für Mädchen gebildeter Stände hat ge¬
nau dieselbe Bedeutung wie für andere Kreise und muss zur
Forderung werden im Anschluss an die Schule, wenn die
Anlage der Frau nicht verkümmern und die Nation in ihrem
Urkerne, „die Familie“, nicht geschädigt werden soll.
6. Ein solcher Unterricht setzt eine vielseitige Ausbildung und
eine erfahrene, tüchtige Persönlichkeit voraus. Der Bildungs¬
gang dieser Haushaltungslehrerinnen muss ein praktischer, ein
theoretischer und ein pädagogischer sein, das Hauptgewicht ist
auf die praktische Ausbildung zu legen. Neben dieser muss
die Erziehungsaufgabe der Lehrerinnen das A und das O der
Ausbildung sein; denn die gesamte bauswirtschaftlicbe Aus¬
bildung ist als solche aufzufassen.
7. Die Prüfungen dieser Lehrerinnen müssen praktische Ergeb¬
nisse neben wissenschaftlichen und pädagogischen Kenntnissen
liefern. Eine Lehrprobe musB beweisen, dass die Seminaristin
eine Klasse erwachsener Mädchen theoretisch und praktisch
unterweisen kann.
8. Die Aufgaben der Methoden sind: die Arbeiten des Hauses
systematisch und klassengemäss zu lehren und sie als Erziehungs¬
mittel aufzufassen. Daher ist eine Methode zu verwerfen, die
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eine grosse Anzahl Schülerinnen eine grosse Arbeit ohne Be*
lehrnng einer unterweisenden und Aufsicht führenden Lehrerin
bewältigen lässt.
Frl. Auguste Förster-Cassel, Vorsteherin des Lehrerinnen¬
seminars, die bekannte Führerin auf dem Gebiete des hauswirt¬
schaftlichen Unterrichts, berichtete als Korreferentin in teils
humoristischer Weise über ihre reichen Erfahrungen und trat lebhaft
für die Beibehaltung und weitere Ausdehnung des hauswirtschaft¬
lichen Volksschulunterrichts ein. Die Diskussion war an beiden
Tagen trotz der vorgerückten Zeit und einer begreiflichen Ab¬
spannung eine sehr rege und ergab besonders die Nützlichkeit
der eingehenden Behandlung einer so wichtigen Frage. Wenn auch
in bezug über die Bedeutung und Notwendigkeit der hauswirtschaft¬
lichen Ausbildung eine Meinungsverschiedenheit nicht bestand, so
gingen die Ansichten in bezug auf die Möglichkeit der baldigen
Durchführung, auf die Ausdehnung und Gestaltung des Unterrichts
noch vielfach auseinander. In der sich an die Konferenz anschliessenden
Sitzung des Beirates, in welcher dasselbe Thema zur Verhandlung
kam, wurde folgender Beschluss gefasst:
„Der Beirat der Zentrale für Volkswohlfahrt ist mit dem
Ziele der obligatorischen hauswirtschaftlichen Unterweisung der
Mädchen, die in der Volksschule beginnt und in der Fortbildungs¬
schule fortgesetzt wird, einverstanden. Er überweist die weitere
Ausgestaltung dieses Grundgedankens der Fachkommission sowie
dem Vorstande mit dem Ersuchen, auf der Grundlage seiner heutigen
Verhandlungen wie derjenigen in der voraufgegangenen II. Kon¬
ferenz und auf der Grundlage bereits mannigfach erworbener Er¬
fahrungen dem Beirat in der Herbstsitzung dieses JahreB Vorschläge
für die allmähliche Durchführung dieses Grundgedankens zu machen.“
So hat die Konferenz neben den vielseitigen Anregungen und
Förderungen auch einen unmittelbaren Erfolg zu verzeichnen und
dürfte somit ihren Zweck erfüllt haben. E. von Mumm.
Zu einer Konferenz zur Fürsorge für die schulentlassene Ju¬
gend traten Abgesandte verschiedener Körperschaften am 22. und
23. Februar d. J. unter dem Vorsitz des Abgeordneten v. Schenken-
dorff in Berlin zusammen. Der Zeitpunkt hierfür war um so gün¬
stiger, als die staatlichen Behörden, die schon seit längerer Zeit
erweiterte Massnahmen für die schulentlassene Jugend in Erwägung
gezogen haben, diesen Bestrebungen jetzt grössere Geneigtheit zu¬
wenden. Die in voller Einmütigkeit gefassten Beschlüsse sind in
der Hauptsache folgende:
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1. Die Rücksicht auf die Gesunderhaltung des deutschen Volks-
Stammes wie die Bewahrung der nationalen Wehrkraft erfordert
dringend, dass die Körperpflege mit dem Verlassen der Volksschule
nicht abgeschlossen, sondern auch in den folgenden Entwicklungs¬
jahren dieser Jugend fortgesetzt wird.
2. Das einzige Mittel, alle Angehörigen dieser Altersstufen in
diese körperliche Ausbildung einzubeziehen, ist die Durchführung
der Pflicht-Fortbildungsschule für alle Knaben und Mädchen des
14. bis mindestens des 17. Lebensjahres und die Einfügung körper¬
licher Übungen in den Erziehungsplan dieser Schule.
3. Zu diesem Zweck ist notwendig: a) ein Reichsgesetz, das
in Abänderung des § 120 der Gewerbeordnung den Erlass des dort
erlaubten Ortsstatuts für Gemeinden mit mehr als 20000 Einwohnern
verbindlich macht; b) der Erlass von Landesgesetzen in sämtlichen
Bundesstaaten, wodurch der Besuch der Fortbildungsschulen für
alle aus der Volksschule entlassenen Knaben und Mädchen verbind¬
lich gemacht wird.
4. In den Lehrplan dieser landesgesetzlichen Fortbildungs¬
schule ist die Pflege von Leibesübungen in mindestens zwei Wochen¬
stunden für alle Fortbildungsschüler verbindlich einzufügen, und
zwar ohne Rücksicht darauf, ob die einzelnen Schulen nach diesem
Gesetze einen direkten Fortbildungsschulzwang haben oder einen
indirekten.
5. Um es den Gemeinden zu erleichtern, dass sie den Betrieb
von Leibesübungen in den Fortbildungsschulen neu einführen, ist
gleichzeitig bei den Landesregierungen zu beantragen, dass für
dieses Lehrfach die staatlichen Zuschüsse in demselben Masse zu
gewähren sind, wie für den sonstigen Fortbildungsschulunterricht,
und zwar hat dies schon alsbald, selbst vor Erlass eines Landes¬
gesetzes betreffend die Fortbildungsschulpflicht, für diejenigen Ge¬
meinden zu geschehen, die in den Unterrichtsplan ihrer Fort¬
bildungsschulen die Pflege der Leibesübungen vornehmen wollen.
6. Ausserdem ist die Erweckung und Pflege eines grösseren
Interesses in der schulentlassenen Jugend für alle Arten von ge¬
sundheitlichen Leibesübungen auf dem Gebiete freiwilliger Tätigkeit
notwendig. Selter (Bonn).
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Kleine Mitteilungen.
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.
Nach einer Mitteilung des ständigen Sekretärs Dr. Pröbsting
in Cöln a. Rh. wird die diesjährige Jahresversammlung des Vereins
in den Tagen vom 16. bis 19. September in Wiesbaden stattfinden,
unmittelbar vor der am 20. September beginnenden Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte in Cöln.
Folgende Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht ge¬
nommen:
1. Städtische Gesundheitsämter und ihre Aufgaben.
Referent: Prof. Dr. v. Es mar oh (Göttingen).
2. Wasserversorgung in ländlichen Bezirken.
Referent: Geh. Oberbaurat Schmick (Darmstadt).
3. Die Ursachen der „Nervosität“ und ihre Bekämpfung.
Referent: Prof. Dr. A. Cramer (Göttingen).
4. Die hygienischen Grundsätze für den Bau von Volksschulen.
Referent: Stadtbaurat R. Reh len (München).
5. Die hygienische Bedeutung städtischer Markthallen, ihre Ein¬
richtung und ihr Betrieb.
Referent: Stadtbauinspektor Dr.-Ing. Küster (Breslau).
Mitteilungen zur Statistik der Stadt Düsseldorf. Im Aufträge des
Oberbürgermeisters herausgegeben durch das Statistische Amt der Stadt
Düsseldorf. Nr. 3: Industrie und Handelsgewerbe in Düsseldorf nach
der Betriebszählung vom 12. Juni 1907. Bearbeitet von Direktor Dr.
Otto Most.
Mit bewunderungswerter Schnelligkeit hat das Statistische Amt
die Ergebnisse der gewerbestatistischen Erhebung vom vorigen Jahre
für Düsseldorf herausgebracht, eine vorbildliche Leistung, mit der
es an der Spitze der Statistischen Ämter marschiert. Bekanntlich
bestand die letzte grosse Berufs- und Betriebszählung aus drei
Einzelzählungen, der berufsstatistischen, der landwirtschaftlichen
und der gewerbestatistischen Erhebung. Aus leicht erklärlichen,
in der Entwickelung der Stadt beruhenden Gründen ist die ge¬
werbestatistische Erhebung in erster Linie bearbeitet worden. Da¬
bei hat sich das Statistische Amt selbst die Bedenken nicht ver¬
hehlt, die gegen die vorliegende Veröffentlichung insofern vielleicht
entstehen könnten, als die s. Z. amtlich festgestellten Ziffern von
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den hier mitgeteilten in Einzelheiten möglicherweise abweichen
werden. Dem steht aber der ungleich grössere Gewinn gegenüber,
dass die Ziffern für Düsseldorf jetzt viele Monate und auch Jahre
früher vorliegen, als es sonst hätte der Fall sein können. Im übrigen
ist die grösstmöglicbe Zuverlässigkeit wohl dadurch gewährleistet,
dass die Bearbeitung an der Stelle erfolgte, die mit den örtlichen
Verhältnissen genau vertraut ist.
Aus den Ergebnissen seien nur folgende wenige Zahlen her¬
vorgehoben, die die steigende Bedeutung Düsseldorfs in unserm
Wirtschaftsleben kennzeichnen. In der Stadt Düsseldorf wurden
1895: 11641 Gewerbebetriebe, 1907 aber 14850 gezählt; die Zahl
der in ihnen beschäftigten Personen vermehrte sich in diesen
12 Jahren von 53580 auf 95902, d. h. jene nahmen um 28, diese
aber um 79 °/ 0 zu. Im Deutschen Reiche kam 1895 auf je 5,09
Einwohner eine im Gewerbe tätige Person, in Düsseldorf verhielt
sich die Zahl der gewerbetätigen Personen zur Einwohnerzahl 1882
wie 1:3,88, 1895 wie 1:3,23 und 1907 wie 1:2,75. „Nichts kenn¬
zeichnet die steigende Bedeutung Düsseldorfs innerhalb der hei¬
mischen Volks- und damit der Weltwirtschaft besser als diese
Zahlenreihe, nichts aber auch schärfer die Kraft, mit der Handel
und Industrie in ständig wachsendem Masse dem Gemeinwesen
Düsseldorfs den Stempel ihrer Eigenart aufdrücken.“
Bei einer Zusammenfassung der einzelnen Gewerbegruppen
in die Hauptabteilungen Gärtnerei und Tierzucht, Industrie und
Handel und Verkehr zeigt sich, dass die Bedeutung der letzteren
gegen 1882 stark zugenommen hat. Während sie damals ein
Drittel der Betriebe umfasste, gehören jetzt nahezu die Hälfte
dieser Abteilung an, und die Zahl der darin gewerbstätigen Per¬
sonen hat von etwas mehr als ein Fünftel auf mehr als zwei Sie¬
bentel zugenommen, d. h. die Industriestadt nimmt in steigendem
Masse den Doppelcharakter der Industrie- und Handelszentrale an.
Die Einwohner Düsseldorfs haben sich seit 1875 um 202 °/ 0 ver¬
mehrt, die gewerbstätigen Personen um 411 °/ 0 , die in Betrieben
der Metallgewinnung und -Verarbeitung beschäftigten Kräfte ins¬
besondere um 562 °/ 0 . Zählt man zu letzteren die von ihnen er¬
nährten Angehörigen, so ergibt sich, dass nicht weniger als rd.
85000 Personen, d. i. etwa ein Drittel der ganzen Stadtbevölkerung,
■von diesen Branchen unmittelbar leben. Ihren Kern bildet die
Maschinenindustrie, deren Personal sich in drei Jahrzehnten mehr
als verzehnfachte. — Die Darstellung ist interessant und leicht les¬
bar, sie zeigt, dass die Statistik durchaus nicht trocken zu sein
braucht. Rosenberg (Kiel).
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Literaturbericht.
Ascher, Die Luftuntersaohungen in Manchester. (Deutsche Viertel¬
jahrsschrift f. öffentl. Gesundheitspflege 1907, 4.)
Auf Veranlassung der städtischen Gartenabteilung der Man¬
chester Fields Naturaliste Society war das Air Analysis Comittee
zusammengetreten, um die Unreinheit der Luft zu untersuchen, die
das Wachstum der Pflanzen erschwerte oder unmöglich machte (!!).
Die Bestimmung des Inhaltes an schwefliger Säure, als des wich¬
tigsten und charakteristischsten Merkmals der Kohlenverbrennung,
ergab folgendes: Die durchschnittliche Menge S0 8 in 1 cbm Luft
betrug im Sept. 91: 0,60; Okt. 91: 0,95; Nov. 91: 1,75; Dez. 91:
3,40; Jan. 92: 2,95; Febr. 92: 2,45; März 92 : 3,35; April 92:
3,40; Mai 92: 1,45; Juni 92: 1,25; Juli 92: 1,35; Aug. 92: 1,35;
also im Dezember mit seiner starken häuslichen Feuerung und im
März und April, hier bedingt durch den höheren Feuchtigkeits¬
gehalt der Luft, erreichte die Kurve ihren höchsten Stand. Durch
Sammeln der Ablagerungen aus der Luft auf Schneefeldern wurde
berechnet, dass während eines dreitägigen Nebels auf eine engl.
Quadratmeile im bessern Teile von Manchester mehr als l 1 /* Ztr.
Schwefelsäure, mehr als 13 Ztr. Russ und ca. */* Ztr. Salzsäure
niedergeschlagen wurden.
Die weiteren Untersuchungsergebnisse gehen so sehr ins Detail,
dass eine gedrängte Wiedergabe hier zwecklos ist. Erwähnt soll
nur werden, dass bei Nebel die Zahl der Todesfälle an Lungen¬
krankheiten steigt, während die Infektionskrankheiten davon un¬
beeinflusst bleiben. Auch die Windrichtung und die Temperatur sind
für die Mortalität der Lungenkranken von Einfluss; der alte Satz,
dass bei kaltem OBtwind und bei dem dem Nebel vorhergehenden
plötzlichen Temperaturabfall diese Mortalität steigt, fand auch hier
seine Bestätigung. Dagegen fehlen noch vergleichende Unter¬
suchungen (iber den Einfluss des schwarzen und des weissen Nebels
auf die Steigerung der Lungenkrankheiten. Bermbach (Cöln).
v. Esm&rch, Die Tageshelligkeiten in Göttingen im Jahre 1906.
(Ztschr. f. Hyg. u. Inf., 58. Bd., -1. Heft, S. 14—27.)
E. beschreibt ein von ihm erfundenes, selbstregulierendes
Instrument, welches imstande ist, die verschiedenen Ortshelligkeiten
für längere Zeiträume zu registrieren.
Die Aufnahmen erfolgen auf photographischem Chlorsilber¬
papier. Genauere Angaben und Beschreibungen des Apparates sind
in der Originalarbeit einzusehen. Mastbaum (Cöln).
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Bothermundt, Über das Verhalten der Bakterien an der Ober¬
fläche messender Gewässer. (Areh. f. Hyg. 1908, 2.)
Je geringer die Stromgeschwindigkeit, um so reicher der Bak¬
terienreichtum der Oberfläche; die Oberfläche ist gewöhnlich reicher
an Bakterien wie die Tiefe der Gewässer infolge des Sauerstoff¬
bedürfnisses der Bakterien. Im Gegensatz zu der Zahl der Bakterien
in der Tiefe ist die an der Oberfläche eine schwankende, ent¬
sprechend der Intensität des Lichtes; mittags ist sie am niedrigsten^
nachts am höchsten. Der Einfluss des Lichtes besteht nicht in
einer Bakterizidie, sondern beruht auf einem negativen Heliotropis¬
mus, einer „Photophobie“ der Bakterien. Bermbach (Cöln).
Ammann, Erfahrungen über die moderne Strassenbehandlung.
(Deutsche Vierteljahrsschrift f. öff. Gesundheitspflege 1907, 4.)
Die Unterdrückung der Staubplage kann geschehen einmal
durch künstliche Erhöhung des spezifischen Gewichtes des Staubes
durch Besprengung, dann durch Härtung und bessere Bindung des
Strassenmaterials. Dem ersten Verfahren dienen Rohpetrol, Apuloit,
Ruoleum, Asphaltin, Westrumit; dem zweiten der heisse Teer. Berlin
wandte Westrumit an mit einer nur fünf Tage dauernden Wirkung,
Petrol- und Teerbesprengung mit dreiwöchigem Effekt. In München
waren die Erfolge mit Westrumit gleich Null; Wiesbaden berichtet
über günstige Erfolge mit Westrumit, klagt aber über dessen üblen
Geruch. Die auch aus andern Städten berichteten Erfahrungen
berechtigen zu dem Schluss, dass die beiden Verfahren sich nicht
gegenseitig ausschiiessen, sondern nebeneinander bestehen können.
Um für kurze Zeit Staubfreiheit zu erlangen, genügt die Petrolage.
Die Dauerwirkung des Asphaltins scheint eine grössere zu sein als
die des Westrumits. Eine volle Dauerwirkung garantiert indes nur
die Goudronage; jedoch sind hierbei folgende Bedingungen zu
erfüllen: Anwendung nach längerer Trockenheit und Hitze im
Sommer, genügende Erhitzung des Teers, maschinelle Verteilung
desselben auf der vorher gut von altem Detritus abgebürsteten
Strasse. Die Winternässe und -kälte vernichtet jedoch das beste
Resultat der Goudronage. Jedoch wird das Verfahren bei jeder
Erneuerung durch einen geringem Materialverbrauch billiger. So
kommt es auch, dass diejenigen Städte, die über eine längere Er¬
fahrung mit diesem Verfahren verfügen, sich auch am günstigsten
über dasselbe äussern. Bermbach (Cöln).
Rubner, Betrachtungen zur Krankenhaushygiene. (Gedenkschrift
f. d. f Generalstabsarzt d. Armee Dr. Rudolf v. Leuthold, 1906, I. Bd.)
Das Krankenhaus erscheint durch die Versicherungsgesetz¬
gebung als Institution schon jetzt für weite Kreise der Bevölkerung
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von grösster Wichtigkeit and wird es für die nächsten Jahrzehnte
in steigendem Masse werden. Die Krankenhaaspflege ist eine soziale
Notwendigkeit mit Rücksicht aaf die schlechten Wohnungsverhält-
nisse eines Teils der Bevölkerung. Im Bewusstsein dieser erhöhten
Bedeutung erscheint es nötig, Fürsorge für entsprechende Erweiterung
und Vermehrung der Krankenanstalten zu treffen.
Im Kranken haus bau wird allem Anschein nach, wenigstens
bei grossen Städten, die Differenzierung eine immer weiter schrei¬
tende sein müssen. So sind aus verschiedenen Gründen Genesungs¬
heime erforderlich, viel mehr als bereits bestehen, und mindestens
zwei verschiedene, solche für Kinder und solche für Erwachsene,
ferner ausser den Heilstätten für Tuberkulöse besondere Kranken¬
anstalten vor den Städten für die Schwerkranken der Tuberkulösen,
die teils eine nennenswerte Besserung überhaupt nicht mehr finden
und invalide sind, teils einer temporären Linderung ihrer Leiden
entgegengehen. In den Rahmen eines grossen Krankenhauses
hinein gehört eine hygienisch wohlgeschulte und die hygienischen
Einrichtungen überwachende Persönlichkeit, deren Aufgaben von
den rein ärztlichen geschieden sein müssen und nicht im Nebenamt
versehen werden dürfen; diese Persönlichkeit könnte namentlich auch
der Krankenhauskost eine sorgsame Aufsicht zuteil werden lassen.
Der Wärter- und Pfleger frage ist ein noch viel leb¬
hafteres Augenmerk zuzuwenden als bisher. Die Zahl der zur
Diakonie, zu den Orden, zum Roten Kreuz und zu anderen Ver¬
einigungen gehörigen Krankenpfleger hat nicht nur nicht ent¬
sprechend zugenommen, sondern sich relativ vermindert, eine um
so bedenklichere Erscheinung, als diese humanitären Gesellschaften
zugleich eine ungeheuer wichtige Reserve für die Krankenpflege
im Felde bilden. Die Existenzbedingungen für das Pflegepersonal
müssen günstiger werden; die Überanstrengung soll vermieden,
angemessene Urlaubszeit geboten werden; ferner sind notwendig
Trennung des Nacht- und Tagdienstes, auskömmliche Bezahlung,
Pensionsanspruch, gesicherte Versorgung für das spätere Alter.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Löhnis, Herstellung, Wert und Preis hygienisoh einwandfreier
Milch. (Milchzeitung 1907 S 349.)
Nach Verf.s Ansicht ist die Gewinnung einer hygienisch ein¬
wandfreien Milch durchführbar. Sie ist jedoch nur dann rentabel,
wenn für ein Liter im Einzelverkaufe mindestens 40 Pfennige erzielt
werden. Eigene Versuche des Verf. haben gezeigt, dass sich in der
Tat dauernd eine Milch gewinnen lässt, die nur 100—500 Keime
in 1 ccm enthält und als Trink- und Kindermilch ohne weitere Be¬
handlung Verwendung finden kann. Sein Standpunkt ist folgender:
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1. Hygienisch einwandfreie Milch kann nur dort hergestellt
werden, wo eine fortlaufende, sorgfältig durch geführte ärztliche,
tierärztliche und bakteriologische Betriebskontrolle unbedingt sicher¬
gestellt ist. Das Melken und die weitere Behandlung der Milch
muss von geeignetem Personal unter Aufsicht der mit der bak¬
teriologischen Betriebskontrolle beauftragten Personen geschehen.
2. Durchaus nicht alle vom Tierarzt als gesünd befundenen
Tiere sind zur Gewinnung einer einwandfreien Milch tauglich. Sowohl
diejenigen Tiere müssen ausgeschaltet werden, die an sich eine
zu keimreiche Milch liefern, als auch die, deren Milch einen un¬
angenehmen Geschmack hat.
3. Die Gewinnung einer einwandfreien Milch setzt eine be¬
sonders sorgfältige Fütterung voraus, da sich in keimarmer Milch
der Futtergeschmack viel deutlicher bemerkbar macht als in der
gewöhnlichen Milch mit Kotgeschmack.
4. Das zur Verwendung bestimmte Wasser ist eingehend zu
kontrollieren. Mitunter sind die Wasser auf dem Lande so reich
an sporenbildenden, schädlich auf die Milch einwirkenden Bakterien,
dass aus diesem Grunde die Gewinnung einer einwandfreien Milch
unmöglich wird.
5. Der günstige Einfluss grösster Sauberkeit muss durch die
Verwendung sterilisierter Gefässe unterstützt werden.
Daraus geht hervor, dass keineswegs von allen Landwirten
die Gewinnung einer einwandfreien Milch gefordert werden kann,
dass auch in den dazu geeigneten Betrieben nicht von allen Kühen
zu jeder Zeit eine einwandfreie Milch geliefert wird, und dass die
erforderlichen besonderen Massregeln einen entsprechend höheren
Preis für eine derartige Milch im Gefolge haben müssen.
Mühlschlegel (Stuttgart).
Laquer, Über Auskünfte- und Fürsorgestellen für Alkoholkranke.
(Therapie der Gegenwart 1906, Heft 4, p. 161—165.)
Ähnlich den Dispensaires und Fürsorgestellen für Tuberkulöse,
die noch jüngst Kobert (Zeitschr. f. Krankenpflege 1908, 2) als
eines der wichtigsten Hilfsmittel im Kampfe gegen die Tuberkulose
ansieht, sollen Fürsorgestellen für Alkoholkranke, wie deren jetzt
schon welche in Herford, Dortmund, Bielefeld, Königsberg, Posen,
Bromberg, Berlin, Stettin, Barmen und Erfurt bestehen bzw. in
Aussicht genommen sind, unter ärztlicher Leitung und unter
Mitwirkung geeigneter Persönlichkeiten (Verwaltungsbeamte,
Geistliche, Polizeibeamte, Armen Vorsteher, Volksschullehrer, auch
Blaukreuzler [Guttempler]) gegründet werden. Aufgabe der Für¬
sorgestelle ist, den Trinkern bzw. deren Familie Unterkunft in
Anstalten oder Arbeit in abstinenten Betrieben nachzuweisen und
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die Angehörigen über die Gefahren des Alkoholgenusses zu be¬
lehren. Verfasser äussert sich nach Ansicht des Referenten zu
optimistisch in der Frage der Fürsorgestellen, wenigstens hat
Referent von Oberstabsarzt Dr. Neumann in Bromberg gehört,
dass dort der Erfolg kein besonders günstiger war, was er haupt¬
sächlich der eher störenden als fördernden Mitwirkung der Heils¬
armee, die der Leiter der Fürsorgestelle, Dr. Knust, zur Mitarbeit
herangezogen hatte, zuschreibt. Betreffs Einzelheiten muss auf das
Original verwiesen werden. Boas jun. (Freiburg i. Br.).
Hoffa, Das Säuglingsheim zu Barmen. (Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge.
Bd. II, Heft 5 u. 6. Leipzig 1908. J. A. Barth.)
In Barmen besteht seit Mai 1907 ein mit einer Krippe ver¬
bundenes Säuglingsheim, für das ein eigener Neubau — wohl der
erste in Deutschland — errichtet wurde.
Die Anstalt liegt zentral, dabei in sonniger freier Lage, etwa
40 m über der Talsohle auf einem 900 qm grossen Grundstück.
Das Haus besteht aus Keller, 4 Stockwerken und Trockenspeicher,
ist 21 m breit, bis 14 m tief und 14,3 m hoch.
Der Keller enthält Kohlen- und Heizraum (Niederdruck¬
dampfheizung, Warmwasserbereitungsanlage), Obduktions- und
Leichenraum, Haushaltskeller.
Im Untergeschoss liegen Wartezimmer, Arztzimmer, Labora¬
torium, die 3 Räume der Milchküche (Mischraum, Spül- und
Sterilisierraum, Kühlraum), 3 Räume für die Wirtschaftsküche, 2 Ess¬
zimmer für Schwestern und Dienstpersonal, Geschäftszimmer der
Oberin.
Das Erdgeschoss dient den Zwecken der Krippe. Für
die grösseren Kinder (1—3 Jahre alt) sind 2 grössere Säle, Bade¬
zimmer etc. vorgesehen, für die sogenannten Krippensäuglinge
(Stillkrippe) 2 kleinere Säle. Dazu Isolierzimmer, Schwestem-
zimmer usw.
Im 1. Stockwerk ist das eigentliche Säuglingsheim
untergebracht, es umfasst 1. 3 kleinere Räume, deren Zwischenwände
zum Teil aus Glas bestehen und die als Beobachtungsstation für
die neu zugehenden Kinder dienen, 2. 2 grössere Säle. Dazu
die nötigen Nebenräume (Zimmer für Privatkranke, Verband¬
zimmer, Schwesternbad, Schwesternzimmer).
Im Dachgeschoss liegen Waschküche mit maschineller
Einrichtung, Bügelstube und Schlafräume für das Personal; über
dem Dachgeschoss findet sich noch ein geräumiger Trocken¬
speicher.
Flure, Küche, Milchküchen und Laboratorium haben Platten¬
böden, die Küche und die Milchküchen ausserdem Porzellanwand-
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bekleidungen auf ganze lichte Höhe. Im übrigen bestehen die
Decken und Treppen des ganzen Hauses aus Eisenbeton und sind
mit weidegrünem Linoleum belegt.
2 Aufzüge (Wäsche- und Speiseaufzug) gehen durch sämt¬
liche Stockwerke. Alle zum Aufenthalt von Kindern bestimmten
Bäume liegen nach Süden, vor ihnen liegt sowohl im Erdgeschoss
wie im 1. Stockwerke je eine 2 m breite, 9 m lange gedeckte,
nach W. durch Glaswand geschlossene Veranda. Ausserdem be¬
findet sich im Garten eine etwa 12 m lange, 2 m tiefe und
3 m hohe Liegehalle, in der etwa 15—20 Säuglinge vomFrüb-
jahr an bis zum Spätherbst tagsüber untergebracht werden.
Die innere Einrichtung ist so gewählt, dass bei Ver¬
meidung von jeglichem Luxus doch alle zur Durchführung eines
aseptischen Betriebs im Schlossmann’schen Sinne nötigen Vor¬
kehrungen getroffen sind. (Reichliche Waschbecken, Baginski-
Schlossmann’sches Bett mit Einzelbadewanne und Trennung sämt¬
licher Gebrauchsgegenstände für jeden einzelnen Säugling, elektr.
Beleuchtung.)
Der Betrieb ist so eingerichtet, dass die Gefahr der Ein¬
schleppung ansteckender Krankheiten aus der Krippe ins Säug¬
lingsheim bis jetzt vermieden werden konnte. Für später ist aber
doch geplant, die Krippe aus dem Hause zu verlegen und dieses
ganz für die Zwecke des eigentlichen Säuglingsheims zu reservieren.
Das Personal besteht aus 1 vorstehenden Schwester (Kaisers-
werther Diakonisse), 1 Oberschwester des Säuglingsheims, 5—6 ausge¬
bildeten Schwestern und 6 Schülerinnen, zusammen 14Pf legerinnen.
Auf je 5—6 Säuglinge kommt eine Pflegerin, ausserdem 2 Nacht¬
wachschwestern, 1—2 Schwestern für die Milchküche. Das Pflege¬
personal rekrutiert sich aus jungen Mädchen mit guter Schulbildung,
die Schülerinnen werden ein Jahr lang, die sogenannten „Pensio¬
närinnen“- 1 l i Jahr lang ausgebildet.
Der Dienst der Schwestern dauert von früh 1 j i l bis Abends
7 Uhr mit täglich l 1 /* Stunden Freizeit und wöchentlich einem
freien Nachmittag. Die Nachtwachschwestern versehen ihren Dienst
von Abends 7 Uhr an bis 7 Uhr morgens 14 Tage lang.
Sämtliche Kinder erhalten nur 5 Mahlzeiten innerhalb
24 Stunden; die aufgenommenen Nahrungsmengen, auch die Brust¬
mahlzeiten werden nach Art und Menge (Gewicht) genau registriert
und zwar l.auf dem sogenannten Trinkzettel und 2. auf dem Kurven¬
blatt, das Auskunft gibt über Körpertemperatur, Körpergewicht,
Ernährung, Stuhl, Urin, Arzneibehandlung und sonstige therapeu¬
tische Eingriffe, Dauer des Aufenthalts im Freien etc. Auch wird
für jedes Kind ein besonderes Krankenjournal geführt.
Um stets über genügende Mengen Frauenmilch verfügen zu
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können, werden 3—4 ledige Mütter mit ihren Kindern als Haus-
ammen aufgenommen. Sie stillen ausser dem eigenen eine Anzahl
fremder Kinder und bringen es durch die vermehrte Inanspruch¬
nahme ihrer Brustdrüsen leicht auf eine Tagesproduktion von
2 Liter Milch und [mehr. Sie erhalten eine Besoldung von 25 M.
monatlich, wovon 15 M. für Pflege des Ammenkindes abgehen,
und ausserdem Prämien von 3—10 M. bei besondem Anlässen.
Einschliesslich Küchen-, Haus- und Waschküchen personal
sind ständig etwa 26—27 erwachsene Personen im Hause tätig.
Das ist anscheinend eine recht grosse Zahl im Verhältnis zur Zahl
der Pfleglinge (20—25 Krippenkinder, 40—45 Säuglinge). Das
lässt sich aber nicht vermeiden, wenn man etwas Erspriessliches
leisten will. Es handelt sich ja fast ausschliesslich um kranke
Säuglinge, von denen eine Pflegerin kaum mehr als 5—6 ver¬
sorgen kann.
Der Wäscheverbrauch ist ein sehr grosser, 700—1000 Windeln
und Einschlagetücher pro Tag. Die Kosten für einen Verpflegungs¬
tag (einschl. aller Generalunkosten) betragen ungefähr 3 Mark pro
Säugling.
Dem Säuglingsheim angeglicdert ist die Überwachung der
Haltekinder und unehelichen Kinder in der Stadt durch Pflegerin
und Arzt. Die Organisation dieser Säuglingsfürsorge ist eben im
Entstehen begriffen.
Der Diätetik liegt als Prinzip zugrunde die möglichste
Förderung der Brusternährung und bei der künstlichen Ernäh¬
rung die Einhaltung minimaler Mengen. Bei gesunden Kindern
werden Mischungen aus Milch mit Hafergrützenschleim und
S o x h 1 e t’schein Nährzucker bevorzugt, im 2. Halbjahr Beigabe
von Kohlehydraten, Kompott und Gemüsen. Fettreiche Gemische
kommen selten zur Verwendung, öfter Malzsuppe und Magermilch.
Die Ernährung der Kinder jenseits des 1. Lebensjahres ist
eine rein lakto-vegetabile ohne Fleisch.
Grosser Wert wird der Freiluftbehandlung der Säuglinge
beigelegt, im Hause selbst entfallen auf einen Säugling 15 cbm
Luftraum, auf ein Krippenkind 10 cbm.
In einem Anhang findet sich eine Zusammenstellung der
Bau- und Einrichtungskosten:
I. Grunderwerb . 22421.29 M.
II. Baukosten einschl. Zentralheizung,
Warmwasserbereitungsanlage, Instal¬
lationen (Telefon, Aufzüge, elektr.
Licht, Gas und Wasser) .... 96168.91 „
zu übertragen 118590.20 M.
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Übertrag 118590.20 M.
III. Innere Einrichtung:
A. Möbel, Kinderbetten,
Hausgerät, Badewannen 6402.76 M.
B. Instrumente. . . . 1378.35 „
C. Milchküche .... 2449.92 „
D. Waschküche . . . 5060.20 „
E. Wäsche ..... 7588.73 „ 22879.96 „
Insgesamt 141470.16 M.
Dazu Wert der geschenkten und aus der
alten „Krippe“ mitgebrachten Mobilien, Wäsche
tu dgl. 5000.— „
Gesamtsumme 146470.16 M.
Weitere Anhänge geben
2. Übersicht der Lieferanten.
3. Bestimmungen betreffend die Aufnahme junger Mädchen
zur Ausbildung als Kinder-, Säuglings* und Krankenpflegerinnen im
Säuglingsheim mit Krippe zu Barmen, Zeughausstrasse 40;
4. Bestimmungen über die Aufnahme von Kindern in das
Säuglingsheim und die Krippe.
(Die Drucksachen zu 3 und 4 werden jedem Interessenten
auf Wunsch zugesandt von der Verwaltung des Säug¬
lingsheims mit Krippe, Barmen, Zeughausstr. 40.)
5. Übersicht der im Säuglingsheim zu Barmen gebräuchlichen
Milchmischungen. Autoreferat.
Steinhaus, Die hygienische Bedeutung des fünfstündigen Vor-
ntittagsunterriohts. (Zeitschrift f. Schulgesundheitspflege 1907, Nr. 9
u. 10.)
Durch Ermüdungsmessungen — Bestimmung der geistigen
Leistungsfähigkeit einer Klasse durch Lösen von einfachen Rech¬
nungsaufgaben und ästhesiometrische Messungen nach Griesbach —,
vorgenommen an Volksschülem, konnte Steinhaus nachweisen, dass
der auf die fünfte Vormittagsstunde ausgedehnte Unterricht für die
einzelnen Schüler ohne nachteiligen Einfluss ist. Im Nachmittags¬
unterricht ermüden die Schüler sehr schnell oder sie kommen zum
grossen Teil ohne geeignete Erholung zum Unterricht. Auch die
Kränklichkeit der Schüler mit Nachmittagsunterricht ist nach den
Untersuchungen des Verf, grösser als bei den Kindern mit fünf¬
stündigem Vormittagsunterricht. Ausser medizinischen sprechen
auch soziale und schultechnische Gründe für die Einführung des
fünfstündigen Vormittagsunterrichts. Zu verlangen ist allerdings, dass
der wissenschaftliche Unterricht ganz in die Vormittagsstunden
Centralbl&tt f. allg. Gesundheitspflege. XXVII. Jabrg. 25
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verlegt wird, dass die einzelnen Stunden 45 Minutendauer nicht
übersteigen, und dass nach jeder Stunde eine Pause eingelegt wird.
Selter (Bonn).
Fürst, Ein Vorschlag zur Nutzbarmachung der Schulgesundheits¬
scheine. (Soziale Medizin und Hygiene, Bd. III, 1908.)
Verf. würde es für richtig halten, wenn alle Gesundheits¬
scheine der Schüler mit dem Eintritt ihrer Militärpflicht den mili¬
tärischen Behörden zur Verfügung gestellt würden. Von militär¬
ärztlicher Seite müssten dann noch diesen Scheinen kurze Bemer¬
kungen über den Gesundheitszustand und etwaige Gesundheits¬
störungen während der Dienstzeit und eventuell auch einige Notizen
anthropologischer Natur angefügt werden, wodurch ein geradezu
ideales Beobachtungsmaterial eines grossen Teiles der männlichen
Bevölkerung für die wissenschaftliche Bearbeitung der Anthropo¬
logen gewonnen werden könnte. Selter (Bonn).
Sanitätsberioht über die Kgl. Preussische Armee, die Kgl. Säch¬
sischen und das Kgl. Württembergische Armeekorps für
1904/05. (Bearb. v. Preuss. Kriegsministerium.)
Was diesen zuletzt erschienenen Sanitätsbericht besonders aus¬
zeichnet, ist ein Rückblick auf die Gestaltung des Gesundheits¬
zustandes der Armee im Laufe der letzten drei Jahrzehnte. Er zeigt und
weist durch Zahlen und Tafeln nach, dass die Hebung und För¬
derung der Heeresgesundheitspflege in dieser Zeit eine recht
erfolgreiche gewesen ist, ganz besonders bei denjenigen Krank¬
heiten, deren Bekämpfung uns die Hygiene gelehrt hat, in erster
Linie also bei den übertragbaren Krankheiten. Darum seien diese
zunächst besprochen.
Der Zugang an Infektionskrankheiten überhaupt be¬
trug 1873/74 noch 62,7 °l 00 der Iststärke, seitdem sank er fast un¬
unterbrochen und betrug 1904/05 nur noch 4,2 °/ 00 ; das bedeutet
eine Abnahme um 93,3 °/ 0 ! An der Abnahme nahmen alle ein¬
zelnen Krankheiten teil mit Ausnahme der Pyämie bzw. Septi-
kämie und der epidemischen Genickstarre, deren nicht gerade
erhebliche Zunahme wahrscheinlich nur scheinbar und durch die
verbesserte bakteriologische Diagnose bedingt ist. Bestimmend für
den Rückgang der Infektionskrankheiten waren Malaria, gastrisches
Fieber, Typhus und Ruhr. Malaria, welche im ersten Jahrfünft
die höchste Zugangsziffer aller Infektionskrankheiten aufwies
(26,0°/ 00 d. I.), nahm um 99,6 °/ 0 ab. Wenn auch nicht alle Malaria¬
fälle aus der früheren Zeit der heutigen Diagnostik standhalten
würden, blieben noch genug echte übrig, um die Verminderung
als eine besonders grosse ansehen zu können. Der Rückgang des
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Typhus und des gastrischen Fiebers ist schon oft als das
bedeutendste Zeichen für die Wirksamkeit hygienischer Mass¬
nahmen im Heere besprochen und gewürdigt worden. Dass die
Häufigkeit der Typhuserkrankungen in der Armee hauptsächlich
von äusseren Einflüssen aus der Zivilbevölkerung bestimmt wurde,
beweist die monatliche Verteilung der Zugänge, die, auch heute
noch, zur Zelt der grösseren Übungen und in den Wochen nach
diesen am höchsten, in den übrigen Monaten verschwindend gering
sind. Auch die Ruhr hat sich deutlich vermindert, wenn schon
einzelne Jahre eine grössere Zugangsziffer aufweisen, wie 1900/01
infolge der Epidemie auf dem Truppenübungsplätze Döberitz. Die
Pocken haben in den 32 Jahren nur 19 Erkrankungen gebracht,
von denen 13 auf die ersten 10 Jahre fallen; 1903/05 kam keine
mehr vor. Scharlach und Masern nehmen im Heer ebenfalls
keinen bedeutenden Platz ein; beide Krankheiten zeigen einen ge¬
ringen, doch unverkennbaren Rückgang. Auffällig ist das Ver¬
halten der Diphtherie; der plötzliche Abfall Ende der achtziger
Jahre ist wohl zum Teil durch die bessere, auf den bakteriologischen
Nachweis des-Krankheitserregers begründete Diagnosenstellung ver¬
anlasst worden. Eine deutliche und recht bedeutsame, vor allem
ganz stetige Abnahme zeigen die Karbunkel (Milzbrand). Fleck¬
typhus und Rückfallfieber sind nur in den siebziger und acht¬
ziger Jahren aufgetreten. Die asiatische Cholera hat nur 1873/74
eine grössere Ausbreitung geftinden. Im Cholerajahr 1892/93 sind
im Heere nur 18 Erkrankungen vorgekommen, im Berichtsjahr
1904/05 nur 4. Der Verlauf, den die Tuberkulose genommen hat,
ist mehrfach in selbständiger Weise ausführlich behandelt worden (Heft
14 und 34 d. Veröff. a. d. Mil.-Sanitätswesen, Schjerning, Schnitzen).
Der Verlauf der Grippe war überaus wechselvoll; die grosse
Epidemie 1889/90 ergriff fast 11 °/ 0 des gesamten Heeres. Dass
die venerischen Krankheiten erheblich abgenommen haben,
ist durch Heft 36 d. Veröff. ausführlich bekannt geworden (ref.
diese Ztschr. 07 H. 7/8). Einige andere Krankheiten, deren Ent¬
stehung mehr oder minder auf bakterieller Ursache beruht, wie
akuter Gelenkrheumatismus, akute Lungenentzündung, Brustfell¬
entzündung, Mandelentzündung, Furunkel, Panaritien und Zell¬
gewebsentzündung weisen ebenfalls einen merkbaren Rückgang auf,
teilweise nach vorübergehendem Anstieg. Dagegen ist es noch
nicht gelungen, die einfachen Katarrhe der Luftwege zu ver¬
mindern. In starker, dauernder Zunahme begriffen sind die ent¬
zündlichen und eitrigen Prozesse der Knochen und der
Knochenhaut; eine Erklärung hierfür zu finden, ist schwer. Ein
erfreuliches Bild liefert demgegenüber die zielbewusste Bekämpfung
des Trachoms, das innerhalb dreissig Jahren von einer sehr ver-
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breiteten za einer fast bedeutungslosen Heereskrankheit herab¬
gesunken ist.
Aber auch im weiteren Sinne lässt sich der Einfluss der hy¬
gienischen Lehren auf den gesamten Gesundheitszustand des Heere»
nachweisen; sind doch bei allen Verbesserungen in der Unterkunft
der Soldaten, in der Beköstigung, der Bekleidung, den Massnahmen
für Reinlichkeitspflege mehr oder minder die Erfahrungen und
wissenschaftlichen Ergebnisse des genannten Forschungsgebietes
von grundlegender Bedeutung. Dieser Fürsorge für die Heeres¬
angehörigen ist zweifellos die Abnahme der drei grossen Krank¬
heitsgruppen der Ernährungsorgane, der mechanischen Ver¬
letzungen und der äusseren Bedeckungen zu verdanken;,
letztere Gruppe hat übrigens wie einst, so auch heute noch den
höchsten Zugang.
Doch nicht alle Gruppen zeigen einen deutlichen Rückgang
der Zugangsziffern. So ist bei den Krankheiten der Kreislauf¬
organe der Zugang mit geringen Sc